© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 129/20 Regelanfrage bei den Verfassungsschutzbehörden nach dem Waffengesetz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 129/20 Seite 2 Regelanfrage bei den Verfassungsschutzbehörden nach dem Waffengesetz Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 129/20 Abschluss der Arbeit: 28. Mai 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 129/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Anfragen bei den Verfassungsschutzbehörden im Rahmen von Zuverlässigkeitsprüfungen 4 3. Vereinbarkeit mit den Grundrechten 5 3.1. Anwendbarkeit des Verfassungsrechts als Prüfungsmaßstab 5 3.2. Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG 6 3.2.1. Eingriff in den Schutzbereich 6 3.2.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 6 3.3. Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG 9 3.3.1. Eingriff in den Schutzbereich 9 3.3.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 9 4. Trennungsgebot 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 129/20 Seite 4 1. Fragestellung Nach § 2 Abs. 2 Waffengesetz (WaffG) bedarf der Umgang mit Waffen und Munition, die in der Anlage 2 (Waffenliste), Abschnitt 2 zum WaffG genannt sind, der Erlaubnis. Dies betrifft insbesondere Schusswaffen. Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG erhält nur derjenige eine waffenrechtliche Erlaubnis, der die erforderliche Zuverlässigkeit nach § 5 WaffG hat. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 WaffG hat die erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel unter anderem nicht, wer in den letzten zehn Jahren Mitglied in einer verfassungswidrigen Partei war oder in den letzten fünf Jahren verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt hat. § 5 Abs. 5 WaffG führt die Behörden auf, bei denen die Waffenbehörde im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung Erkundigungen einzuholen hat. Mit dem Dritten Waffenrechtsänderungsgesetz1 wurde im Februar 2020 diese Regelung erweitert. Nach § 5 Abs. 5 Nr. 4 WaffG muss nun auch eine Regelanfrage bei der zuständigen Landesverfassungsschutzbehörde darüber erfolgen, ob Tatsachen bekannt sind, die gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 WaffG gegen das Bestehen der Zuverlässigkeit sprechen. Die Ausarbeitung befasst sich mit der Frage, ob diese Regelanfrage mit dem Verfassungsrecht übereinstimmt. Ferner wird die Regelung in Bezug auf das Gebot der Trennung zwischen Nachrichtendiensten und Polizei geprüft. Zur Einordnung erfolgt zunächst eine Übersicht weiterer Bereiche, in denen im Rahmen einer Zuverlässigkeitsprüfung Anfragen bei den Verfassungsschutzbehörden erfolgen müssen bzw. dürfen. 2. Anfragen bei den Verfassungsschutzbehörden im Rahmen von Zuverlässigkeitsprüfungen Die Anfrage bei den Verfassungsschutzbehörden war vor der Gesetzesänderung im WaffG nicht ausdrücklich geregelt. Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz (WaffVwV) führte jedoch bereits zuvor aus, dass die in § 5 Abs. 5 WaffG genannten Erkenntnisquellen nicht abschließend geregelt seien und sich im Einzelfall eine ergänzende Anfrage bei den zuständigen Landesbehörden für Verfassungsschutz anbiete.2 Dies sollte insbesondere dann erfolgen, wenn sich entsprechende Hinweise auf verfassungsfeindliche Tätigkeiten aus den Stellungnahmen der nach § 5 Abs. 5 WaffG zwingend anzufragenden Stellen ergeben würden. Mit der Neufassung des WaffG wurde somit eine Form der Erkenntnisgewinnung verpflichtend eingeführt, die den Behörden bereits zuvor möglich war. Anfragen bei den Verfassungsschutzbehörden im Rahmen von Zuverlässigkeitsprüfungen existieren des Weiteren auch in anderen Rechtsbereichen: Zusammen mit dem Waffengesetz wurde auch das Sprengstoffgesetz (SprengG) durch das Dritte Waffenrechtsänderungsgesetz geändert. Seitdem ist nach § 8a Abs. 5 Nr. 4 SprengG im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung eine Regelanfrage bei den zuständigen Verfassungsschutzbehörden verpflichtend vorgesehen. 