© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 131/16 Rekommunalisierung und Enteignung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 131/16 Seite 2 Rekommunalisierung und Enteignung Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 131/16 Abschluss der Arbeit: 25.04.2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 131/16 Seite 3 1. Fragestellung Diesem Gutachten liegt folgende Frage zu Grunde: „Welche Möglichkeiten hinsichtlich einer Enteignung bestehen nach dem Grundgesetz und der Rechtsprechung, wenn ehemals öffentliches Eigentum privatisiert wurde (zum Beispiel Wohnungen) und die Sozialpflichtigkeit und andere Verfassungsziele nicht eingehalten werden?“ Im Folgenden wird zunächst im Überblick dargestellt, wie Privatisierungen in der Regel rückabgewickelt werden (Rekommunalisierung, dazu unten Ziff. 2.). Anschließend wird betrachtet, ob eine Rekommunalisierung auch durch eine Enteignung erfolgen könnte (dazu unten Ziff. 3.). 2. Rekommunalisierung Die teilweise oder vollständige Rückabwicklung von Privatisierungen, d.h. von ehemals öffentlichen Aufgaben und öffentlichem Eigentum, zurück in die Hände des Staates, insbesondere der Kommunen ist ein aktuelles Thema. Teilweise wird es sogar als „Megatrend“ bezeichnet.1 Vertieft diskutiert wird die Rekommunalisierung vor allem in Bezug auf die häufig in den 1990iger Jahren vorgenommenen Organisationsprivatisierungen. Damals wurden in großem Umfang und von vielen Kommunen öffentliche Aufgaben auf Private übertragen, z.B. im Bereich der kommunalen Wasser- oder Energieversorgung.2 Forderungen zur Rekommunalisierung gibt es aber auch in anderen Bereichen, etwa in Bezug auf früheren kommunalen Wohnungsbestand, z.B. der Stadt Dresden.3 In der Praxis verläuft eine Rekommunalisierung oft durch privatrechtliche (Rück-)Übernahme von Gesellschaftsanteilen an vormals privatisierten Unternehmen oder durch Gründung von neuen öffentlich-rechtlichen Aufgabenträgern (ggf. in privater Rechtsform) zur Erfüllung der jeweiligen Aufgabe. Folgende Merkmale werden daher als typische Kennzeichen einer Rekommunalisierung genannt: – Wiederaufgreifen von Aufgaben durch einen Verwaltungsträger (als Konkurrent oder Monopolist ), 1 Bauer, Zukunftsthema „Rekommunalisierung“, DÖV 2012, 329; zur Rekommunalisierung außerdem aus der umfangreichen Literatur z.B. Leisner-Egensperger, Rekommunalisierung und Grundgesetz - Verfassungsrechtliche Kriterien , Grenzen und Konsequenzen, NVwZ 2013, 1110; Schmidt, Rechtliche Rahmenbedingungen und Perspektiven der Rekommunalisierung, DÖV 2014, S. 357; Budäus/Hilgers: Mutatis mutandis: Rekommunalisierung zwischen Euphorie und Staatsversagen, DÖV 2013, S. 701; Bauer/Büchner/Hajasch (Hrsg.), Rekommunalisierung öffentlicher Daseinsvorsorge, Potsdam, 2012, im Internet aufrufbar unter: file://parlament/Benutzer/verbrandfr/_unverschluesselt /Benutzerprofil/Desktop/Internet%20downloads/kwi_schriften06.pdf. 2 Umfangreiche Beispiele bei Bauer, Zukunftsthema „Rekommunalisierung“, DÖV 2012, 329, 330 ff. 3 Bauer, Zukunftsthema „Rekommunalisierung“, DÖV 2012, 329, 331. