© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 127/15 Gesetzliche Höchstaltersgrenzen bei Amts- und Mandatsträgern und alternative Regelungsmöglichkeiten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 127/15 Seite 2 Gesetzliche Höchstaltersgrenzen bei Amts- und Mandatsträgern und alternative Regelungsmöglichkeiten Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 127/15 Abschluss der Arbeit: 28.05.2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 127/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Tabellarische Übersichten 4 2.1. Bundesgesetzliche Höchstaltersgrenzen 4 2.2. Landesgesetzliche Höchstaltersgrenzen 5 2.2.1. Haupt- und ehrenamtliche Tätigkeiten 5 2.2.2. Kommunale Wahlämter 6 3. Begründungen für Höchstaltersgrenzen 7 4. Rechtliche Einordnung von gesetzlichen Höchstaltersgrenzen 9 4.1. Beeinträchtigung subjektiver Rechte 9 4.2. Rechtfertigung 9 5. Alternative Regelungsmöglichkeiten 10 5.1. Flexible Höchstaltersgrenzen 10 5.2. Anhebung der Höchstaltersgrenzen 11 5.3. Abschaffung der Höchstaltersgrenzen 11 5.4. Gesetzgebungszuständigkeiten 11 6. Initiativen zur Abmilderung/Abschaffung von gesetzlichen Höchstaltersgrenzen 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 127/15 Seite 4 1. Fragestellung Im Zusammenhang mit dem Erhalt bzw. der Steigerung des bürgerschaftlichen Engagements von älteren Menschen wird gefragt, welche gesetzlichen Höchstaltersgrenzen für Amts- und Mandatsträger auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene gelten, wie diese begründet werden und welche alternativen gesetzgeberischen Regelungsmöglichkeiten in Betracht kommen. Im Hinblick auf die Zusammenstellung der geltenden Höchstaltersgrenzen sollen tabellarische Übersichten erstellt werden, die die Altersgrenzen für Amts- und Mandatsträger exemplarisch aufzeigen – allerdings ohne Berücksichtigung der Altersgrenzen für „normale“ Laufbahnbeamte1 und Soldaten2. Von besonderem Interesse sind hingegen Höchstaltersgrenzen für die Wahrnehmung ehrenamtlicher Funktionen (z.B. Schöffen, Gemeinde-, Kreisräte) sowie für kommunale Wahlbeamte. 2. Tabellarische Übersichten 2.1. Bundesgesetzliche Höchstaltersgrenzen Norm Beruf/Hauptamt Höchstaltersgrenze Abgeordnete des Bundestages keine Höchstaltersgrenze § 48a BNotO Notare 70 Jahre § 48 Abs. 1 DRiG Richter 67 Jahre § 4 Abs. 3 BVerfGG Richter am Bundesverfassungsgericht 68 Jahre § 132 Abs. 7 BBG Professoren Eintritt in den Ruhestand kann bei besonderen wissenschaftlichen Leistungen bis Vollendung des 75. Lebensjahres hinausgeschoben werden 1 Vgl. dazu die vom dbb (Beamtenbund und Tarifunion) im Internet bereitgestellte Übersicht zu den Regelaltersgrenzen von Beamten in Bund und Ländern, abrufbar unter: http://www.dbb.de/fileadmin/pdfs/themen/laufbahnsystem __regelaltersgrenzen.pdf (Stand: April 2013); Bundesgesetzlich geregelte Altersgrenzen für die Berufsausübung bestimmter Berufsgruppen, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 3 - 3000 - 495/10); Anhebung der Altersgrenze auf 67 Jahre in den Bundesländern (WD 3 - 3000 - 503/10; Geipel, Lebensalter im Recht (2011), 261 f. 2 Vgl. dazu Geipel (Fn. 1), 261 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 127/15 Seite 5 Norm Ehrenamt Höchstaltersgrenze § 33 Nr. 2 GVG