Ausländerrecht und UN-Kinderrechtskonvention - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 134/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser: Ausländerrecht und UN-Kinderrechtskonvention Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 134/08 Abschluss der Arbeit: 23.04.2008 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Diens te sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - Zusammenfassung - In Bezug auf die UN-Kinderrechtskonvention (KRK) hängt die Zulässigkeit ausländerrechtlicher Regelungen davon ab, inwieweit die KRK einen entsprechenden ausländerrechtlichen Schutz für Minderjährige vorsieht. Ein besonderer ausländerrechtlicher Schutz könnte sich dabei insbesondere aus Art. 2, 3, 9, 11, 22 KRK ergeben, in dessen Hinblick vor allem die Ausweisung und Abschiebung Minderjähriger und die so genannte ausländerrechtliche Verfahrenshandlungsfähigkeit von Jugendlichen ab 16 Jahren problematisch erscheinen könnten. Vor allem Nichtregierungsorgansiationen sehen den ausländerrechtlichen Schutz Minderjähriger in Bezug auf die KRK als nicht ausreichend an, ebenso haben auch Mitglieder und Fraktionen des Deutschen Bundestages in ihrer parlamentarische Arbeit seit Ratifizierung der KRK im Jahr 1992 immer wieder mögliche Defiziten des deutschen Asyl- und Ausländerrecht im Hinblick auf die KRK aufgezeigt. Der Bundestag hat zudem mehrmals die Bundesregierung aufgefordert, eine bei der Ratifikation abgegebene Erklärung zurückzunehmen, die geeignet ist die KRK in Bezug auf das Ausländer - und Asylrecht einzuschränken. Nach Auffassung der (jeweiligen) Bundesregierungen seit 1992 stehe das deutsche Recht, inklusive dem Ausländer und Asylrecht vollständig im Einklang mit der KRK. Dies gelte unabhängig von der bei der Ratifizierung abgegebenen Erklärung, welche nur vorsorglich Fehl- und Überinterpretationen der KRK vorbeugen sollte. Eine eindeutige Klärung zur Frage der Vereinbarkeit des deutschen Ausländer- und Asylrechts mit der UN-Kinderrechtskonvention lässt sich aufgrund der in diesem Bereich kaum möglichen Trennung der rechtspolitischen und rechtsdogmatischen Argumentation nicht vornehmen. Ein rechtsdogmatisch offensichtlicher Verstoß der deutschen Rechtslage im Ausländer- und Asylbereich mit der Kinderrechtskonvention lässt sich jedoch nicht feststellen. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Ausländer- und asylrechtlichter Schutz für Minderjährige in der UN-Kinderrechtskonvention (Art. 2, 3, 9, 11, 22) 4 2.1. Reichweite Art. 2 KRK 5 2.2. Reichweite Art. 3 KRK 6 2.2.1. Ausweisung und Abschiebungsmaßnahmen bei Minderjährigen 7 2.2.2. Handlungsfähigkeit Minderjähriger im Ausländer- und Asylrecht 8 2.3. Reichweite Art. 9 KRK 11 2.4. Reichweite Art. 11 KRK 12 2.5. Reichweite Art. 22 KRK 12 3. Unmittelbare Anwendbarkeit der KRK 14 4. Ergebnis 15 5. Literaturverzeichnis 16 - 4 - 1. Einleitung Das völkerrechtliche Übereinkommen über die Rechte der Kindes, die UN- Kinderrechtskonvention (KRK) wurde am 20. November 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen. Die Bundesrepublik Deutschland ratifizierte die KRK am 05. April 1992. Die Bundesregierung gab bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde in Abstimmung mit den Bundesländern und in Kenntnis des Deutschen Bundestages1 verschiedene Erklärungen2 ab, die u.a. besagen, das Abkommen begründe lediglich „völkerrechtliche Staatenverpflichtungen, welche die Bundesrepublik Deutschland nach näherer Bestimmung ihres mit dem Übereinkommen übereinstimmenden innerstaatlichen Recht erfülle“3. Zudem führt ein weiterer Punkt der Erklärungen aus, dass durch die KRK in keinem Fall das Recht der Bundesrepublik beschränkt werde, Gesetze und Verordnungen über die Einreise von Ausländern und die Bedingungen ihres Aufenthalts zu erlassen oder Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen4. Die Bundesregierung vertrat seitdem mehrfach die Auffassung, dass diese Erklärungen lediglich vorsorglich abgegeben worden seien, um „Fehl- oder Überinterpretationen des Vertragswerkes zu vermeiden“ 5. Das deutsche Recht, inklusive dem Ausländer- und Asylrecht stehe nach Auffassung der (jeweiligen) Bundesregierung (unabhängig von der jeweils tragenden Koalition) vollständig im Einklang mit der UN- Kinderrechtskonvention6. 2. Ausländer- und asylrechtlichter Schutz für Minderjährige in der UN- Kinderrechtskonvention (Art. 2, 3, 9, 11, 22) In Bezug auf die UN-Kinderrechtskonvention hängt die Zulässigkeit ausländerrechtlicher Regelungen davon ab, inwieweit die KRK einen entsprechenden ausländerrechtlichen Schutz für Minderjährige vorsieht (Reichweite der UN-Kinderrechtskonvention). 