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 131/16 Seite 4 – Neugründung von Eigengesellschaften zum Aufgreifen von Aufgaben (als Konkurrent oder Monopolist), – Rückübertragung operativer Dienstleistungen auf Regie- oder Eigenbetriebe als Teil der Verwaltung , – Überführung von Kapitalgesellschaften in öffentlich-rechtliche Organisationsformen, – Erhöhung des Gesellschaftsanteils an gemischtwirtschaftlichen Unternehmen.4 Die Motive für eine Rekommunalisierung sind unterschiedlich. Ein mögliches Motiv kann dabei auch die politische Einschätzung sein, dass nach der Privatisierung die Gemeinwohlorientierung oder Sozial- und Umweltstandards nicht wie erwartet gewahrt werden konnten.5 Dabei ist es auch denkbar, dass der Private bei der Erfüllung der privatisierten Aufgabe (Wasserversorgung, Wohnungsbau ) die im Privatisierungsvertrag vereinbarten Sozialstandards nicht erfüllt, jedenfalls nach Meinung der Kommune bzw. des ehemaligen öffentlichen Aufgabenträgers. Möchte der (ehemalige) öffentliche Aufgabenträger aus diesem Grunde die Privatisierung rückgängig machen, so kann dies gegebenenfalls durch Kündigung der Privatisierungsverträge erfolgen, soweit diese eine solche Kündigungsmöglichkeit vorsehen. Im Zweifel wird es in einem solchen Fall jedoch zu einem Rechtsstreit kommen. Ähnliches wird zum Fall der Privatisierung des kommunalen Wohnungsbestandes der Stadt Dresden berichtet. Die Stadt Dresden und der private Investor hätten in einer „Sozialcharta“, die Teil des Privatisierungsvertrages wurde, bestimmte Mieterschutzstandards vereinbart. Später sei die Stadt Dresden jedoch zu der Auffassung gelangt, dass der Investor durch verschiedene Umstrukturierungen die Sozialcharta ausgehebelt hätte und die darin vereinbarten Verpflichtungen nicht mehr erfüllen würde. Es sei daraufhin zu einer milliardenschweren Klage gegen den privaten Investor gekommen.6 Mit Bezug auf die gestellte Frage lässt sich somit festhalten, dass die Möglichkeit der Enteignung als Rückabwicklung von Privatisierungen bzw. als Rekommunalisierung nicht diskutiert wird. Auch in der Praxis scheint die Enteignung – soweit ersichtlich – bisher auch nicht als Mittel zur Rekommunalisierung herangezogen worden zu sein. 3. Enteignung Die Enteignung ist definiert als vollständige oder teilweise Entziehung konkreter Eigentumspositionen durch den Staat, die nur zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben zulässig ist.7 Die 4 Lübbe, Rekommunalisierung als Trend und Chance für Kommunen?, Difu-Berichte 3/2011, im Internet aufrufbar unter: http://www.difu.de/publikationen/difu-berichte-32011/rekommunalisierung-als-trend-und-chance-fuerkommunen .html. 5 Bauer, Zukunftsthema „Rekommunalisierung“, DÖV 2012, 329, 335. 6 Zum Ganzen siehe die Darstellung bei Bauer, Zukunftsthema „Rekommunalisierung“, DÖV 2012, 329, 332 m.w.N. 7 Aus der verfassungsrechtlichen Literatur statt aller: Axer, in: Epping/Hillgruber, Beck'scher Online-Kommentar GG, Stand: 01.03.2015 (Edition 27), Art. 14 Rdnr. 73 m.w.N. aus der Literatur; aus der Rechtsprechung: BVerfGE 134, 242 m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 131/16 Seite 5 Enteignung bedarf nach Art. 14 Abs. 3 GG einer gesetzlichen Grundlage, sie muss dem Wohl der Allgemeinheit dienen und verhältnismäßig sein und kann nur gegen angemessene Entschädigung erfolgen, wobei deren Art und Ausmaß gesetzlich zu regeln sind. Der Staat kann daher eine Enteignung nicht direkt auf Art. 14 Abs. 3 GG stützen.8. Auf der Basis dieser Vorgaben dürfte eine Enteignung zum Zweck der Rückabwicklung von Privatisierungen bzw. der