Schöffen 70 Jahre § 1786 Abs. 1 Nr. 2 BGB Vormundschaftsübernahme keine Höchstaltersgrenze (ab 60 Jahren kann eine Ablehnung erfolgen) § 28 Abs. 1 ZSKG Hilfe leisten in Katastrophenfällen 60 Jahre § 20 Abs. 1 Nr. 6 FGO, § 23 Abs. 1 Nr. 6 VwGO, § 24 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG ehrenamtliche Richter keine Höchstaltersgrenze (ab Erreichen der Regelaltersgrenze kann das Amt abgelegt bzw. die Berufung abgelehnt werden) § 2 Nr. 3 ASG Arbeitsdienst von Frauen zum Zweck der Verteidigung oder zum Schutz der Zivilbevölkerung 55 Jahre 2.2. Landesgesetzliche Höchstaltersgrenzen 2.2.1. Haupt- und ehrenamtliche Tätigkeiten Bundesland Norm Hauptamt (HA)/ Ehrenamt (EA) Höchstaltersgrenze Baden-Württemberg Landtagsabgeordnete (HA) keine Höchstaltersgrenze Berlin § 8 Abs. 1 Nr. 3 BauPAVO Leiter der Prüf-, Überwachungs - oder Zertifizierungsstelle (HA) 68 Jahre Brandenburg § 6 VerfGGBbg Verfassungsrichter (HA) 68 Jahre Hessen § 5 Abs. 4 DVO- BauGB Gutachter eines Gutachtenausschusses (EA) 68 Jahre Rheinland-Pfalz § 19 Abs. 1 Nr. 8 RPfGO Gemeinde- und Kreisräte (EA) keine Höchstaltersgrenze (ab Erreichen eines bestimmten Alters kann die Berufung in das Ehrenamt abgelehnt werden) Saarland § 7 Abs. 1 Nr. 2 PPVO SL Prüfberechtigter/Prüfsachverständiger (HA) 68 Jahre Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 127/15 Seite 6 Bundesland Norm Hauptamt (HA)/ Ehrenamt (EA) Höchstaltersgrenze Thüringen § 13 Abs. 1 ThürBKG Einsatzdienst der Freiwilligen Feuerwehr (EA) 60 Jahre, mit Verlängerungsmöglichkeit bis 65 Jahre (in den anderen Bundesländern Altersgrenzen zwischen 60 und 67 Jahren3) 2.2.2. Kommunale Wahlämter In der überwiegenden Zahl der Bundesländer gibt es des Weiteren Höchstaltersgrenzen für kommunale Wahlbeamte. Bundesland Norm Wahlamt Höchstaltersgrenze Baden-Württemberg § 46 Abs. 1 GemO BW Bürgermeister 65 Jahre Bayern Art. 39 Abs. 2 S. 2 GLKrWG Bayern Erster Bürgermeister/ Landrat 67 Jahre (am Tag des Beginns der Amtszeit) Brandenburg § 65 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BbgKWahlG Bürgermeister 62 Jahre Mecklenburg- Vorpommern § 66 Abs. 2 LKWG Bürgermeister/Landrat 60 Jahre (bei Wiederwahl 64 Jahre) Niedersachsen § 80 Abs. 5 NKomVG Hauptverwaltungsbeamter 67 Jahre Rheinland-Pfalz § 53 Abs. 3 S. 3 RPfGO Bürgermeister 65 Jahre Saarland § 54 Abs. 1 S. 2 KSVG Bürgermeister 65 Jahre (am Tag des Beginns der Amtszeit) Sachsen § 49 Abs. 1 S. 2 SächsGemO Hauptamtlicher Bürgermeister 65 Jahre Sachsen-Anhalt § 59 Abs. 1 S. 3 GO LSA Hauptamtlicher Bürgermeister 65 Jahre 3 Vgl. Altersgrenzen bei der Feuerwehr, Übersicht des deutschen Feuerwehrverbandes (Stand: 2015), abrufbar unter: http://www.feuerwehrverband.de/fileadmin/Inhalt/FACHARBEIT/FB7_Sozialwesen/2015_02_DFV-Informationen_ Altersgrenzen_JF_FF_BF_WF.