1 BT-Drs. 12/42, S. 27. 2 Es ist umstritten, ob es sich um eine völkerrechtlichen Vorbehalt oder eine Erklärung handelt. 3 BGBl. 1992 II, S. 990. 4 BGBl. 1992 II, S. 991. 5 Siehe nur: Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, Rücknahme der Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention, BT-Drs. 16/6076, S. 3. 6 Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, Rücknahme der Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention, BT-Drs. 16/6076, S. 5, 7; Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der FDP-Fraktion, Vorbehaltserklärungen Deutschlands zur Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, BT -Drs. 15/1819, S. 4; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion, Unbegleitete Minderjährige in der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 13/1873, S. 2 f.; Denkschrift zum dem Übereinkommen, BT -Drs. 12/42. - 5 - 2.1. Reichweite Art. 2 KRK Art. 2 Abs. 1 KRK lautet wie folgt: „(1) Die Vertragsstaaten achten die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte und gewährleisten sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht , der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung , der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds.“ Die Staatsangehörigkeit wird im Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 KRK nicht als Merkmal aufgeführt, das eine unterschiedliche Behandlung als diskriminierend erscheinen lässt. Nach Auffassung der Bundesregierung wird daher die unterschiedliche Behandlung zwischen Kindern deutscher und fremder Staatsangehörigkeit, die bei ausländerrechtlichen Maßnahmen wie der Erteilung einer Einreise- oder Aufenthaltserlaubnis zudem unvermeidlich scheint, nicht durch Art. 2 Abs. 1 KRK ausgeschlossen7. Dabei führt die Bundesregierung aus, dass auch das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung nach Art. 1 Abs. 2 des Abkommens8 keine Anwendung auf Unterscheidungen, Ausschließungen, Beschränkungen oder Bevorzugungen aufgrund der Staatsangehörigkeit findet. Die Entstehungsgeschichte der Kinderrechtskonvention biete keinen Anhaltspunkt, dass von diesem Rahmen hätte abgewichen werden sollen. Das Nichtdiskriminierungsgebot verbiete überdies keine unterschiedliche Behandlung, wenn hierfür sachliche Gründe vorlägen, die eine differenzierte Regelung nicht als willkürlich erscheinen la ssen. 9 Eine andere Auffassung legt Art. 2 Abs. 1 KRK weit aus und erstreckt diesen auch auf die Staatsangehörigkeit. Diese Auffassung ist in der 16. Wahlperiode unter anderem mehrfach in Reden, Anträgen und parlamentarischen Anfragen im Deutschen Bundestag zum Ausdruck gekommen10. 7 Denkschrift zum Übereinkommen, BT-Drs. 12/42, S. 34. 8 BGBl. 1969 II S. 961 (964). 9 Denkschrift zum dem Übereinkommen, BT-Drs. 12/42, S. 34. 10 Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, Rücknahme der Vorbehalte zur UN- Kinderrechtskonvention, BT-Drs. 16/6076, S. 1 ff.; Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, Kinderrecht in Deutschland vorbehaltlos umsetzen – Erklärung zur UN- Kinderrechtskonvention, BT-Drs. 16/1064, S. 2 (noch nicht abschließend beraten); Josef Philip Winkler, Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 32. Sitzung, Plenarprotokoll 16/32 vom 06.April 2006, S. 2740; Ulla Jelpke, Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 32. Sitzung, Ple - narprotokoll 16/32 vom 06.April 2006, S. 2767. - 6 - 2.2. Reichweite Art. 3 KRK Art. 3 Abs. 1 KRK lautet wie folgt: „(1) Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“ Das Kindeswohl kann als Leitgedanke der gesamten Kinderrechtskonvention angesehen werden11. Art. 3 Abs. 1 KRK verpflichtet die Vertragsstaaten zur vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls, dabei deutet beispielsweis e Ralph Alexander Lorz den Art. 3 Abs. 1 KRK dergestalt, dass dem Kindeswohl in allen denkbaren Abwägungsprozessen von Gerichten und Behörden eine herausgehobene Stellung gegenüber allen anderen zu berücksichtigen Faktoren zukommen müsse12. Verschiedentlich wird gefordert, das Kindeswohl als Leitgedanken ausdrücklich im Ausländerrecht zu erwähnen13. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hat in seinen abschließenden Bemerkungen zum zweiten Staatenbericht von Deutschland am 30.01.2004 gefordert , dass „der allgemeine Grundsatz zum Wohl des Kindes in sämtliche Gesetze und Etats sowie in alle Entscheidungen in Justiz und Verwaltung und in alle Projekte, Programme und Leistungen, die einen Einfluss auf Kinder haben, angemessen eingebunden wird“14. Gleichwohl scheint es mittlerweile unbestritten, dass das Kindeswohl von den Vertragsstaaten keineswegs als unantastbar ausgestaltet werden sollte15. Auch Lorz stellt ausdrücklich fest, dass eine Zurückstellung des Kindeswohls gegenüber anderen Belangen keineswegs unmöglich ist16. Für diese Sichtweise spricht auch der Umstand, dass sich ein ebenfalls vorgesehener weitergehender Textentwurf der Kinderrechtskonvention („…the best interests of the child shall be the paramount consideration…“) nicht durchsetzen konnte17. Im verabschiedeten Text der Konvention heißt es nun: “…the best interests of the child shall be a primary consideration…” Im Wege der sorgsam begründeten Abwägung widerstreitender Interessen muss somit dem Kindeswohl nicht in jedem Fall die Priorität eingeräumt werden. Unabhängig von 11 Lorz, S. 18 f. 12 Lorz, S. 39. 13 Jockenhövel-Schiercke, S. 518. 14 Bemerkungen des UN-Ausschusses zum zweiten Staatenbericht am 30.01.2004, Rn. 27. 15 Denkschrift zum dem Übereinkommen, BT-Drs. 12/42, S. 35; Zweitbericht zur UN- Kinderrechtskonvention, BT-Drs. 14 / 6241, S. 28, Absatz 221. 16 Lorz, S. 61 f; Peter, ArchVR, S. 265. 17 Siehe Darstellung in Denkschrift zum dem Übereinkommen, BT-Drs. 12/42, S. 35. - 7 - der Frage ob diese Verpflichtung für Behörden und Gerichte unmittelbar aus der KRK folgt (siehe Problematik der unmittelbaren Anwendung, Pkt. 3) erscheint es nicht ausgeschlossen , dass die Vertragsstaaten somit Belange definieren und begründen können, die in der Abwägung als gleichwertig mit dem Kindeswohl angesehen werden . Im Bereich des ausländerrechtlichen Schutzes von Art. 3 Abs. 1 KRK ist somit zu klären , inwieweit der Gesetzgeber vor allem bei Abschiebemaßnahmen Minderjähriger und der bereits ab 16 Jahren einsetzenden Verfahrenshandlungsfähigkeit im Ausländer- und Asylrecht, das Kindeswohl ausreichend berücksichtigt18. 2.2.1. Ausweisung und Abschiebungsmaßnahmen bei Minderjährigen Weder das Aufenthaltsgesetz noch das Gesetz über das Verfahren bei Freiheitsentziehung (FEVG) enthalten eine Regelung über eine Altersuntergrenze für Abschiebungen und hiervon evtl. notwendige freiheitsentziehende Maßnahmen (Abschiebungshaft). Danach ist die Verhängung von Abschiebungshaft auch gegenüber minderjährigen Ausländern zulässig19. Dies könnte ein Verstoß gegen die besondere Berücksichtigung des Kindeswohls darstellen, jedoch bestimmt die Kinderrechtskonvention in Art. 37 lit b. KRK, dass eine Freiheitsentziehung auch bei Kindern als letztes Mittel nicht ausgeschlossen ist20. Somit kann eine solche Freiheitsentziehung nicht als Maßnahme angesehen werden, die ausweislich der Kinderrechtskonvention in jedem Fall eine unverhältnismäßige Einschränkung des Kindeswohls beinhaltet. Im Übrigen enthalten die weitestgehend angeglichenen Allgemeinen Verwaltungsvorschriften der Länder zum Aufenthaltsgesetz Anweisungen, nach denen für Kinder, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird21. Zu beachten ist, dass diese Verwaltungsvorschriften keinen Gesetzesrang haben. Das Aufenthaltsgesetz sieht bei Abschiebungen vor, dass diese auszusetzen sind, wenn eine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist, ohne dass es darauf ankäme, ob der Ausländer diese Gründe zu vertreten hat oder nicht (§ 60a Abs. 2 AufenthG). Eine rechtliche Unmöglichkeit liegt dabei vor, wenn die Abschiebung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde, was ausweis- 18 Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der ausländerrechtlichen Handlungsfähigkeit: No lting-Hauff. 19 Hailbronner, § 62 AufenthG Rn. 11. 20 Art. 37 lit. b: „Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass keinem Kind die Freiheit rechtswidrig oder willkürlich entzogen wird. Festnahmen, Freiheitsentziehung oder Freiheitsstrafe darf bei einem Kind im Einklang mit dem Gesetz nur als letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit angewendet werden.