Volksabstimmung in Deutschland über den Vertrag von Lissabon? - Ausarbeitung - © 2009 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 -135/09 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Volksabstimmung in Deutschland über den Vertrag von Lissabon? Ausarbeitung WD 3 - 3000 -135/09 Abschluss der Arbeit: 06.04.2009 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - - Zusammenfassung - Der gescheiterte europäische Verfassungsvertrag und der Vertrag von Lissabon haben in Deutschland wieder zu Diskussionen nach der Legitimation europäischen Rechts mit Hilfe von Referenden geführt. Auch der Bundestagsabgeordnete Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU) trägt im Rahmen seiner Verfassungsbeschwerde und der Organklage gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon vor dem Bundesverfassungsgericht vor, dass die Verabschiedung dieses Vertrags in Deutschland zwingend ein Referendum erfordere. Das deutsche Grundgesetz normiert keine direkte Beteiligung der Stimmbürger an politischen Entscheidungsprozessen auf Bundesebene, es schließt sie aber auch nicht aus. Die Einführung von Elementen der direkten Demokratie in das Grundgesetz wäre nach überwiegender Auffassung im Wege der Verfassungsänderung möglich, Art. 79 Abs. 3 GG steht dem nicht entgegen. Sollte die Zustimmung zur Änderung europäischen Vertragsrechts von einem bindenden Referendum abhängig gemacht werden, wäre eine Verfassungsänderung notwendig. Ein konsultatives Referendum könnte nach wohl überwiegender Auffassung ohne Verfassungsänderung durch einfaches Bundesgesetz eingeführt werden. Es würde aber neben dem Ratifikationsverfahren durch Bundestag und Bundesrat keine rechtliche Bindungswirkung entfalten, sondern lediglich eine politische Entscheidungshilfe darstellen. Eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit, Vertragsänderungen durch Volksabstimmung gemäß Art. 146 GG zu legitimieren, besteht nach mehrheitlicher Auffassung nicht. Das Bundesverfassungsgericht beabsichtigt, im Mai oder Juni 2009 über die anhängigen Klagen zum Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon zu entscheiden. In der mündlichen Verhandlung am 10. und 11. Februar 2009 in Karlsruhe hat sich der Zweite Senat eingehend mit den Regelungen des Vertrags von Lissabon befasst. Die Fragen der „Entstaatlichung“ von Deutschland und die Ausweitung der EU-Zuständigkeiten spielten eine wichtige Rolle. Die Frage der Zulässigkeit eines Referendums in Deutschland zum Vertrag von Lissabon wurde vom Zweiten Senat nicht erörtert. - 4 - 1. Einleitung Am 13. Dezember 2007 haben die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Lissabon den Vertrag zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft geschlossen .1 Mit Ausnahme Irlands erfolgt die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon in sämtlichen Mitgliedstaaten durch die nationalen Parlamente. In Deutschland wird der Vertrag von Lissabon durch drei Gesetze umgesetzt:2 das Gesetz zum Vertrag von Lissabon (auch Zustimmungs- oder Vertragsgesetz),3 das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes 4 und das so genannte Begleitgesetz.5 Das Gesetz zum Vertrag von Lissabon, welches den Bundespräsidenten zur Unterzeichnung der Ratifikationsurkunde zum Vertrag von Lissabon ermächtigt, ist am 8. Oktober 2008 durch diesen ausgefertigt und am 14. Oktober 2008 verkündet worden. Bundespräsident Köhler hat aber die Ratifikationsurkunde bisher nicht unterzeichnet, da mindestens 12 Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit des Zustimmungsgesetzes und der Begleitgesetze beim Bundesverfassungsgericht anhängig sind. Der Bundestagsabgeordnete Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU) ist einer der Beschwerdeführer vorm Bundesverfassungsgericht. Er trägt im Rahmen seines Verfassungsbeschwerde und der Organklage unter anderem vor, dass die Verabschiedung des Vertrags von Lissabon die Durchführung von Referenden in den europäischen Mitgliedstaaten voraussetze. Die Ausarbeitung untersucht zunächst die Frage der rechtlichen Zulässigkeit von Volksabstimmungen in Deutschland, insbesondere zur Verabschiedung des Vertrags von Lissabon. Im zweiten Teil wird ein kurzer Überblick über die mündliche Verhandlung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts am 10. und 11. Februar 2009 über die vier Verfassungsbeschwerden und zwei Organstreitverfahren in Karlsruhe gegeben . 