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 127/15 Seite 7 Bundesland Norm Wahlamt Höchstaltersgrenze Schleswig-Holstein § 57 Abs. 3 Nr. 2 GO SH Bürgermeister 62 Jahre (im Falle der Erstwahl) Thüringen § 24 Abs. 2 S. 3 ThürKWG Hauptamtlicher Bürgermeister 65 Jahre 3. Begründungen für Höchstaltersgrenzen Im Wesentlichen wird zur Begründung von gesetzlichen Höchstaltersgrenzen auf die Wahrung der Leistungsfähigkeit sowie auf die Sicherstellung einer bestimmten Altersstruktur verwiesen. Insbesondere bei körperlich fordernden Tätigkeiten, wie Einsatzdiensten der Freiwilligen Feuerwehren , werden gesetzliche Altersgrenzen auf die pauschale Annahme einer abnehmenden Leistungsfähigkeit ab Erreichen eines bestimmten Alters gestützt. Diese Annahme spielt vor allem dort eine Rolle, wo aus einem Fehler eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung resultieren kann. Als Beispiel hierfür dient das Erlöschen der Anerkennung einer Prüfstelle nach der Berliner Bauprodukte- und Bauartenverordnung, wenn der Leiter der Prüfstelle das 68. Lebensjahr erreicht hat (§ 8 Abs. 1 Nr. 3).4 Der Berliner Senat begründete die Beibehaltung dieser Norm wie folgt: „Nach § 8 BauPAVO endet die Anerkennung als Prüfstelle, wenn der Leiter das 68. Lebensjahr erreicht hat. Die Besonderheit der Tätigkeiten der Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen im Hinblick auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung begründen diese Altersbeschränkung , da jedes Versagen zu erheblichen Gefährdungen von Leben und Gesundheit der Bevölkerung führen kann. Die Altersgrenzen sollten daher beibehalten werden.“5 Auch hinsichtlich der Schöffentätigkeit wurde zur Begründung der Höchstaltersgrenze auf die abnehmende körperliche und geistige Belastbarkeit verwiesen. Hierzu heißt es in der Begründung der Gesetzesänderung: „[…] Die Einführung einer Altersgrenze ist geboten, weil die Mitwirkung in der Strafrechtspflege eine große körperliche Spannkraft und geistige Beweglichkeit erfordern. Der Entwurf sieht davon ab, eine starre Altersgrenze bereits bei Vollendung des 65. Lebensjahres einzuführen . Er geht davon aus, dass Personen zwischen dem 65. und 73. Lebensjahr, insbesondere nach der Entlastung von der Berufstätigkeit, das Schöffenamt durchaus noch ausfüllen können. Etwaige Nachteile für die Rechtsprechung durch die Berufung körperlich oder geistig nicht 4 Ähnliche Regelungen zu Prüfsachverständigen finden sich auch in anderen Bundesländern. Vgl. beispielhaft § 7 Abs. 1 Nr. 2 der hessischen Prüfberechtigten- und Prüfsachverständigenverordnung (HPPVO); § 7 Abs. 1 Nr. 2 der Landesverordnung über die Prüfingenieurinnen oder Prüfingenieure für Standsicherheit sowie Prüfsachverständigen Schleswig-Holstein (SHPPVO). 5 Vgl. den Schlussbericht des Berliner Senats zum Thema „Mehr Teilhabe für Senioren in Beruf und Ehrenamt – Altersbeschränkungen überprüfen!“, LT-Drs. 16/3408, 76 mit zahlreichen weiteren Begründungen für die Beibehaltung von Höchstaltersgrenzen in den landesgesetzlichen Regelungen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 127/15 Seite 8 mehr leistungsfähiger Schöffen können durch entsprechende Berücksichtigung bei der Aufstellung der Vorschlagsliste und bei der Auswahl durch den Wahlausschuss vermieden werden. Auch wird durch die Neuregelung in § 36 Abs. 2 über die angemessene Repräsentation aller Alters- und Berufsgruppen sichergestellt, dass der Anteil der Schöffen im fortgeschrittenen Alter stets begrenzt sein wird. Durch eine neue Nummer 2 wird eine Altershöchstgrenze eingeführt . Dabei wird auf die Vollendung des siebzigsten Lebensjahres bei Beginn der Amtszeit abgestellt.