1 Drittes Gesetz zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften (Drittes Waffenrechtsänderungsgesetz - 3. WaffRÄndG) vom 17. Februar 2020 (BGBl. I S. 166), zuletzt geändert durch Artikel 8 des Gesetzes vom 22. April 2020 (BGBl. I S. 840). 2 Nr. 5.5 WaffVwV. So auch Heinrich, in: Steindorf, Waffenrecht, 10. Auflage 2015, § 5 Rn. 28; Heller/Soschinka, in: dieselben, Waffenrecht, 3. Auflage 2013, Teil A Rn. 783. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 129/20 Seite 5 § 7 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) sieht Zuverlässigkeitsprüfungen bestimmter Personengruppen zum Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des zivilen Luftverkehrs vor. Zur Überprüfung der Zuverlässigkeit darf die Luftsicherheitsbehörde gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 2 LuftSiG unter anderem Anfragen bei den Verfassungsschutzbehörden der Länder sowie, soweit im Einzelfall erforderlich, dem Bundesamt für Verfassungsschutz stellen. Nach dem Atomgesetz ist eine Überprüfung der Zuverlässigkeit etwa bei Personen vorgesehen, die Atomanlagen betreiben (§ 12b Abs. 1 Nr. 1 Atomgesetz [AtG]), mit radioaktiven Stoffen umgehen oder diese befördern (§ 12b Abs. 1 Nr. 3 AtG), sowie bei entsprechenden Sachverständigen (§ 12b Abs. 1 Nr. 4 AtG). Nach § 12b Abs. 3 Nr. 2 AtG darf die zuständige Behörde bei den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder die für die Beurteilung der Zuverlässigkeit bedeutsamen Erkenntnisse anfragen. 2016 wurden zudem die Regelungen zum Bewachungsgewerbe novelliert. Den zuständigen Behörden wurde mit der Regelung des § 34a Abs. 1 S. 6 Gewerbeordnung (GewO) a.F. ermöglicht, zum Zweck der Überprüfung der Zuverlässigkeit eine Anfrage bei den Verfassungsschutzbehörden zu stellen. Zum 1. Januar 2019 wurde diese Möglichkeit der Anfrage zu einer Regelanfrage geändert, vgl. § 34 Abs. 1 S. 5 Nr. 4 GewO.3 3. Vereinbarkeit mit den Grundrechten 3.1. Anwendbarkeit des Verfassungsrechts als Prüfungsmaßstab Das Dritte Waffenrechtsänderungsgesetz dient der Umsetzung der Feuerwaffenrichtlinie4 der Europäischen Union.5 Eine Regelung, die in Umsetzung einer Richtlinie ergangen ist, ist nur dann am Maßstab des deutschen Verfassungsrechts überprüfbar, wenn die Regelung nicht zwingend durch die Richtlinie vorgegeben ist, sondern den Mitgliedstaaten Spielräume bei der Umsetzung verbleiben.6 Fraglich ist daher, ob die eingeführte Regelabfrage bei den Verfassungsschutzbehörden durch die Richtlinie vorgeschrieben ist. In diesem Fall müsste die Richtlinie in jedem Fall entsprechend umgesetzt werden; eine Prüfung am Maßstab des Verfassungsrechts wäre nicht möglich. Art. 5 Abs. 1 b) der Feuerwaffenrichtlinie besagt, dass die Mitgliedstaaten den Erwerb und den Besitz von Feuerwaffen nur Personen gestatten dürfen, die aller Voraussicht nach sich selbst und andere sowie die öffentliche Ordnung und die öffentliche Sicherheit nicht gefährden. Auf welche Weise die Mitgliedstaaten dies sicherstellen, wird durch die Richtlinie nicht bestimmt. Den Mitgliedstaaten bleibt in dieser Hinsicht daher ein Umsetzungsspielraum. Da die Regelanfrage bei 3 Zweites Gesetz zur Änderung bewachungsrechtlicher Vorschriften vom 29. November 2018 (BGBl. I S. 2666). 4 Richtlinie (EU) 2017/853 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 91/477/EWG des Rates über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (ABl. L 137/22 vom 24. Mai 2017). 