“ 21 Niedersächsische Anwendungshinweise zum AufenthG (Stand: 30.07.2007), Nr. 62.2.0.3., letzter Abruf unter http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C38453203_L20.pdf am 23.04.2008 - 8 - lich der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz beispielsweise in Niedersachsen bei unbegleiteten Minderjährigen ausdrücklich der Fall ist22. Bei Ausweisungen wird das Kindeswohl gesetzlich vor allem durch § 56 Abs. 2 S. 1 AufenthG berücksichtigt. Demnach dürfen Minderjährige, die eine Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis besitzen, nur im Ermessenswege ausgewiesen werden, auch wenn sie die eigentlich zwingenden Ausweisungsgründe nach § 53 AufenthG (erhebliche Straftaten) oder die Regelausweisungsgründe nach § 54 AufenthG erfüllen. Soweit die Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil des Minderjähr igen sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, wird der Minderjährige nur in den Fällen des § 53 AufenthG (erhebliche Straftaten) ausgewiesen; die Ausweisung ist jedoch selbst in diesem Fall nicht wie bei Erwachsenen zwingend, über die Ausweisung wird vielmehr nach Ermessen entschieden. Minderjährige, die sich ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland aufhalten (somit widerrechtlich) und dessen Eltern ebenfalls kein Aufenthaltsrecht besitzen, werden von der Ausweisung nicht besonders geschützt. Dass eine Ausweisung und Abschiebung Minderjähriger nicht zwingend eine Maßnahme darstellt, die an der Berücksichtigung des Kindeswohls scheitern muss, folgt unmittelbar aus der Kinderrechtskonvention. Art. 9 Abs. 4 KRK verpflichtet dazu, bei einer Landesverweisung oder Abschiebung eines Kindes den Angehörigen auf Antrag Auskunft über den Verbleib zu geben. Damit geht die Kinderrechtskonvention von der Möglichkeit einer Abschiebung Minderjähriger aus . 2.2.2. Handlungsfähigkeit Minderjähriger im Ausländer- und Asylrecht Für die rechtliche Handlungsfähigkeit im Ausländer- und Asylrecht gelten Sonderregelungen , danach sind Ausländer grundsätzlich ab 16 Jahren ausländerrechtlich voll handlungsfähig , § 80 Abs. 1 AufenthG, § 12 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG). Die Handlungsfähigkeit von Ausländern kann auch durch § 80 Abs. 3 S. 2 AufenthG sowie § 12 Abs. 2 S. 2 AsylVfG tangiert werden, wonach eine bestehende Geschäftsfähigkeit nach ausländischem Recht auch im deutschen Ausländer- und Asylrecht bestehen bleibt, der Minderjährige ist danach auch unter 16 Jahren allein aufgrund seiner ausländischen Geschäftsfähigkeit handlungsfähig23. Die Handlungsfähigkeit hindert den Minderjährigen nicht, einen Vertreter für das Verfahren zu bestellen24. 22 Niedersächsische Anwendungshinweise zum AufenthG (Stand: 30.07.2007), Nr. 60a.2.2. 23 Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.04.1996, Bs V 19/96, NVwZ-RR 1996, 708 zur Beurteilung der Handlungsfähigkeit von noch nicht 16 Jahre alten Ausländern nach ihrem Heimatrecht. Im Fall ging es um eine 15jährige türkische Bürgerin die geheiratet hatte und nach ihrem damaligem Heimatrecht gemäß Art. 11 Abs 2 des Türkischen Bürgerlichen Gesetzbuches als geschäftsfähig galt. 24 Hailbronner, § 80 AufenthG, Rn. 7. - 9 - Gegen die beschriebene Verfahrensmündigkeit werden im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 KRK teilweise Bedenken geäußert. Diese werden vor allem mit den Folgewirkungen der Verfahrensmündigkeit begründet. Die verfahrensrechtliche Gleichstellung mit Erwachsenen führe dazu, dass die 16 und 17jährigen Jugendlichen das entsprechende Verfahren ohne rechtlichen und psychologischen Be istand durchlaufen und diesem oftmals nicht gewachsen seien. 25 Rechtsdogmatisch dürfte hinter dieser Kritik die Befürchtung stehen, dass durch die Verfahrensmündigkeit strukturelle Hindernisse entstehen, die eine angemessene Berücksichtigung des Kindeswohls nicht mehr gewährleisten. Im Asylrecht wird zudem die Unterbringung in normalen Aufenthaltseinrichtungen für Erwachsene kritisiert26, denn über die Verfahrenshandlungsfähigkeit hinaus sind Asylbewerbern , die das 16. Lebensjahr vollendet haben, nach dem Asylverfahrensgesetz grundsätzlich ebenso wie Erwachsene verpflichtet, sich zunächst in den normalen Aufnahmeeinrichtungen der Länder aufzuhalten, § 14 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG. Anschließend werden die Asylbewerber im Regelfall in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Unbegleitete Asylbewerber unter 16 Jahren sind nicht verpflichtet in Aufnahmeeinrichtungen zu wohnen, § 47 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG. Diese minderjährigen Asylbewerber, die ohne Eltern in Deutschland ankommen, werden in Pflegefamilien , Heimen oder betreuten Wohngruppen untergebracht27. Nach Auffassung der Bundesregierung entspricht das deutsche Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht in vollem Umfang den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) berücksichtige bei der Bearbeitung von Asylanträgen unbegleiteter Minderjähriger deren spezifische Bedürfnisse in vielfältiger Weise. Das BAMF habe in jeder seiner Außenstellen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen als sonderbeauftragte Asylsachbearbeiter benannt. Jeder dieser Sonderbeauftragten erhalte umfangreiche rechtliche und einführende psychologische Schulungen, die auf die Bedürfnisse von Minderjährigen zugeschnitten seien und auch die jeweiligen kulturellen Hintergründe berücksichtigen würden. Die asylverfahrensrechtliche Anhörung minderjähriger Asylbewerber werde einfühlsam und weniger formal durchgeführt als bei Volljährigen. Die sonderbeauftragten Asylsachbearbeiter und Asylsachbearbeiterinnen gehen hier besonders sensibel auf die spezifischen Bedürfnisse der Minderjähr igen ein. Sie berücksichtigen den jeweiligen Entwicklungsstand des Minderjährigen. 