© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 132/17 Verfassungsmäßigkeit von Art. 91c Abs. 5 GG n.F. Portalverbund für Verwaltungsleistungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 132/17 Seite 2 Verfassungsmäßigkeit von Art. 91c Abs. 5 GG n.F. Portalverbund für Verwaltungsleistungen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 132/17 Abschluss der Arbeit: 19. Juli 2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 132/17 Seite 3 1. Fragestellung Durch das „Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 90, 91c, 104b, 104c, 107, 108, 109a, 114, 125c, 143d, 143e, 143f, 143g)“ wird unter anderem in Art. 91c des Grundgesetzes (GG) ein Absatz 5 angefügt, der die Schaffung eines Portalverbundes für Online-Anwendungen der öffentlichen Verwaltung ermöglichen soll.1 Gebeten wird um eine Prüfung dieser Verfassungsänderung am Maßstab des Art. 79 Abs. 3 GG. 2. Vereinbarkeit der Verfassungsänderung mit Art. 79 Abs. 3 GG Verfassungsändernde Gesetze sind an der materiellen Schranke des Art. 79 Abs. 3 GG zu messen. Die sogenannte „Ewigkeitsgarantie“ schließt die Änderung bestimmter Institutionen und Grundsätze dauerhaft aus. Den geschützten Verfassungskern bilden die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und die in den Artikeln 1 und 20 des Grundgesetzes niedergelegten Grundsätze. Zu den Grundsätzen des Art. 20 GG zählen insbesondere das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip und das Bundesstaatsprinzip. Der neue Art. 91c Abs. 5 GG lautet: „Der übergreifende informationstechnische Zugang zu den Verwaltungsleistungen von Bund und Ländern wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geregelt.“ Die Vorschrift soll die Einrichtung eines verbindlichen bundesweiten Online-Portalverbundes ermöglichen.2 Bürger und Unternehmen sollen die Möglichkeit erhalten, elektronisch angebotene Verwaltungsleistungen des Bundes und der Länder über ein einheitliches Portal in Anspruch zu nehmen. Hierzu wird eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes geschaffen. Art. 91c Abs. 5 GG n.F. ist mit Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar. Soweit ersichtlich, wird ein Verstoß bisher auch nirgends behauptet. Im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Kritik3 richtet sich vor allem gegen Details der Umsetzung in dem auf Grundlage des Art. 91c Abs. 5 GG n.F. beschlossenen einfachen Gesetz.4 Die Verfassungsänderung berührt insbesondere nicht die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze. Das gilt auch unter dem Gesichtspunkt des Verbots der Mischverwaltung. Danach muss grundsätzlich jedes Verwaltungshandeln einem bestimmten Verwaltungsträger zuzuordnen sein. Der Verwaltungsträger hat seine Aufgaben „mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation wahrzunehmen“.5 Zwar ist das grundsätzliche Verbot der Mischverwaltung nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur Ausfluss der 1 Vgl. den Gesetzentwurf in BT-Drs. 18/12588; Bundestag und Bundesrat haben das Gesetz am 1. bzw. 2. Juni 2017 beschlossen; es wurde noch nicht verkündet (Stand: 29. Juni 2017). 2 BR-Drs. 769/16, S. 2 f., 6, 11 f.; BT-Drs. 18/12588, S. 17. 3 Vgl. BT-Drs. 18/12588, S. 19 f., S. 28 f.; BR-Prot. 958, S. 267. 4 Art. 9 des Gesetzes zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem Jahr 2020 und zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften schafft ein Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen (Onlinezugangsgesetz – OZG), vgl. den Gesetzentwurf in BT-Drs. 18/12589, S. 56 ff. 5 BVerfGE 119, 331, 364. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 132/17 Seite 4 Art. 83 ff. GG,6 sondern folgt auch aus dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip.7 Jedoch lasse sich aus diesen Prinzipien kein absolutes Verbot der Mischverwaltung entnehmen. „Art. 20 I bis III GG i.V.m. Art. 79 III GG hindern den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht, in begrenzten Ausnahmefällen die konkreten Ausprägungen der dort verankerten Grundsätze aus sachgerechten Gründen zu modifizieren.“8 Eine solche zulässige Modifikation bildet nach überwiegender Auffassung bereits Art. 91c Abs. 1 GG, der allgemein die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bereich informationstechnischer Systeme erlaubt.9 *** 6 BVerfGE 119, 331, 365. 7 BVerfGE 137, 108, 143 f. 8 BVerfGE 137, 108, 145 zur Mischverwaltung nach Art. 91e GG; vgl. auch Dietlein, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 32. Edition 2017, Art. 79 Rn. 44. 9 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., Supplementum 2010, Art. 91c Rn. 6; Suerbaum, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 32. Edition 2017, Art. 91c Rn. 3 ff.; Gröpl, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz- Kommentar, 79. Lfg. 2016, Art. 91c Rn. 5 ff., hält Art. 91 Abs. 1 GG sogar für deklaratorisch und verzichtbar.