5 BT-Drs. 19/15875, S. 2 6 Vgl. Grünewald, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 8. Edition Stand: 1. Januar 2020, § 90 Abs. 1 Rn. 77 m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 129/20 Seite 6 den Verfassungsschutzbehörden somit nicht unionsrechtlich zwingend vorgegeben ist, ist sie am Maßstab des Grundgesetzes überprüfbar. Die Beteiligung von Verfassungsschutzbehörden bei der Überprüfung der Zuverlässigkeit von Personen im privaten Bereich ist in erster Linie am Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), daneben ggf. auch an der in Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Berufsfreiheit zu messen.7 3.2. Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG 3.2.1. Eingriff in den Schutzbereich Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird der Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Dieses Grundrecht gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.8 Erfolgt die Beteiligung der Verfassungsschutzbehörden bei der Überprüfung der Zuverlässigkeit in Form einer Anfrage, bei der die Verfassungsschutzbehörden den anfragenden Stellen die über die Betroffenen vorliegenden Informationen mitteilen, stellt diese Übermittlung einen selbstständig neben der bereits erfolgten Datenerhebung liegenden Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar.9 3.2.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Ein Grundrechtseingriff ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn er einen legitimen Zweck verfolgt, zum Erreichen dieses Zwecks geeignet und erforderlich ist und die Abwägung der gegenüberstehenden von Staat und Betroffenem ergibt, dass die staatlichen Interessen überwiegen.10 Nach den Gesetzesmaterialien soll durch die Regelanfrage bei den Verfassungsschutzbehörden verhindert werden, dass „Verfassungsfeinde und Extremisten legal in den Besitz von Schusswaffen gelangen können“.11 Zweck des Gesetzes dürfte somit zum einen der Schutz der Verfassung vor feindlichen Bestrebungen sein, denen bei Waffenbesitz der verfassungsfeindlichen Personen ein 7 Die folgenden Ausführungen entstammen zum Teil den Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Regelabfrage bei Verfassungsschutzbehörden zur Prüfung der Zuverlässigkeit im Überwachungsgewerbe, WD 3 - 3000 - 021/16 sowie Verfassungsrechtlicher Rahmen für die Beteiligung von Verfassungsschutzbehörden bei der Überprüfung der Zuverlässigkeit von Personen im privaten Bereich, WD 3 - 3000 - 021/16. 8 BVerfGE 65, 1 (43). 9 Vgl. BVerfGE 130, 151 (184) dazu, dass Vorschriften, die zum Umgang mit personenbezogenen Daten durch staatliche Behörden ermächtigen, in der Regel verschiedene, aufeinander aufbauende Eingriffe in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG begründen und insoweit zwischen Erhebung, Speicherung und Verwendung von Daten zu unterscheiden ist. 10 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 20 VII Rn. 110, 117. 11 BT-Drs. 19/15875, S. 24. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 129/20 Seite 7 besonderes Gefährdungspotential zukommt, zum anderen der Schutz der Bevölkerung vor extremistischen Angriffen mittels Waffengewalt. Dabei handelt es sich um legitime gesetzgeberische Ziele. Die Regelanfrage müsste geeignet sein, das gesetzgeberische Ziel zu erreichen. Wie oben unter 1. bereits erwähnt, wird bei Vorliegen verschiedener verfassungsfeindlicher Tendenzen der Antragsteller in der Regel als unzuverlässig eingestuft, was eine Ablehnung des Antrags zur Folge hätte. Durch die Regelanfrage kann somit verhindert werden, dass Personen mit verfassungsfeindlicher Einstellung in Waffenbesitz gelangen. Dies dürfte den Zweck des Schutzes der