© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 133/14 Untersuchungsausschüsse und Persönlichkeitsrechte Betroffener Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 133/14 Seite 2 Untersuchungsausschüsse und Persönlichkeitsrechte Betroffener Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 133/14 Abschluss der Arbeit: 25. Juni 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 133/14 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wird nach dem Verhältnis der Befugnisse eines Untersuchungsausschusses zu den Grundrechten Betroffener wie etwa Zeugen. Insbesondere soll dargestellt werden, welche Grenzen der Ermittlungstätigkeit in Bezug auf das Persönlichkeitsrecht und andere Grundrechte sowie welche Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrechte bestehen. 2. Grundrechtsschutz durch Untersuchungsausschüsse Parlamentarische Untersuchungsausschüsse üben öffentliche Gewalt aus und sind daher – über die in Art. 44 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz (GG)1 genannten Einschränkungen hinaus – nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden.2 In Erfüllung dieser Grundrechtsverpflichtung hat ein Untersuchungsausschuss die im Einzelfall gebotenen Schutzvorkehrungen zu ergreifen. Die Grundrechtsbindung gilt nicht nur für Beweiserhebungen durch den Untersuchungsausschuss, sondern bereits für den Einsetzungsbeschluss,3 der den Untersuchungsgegenstand definiert, und sodann für das gesamte Untersuchungsverfahren bis hin zum Abschlussbericht.4 Potentiell durch die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses berührte Grundrechte sind etwa das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, vor allem in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung, und im Fall von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und Eigentumsfreiheit (Art. 14 GG).5 Beweiserhebungen und Zwangsmaßnahmen des Untersuchungsausschusses können aber auch die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) oder die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) oder schlicht die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) tangieren. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach ausgeführt, dass sich das Beweiserhebungsrecht des Untersuchungsausschusses und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf der Ebene des Verfassungsrechts gegenüber stehen und im konkreten Fall dergestalt in einen Ausgleich gebracht werden müssen, dass beide weitestmöglich ihre Wirkungen entfalten.6 Bei der insoweit gebotenen Abwägung müssen die Bedeutung der beabsichtigten Beweiserhebung für den Untersuchungsauftrag einerseits und die Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Daten andererseits angemessen berücksichtigt werden.7 Das Recht auf informationelle Selbstbestim- 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478) geändert worden ist. 2 BVerfGE 124, 78 (125); BVerfGE 77, 1 (46). 3 Vgl. Brocker, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 21. Edition 2014, Art. 44 Rn. 17. 4 Vgl. Glauben, in: Glauben/Brocker (Hrsg.), Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern, 2. Aufl. 2011, § 5 Rn. 154 ff. 5 Vgl. Glauben, in: Glauben/Brocker (Hrsg.), Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern, 2. Aufl. 2011, § 5 Rn. 155. 6 BVerfGE 67, 100 (143 f.); BVerfGE 77, 1 (47); BVerfGE 124, 78 (125). 7 BVerfGE 77, 1 (47). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 133/14 Seite 4 mung darf nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden.8 Informationen, deren Weitergabe für die Betroffenen unzumutbar ist, unterliegen dem Beweiserhebungsrecht des Untersuchungsausschusses nicht.9 Der Untersuchungsausschuss muss auch prüfen, ob eine öffentliche Beweisaufnahme gerechtfertigt ist oder ob die Grundrechte einen Ausschluss der Öffentlichkeit oder andere Vorkehrungen zur Geheimhaltung erfordern, wobei diese Abwägungsentscheidung auch die besondere Bedeutung des Öffentlichkeitsprinzips im demokratischen Parlamentarismus zu berücksichtigen hat.10 Die verfassungsrechtlich determinierte Güterabwägung zwischen öffentlichem Aufklärungsinteresse und den Grundrechtspositionen Dritter werden durch die Bestimmungen des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (PUAG)11 zu den einzelnen Maßnahmen des Untersuchungsausschusses konkretisiert. 3. Konkretisierung durch das PUAG Eine Rechtsfigur des „Betroffenen“ kennt das PUAG nicht.12 Unabhängig vom formellen Betroffenheitsstatus können durch die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses jedoch Grundrechte Privater berührt werden. Diese sind dann materiell betroffen. Die wesentlichen dem Grundrechtsschutz Privater dienenden Vorschriften des PUAG werden im Folgenden dargestellt. 