© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 130/19 Gerichtliche Überprüfung des Haushaltsgesetzes wegen Verstoßes gegen die „Schuldenbremse“ Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 130/19 Seite 2 Gerichtliche Überprüfung des Haushaltsgesetzes wegen Verstoßes gegen die „Schuldenbremse“ Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 130/19 Abschluss der Arbeit: 3. Juni 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 130/19 Seite 3 1. Fragestellung Es stellt sich die Frage, inwieweit eine Minderheit von Abgeordneten gerichtlich überprüfen lassen kann, ob ein Haushaltsgesetz mit der „Schuldenbremse“ (Art. 109 Abs. 3 und 115 Grundgesetz, GG) vereinbar ist. Dabei stellt sich auch die Frage, ob es einen Unterschied machte, wenn die „Schuldenbremse“ keinen Verfassungsrang hätte. 2. Abstrakte Normenkontrolle Der statthafte Rechtsbehelf, mit dem Abgeordnete ein Gesetz überprüfen können, ist grundsätzlich die abstrakte Normenkontrolle gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG). Antragsberechtigt im abstrakten Normenkontrollverfahren sind neben der Bundesregierung und allen Landesregierungen ein Viertel der Mitglieder des Bundestages (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG). Abgeordnete haben daher die Möglichkeit, bei Erreichen dieses Quorums einen Antrag zu stellen. Es kommt hierbei nicht darauf an, welcher Fraktion die antragstellenden Mitglieder des Bundestags angehören.1 Bei der abstrakten Normenkontrolle entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht. Da das Haushaltsgesetz ein Bundesgesetz ist, prüft das Gericht dieses allein auf Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Die „Schuldenbremse“ regeln Art. 109 Abs. 3 und Art. 115 GG. Sie hat mithin Verfassungsrang. Gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass das Haushaltsgesetz den verfassungsrechtlichen Regelungen über die „Schuldenbremse“ widerspricht, erklärt es das Haushaltsgesetz für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz (§ 78 BVerfGG).2 3. Organstreitverfahren Das Organstreitverfahren betrifft „Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind“ (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5 BVerfGG). Zwar wäre z. B. eine Fraktion im Organstreitverfahren antragsberechtigt.3 Jedoch ist der „Organstreit […] eine kontradiktorische Parteistreitigkeit mit Antragsteller und Antragsgegner und kein objektives Verfahren. Das Organstreitverfahren dient maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihren Teilen in einem 1 Lenz/Hansel, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2015, § 76 Rn. 15. 2 Zur Unvereinbarkeitserklärung: Karpenstein, in: BeckOK BVerfGG, Walter/Grünewald, 6. Edition, Stand: 1. Dezember 2018, § 78 BVerfGG Rn. 32 3 Pieroth in Jarass/Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 14. Aufl. 2016, Art. 93 Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 130/19 Seite 4 Verfassungsrechtsverhältnis, nicht der davon losgelösten Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns […]“.4 Die „Schuldenbremse“ verleiht dem Bundestag oder einer Fraktion keine entsprechenden Rechte oder Pflichten gegenüber einem potentiellen Antragsgegner.5 4. Einfachgesetzliche Schuldenbremse Denkbar wäre, die „Schuldenbremse“ nicht im Grundgesetz, sondern nur einfachgesetzlich zu verankern . Die vorgenannte Möglichkeit einer Minderheit von Abgeordneten, das Haushaltsgesetz überprüfen zu lassen, entfiele in diesem Fall: Es fehlte an einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit. Der Gesetzgeber könnte dem Bundesverfassungsgericht aber eine Entscheidungskompetenz einfachgesetzlich zuweisen (Art. 93 Abs. 3 GG; so z. B. § 16 Abs. 3 Wahlprüfungsgesetz). *** 4 BVerfGE 126, 55 (67). 5 Vgl. zu den Rechtswirkungen der Schuldenbremse: Lenz/Burgbacher, Die neue Schuldenbremse im Grundgesetz, NJW 2009, 2561 (2566).