“6 Als Beispiel für die Wahrung einer bestimmten Altersstruktur dient die Höchstaltersgrenze für Notare, § 48a Bundesnotarordnung (BNotO). Diese Norm ist darauf gerichtet, den Zugang jüngerer Generationen zum Notariat zu ermöglichen und im Interesse der Rechtspflege eine zuverlässige Altersstruktur sicherzustellen.7 In einer jüngeren Entscheidung führt der BGH insoweit aus: „Nicht gesundheitliche Erwägungen, sondern Gründe der geordneten Altersstruktur und der Berufsaussichten für jüngere Anwärter sind für die Altersgrenze des § 48a BNotO maßgeblich. Soweit der Kl. in diesem Zusammenhang geltend macht, es habe sich nach Einführung der notariellen Fachprüfung gem. §§ 7a ff. BNotO mittlerweile ein Mangel an Nachwuchsinteressenten für das Anwaltsnotariat eingestellt, rechtfertigt dies nicht, § 48a BNotO nicht mehr anzuwenden, selbst wenn dieser Befund zutreffen und sich verstetigen sollte. Ob, wann und in welcher Weise der Gesetzgeber die Rechtslage geänderten tatsächlichen Verhältnissen anpasst, liegt in seinem, von den Gerichten schon aus Gründen der Gewaltenteilung zu respektierenden Gestaltungsspielraum. Dass sich die Bewerberverhältnisse derart massiv gewandelt hätten, dass mit der Beibehaltung der Altersgrenze des § 48a BNotO der dem Gesetzgeber zustehende weite Spielraum überschritten wäre, ist auch nicht ansatzweise ersichtlich.“8 Ob eine Tätigkeit im Haupt- oder Ehrenamt ausgeübt wird, hat – soweit ersichtlich – keinen direkten Einfluss auf die Festlegung einer Altersgrenze. Vielmehr stehen die Anforderungen und die Ausgestaltung der Tätigkeit im Vordergrund. 6 BT-Drs. 7/551, 98. 7 Vgl. Waltermann, Altersgrenzen für Notare, Anwaltsblatt 1992, 19 ff. Siehe dazu auch die Bestätigung der Altersgrenze für Notare durch den BGH, BGH NJW-RR 2014, 631: „Die in § 48a BNotO bestimmte Altersgrenze von 70 Jahren, bei deren Erreichen das Amt des Notars erlischt (§ 47 Nr. 1 BNotO), verstößt auch unter Berücksichtigung neuerer Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesarbeitsgerichts nicht gegen das aus der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf folgende Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 22.03.2010 - NotZ 16/09, BGHZ 185, 30).“ 8 BGH NJW-RR 2014, 631 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 127/15 Seite 9 4. Rechtliche Einordnung von gesetzlichen Höchstaltersgrenzen 4.1. Beeinträchtigung subjektiver Rechte Gesetzliche Höchstaltersgrenzen, z.B. die Wählbarkeit zum Bürgermeister betreffend, können den Betroffenen in seinen subjektiven Rechten, d.h. in seinen (nationalen) Grundrechten oder unionsrechtlich gewährten Rechten beeinträchtigen. Aus nationaler Grundrechtssicht kommen sowohl Beeinträchtigungen von Freiheitsgrundrechten (z.B. der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG) als auch von Gleichheitsgrundrechten (insbesondere des allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG) in Betracht.9 Im Hinblick auf das Unionsrecht können – soweit der normative Anwendungsbereich eröffnet ist – Rechte unmittelbar aus der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie betroffen sein (Richtlinie 2000/78/EG) oder aus dem nationalen Umsetzungsgesetz, dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG).10 4.2. Rechtfertigung Die Beeinträchtigung von subjektiven Rechten durch gesetzliche Höchstaltersgrenzen