3.1. Ausschluss der Öffentlichkeit (§ 14 PUAG) Die Beweiserhebung erfolgt nach § 13 Abs. 1 S. 1 PUAG grundsätzlich in öffentlicher Sitzung. Der Öffentlichkeitsgrundsatz für die Beweiserhebung ist bereits verfassungsrechtlich durch Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG vorgegeben. Art. 44 Abs. 1 S. 2 GG eröffnet jedoch die Möglichkeit, die Öffentlichkeit im Einzelfall auszuschließen. Diese wird durch § 14 PUAG ausgestaltet. Den Schutz von Grundrechten Betroffener bezwecken die Regelungen des § 14 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 PUAG. Danach schließt der Untersuchungsausschuss die Öffentlichkeit aus, wenn – Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich von Zeugen oder Dritten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung überwiegende schutzwürdige Interessen verletzen würde; 8 BVerfGE 124, 78 (125). 9 BVerfGE 67, 100 (144). 10 BVerfGE 124, 78 (125 f.). 11 Untersuchungsausschussgesetz vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1142), das durch Artikel 4 Absatz 1 des Gesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718) geändert worden ist. 12 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 70. Ergänzungslieferung 2013, Art. 44 Rn. 208. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 133/14 Seite 5 – eine Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit von einzelnen Zeugen oder einer anderen Person zu besorgen ist; – ein Geschäfts-, Betriebs-, Erfindungs- oder Steuergeheimnis zur Sprache kommt, durch dessen öffentliche Erörterung überwiegende schutzwürdige Interessen verletzt würden. Die Vorschriften erlauben eine Berücksichtigung der jeweils betroffenen Grundrechte und erfordern eine Prüfung und Abwägung im Einzelfall nach den oben beschriebenen Maßstäben. Liegen die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 14 Abs. 1 PUAG vor, untersagt § 31 Abs. 3 PUAG flankierend die Verlesung von Protokollen und Schriftstücken oder die Bekanntgabe ihres wesentlichen Inhalts. Dies darf dann ebenfalls nur in nichtöffentlicher Sitzung erfolgen.13 3.2. Geheimnisschutz (§ 15 PUAG) Dem Schutz staatlicher, aber auch privater Geheimnisse und damit auch der Gewährleistung grundrechtlichen Schutzes dient die Vorschrift des § 15 Abs. 1 PUAG, nach der Beweismittel, Beweiserhebungen und Beratungen durch den Untersuchungsausschuss mit einem Geheimhaltungsgrad versehen werden können. Die Entscheidung über die Einstufung richtet sich gemäß § 15 Abs. 2 PUAG nach der Geheimschutzordnung des Bundestages. Private Informationen werden regelmäßig als Verschlusssache einzustufen sein.14 § 2a Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages bestimmt, welche privaten Geheimnisse oder Umstände als VS- VERTRAULICH oder GEHEIM eingestuft werden können. § 16 PUAG regelt den Zugang zu Verschlusssachen , die der Untersuchungsausschuss eingestuft oder erhalten hat, sowie die Amtsverschwiegenheit von Mitgliedern des Ausschusses und beauftragten Personen, insbesondere im Hinblick auf Geheimnisse aus dem persönlichen Lebensbereich oder Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse , die ihnen im Rahmen der Untersuchungshandlung bekannt werden (§ 16 Abs. 3 PUAG). 3.3. Unzulässigkeit der Beweiserhebung (§§ 17, 18 PUAG) § 17 PUAG, die Grundnorm für die Beweiserhebung, normiert in Absatz 2, dass dem Minderheitenantrag auf Beweiserhebung ausnahmsweise dann nicht Folge zu leisten ist, wenn die Beweiserhebung unzulässig oder das Beweismittel unerreichbar ist. Unzulässig ist eine Beweiserhebung auch dann, wenn sie gegen Verfassungsrecht, namentlich gegen Grundrechte Betroffener verstößt .15 Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) werden bereits durch Art. 44 Abs. 2 S. 2 GG gänzlich ausgeschlossen. 13 Vgl. Brocker, in: Glauben/Brocker (Hrsg.), PUAG, 2011, § 31 Rn. 2. 14 Vgl. Pieper/Spoerhase, PUAG, 1. Aufl. 2012, § 15 Rn. 3. 15 Die Beweiserhebung kann in Gestalt eines Beweisthemaverbots, eines Beweismethodenverbots, eines Beweismittelverbots oder eines Beweisverwertungsverbots unzulässig sein, vgl. ausführlich Peters, Unzulässige Beweiserhebungen durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse, NVwZ 2012, 1574. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 133/14 Seite 6 Auch der in § 18 PUAG konkretisierte Anspruch des Untersuchungsausschusses auf Aktenvorlage gegenüber der Bundesregierung und anderen Stellen gilt nach dem Wortlaut nur „vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Grenzen“ (§ 18 Abs. 1 PUAG). Das bedeutet unter anderem, dass die Aktenvorlage keine individuell schützenswerten Rechte verletzen darf, insbesondere dass keine Informationen aus dem Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorgelegt werden dürfen .16 3.4. Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte (§ 22 PUAG) Zeugen sind nach § 20 Abs. 1 PUAG verpflichtet, auf Ladung vor dem Untersuchungsausschuss zu erscheinen. Diese Pflicht kann nach § 21 PUAG auch mittels Ordnungsgeld oder durch zwangsweise Vorführung durchgesetzt werden. Die Aussagepflicht eines Zeugen wird jedoch durch die in § 22 PUAG normierten Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte begrenzt. § 22 Abs. 1 PUAG erklärt zunächst die beruflich begründeten Zeugnisverweigerungsrechte nach §§ 53, 53a Strafprozessordnung (StPO)17 für entsprechend anwendbar. Damit werden bestimmte Berufsträger (etwa Geistliche, Rechtsanwälte, Ärzte, Abgeordnete oder Journalisten), die sich durch ein besonderes Vertrauensverhältnis auszeichnen, geschützt.18 Sie können bei Vorliegen der Voraussetzungen der strafprozessualen Vorschriften das Zeugnis gänzlich verweigern. § 22 Abs. 2 PUAG normiert ein mit § 55 StPO vergleichbares Auskunftsverweigerungsrecht: „Zeugen können die Auskunft auf Fragen verweigern, deren Beantwortung ihnen oder Personen, die im Sinne des § 52 Abs. 1 der Strafprozessordnung ihre Angehörigen sind, die Gefahr zuziehen würde, einer Untersuchung nach einem gesetzlich geordneten Verfahren ausgesetzt zu werden .“ Die Regelung trägt dem rechtsstaatlichen nemo-tenetur-Grundsatz Rechnung. 3.5. Ausnahmen von der Herausgabepflicht (§§ 29, 30 PUAG) § 29 Abs. 1 PUAG erlegt Privaten die Pflicht auf, Gegenstände, die als Beweismittel in Betracht kommen, auf Verlangen des Untersuchungsausschusses vorzulegen und auszuliefern. Diese Pflicht besteht nach § 29 Abs. 1 S. 2 PUAG jedoch nicht, soweit das Beweismittel Informationen enthält, deren Weitergabe wegen ihres streng persönlichen Charakters für die Betroffenen unzumutbar ist. Zur Durchsetzung der im Übrigen bestehenden Herausgabepflicht sieht § 29 Abs. 2 PUAG verschiedene Ordnungs- und Zwangsmittel und in § 29 Abs. 3 PUAG die Beschlagnahme vor. Von diesen Mitteln darf jedoch in Fällen, in denen Betroffene einwenden, die Gegenstände beträfen ein Geheimnis im Sinne des § 14 PUAG (Gründe für den Ausschluss der Öffentlichkeit), gemäß § 30 Abs. 1 PUAG nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn der Untersuchungsausschuss für das Beweismittel den Geheimhaltungsgrad GEHEIM beschlossen hat. 16 Vgl. Pieper/Spoerhase, PUAG, 1. Aufl. 2012, § 18 Rn. 3. 17 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die durch Artikel 3 des Gesetzes vom 23. April 2014 (BGBl. I S. 410) geändert worden ist. 18 Vgl. Glauben, in: Glauben/Brocker (Hrsg.), Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern, 2. Aufl. 2011, § 21 Rn. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 133/14 Seite 7 3.6. Rechtliches Gehör und Abschlussbericht (§§ 32, 33 PUAG) Auch bei der Veröffentlichung des Abschlussberichts hat der Untersuchungsausschuss die Rechte Betroffener zu wahren. Zunächst vermittelt § 32 PUAG Personen, die durch die Veröffentlichung des Abschlussberichtes in ihren Rechten erheblich beeinträchtigt werden können, das Recht, vor Abschluss des Untersuchungsverfahrens zu den sie betreffenden Ausführungen im Entwurf des Abschlussberichtes Stellung zu nehmen. Der wesentliche Inhalt dieser Stellungnahme ist in dem Bericht wiederzugeben. Diese Gewährung rechtlichen Gehörs entlässt den Untersuchungsausschuss allerdings nicht aus der Grundrechtsbindung im Übrigen. Er muss sicherstellen, dass mit dem Abschlussbericht selbst keine Grundrechte verletzt werden. Wird durch Ausführungen im Abschlussbericht – auch durch die Minderheit – in ein Grundrecht, etwa das informationelle Selbstbestimmungsrecht, eingegriffen, so muss dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig sein. Bei besonders schützenswerten Daten kann es aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten sein, den Abschlussbericht in einen öffentlichen und einen geheimen Teil aufzuspalten , damit Daten, deren öffentliche Verwertung unverhältnismäßig wäre, zumindest im geheimen Teil verwertet werden können.19 19 Vgl. Glauben, in: Glauben/Brocker (Hrsg.), Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern, 2. Aufl. 2011, § 33 Rn. 13.