2. Rechtsgrundlagen für Referenden im deutschen Bundesrecht Das deutsche Grundgesetz sieht die Möglichkeit von „Abstimmungen" in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vor. Nach der Gesamtkonzeption des Grundgesetzes sind darunter jedoch keine 1 ABl. EU vom 17. Dezember 2007, 2007/C 306/01, BT-Drs. 16/8300 2 Vgl. , Gesetze zum Vertrag von Lissabon: Ausfertigung, Verkündung, Inkrafttreten , Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 3 – 66/08), 2008. 3 Gesetz zum Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007, vom 8. Oktober 2008, BGBl. II vom 14. Oktober 2008, S. 1038. 4 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 45 und 93), vom 8. Oktober 2008, BGBl. I vom 16. Oktober 2008, S. 1926. 5 Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bunderates in Angelegenheiten der Europäischen Union (Gesetzentwurf BT-Drs. 16/8489, Beschlussempfehlung und Bericht, BT-Drs. 16/8919). - 5 - Volksentscheide zu verstehen6; eine direkte Beteiligung der Stimmbürger an politischen Entscheidungsprozessen auf Bundesebene ist weder ausdrücklich normiert noch ausgeschlossen.7 Hingegen gibt es in allen Bundesländern - verankert in den Landesverfassungen -, Möglichkeiten der direkten Teilnahme von Bürgern durch Volksentscheide und Volksbegehren. Auch auf kommunaler Ebene sind Bürgerbegehren und Bürgerentscheide verbreitet. Seit Jahren gibt es immer wieder Vorstöße aus der Bevölkerung , der Zivilgesellschaft oder der Politik, die eine Einführung von plebiszitären Elementen auch im Grundgesetz fordern. Jüngst wurden im Innenausschuss des Deutschen Bundestages drei Gesetzesinitiativen der Fraktionen der FDP, Bündnis 90/Die Grünen und „Die Linke“ zu diesem Thema in der Beratung diskutiert und abgelehnt.8 Eine Entscheidung im Plenum steht noch aus. Eine Legitimationsgrundlage für eine Volksabstimmung in europäischen Angelegenheiten gibt es in Deutschland nicht. Dieses sehr streng repräsentativ ausgerichtete System könnte jedoch durch Elemente direkter Demokratie ergänzt werden, Art. 79 Abs. 3 GG steht dem nicht entgegen.9 So wäre es zulässig, etwa die Zustimmung zu Änderungen europäischen Vertragsrechts von einem bindenden Referendum abhängig zu machen; dies bedürfte aber einer Verfassungsänderung.10 Das folgt schon aus den Vorschriften über das Gesetzgebungsverfahren, die in Art. 76, 77 GG die Gesetzesinitiative und Gesetzgebung eindeutig auf die Bundesorgane beschränken. Außerdem wäre ein bindendes Referendum über das europäische Vertragsrecht als zusätzliches Element des Ratifikationsverfahrens nicht mit Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar, der die Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU abschließend regelt. Nach wohl überwiegender Auffassung könnte ein konsultatives Referendum als zusätzliche Voraussetzung zur Ratifikation des europäischen Vertragsrechts durch Bundestag und Bundesrat ohne Verfassungsänderung durch einfaches Bundesgesetz einge- 6 Statt vieler: Hans Hofmann, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu/Franz Klein (Begr.); Hans Hofmann/Axel Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 11. Aufl. 2008, Art. 20 Rn. 50. 7 Art. 29 GG stellt einen Sonderfall dar, da zwar Neugliederungen des Bundesgebiets durch Referendum über ein Gesetz (Art. 29 Abs. 2 und 3 GG) oder durch Initiative seitens der Bürger (Art. 29 Abs. 4 GG) erfolgen können. 8 Beratung im Innenausschuss am 11. Februar 2009, Beschlussempfehlung BT-Drs. 16/12019. 9 Mittlerweile ganz h. M.: Horst Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 20 (Demokratie), Rn. 109 f.