28 25 National Coalition, S. 7; Pro Asyl, S. 27 ff.; Riedelsheimer, S. 23 ff. Eine ähnliche Wertung, allerdings ohne nähere Ausführung in diesem Punkt, liegt auch dem derzeit im parlamentarischen Ve rfahren beratenen Antrag „Kinderrechte in Deutschland vorbehaltlos ums etzen – Erklärung zur UN- Kinderrechtskonvention zurücknehmen“ zu Grunde, BT-Drs. 16/1064. 26 National Coalition, S. 4 f; Pro Asyl, S. 28; Riedelsheimer, S. 24. 27 Siehe auch Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abg. Gabriele Fograscher und andere, Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, BT-Drs. 13/1076, S. 4 f. 28 Antwort der Bundesregierung auf Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Rücknahme der Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention, BT-Drs. 16 / 6076, S. 5. - 10 - Im Bereich des Asylrechts führt die Bundesregierung zudem in mehreren Antworten auf Kleine Anfragen aus, dass ein 16jähriger in der Lage sei, die Bedeutung des Asylrechts zu erfassen und die durch die Inanspruchnahme dieses Rechts entstehende Lage zu würdigen 29. Die Vorschrift ermöglicht es ihm darüber hinaus auch gegen den Willen seiner Eltern einen Asylantrag zu stellen. Der Gesetzesbegründung ist –zumindest im Bereich des Aufenthaltsgesetzes– zu entnehmen , dass die vorgezogene Verfahrenshandlungsfähigkeit zum einen der Erleichterung des ausländerrechtlichen Verwaltungsverfahrens dient. Es wird dabei in der Literatur vertreten, dass es gerade im Bereich der Massenverwaltung, zu welchem auch ausländer- und asylrechtliche Verfahren zählen dürften, das Recht des Gesetzgebers gibt, ein bestimmtes Maß an Effizienz zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung sicherzustellen30. Ein nicht mehr funktionsfähiger Behördenapparat könne Bürgerrechte nicht mehr sicherstellen31. Zum anderen wäre die ausländerrechtliche Handlungsfähigkeit ausweislich der Gesetzesbegründung notwendig, da Ausländern ab dem 16. Lebensjahr eigene Rechtsansprüche auf eine Aufenthaltsgenehmigung und den Regelanspruch auf erleichterte Einbürgerung eingeräumt würden. 32 Ergänzend ist in der Abwägung auf Folgendes hinzuweisen: a) Die Verfahrenshandlungsfähigkeit ist für Realakte, wie beispielsweise die Asylnachsuche an der Grenze oder am Flughafen (§§ 18 Abs. 1, 18a Abs. 1 AsylVfG) nicht notwendig, sie wirkt sich daher für den Minderjährigen bei der Ankunft an der Grenze oder am Flughafen noch nicht aus . Der Minderjährige muss dort nur auf irgendeine Art und Weise zu erkennen geben, dass er Asyl begehrt. Die Verfahrenshandlungsfähigkeit kommt erst bei der später erfolgenden Stellung des Asylantrags (§§ 13, 14 AsylVfG) zum Tragen.33 b) Die ausländerrechtlichen Regelungen sind seit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe im Jahr 2005 nicht mehr ohne weiteres mit dem neu gefassten § 42 SGB VIII in Einklang zu bringen. Dort wurden die Voraussetzungen der Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen neu geregelt, auslegungsbedürftig ist dabei die förmliche Einbeziehung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in der Altersgruppe der 16 und 17jährigen. Auch für sie ist nach der Neufassung des § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII die unverzügliche Bestellung eines Vormunds oder Pflegers zu veranlassen , wenn sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten. Nach dem Asylverfahrensgesetz sowie dem Ausländergesetz wäre dies derzeit jedoch nicht notwendig. Es scheint fraglich, ob nicht vor diesem Hintergrund mittlerweile die Inobhutnahme der 16 und 17-jährigen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in einer Jugendhilfeeinrichtung erfolgen müss- 29 BT-Drs. 13 / 1873, S. 6; BT -Drs. 12 / 6075, S. 5. 30 Nolting-Hauff, S. 144 f. 31 Pietzker, S. 193 ff. 32 BT-Drs. 11 / 6321 S. 79 f. 33 Hailbronner, § 12 AsylVfG, Rn. 28. - 11 - te. Bislang konnten noch keine Daten über die Anzahl der 16 und 17 Jahre alten Jugendlichen ermittelt werden, die auf Grund des neu gefassten § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII in Obhut genommen wurden34. 