© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 128/13 Überhangmandate der CSU nach dem neuen Wahlrecht Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 128/13 Seite 2 Überhangmandate der CSU nach dem neuen Wahlrecht Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 128/13 Abschluss der Arbeit: 5. Juli 2013 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 128/13 Seite 3 1. Einleitung Reformen des Wahlrechts standen, seitdem das Bundesverfassungsgericht am 3. Juli 20081 Teile des damaligen Wahlrechts für verfassungswidrig erklärt hatte, mehrfach auf der Agenda des Gesetzgebers . Die im Herbst 2011 vorgenommene Änderung des das Sitzzuteilungsverfahren regelnden § 6 Bundeswahlgesetz2 (BWahlG) verwarf das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 25. Juli 20123 erneut als verfassungswidrig, da der 2008 beanstandete Effekt des negativen Stimmgewichts weiterhin auftreten konnte. Am 9. Mai 2013 sind wiederum Änderungen des Wahlrechts in Kraft getreten. Bei den bevorstehenden Wahlen zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 kommt das reformierte Wahlrecht erstmals zur Anwendung. Es zielt zum einen darauf ab, entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts den Effekt des negativen Stimmgewichts auszuschließen. Zum anderen sollen Überhangmandate nunmehr vollständig ausgeglichen werden, um die durch Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG geforderte Erfolgswertgleichheit von Stimmen stärker als bisher umzusetzen. Die folgende Ausarbeitung stellt die Grundzüge des reformierten Sitzzuteilungs- und Ausgleichsverfahrens gemäß § 6 BWahlG4 und die Besonderheiten, die im Zusammenwirken von auszugleichenden Überhangmandaten und der Sonderstellung der CSU auftreten können, dar. 2. Sitzzuteilungsverfahren nach dem neuen Wahlrecht 2.1. Erste Stufe In einer ersten Stufe der Sitzverteilung werden Sitzkontingente der gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 BWahlG 598 regulär vorgesehenen Sitze im Deutschen Bundestag den einzelnen Ländern zugeordnet , § 6 Abs. 2 S. 1 BWahlG. Dabei richtet sich die Aufteilung der Kontingente proportional nach der Bevölkerungszahl. Die Sitze dieser Länderkontingente werden gemäß § 6 Abs. 2 S. 1 BWahlG innerhalb der Länder nach dem Ergebnis der Zweitstimmen auf die Landeslisten der Parteien verteilt. Das dabei anzuwendende rechnerische Verfahren regelt § 6 Abs. 2 S. 2 bis 7 BWahlG (sog. Divisorverfahren mit Standardrundung nach Sainte-Laguë/Schepers). Auf die so ermittelte Sitzzahl einer Partei im Länderkontingent wird die Zahl der direkt in den Wahlkreisen gewonnenen Sitze (Erststimme) nach § 6 Abs. 4 S. 1 BWahlG angerechnet. Dabei kann sich ergeben, dass die Zahl der direkt in den Wahlkreisen gewonnenen Sitze die aufgrund der Auswertung der Zweitstimmen ermittelte Sitzzahl übersteigt. In jedem Fall aber bleiben die direkt in den Wahlkreisen gewonnenen Sitze der Partei erhalten, § 6 Abs. 4 S. 2 BWahlG. Diese 1 BVerfGE 121, 266. 2 Bundeswahlgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1288, 1594), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes vom 3. Mai 2013 (BGBl. I S. 1084) geändert worden ist. 3 BVerfG, 2 BvF 3/11 vom 25.7.2012. 4 Siehe hierzu auch , Das neuen Wahlrecht, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Fachbereich WD 3, Aktueller Begriff Nr. 16/13 vom 16.5.2013. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 128/13 Seite 4 werden der Partei zusätzlich zu den aufgrund der Zweitstimmen ermittelten Sitzen gewährt (sog. Überhangmandate). Diese erste Stufe der Sitzverteilung hat allerdings noch keine verbindlichen Sitzzuteilungen zur Folge, sondern dient nur der Ermittlung einer „Mindestsitzzahl“ für die zweite Stufe der Sitzverteilung . Erst in dieser erfolgt die eigentliche Zuteilung. 