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, Demokratie - Bundesorgane, 3. Aufl. 2005, § 34 Rn. 23; Klaas Engelken, Volksgesetzgebung auf Bundesebene und die unantastbare Ländermitwirkung nach Art. 79 Abs. 3 GG, DÖV 2006, 550 ff.; Denise Estel, Bundesstaatsprinzip und direkte Demokratie im Grundgesetz, 2006, S. 54 ff. 10 Nur Karsten Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung: Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit von Volksabstimmungen nach dem Grundgesetz, Baden-Baden 1991, S. 357 f., m. w. N.; a. A. Michael Elicker, ZRP 2004, 225, (229), der davon ausgeht, dass ein Referendum auch ohne Verfassungsänderung zulässig sei; dagegen wiederum ausdrücklich Tobias Herbst, Volksabstimmung ohne Grundgesetz?, ZRP 2005, 29 ff. - 6 - führt werden.11 Ein Verfassungsvorbehalt ist zu verneinen.12 Ein konsultatives Referendum ist mit dem in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG verankerten und in Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Prinzip der Volkssouveränität vereinbar13, wie bereits die ausdrückliche Ermächtigung zur Durchführung von Volksbefragungen in Art. 29 Abs. 5 GG und 118 GG belegt.14 Außerdem würde die Ergänzung des parlamentarischrepräsentativen Verfahrens um das direktdemokratische Element der Volksbefragung nicht mit dem Gesetzgebungsverfahren der Art. 76 ff. GG kollidieren, da entscheidend weiterhin das Votum von Bundestag und Bundesrat gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 GG bliebe. Das Ergebnis der Volksbefragung entfaltet ungeachtet seines politischen Gewichts aber keine rechtliche Bindungswirkung; es liefert lediglich eine politische Entscheidungshilfe. Eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit, Vertragsänderungen durch Volksabstimmungen legitimieren zu lassen, diskutieren verschiedene Autoren im Zusammenhang mit Art. 146 GG und unter dem Stichwort „europäischer Bundesstaat“.15 Auch Dr. Peter Gauweiler, MdB, vertritt vor dem Bundesverfassungsgericht die Auffassung, „(…) dass Deutschland sich durch eine neue Verfassung, gemäß Art. 146 GG, für eine Integration zu einem echten Bundesstaat als existentiellem Staat mit existentieller Staatlichkeit öffnet . Eine neue Verfassung ist nicht ohne Verfassungsreferendum möglich.“16 Eine solche verfassungsrechtliche Notwendigkeit wird aber in der juristischen Literatur mehrheitlich abgelehnt, da die Vertragsänderungen nicht zu einer „Ablösung“ der nationalen Verfassungen führen.17 Die europäische Rechtsordnung ist vielmehr ein Mehrebenen- 11 Vgl. dazu den Entwurf eines Gesetzes zur Volksbefragung wegen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr, BT-Drs. III/303. 12 So auch Albert Bleckmann, Die Zulässigkeit des Volksentscheides nach dem Grundgesetz, JZ 1978, 217 ff.; Christian Pestalozza, Volksbefragung - das demokratische Minimum, NJW 1981, 733 ff. (735); Berthold Huber, Formen direktdemokratischer Staatswillenbildung - eine Herausforderung an das parlamentarische System der Bundesrepublik Deutschland?, ZRP 1984, 245 ff. (248); Ingwer Ebsen, Abstimmungen des Bundesvolkes als Verfassungsproblem, AöR 1985, 2 ff. (29); Bugiel (Fn. 10), S. 395-441, 483 f.; Dreier (Fn. 9), Art. 20 (Demokratie) Rn. 111; andere Ansicht: Roman Herzog , in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Loseblattsammlung, Bd. IV, Art. 20 Rn. 45 (Stand: 1980); Karl-Peter Sommermann, in: Hermann v. Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 20 Abs. 2 Rn. 162. 13 Anders Peter Krause, Verfassungsrechtliche Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, Demokratie - Bundesorgane, § 35 Rn. 23. 14 Anders Bugiel (Fn. 10), S. 399 f.; Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1998, S. 134 ff. 15 Michael Kirn, in: Ingo v. Münch/Philip Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 5. Aufl. 2003, Art. 146 Rn. 8 ff.; Peter M. Huber, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 4. Aufl. 2007, Art. 146 Rn. 18, m. w. N.: Hans Heinrich Rupp, Grundgesetz und Europäischer Verfassungsvertrag, JZ 2005, 741 (744). 