kann aber durch legitime Zwecke gerechtfertigt werden. Im Hinblick auf Grundrechtsbeeinträchtigungen hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in zahlreichen Fällen Höchstaltersgrenzen zur Sicherung der Leistungsfähigkeit sowie zur Wahrung einer bestimmten (ausgewogenen) Altersstruktur als gerechtfertigt angesehen.11 Dabei gesteht das BVerfG dem Gesetzgeber ausdrücklich eine Typisierungsbefugnis zu, die es zulässt, an bestimmte Altersgrenzen pauschal anzuknüpfen. Danach darf der Gesetzgeber beispielsweise – typisierend – davon ausgehen, dass ab einer bestimmten Altersgrenze die körperliche/geistige Leistungsfähigkeit abnimmt, auch wenn im Einzelfall die körperliche/geistige Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigt sein muss.12 Seine Typisierungsbefugnis überschreitet der Gesetzgeber erst dann, wenn die Typisierung nicht sach- oder realitätsgerecht 9 Vgl. Müller, Alter und Recht (2010), 234 ff., 244 ff. 10 Zur unionsrechtlichen Prüfung von Altersgrenzen vgl. VG Wiesbaden NVwZ 2013, 11 ff.; VG Kassel NVwZ 2014, 309 ff.; Müller, Alter und Recht (2010), 187 ff. 11 Wegweisend BVerfGE 9, 338. Eingehend zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Müller (Fn. 10), 249 ff. Hinter dem Zweck, die Leistungsfähigkeit der Betroffenen zu gewährleisten, können wiederum andere Zwecke stehen wie der Schutz der Adressaten der Altersgrenze vor Überlastung, der Schutz Dritter (z.B. vor fehlerhaften Dienstleistungen), die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege etc.; ebenso können hinter dem Zweck, eine bestimmte Altersstruktur zu gewährleisten, beschäftigungspolitische Erwägungen stehen wie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Gewährung von Aufstiegschancen oder sozialpolitische Erwägungen wie die Funktionsfähigkeit der kassenärztlichen Versorgung. 12 Vgl. BVerfGE 64, 72, 82: „Dabei wurde auf die allgemeine Auffassung hingewiesen, die sich nicht nur in den Altersgrenzen des öffentlichen Dienstes, sondern auch in den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen über den Beginn von Altersrenten niedergeschlagen hätte und die von einer Abnahme der Leistungsfähigkeit im siebten Lebensjahrzehnt ausgehe, die einen Einschnitt rechtlicher Art erlaubten und unter Umständen forderten.“; BVerfG NVwZ 1997, 1207 f.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26.08.2013 – 2 BvR 441/13. Igl, Diskriminierung im höheren Lebensalter: Bietet das Recht hinreichenden Schutz?, in: Bäcker/Heinze (Hrsg.) Soziale Gerontologie in gesellschaftlicher Verantwortung (2013), 167, 181, spricht insofern vom Generalisierungsgrundsatz. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 127/15 Seite 10 erfolgt oder die mit der Typisierung verbundenen Härten besonders schwer wiegen.13 In diesem Sinn nahm das BVerfG im Fall der nach der niedersächsischen Gemeindeordnung geltenden Höchstaltersgrenze für Bürgermeister eine Rechtfertigung angesichts des „Interesses der Allgemeinheit an einer kontinuierlichen und effektiven Amtsausübung von hauptamtlichen Bürgermeistern“ an.14 Auch die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie sieht Rechtfertigungsmöglichkeiten für Ungleichbehandlungen wegen des Alters vor.15 Diese führen im Ergebnis aber nicht zu