Verfassung und der Bevölkerung vor extremistischen Übergriffen zumindest fördern. Eine Förderung des Zwecks genügt, um die Geeignetheit der Maßnahme zu bejahen.12 Die Regelanfrage müsste zudem erforderlich sein. Ein Grundrechtseingriff ist erforderlich, wenn es kein milderes Mittel gibt, das in gleicher Weise geeignet ist, den Zweck der Maßnahme zu erreichen .13 Als milderes Mittel käme etwa eine Anfrage in Betracht, die nur im Falle eines vorliegenden Verdachts erfolgt. Eine verdachtsbezogene Anfrage wäre aber nicht in gleicher Weise zum Erreichen des Zwecks geeignet, da ein Verdacht über verfassungsfeindliche Tendenzen in vielen Fällen nicht vorliegen wird, solange Erkenntnisse des Verfassungsschutzes nicht genutzt werden konnten. Dem Staat kommt bei der Einschätzung der Erforderlichkeit einer Maßnahme zudem ein Einschätzungsspielraum zu.14 Schließlich ist zu prüfen, ob der Grundrechtseingriff angemessen, also dem Betroffenen zumutbar ist. Dies ist der Fall, wenn die staatlichen Interessen die Interessen des Betroffenen überwiegen. In Bezug auf Regelanfragen ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu berücksichtigen , wonach informationelle Grundrechtseingriffe, die durch Verdachtslosigkeit gekennzeichnet sind – bei denen also Personen betroffen sind, denen kein konkretes Fehlverhalten vorzuwerfen ist und die den Eingriff somit durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben –, grundsätzlich eine hohe Eingriffsintensität aufweisen.15 Der Einzelne sei in seiner grundrechtlichen Freiheit umso intensiver betroffen, je weniger er selbst für einen staatlichen Eingriff Anlass gegeben habe. In der juristischen Literatur wird zudem auf die weitreichenden Datenerhebungs- und Speicherungsbefugnisse der Verfassungsschutzbehörden verwiesen, die grundsätzlich eine restriktive Handhabung von Übermittlungspflichten erforderten.16 Insgesamt bewege sich das Aufgabenfeld des Verfassungsschutzes im nicht strafbewehrten Vorfeld, welches er zu beobachten und über das er Informationen zu sammeln sowie auszuwerten habe.17 Vor diesem Hintergrund könne eine Regelanfrage bei den Verfassungsschutzbehörden einer Datenübermittlung über Nichtverdächtige 12 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 20 VII Rn. 112. 13 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 20 VII Rn. 113 ff. 14 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 20 VII Rn. 116. 15 BVerfGE 115, 320 (354 m.w.N.). 16 Hilbrans, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 37 StAG Rn. 16. 17 Siehe hierzu Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 4 BVerfSchG Rn. 87 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 129/20 Seite 8 gleichkommen.18 Insoweit wird auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit der sog. Rasterfahndung Bezug genommen, in der das Gericht feststellt, dass auch für die Verfolgung des fundamentalen Staatszwecks der Sicherheit und des Schutzes der Bevölkerung die Verfassung dazu verpflichtet, eine angemessene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit herzustellen .19 Ein Vergleich mit den weiteren Bereichen, in denen bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen Anfragen bei den Verfassungsschutzbehörden erfolgen bzw. erfolgen dürfen, zeigt, dass die Anfragen nur in sensiblen Bereichen mit hohem Schadenspotential vorgesehen sind.20 Diese Einordnung umfasst auch das Waffenrecht. Die Gefährlichkeit von Extremisten mit Waffenbesitz wird als besonders hoch eingeschätzt.21 Angesichts des hohen Gefährdungspotentials, das insbesondere von Schusswaffen ausgeht, erscheint es durchaus möglich, dass das Sicherheitsinteresse des Staates das Interesse der Betroffenen überwiegt. Der