16 Klageschrift des Prozessbevollmächtigten Prof. Dr. Schachtschneider vom 23. Mai 2008, S.22 f. 17 Sven Hölscheidt, Ratifizierung des Verfassungsvertrages durch die Mitgliedstaaten, in: Stefan Kadelbach (Hrsg.), Europäische Verfassung und direkte Demokratie, 2006, S. 17 (24); ebd. Tobias Herbst, Deutsches Referendum über den EU-Verfassungsvertrag, S. 81 ff.; Hans-Jürgen Papier, Die - 7 - system, bestehend aus den mitgliedstaatlichen Verfassungsordnungen und der europäischen Verfassungsordnung.18 Anders wäre es nur, wenn der Vertrag von Lissabon den Übergang zu einer organisierten Staatlichkeit und damit zu einem europäischen Bundesstaat markieren würde; in diesem Fall wäre jedenfalls die Grenze der Integrationsermächtigung nach Art. 23 Abs. 1 GG erreicht. Träte dieser Fall ein, könnte Art. 146 GG einen Ansatzpunkt für eine Volksabstimmung liefern, wenngleich der Normzweck des Art. 146 GG nicht in diese Richtung weist.19 Jedenfalls wäre auch dann vor einem Referendum eine Verfassungsänderung notwendig.20 3. Mündliche Verhandlung vor dem BVerfG am 10./11. Februar 2009 3.1. Anhängige Verfahren Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat am 10. und 11. Februar 2009 vier Verfassungsbeschwerden und zwei Organstreitverfahren gegen das Zustimmungsgesetz und die Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon mündlich verhandelt. Beschwerdeführer der Verfassungsbeschwerden sind der Bundestagsabgeordnete Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU), die Mitglieder der Bundestagsfraktion „Die Linke“, der Bundesvorsitzende der ödp und eine Vierergruppe von Einzelpersonen. Dr. Peter Gauweiler und die Bundestagsfraktion „Die Linke“ haben zusätzlich Organklagen eingereicht. Bei allen sechs Klagen bildet das Demokratieprinzip einen Kern der Argumentation. Durch die Verlagerung von Zuständigkeiten für die Innen- und Justizpolitik zur EU, werde der Bundestag seiner zentralen Aufgaben beraubt und sei nur noch für den Vollzug von höherrangigem europäischem Recht zuständig. Alle Beschwerdeführer bescheinigen der Europäischen Union ein anhaltendes Demokratiedefizit, welches auch durch eine Stärkung des Europäischen Parlaments im Vertrag von Lissabon nicht besei- Neuordnung der Europäischen Union, Festvortrag, in: Verhandlungen des Fünfundsechzigsten Deutschen Juristentag, Band II/1, 2004, L 8 = EuGRZ 2004, 753 (754); Axel von Campenhausen, in: Hermann v. Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. Aufl. 2005, Art. 146 Rn. 23; Sauer, Oliver, Volksabstimmung über den Lissabonner Vertrag ?, BayVBl. 2008, 581 (585); Elisabeth Wohland, Bundestag, Bundesrat und Landesparlamente im europäischen Integrationsprozess, 2008, S. 35 f. 18 Ausführlich Ingolf Pernice, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 20 ff.; Hans Hofmann, Verfassungsrechtliche Auswirkungen der Ergebnisse des Verfassungskonvents , ZG 2003, 57 (60); Michael Zürn, Über den Staat und die Demokratie im europäischen Mehrebenensystem, Politische Vierteljahresschrift 37 (1996), 27 ff.; Fritz W. Scharpf, Regieren im europäischen Mehrebenensystem: Ansätze zu einer Theorie, Leviathan 30 (2002), 65 ff. 19 Vgl. Axel von Campenhausen, in: Hermann v. Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. Aufl. 2005, Art. 146 Rn. 23; Josef Isensee, in: ders./Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, Normativität und Schutz der Verfassung - Internationale Beziehungen, 1992, § 166 Rn. 68. 20 Hans Hofmann, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu/Franz Klein (Begr.); Hans Hofmann/Axel Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 11. Aufl. 2008, Art. 146 Rn. 12; Hans-Jürgen Papier, Die Neuordnung der Europäischen Union, Festvortrag, in: Verhandlungen des Fünfundsechzigsten Deutschen Juristentag, Band II/1, 2004, L 8 = EuGRZ 2004, 753 (754); Sauer, Oliver, Volksabstimmung über den Lissabonner Vertrag?, BayVBl. 