2.2. Zweite Stufe Die zweite Stufe der Sitzverteilung beginnt, soweit in der ersten Stufe rechnerisch Überhangmandate auftreten, mit einer Erhöhung der insgesamt zu verteilenden Sitzzahl. Damit soll ausgeschlossen werden, dass es bei der anschließenden tatsächlichen Sitzzuteilung zu Überhangmandaten kommt. Zu diesem Zweck wird die Gesamtzahl der Sitze im Parlament so lange erhöht, bis alle in der ersten Stufe auftretenden Überhangmandate auf Listenmandate der jeweiligen Partei anrechenbar sind, § 6 Abs. 5 BWahlG. Damit wird erreicht, dass der bundesweite Parteienproporz nach dem Zweitstimmenergebnis erhalten bleibt. Die nach bisherigem Wahlrecht mit dem Auftreten von Überhangmandaten einhergehende Beeinträchtigung der Erfolgswertgleichheit abgegebener Zweitstimmen5 wird damit ausgeschlossen. An dieses Erhöhungsverfahren schließt sich die eigentliche Sitzzuteilung nach Maßgabe des § 6 Abs. 6 BWahlG an. Dabei werden die nach Maßgabe des Erhöhungsverfahrens zu vergebenden Sitze in einer bundesweiten Oberverteilung zunächst auf die Parteien verteilt. Die ermittelten Parteikontingente werden anschließend in einer parteiinternen Unterverteilung auf die Landeslisten einer Partei verteilt. Bei dieser Unterverteilung wird jeder Landesliste mindestens die Zahl der von einer Partei in einem Land errungenen Direktmandate zugeteilt. Hierbei kann es nach dem vorangegangenen Erhöhungsverfahren nicht mehr zu Überhangmandaten kommen. Durch die Erhöhung der Gesamtsitzzahl wird vermieden, dass sich Überhangmandate einer Partei in einem Land zulasten von Listenmandaten derselben Partei in einem anderen Land auswirken . Es findet also keine Verrechnung statt. Allerdings kommt es an dieser Stelle auch nicht zu einer nochmaligen Erhöhung der Sitzzahl, um das innerparteiliche Ungleichgewicht zwischen den einzelnen Landeslisten auszugleichen. Ein Ausgleich zwischen einer Landesliste, bei der es in der ersten Stufe zu Überhangmandaten kam, und einer Landesliste derselben Partei, bei der es nicht zu Überhangmandaten kam, findet nicht statt. Der föderale Proporz innerhalb einer Partei wird also nicht wiederhergestellt. Wenn das beschriebene Ausgleichsverfahren aufgrund von in der ersten Stufe auftretenden Überhangmandaten durchzuführen ist, hat dies automatisch eine Vergrößerung des Deutschen Bundestages zur Folge. In welchem Ausmaß sich dieser Effekt bei den bevorstehenden Wahlen zum 18. Deutschen Bundestag auswirkt, ist von den konkreten Wahlergebnissen abhängig und nicht prognostizierbar. Dasselbe gilt für die konkreten Wechselwirkungen zwischen einzelnen Parteien bzw. Landeslisten aufgrund von Überhangmandaten. 5 Hierzu BVerfGE 95, 335, 365; BVerfG, 2 BvF 3/11 vom 25.7.2012, Rn. 98 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 128/13 Seite 5 3. Besonderheiten der CSU im Sitzzuteilungsverfahren Das Bundeswahlgesetz trifft keine Sonderregelungen für die CSU. Rechtlich bestehen insoweit keine Besonderheiten bei der Sitzzuteilung. Der Umstand, dass die CSU nur in Bayern zur Wahl antritt, kann allerdings faktische Auswirkungen haben. Klarzustellen ist zunächst, dass Überhangmandate der CDU nicht etwa mit Listenmandaten der CSU „verrechnet“ werden. Dies geschieht auch zwischen verschiedenen Landeslisten der CDU nicht (s.o.). Faktische Besonderheiten bestehen bei der CSU aber vor folgendem Hintergrund: Das beschriebene Erhöhungsverfahren nach § 6 Abs. 5 BWahlG wird so lange betrieben, bis ein bundesweiter Parteienproporz erreicht ist. Im Fall eines divergierenden Erst-/Zweitstimmenverhältnisses zwischen verschiedenen CDU-Landeslisten, wenn es also bei einer CDU-Landesliste in der ersten Stufe zu Überhangmandaten kommt, bei einer anderen hingegen wenige Direktmandate errungen werden, würde sich die bundesweite Proporzbetrachtung nivellierend auswirken. Denn maßgeblich bei der Herstellung des Parteienproporzes ist der durchschnittliche Zweitstimmenanteil einer Partei im Bundesgebiet. Dieser nivellierende Effekt kann bei einer Partei, die nur mit einer Landesliste antritt, naturgemäß nicht eintreten. Dies hat zur Folge, dass Überhangmandate zugunsten der CSU tendenziell stärker den Proporz verzerren als Überhangmandate der CDU. Zur Wiederherstellung des Proporzes ist infolgedessen tendenziell eine stärkere Erhöhung der Gesamtsitzzahl erforderlich, als es im Fall von Überhangmandaten der CDU der Fall ist. Weitere Besonderheiten der CSU im Sitzzuteilungsverfahren sind nicht ersichtlich.