Vergleich mit den anderen Bereichen, in denen Anfragen bei den Verfassungsschutzbehörden vorgesehen sind, zeigt allerdings auch, dass ein Teil dieser Bereiche keine Regelanfragen vorsieht, sondern nur die Möglichkeit der Anfrage eröffnet. Dies betrifft etwa das Atomrecht und damit den Betrieb von Atomanlagen und den sonstigen Umgang mit radioaktiven Stoffen. Von diesen Tätigkeiten dürfte grundsätzlich ein noch erheblich höheres Gefährdungspotential ausgehen als vom Umgang mit Schusswaffen. Andererseits betrifft das Waffenrecht einen viel größeren Personenkreis als das Atomgesetz, sodass die Zahl der potentiell gefährlichen Personen erheblich höher ist. Zudem besteht auch im Bewachungsgewerbe die Pflicht zu einer Regelanfrage beim Verfassungsschutz , obwohl dort das Führen einer Waffe nur in eng umrissenen Fällen erlaubt ist (vgl. § 28 WaffG) und daher das Gefährdungspotential geringer sein dürfte.22 Um die hohen Anforderungen, die in Bezug auf verdachtslose Grundrechtseingriffe gelten, abzumildern , könnte es grundsätzlich aus Gründen der Verhältnismäßigkeit erforderlich sein, Ausnahmeregelungen zu treffen. So könnten etwa bestimmte Waffentypen, die nur eine geringe Gefährlichkeit aufweisen, von der Regelanfrage bei den Verfassungsschutzbehörden ausgenommen werden, etwa die in § 10 Abs. 4 S. 4 WaffG genannten Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen, für die nur ein sog. Kleiner Waffenschein mit erleichterten Erteilungsvoraussetzungen erforderlich ist.23 18 Hilbrans, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 37 StAG Rn. 14, Fn. 15. 19 BVerfGE 115, 329 (358). 20 Vgl. Warg, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 1. Auflage 2014, § 1 SÜG Rn. 6a. 21 Vgl. etwa den Verfassungsschutzbericht 2017, S. 53, 95 ff., abrufbar unter https://www.verfassungsschutz .de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte (Stand: 28. Mai 2020). 22 Die Einführung der Regelanfrage im Bewachungsgewerbe wird wegen des unbekannten Gefährdungspotentials als verfassungsrechtlich bedenklich erachtet, siehe die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Regelabfrage bei Verfassungsschutzbehörden zur Prüfung der Zuverlässigkeit im Überwachungsgewerbe, WD 3 - 3000 - 021/16. 23 Der Erwerb und Besitz von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen ist gemäß Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 Nr. 1.3 der Anlage 2 zum WaffG in bestimmten Grenzen erlaubnisfrei. Das Führen dieser Waffen ist in jedem Fall erlaubnispflichtig. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 129/20 Seite 9 Da verdachtslose Regelanfragen bei den Verfassungsschutzbehörden im Rahmen von Zuverlässigkeitsprüfungen bislang – soweit ersichtlich – noch nicht Gegenstand verfassungsrechtlicher Rechtsprechung waren, lässt sich allerdings letztlich nicht beurteilen, ob solche Regelungen der Überprüfung standhalten würden. 3.3. Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG 3.3.1. Eingriff in den Schutzbereich Soll die Anfrage bei Verfassungsschutzbehörden im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung im Vorfeld oder im Zusammenhang mit der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit erfolgen, ist auch das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab heranzuziehen. Dieses fasst die Berufswahlfreiheit und die Berufsausübungsfreiheit zu einem einheitlichen Grundrecht zusammen. Die vor allem im Gewerberecht als Voraussetzung vieler Tätigkeiten geforderte Zuverlässigkeit wird klassischerweise als subjektive Berufszulassungsvoraussetzung angesehen.24 Hieraus kann jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass auch die Mitwirkung von Verfassungsschutzbehörden an einer