2008, 581 (585). - 8 - tigt werde. Befürchtet wird auch ein Verlust der staatlichen Souveränität aufgrund der Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU. Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU), MdB, kritisiert darüber hinaus, dass der Vertrag von Lissabon faktisch einen Bundesstaat begründen würde, obwohl es der EU an einem „Unionsvolk“ mit originärer Hoheit fehle. Ein solcher Integrationsschritt würde aber Referenden der Bevölkerung in den europäischen Mitgliedstaaten voraussetzen. 3.2. Inhalt der Verhandlung Das Bundesverfassungsgericht erörterte zunächst eingehend die Neuregelungen durch den Vertrag von Lissabon. Die Verfahrensbevollmächtigten des Deutschen Bundestages - Prof. Dr. Dr. h.c. Ingolf Pernice und Prof. Dr. Franz C. Mayer - konnten verdeutlichen, dass der Vertrag - die der EU zugewiesenen Kompetenzen und Handlungsmittel genauer definiert, systematisiert und begrenzt; - die Zuständigkeiten der EU in Bereichen, in denen Deutschland auf das Zusammenwirken anderer Mitgliedstaaten angewiesen ist, ergänzt; - dafür sorgt, dass die EU in verbesserten Beschlussverfahren effektiver handeln kann; - durch die Öffentlichkeit der Ratssitzungen und Stärkung des EP die Transparenz und demokratische Kontrolle der Entscheidungen verbessert; - die nationalen Systeme in das System einbindet und ihnen unmittelbare Kontrollrechte gegenüber den europäischen Institutionen gibt; - das Handeln der EU an klare Ziele und gemeinsame Werte bindet und dieses Handeln explizit einem Katalog freiheitlicher und sozialer Grundrechte unterwirft. Im Rahmen der Erörterung der Begründetheit der Klagen spielten die Fragen der „Entstaatlichung “ von Deutschland und der Ausweitung der EU-Zuständigkeiten eine wichtige Rolle. Ein weiterer Streitpunkt war das viel beschworene Demokratiedefizit der Europäischen Union und eine angebliche Kompetenzverlagerung zu Lasten des Bundestages . Hier gelang es den Verfahrensbevollmächtigten im Zusammenspiel mit den anwesenden Abgeordneten dem Gericht zu verdeutlichen, dass der Deutsche Bundestag durch den Vertrag von Lissabon gestärkt wird und seine Beteiligungsrechte in EU- Angelegenheiten bereits heute wirksam wahrnimmt. Eine Erörterung der Frage nach der Zulässigkeit bzw. Notwendigkeit der Durchführung eines Referendums in Deutschland zum Vertrag von Lissabon fand nicht statt. Diese Frage wurde lediglich vom Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers Dr. Peter Gauweiler, MdB, angesprochen, vom Gericht in der mündlichen Verhandlung aber nicht aufgegriffen. - 9 - Nach Aussagen von Beobachtern der mündlichen Verhandlung spricht manches dafür, dass das Bundesverfassungsgericht gegen den Vertrag von Lissabon als solchen keine Einwände erheben wird. Es könnte eine „kleine Lösung“ anstreben und seine Vorgaben auf die nationale Ebene beschränken, indem es für bestimmte EU-Materien einen Parlamentsvorbehalt vorschreibt. In diesen Fällen könnte die Bundesregierung im Rat erst zustimmen, wenn der Deutsche Bundestag vorab zugestimmt hätte.21 4. Ausblick Der Vorsitzende des Zweiten Senats, Andreas Voßkuhle, hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für die Monate Mai oder Juni 2009 angekündigt. Sollte das Bundesverfassungsgericht keine Einwände gegen das Zustimmungsgesetz haben, so könnte Bundespräsident Köhler die Ratifikationsurkunde zügig ausfertigen und bei der italienischen Regierung hinterlegen. Der Vertrag von Lissabon tritt aber erst in Kraft, wenn alle 27 EU-Mitgliedstaaten ihre Ratifikationsurkunden hinterlegt haben. Neben Deutschland haben auch die tschechische Republik, Polen und Irland den Vertrag von Lissabon noch nicht ratifiziert. Ein zweites Referendum in Irland wird im Oktober 2009 erwartet. Sollte die irische Bevölkerung die Annahme des Vertrags von Lissabon erneut ablehnen, so dürfte dieser endgültig gescheitert sein. Dann bliebe der – seit langem als unbefriedigend empfundene – EUV in der Fassung von Nizza die Rechtsgrundlage der Europäischen Union. 21 Janisch, Wolfgang, „Lissabon vor der Schranke“, Das Parlament vom 16.02.2009, S. 3.