2.3. Reichweite Art. 9 KRK Art. 9 Abs. 1 und Abs. 4 KRK lauten (in Auszügen) wie folgt: „(1) Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass ein Kind nicht gegen den Willen seiner Eltern von diesen getrennt wird, es sei denn, dass die zuständigen Behörden in einer gerichtlich nachprüfbaren Entscheidung nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften und Verfahren bestimmen, dass diese Trennung zum Wohl des Kindes notwendig ist. Eine solche Entscheidung kann im Einzelfall no twendig werden, wie etwa wenn das Kind durch die Eltern misshandelt oder ve rnachlässigt wird oder wenn bei getrennt lebenden Eltern eine Entscheidung über den Aufenthaltsort des Kindes zu treffen ist. (4) Ist die Trennung Folge einer von einem Vertragsstaat eingeleiteten Maßnahme, wie etwa einer Freiheitsentziehung, Freiheitsstrafe, Landesverweisung oder Abschiebung oder des Todes eines oder beider Elternteile oder des Kindes (auch eines Todes, der aus irgendeinem Grund eintritt, während der Betreffende sich in staatlichem Gewahrsam befindet), so erteilt der Vertragsstaat auf Antrag der Eltern dem Kind oder gegebenenfalls einem anderen Familienangehörigen die wesentlichen Auskünfte über den Verbleib des oder der abwesenden Familienangehörigen, sofern dies nicht dem Wohl des Kindes abträglich wäre. […]“ Art. 9 Abs. 1 KRK will sicherstellen, dass Kinder grundsätzlich nicht von ihren Eltern getrennt werden und könnte somit einer Ausweisung und Abschiebung entgegenstehen. Art. 9 Abs. 4 KRK legt die Verpflichtung der Vertragsstaaten fest, dass unter anderem bei einer Landesverweisung oder Abschiebung des Kindes auf einen entsprechenden Antrag der Angehörigen hin, Auskunft über den Verbleib des Kindes zu geben ist. Da Art. 9 Abs. 4 KRK die Landesverweisung und Abschiebung ausdrücklich erwähnt folgt aus Art. 9 KRK kein Recht auf Freizügigkeit in dem Sinne, dass ein Kind in jedem Falle nach eigenem Belieben in ein fremdes Land einreisen oder verweilen darf. Die Regelung steht einer Abschiebung, vor allem wenn diese nicht mit einer Trennung von den Eltern verbunden ist, ausweislich des Wortlauts nicht entgegen. 34 Siehe Antwort der Bundesregierung auf Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, Rücknahme der Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention, BT-Drs. 16 / 6076, S. 8. - 12 - 2.4. Reichweite Art. 11 KRK Art. 11 KRK lautet wie folgt: „(1) Die Vertragsstaaten treffen Maßnahmen, um das rechtswidrige Verbringen von Kindern ins Ausland und ihre rechtswidrige Nichtrückgabe zu bekämpfen. (2) Zu diesem Zweck fördern die Vertragsstaaten den Abschluss zwei- oder mehrseitiger Übereinkünfte oder den Beitritt zu bestehenden Übereinkünften. “ Art. 11 KRK soll das rechtswidrige Verbringen von Kindern ins Ausland bekämpfen. Eine Abschiebung unter Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze wäre jedoch kein rechtswidriges Verbringen und stünde einer Abschiebung nicht entgegen. 2.5. Reichweite Art. 22 KRK Art. 22 KRK lautet wie folgt: „(1) Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass ein Kind, das die Rechtsstellung eines Flüchtlings begehrt oder nach Maßgabe der anzuwendenden Regeln und Verfahren des Völkerrechts oder des innerstaatlichen Rechts als Flüchtling angesehen wird, angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung der Rechte erhält, die in diesem Übereinkommen oder in anderen internationalen Übereinkünften über Menschenrechte oder über humanitäre Fragen, denen die genannten Staaten als Vertragsparteien angehören, festgelegt sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich in Begleitung seiner Eltern oder einer anderen Person befindet oder nicht. (2) Zu diesem Zweck wirken die Vertragsstaaten in der ihnen angemessen erscheinenden Weise bei allen Bemühungen mit, welche die Vereinten Nationen oder andere zuständige zwischenstaatliche oder nichtstaatlichen Organisationen, die mit den Vereinten Nationen zusammenarbeiten, unternehmen, um ein solches Kind zu schützen, um ihm zu helfen und um die Eltern oder andere Familienangehörige eines Flüchtlingskinds ausfindig zu machen mit dem Ziel, die für eine Familienzusammenführung notwendigen Informationen zu erlangen. Können die Eltern oder andere Familienangehörige nicht ausfindig gemacht werden, so ist dem Kind im Einklang mit den in diesem Übereinkommen enthaltenen Grundsätzen derselbe Schutz zu gewähren wie jedem anderen Kind, das aus irgendeinem Grund dauernd oder vorübergehend aus seiner familiären Umgebung herausgelöst ist.