Zuverlässigkeitsprüfung generell eine Berufszulassungsvoraussetzung darstellt. Entscheidend ist vielmehr insbesondere, welchen Einfluss ein Votum der Verfassungsschutzbehörden auf die Beurteilung der Zuverlässigkeit und damit auf die Ausübung der Berufstätigkeit des Betroffenen hat. Bestimmte Berufsgruppen sind gemäß § 58 Abs. 1 WaffG von den Regelungen des WaffG grundsätzlich ausgenommen. Dies betrifft etwa die Polizei, die Bundeswehr und die Zollverwaltung. Von den waffenrechtlichen Regelungen betroffen sind hingegen beispielsweise Berufsjäger. Wie bereits oben unter 1. erwähnt, wird die Zuverlässigkeit nach dem WaffG in der Regel unter anderem verneint , wenn die Person in den letzten zehn Jahren Mitglied in einer verfassungswidrigen Partei war oder in den letzten fünf Jahren verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt hat. Die Anfrage bei den Verfassungsschutzbehörden ist daher von erheblichem Gewicht für die Beurteilung der Zuverlässigkeit und damit die berufliche Tätigkeit von auf die Erlaubniserteilung angewiesenen Personen. Somit handelt es sich um eine subjektive Berufszulassungsregelung. 3.3.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Subjektive Berufszulassungsregelungen sind nur zulässig, wenn sie dem Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter dienen. Der Schutz der Verfassung und der Bevölkerung vor extremistischen Übergriffen ist zweifellos ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut. Im Übrigen kann weitgehend auf die obigen Ausführungen zur informationellen Selbstbestimmung verwiesen werden. Um die Angemessenheit des Eingriffs zu gewährleisten, könnten etwa Personen, die aus beruflichen Gründen auf den Umgang mit Waffen angewiesen sind, von der Regelanfrage ausgenommen werden, sodass nur eine verdachtsbezogene Anfrage erfolgte. Wie bereits unter 3.2.2. erwähnt, lässt sich mangels einschlägiger verfassungsrechtlicher Rechtsprechung allerdings die Zulässigkeit der Regelanfrage letztlich nicht abschließend beurteilen. 24 Vgl. nur Wieland, in: Dreier, GG, 3. Auflage 2013, Art. 12 Rn. 67. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 129/20 Seite 10 4. Trennungsgebot Welche Behörden für die Ausführung des WaffG zuständig sind, richtet sich gemäß § 48 Abs. 1 WaffG nach den entsprechenden Rechtsverordnungen der Länder. Je nach Verwaltungsaufbau sind die Waffenbehörden etwa bei den Landratsämtern, Ordnungsämtern oder bei der Polizei angesiedelt .25 Es stellt sich die Frage, ob in Bezug auf die Übermittlung von Daten durch die Verfassungsschutzbehörden an die Waffenbehörden das Gebot der Trennung zwischen Nachrichtendiensten und Polizei anwendbar ist.26 Das Trennungsgebot verlangt eine grundsätzliche Trennung zwischen polizeilichen und nachrichtendienstlichen Befugnissen.27 Insbesondere besteht das Gebot einer organisatorischen Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten.28 Nur der Polizei obliegt die Verhütung, Verhinderung und Verfolgung von Straftaten sowie die Abwehr von sonstigen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.29 Diese ist von der Informationsbeschaffung und der Beratung im Sinne der politischen Vorfeldaufklärung durch die Nachrichtendienste30 strikt zu trennen. Die Waffenbehörden sind keine Polizeibehörden im formellen und organisatorischen Sinne.31 Vielmehr handelt es sich bei den Waffenbehörden um Sonderordnungsbehörden. Dies sind Gefahrenabwehrbehörden , die nicht für die allgemeine Gefahrenabwehr, sondern nur für eng umrissene Bereiche – wie das Waffenrecht – zuständig sind.32 Zumindest teilweise wird allerdings angenommen , dass das Trennungsgebot auch für Sonderordnungsbehörden gilt.33 Fraglich ist daher, ob eine Übermittlung von Informationen durch die Verfassungsschutzbehörden an die Waffenbehörden nach dem Trennungsgebot zulässig ist. Da sich die Aufgabenbereiche von Polizei und Nachrichtendiensten vielfach berühren, ist eine Zusammenarbeit zwischen beiden Behördenzweigen unerlässlich.34 Das Trennungsgebot bewirkt, dass die Nachrichtendienste zwar 25 König/Papsthart, in: dieselben, Waffengesetz, 2. Auflage 2012, § 48 Rn. 1. Die einzelnen Rechtsverordnungen sind aufgeführt bei Gade, in: derselbe, Waffengesetz, 2. Auflage 2018, § 48 Rn. 5. 