Rekommunalisierung nicht oder nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Zunächst müsste die Enteignung zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe dienen. Dies bedeutet im Hinblick auf die privatisierten Aufgaben (z.B. Betrieb von sozialem Wohnungsbau), dass diese Aufgabe von dem Privaten gar nicht (mehr) erfüllt wird. Wird sie nur schlecht erfüllt, z.B. bei Verletzung der vertraglichen Vereinbarungen über die Sozialstandards, wäre schon aus diesem Grunde eine Enteignung wohl nicht zulässig. Der Staat bzw. die Kommune müsste andere Wege beschreiten, um seine Ziele zu erreichen, z.B. Klage auf Einhaltung der Vereinbarungen. Weiter dürfte eine Enteignung in der Regel nicht verhältnismäßig, insbesondere nicht „erforderlich“ sein, damit die öffentliche Aufgabe wieder durch den Staat (Kommunen) wahrgenommen werden kann. Eine Enteignung ist nicht erforderlich, wenn es zur Verwirklichung des Enteignungszwecks eine andere rechtlich und wirtschaftlich vertretbare Lösung gibt, die nicht oder weniger intensiv in die Rechte des privaten Eigentümers eingreift.9 In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle wird der Staat durch Einrichtung oder Gründung von neuen staatlichen Institutionen die staatliche Aufgabe neben dem Privaten wieder selbst wahrnehmen können. Wie bereits oben dargestellt,10 kann dies z.B. durch Wiederaufgreifen von Aufgaben durch einen Verwaltungsträger (als Konkurrent oder Monopolist), durch Neugründung von Eigengesellschaften zum Aufgreifen von Aufgaben (als Konkurrent oder Monopolist) oder durch Rückübertragung operativer Dienstleistungen auf Regieoder Eigenbetriebe der Verwaltung erfolgen. Ist dies im Ausnahmefall nicht möglich, so wird der Staat seine gesellschaftsrechtlichen, vertraglichen oder gesetzlichen Möglichkeiten wahrnehmen müssen, um die Aufgabe wieder selbst erfüllen zu können. In der Praxis wird es solche Möglichkeiten in der Regel geben, wie auch die Berichte von bisher durchgeführten Rekommunalisierungen zeigen.11 So wird es dem Staat im Beispiel der Verletzung von Sozialstandards bei privatisierten Sozialwohnungen zuzumuten sein, entweder neue staatliche Sozialwohnungen zu bauen oder Regelungen zur Sicherung von Sozialstandards in bestimmten Wohngebieten zu erlassen (z.B. durch so genannte Milieuschutzregelungen; § 172 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 Baugesetzbuch12). 8 Wieland, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 1, 3. Auflage 2013, Art. 14 Rdnr. 109 f. m.w.N. 9 Wendt, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 14 Rdnr. 164. 10 Vgl. dazu oben S. 4. 11 Siehe die Berichte bei Bauer/Büchner/Hajasch (Hrsg.), Rekommunalisierung öffentlicher Daseinsvorsorge, Potsdam, 2012 (Fn. 1); sowie die Beispielsfälle bei Bauer, Zukunftsthema „Rekommunalisierung“, DÖV 2012, 329, 330 ff. 12 Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004 (BGBl. I S. 2414), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 131/16 Seite 6 Eine Enteignung zur Rückabwicklung von Privatisierungen bzw. Rekommunalisierungen ist nach allem wohl nicht zulässig. Es mag, wie gesagt, extreme Ausnahmefälle geben, bei denen eine Enteignung doch einmal denkbar wäre. Es werden jedoch weder solche Fälle in der Literatur diskutiert noch lassen sich überzeugende Beispiele ohne weiteres konstruieren. Ende der Bearbeitung.