“ - 13 - Art. 22 KRK enthält ein Hilfegebot in Bezug auf Flüchtlingskinder. Dabei verweist Art. 22 KRK auf die in der KRK und sonstigen internationalen Übereinkünften über Menschenrechte oder über humanitäre Fragen niedergelegten Rechte. Für den Schutz von insbesondere unbegleiteten Asylsuchenden sei nach Auffassung der Bundesregierung in Deutschland gesorgt, unter anderem sei sichergestellt, dass Kinder im Rahmen der Befragungen, die aufgrund des Einreisebegehrens und ihres Hilfegesuchs notwendig werden, keine Nachteile erleiden, weil sie sich nicht so verständlich machen können wie Erwachsene. Die Behörden würden bei der Bearbeitung von Asylanträgen unbegleiteter Minderjähriger deren spezifische Bedürfnisse in vielfältiger Weise berücksichtigen35. Darüber hinaus ist die Bundesregierung jedoch der Auffassung, dass durch Art. 22 KRK (und der Kinderrechtskonvention allgemein) kein Recht auf Freizügigkeit in dem Sinne anerkannt wird, dass ein Kind ohne die Erfüllung weiterer Voraussetzungen in ein fremdes Land einreisen darf, es gehöre „nicht zu den Verpflichtungen der Vertragsstaaten , Kindern, die unbegleitet einreisen wollen, um die Rechtsstellung eines Flüchtlings zu begehren, die Einreise zu erleichtern oder zu ermöglichen“36. Wer ein Aufenthaltsrecht in Anspruch nehmen will, müsse grundsätzlich die materiellen Voraussetzungen hierfür erfüllen (beispielsweise politische Verfolgung, Gefahr für Leib und Leben) und das notwendige Verfahren durchlaufen. Demgegenüber forderte die Sachverständigenkommission im 10. Kinder- und Jugendbericht die Schaffung eines eigenen Sonderflüchtlingsrechts für Kinder, die Sachverständigen begründen dies jedoch mit anderen Erwägungen als einem ansonsten bestehenden Verstoß gegen die KRK37. Auch die Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN mahnten mehrfach eine Verbesserung des Schutzes unbegleiteter ausländischer Kinder an38. In der Literatur wird vertreten, dass Art. 22 KRK für unbegleitete Flüchtlingskinder einen verbesserten Schutz als im deutschen Ausländer- und Asylrecht fordert39. Für unbegleitet eingereiste Flüchtlingskinder ergäbe sich aus Art. 22 Abs. 2 KRK die Verpflichtung, bei Unauffindbarkeit der Eltern den Kindern denselben Schutz wie elternlosen deutschen Kindern zu gewä hren40. 35 Siehe Ausführungen zu Pkt. 2.2.2 36 Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, BT-Drs. 16/6076, S. 3. 37 Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland - Zehnter Kinder- und Jugendbericht, BT-Drs. 13 / 11368, S. 171 f. 38 Siehe die jeweils einleitenden Begründungen zu Kleinen Anfragen der Fraktionen: BT-Drs. 12/5845; 13/832; 13/1067; 13/1655; 13/2530; 13/6969. 39 Peter, ZAR, S. 145. 40 Pro Asyl, S. 27. - 14 - In der derzeitigen Rechtslage könnte sich im Hinblick auf die Verpflichtung aus Art. 22 KRK für unbegleitete Minderjährige aus § 60a Abs. 2 AufenthG ein gesetzlicher Duldungsanspruch ergeben, der einer Abschiebung grundsätzlich entgegensteht. Danach ist die Abschiebung auszusetzen, wenn sie aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Eine rechtliche Unmöglichkeit liegt dabei vor, wenn die Abschiebung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde, dies dürfte bei unbegleiteten Minderjährigen der Fall sein. Zudem ist in diesen Fällen zu prüfen, ob eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG (Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen) zu erteilen ist oder erteilt werden kann. 41. 3. Unmittelbare Anwendbarkeit der KRK Bei einem möglichen Verstoß der deutschen Rechtslage gegen die UN- Kinderrechtskonvention bestünde eine völkerrechtliche Nachbesserungspflicht der Bundesrepublik , ein subjektives Recht für den Einzelnen ergäbe sich lediglich, wenn die KRK unmittelbar anwendbar wäre und neben dem Schutz der Belange der Allgemeinheit auch dem Einzelnen ein subjektiv öffentliches Recht gewährt. In diesem Fall hätten sich auch ohne Nachbesserung behördliche und gerichtliche Entscheidungen in allen Rechtsgebieten ausdrücklich an der KRK zu orientieren. Jede Bundesregierung vertrat seit der Verabschiedung der Kinderrechtskonvention die Auffassung, dass diese keine unmittelbare Anwendung finde, wobei teilweise nicht vollständig deutlich wird, ob die Bundesregierung die unmittelbare Anwendung negiert, oder die Geltendmachung unmittelbar auf einzelne Übereinkommensartikel gestützte individuelle Rechtsansprüche. Die Kinderrechtskonvention begründe in jedem Falle eine völkerrechtliche Staatenverpflichtung, wobei die Bundesregierung jeweils bekräftigte , dass die Bundesrepublik Deutschland diese Staatenverpflichtungen durch ihr innerstaatliches Recht erfülle.42 Die Auffassung, dass die KRK innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung findet wird in der wohl herrschenden Auffassung in der Literatur geteilt43. Im Bereich von Art. 3 KRK hat insbesondere nach einer Veröffentlichung von Ralph Alexander Lorz eine Diskussion (wieder) eingesetzt, inwieweit die KRK unmittelbar im 41 Niedersächsische Anwendungshinweise zum AufenthG (Stand: 30.07.2007), Nr. 60a.2.2. 