26 Die Ausführungen dieses Abschnitts entstammen teilweise der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), WD 3 - 3000 - 406/18, S. 15 ff. 27 Vgl. den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Rechtsgrundlagen der Terrorismusbekämpfung , WD 3 - 3000 - 273/18, S. 3. 28 Bergemann, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage 2018, Kapitel H Teil I Rn. 5. 29 BVerfGE 133, 277 (327). 30 BVerfGE 133, 277 (326). 31 Vgl. Sailer/Gerster, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage 2018, Kapitel J Teil VIII Rn. 2. 32 Vgl. Kugelmann, in: Möstl/Kugelmann, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 13. Edition Stand: 1. Januar 2020. 33 So Bäcker, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage 2018, Kapitel B Teil III Rn. 251. 34 Zöller, Der Rechtsrahmen der Nachrichtendienste bei der „Bekämpfung“ des internationalen Terrorismus, JZ 2007, 767 (770). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 129/20 Seite 11 Gefahrenpotenziale für die freiheitliche demokratische Grundordnung frühzeitig wahrnehmen, diese aber mangels eigener exekutiver Befugnisse nicht selbst bekämpfen dürfen. Vor diesem Hintergrund sind die Nachrichtendienste grundsätzlich gehalten, staatsschutzrelevante Erkenntnisse nicht nur der Regierung, sondern auch der Polizei und der Staatsanwaltschaft zur Verfügung zu stellen.35 Die informationelle Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten, Polizei und Staatsanwaltschaften wird als „funktionelle Kehrseite“ des Trennungsgebots angesehen.36 Das Trennungsgebot kann daher auch als Missbrauchsverbot in Bezug auf eine Umgehung der traditionellen Eingriffsschwellen von Behörden der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung gesehen werden.37 Das Bundesverfassungsgericht hat darüber hinaus im Urteil zum Antiterrordateigesetz ein aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung folgendes informationelles Trennungsprinzip bejaht.38 Hiernach unterliege der Austausch von Daten der Nachrichtendienste und der Polizeibehörden engen verfassungsrechtlichen Grenzen. Diene die Datenübermittlung der operativen Aufgabenwahrnehmung, so sei sie nur ausnahmsweise zulässig, wenn sie einem herausragenden öffentlichen Interesse diene.39 Der Schutz der Verfassung und der Bevölkerung vor bewaffneten Übergriffen durch Extremisten ist ein solches herausragendes Interesse. Da die Waffenbehörden zudem nicht operativ tätig werden, dürften die Anforderungen an eine Datenübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörden ohnehin wesentlich geringer sein, als durch das Bundesverfassungsgericht im Urteil zur Antiterrordatei gefordert. Die Regelanfrage bei den Verfassungsschutzbehörden dürfte somit in Bezug auf das informationelle Trennungsgebot zulässig sein. *** 35 Unterreitmeier, Überwachung durch Polizei oder Nachrichtendienst – kein Unterschied?, GSZ 2018, 3 (4). 36 Nehm, Das nachrichtendienstrechtliche Trennungsgebot und die neue Sicherheitsarchitektur, NJW 2004, 3294 (3294). 37 Zöller, Der Rechtsrahmen der Nachrichtendienste bei der „Bekämpfung“ des internationalen Terrorismus, JZ 2007, 763 (767). 38 BVerfGE 133, 277 (329). 39 BVerfGE 133, 277 (329).