42 Siehe nur: Denkschrift zum dem Übereinkommen, BT-Drs. 12/42, S. 32; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion, BT-Drs. 15 / 1819, S. 3; Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, BT-Drs. 16/6076, S. 4. 43 Stöcker, S. 245 ff.; Baer, S. 2210; Peter, ZAR, S. 145 m.w.N.; a.A. Ullmann, S. 892 ff. - 15 - deutschen Recht anwendbar ist. In diesem Fall wäre Art. 3 Abs. 1 KRK integraler Bestandteil (auch) des Asyl- und Ausländerrechts. Nach Auffassung von Lorz ist die unmittelbare Anwendbarkeit der KRK im nationalen Rechtsraum im Bereich von Art. 3 Abs. 1 KRK sowohl vom subjektiven Willen der Vertragsstaaten als auch von der hinreichenden Bestimmbarkeit gegeben (laut Lorz gilt diese unmittelbare Anwendbarkeit ausschließlich für Art. 3 KRK). Die Verpflichtung zur Ausrichtung am Kindeswohl sei daher von den Behörden und Gerichten bei ihren Entscheidungen unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 KRK im Rang eines Bundesgesetzes anzuwenden 44. Bezüglich der Reichweite des Art. 3 Abs. 1 KRK ergeben sich jedoch auch im Fall einer unmittelbaren Anwendung keine weitergehenden Rechtsfolgen als bereits ausgeführt45. 4. Ergebnis Eine abschließende Antwort zur Frage der Vereinbarkeit des deutschen Ausländerund Asylrechts mit der UN-Kinderrechtskonvention lässt sich aufgrund der in diesem Bereich kaum möglichen Trennung der rechtspolitischen und rechtsdogmatischen Argumentation nicht geben. Festhalten lässt sich, dass die deutsche Rechtslage zumindest nicht im offensichtlichen rechtsdogmatischen Widerspruch zur Kinderrechtskonvention steht. Diese Sichtweise wird auch durch die Tatsache gestützt, dass der Gesetzgeber in den vergangenen sechs Jahren das Ausländer- und Asylrecht umfassend neu geregelt und damit einer eingehenden Überprüfung unterzogen hat. Hätte der Gesetzgeber bei den umfassenden Neuregelungen eine entsprechende Diskrepanz erkannt , dürfte der Schluss nahe liegen, dass der Gesetzgeber diese beseitigt hätte. 44 Lorz, S. 38. 45 Siehe Punkt 2.2. - 16 - 5. Literaturverzeichnis - Baer, Ingrid, Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, Neue Juristische Wochenschrift 1993, S. 2209 (S. 2210). - Hailbronner, Kay, Ausländerrecht Kommentar, Loseblatt 56. Aktualisierung. - Jockenhövel-Schiercke, Helga, Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - aufenthaltsrechtlicher Schutz in der Bundesrepublik oder Rückführungen in die Herkunftsländer ?, Informationsbrief Ausländerrecht, 1999, S. 516 ff. - Lorz, Ralph Alexander, Der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der UN- Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung, National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland, Berlin, 2003. - National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland , Stellungnahme zum Nationalen Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005-2010“ unter Berücksicht igung der speziellen Situation von Flüchtlingskindern. - Nolting-Hauff, Wilhelm, Gebote zum Schutz Minderjähriger und ihre Verwirklichung im Verwaltungsrecht, Frankfurt am Main, 1998, S. 138-158. - Peter, Erich, Der Vorrang des Kindeswohls, Archiv des Völkerrechts, Bd. 43 (2005), S. 257 ff. (zitiert: Peter, ArchVR). - Peter, Erich, Die Rücknahme des deutschen Ausländervorbehalts zur UN- Kinderrechtskonvention im Spannungsfeld verfassungsgerichtlicher Kompetenzzuweisung , Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, 2002, S. 144 (zitiert : Peter, ZAR). - Pietzker, Jost, Das Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 41 (1983), S. 193 ff. - Pro Asyl, Alle Kinder haben Rechte, Forum Jugendhilfe, 2001. - Riedelsheimer, Albert, Die Rechte von Flüchtlingskindern stärken, Dokumentation eines Fachgesprächs über die Umsetzung der Kinderrechtskonvention in Deutschland , Deutsches Institut für Menschenrechte, S. 23 ff. - Stöcker, Hans A., Die UNO-Kinderkonvention und das deutsche Familienrecht, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 1992, S. 245 ff. - Ullmann, Christian, Die UNO-Kinderrechtskonvention und das innerstaatliche Recht – Erwiderung auf den Beitrag von Stöcker, FamRZ 1992, 245 ff., Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 1992, S. 892 ff.