strengeren Maßstäben, sondern entsprechen den vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an die Rechtfertigung von Altersgrenzen.16 5. Alternative Regelungsmöglichkeiten Bei den oben aufgeführten Altersgrenzen (vgl. tabellarische Übersichten) handelt es sich überwiegend um starre Altersgrenzen, d.h. das Erreichen der Altersgrenze löst nach der gesetzlichen Vorschrift eine zwingende Rechtsfolge (z.B. die Nichtwählbarkeit zum Bürgermeister) aus. Alternativ können Altersgrenzen aber auch flexibel ausgestaltet werden (Ziff. 5.1.). Darüber hinaus könnte man erwägen, die bestehenden Höchstaltersgrenzen anzuheben (Ziff. 5.2.) oder sie gänzlich als Anknüpfungspunkt für bestimmte Rechtsfolgen abzuschaffen (Ziff. 5.3.). 5.1. Flexible Höchstaltersgrenzen Eine flexible Ausgestaltung von Höchstaltersgrenzen kann man dadurch erreichen, dass man die Rechtsnorm auf Tatbestandsseite mit weiteren Kriterien verbindet (z.B. mit einem Eignungskriterium ) oder sie auf Rechtsfolgenseite als Ermessensvorschrift (z.B. als Kann- oder Soll-Regelung) fasst. Sowohl die Anreicherung der Norm mit weiteren Kriterien als auch die Einräumung von Ermessen hätte zur Folge, dass nicht allein die mit der Höchstaltersgrenze verbundene Typisierung die Rechtsfolge auslöst, sondern vielmehr eine Einzelfallprüfung stattzufinden hat. Diese kann sich – je nach den einschlägigen Kriterien – z.B. auf die Leistungsfähigkeit einer Person oder auf die zu wahrende Altersstruktur beziehen. Eine Beispiel für eine solche flexible Höchstaltersgrenze ist § 33 Nr. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Danach sollen Personen nicht zum Amt des Schöffen berufen werden, die das siebzigste Lebensjahr vollendet haben oder es bis zum Beginn der Amtsperiode vollenden würden. Durch die Soll-Vorschrift wird die Rechtsfolge der Nichtberufung insoweit 13 Siehe BVerfGE 111, 115, 137; Osterloh/Nußberger, in: Sachs, GG (7. Aufl. 2014), Rn. 104 ff. zu Art. 3. Zweifel an der Sachgerechtigkeit der Typisierung nach dem „allgemeinen Erfahrungssatz“ der abnehmenden Leistungsfähigkeit werden allerdings durch neuere Erkenntnisse der Altersforschung aufgeworfen, vgl. Müller (Fn. 10), 283. 14 BVerfG NVwZ 1997, 1207. Siehe dazu auch Wahlen, Altersdiskriminierung aufgrund von § 39 Absatz 2 Satz 2 der Hessischen Gemeindeordnung, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 3 – 3000 – 008/14). 15 Vgl. Art. 4 und Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG sowie die §§ 8, 10 AGG. Dazu auch Müller (Fn. 10), 215 ff., 334 ff. 16 So Müller (Fn. 10), 336. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 127/15 Seite 11 „aufgeweicht“, als sie nur in der Regel eintreten soll, Abweichungen von der Rechtsfolge der Nichtberufung im Einzelfall aber zulässt.17 5.2. Anhebung der Höchstaltersgrenzen Die Anhebung von (starren) Höchstaltersgrenzen würde ebenfalls zu einer „Abmilderung“ von Höchstaltersgrenzen führen. Allerdings bliebe dabei die typisierende Regelungsstruktur, die Einzelfallprüfungen bzw. Ausnahmen nicht zulässt, erhalten. 5.3. Abschaffung der Höchstaltersgrenzen Eine dritte Regelungsmöglichkeit besteht darin, die Höchstaltersgrenze als Tatbestandsmerkmal gänzlich abzuschaffen und allein auf die hinter den Altersgrenzen stehenden Gründe abzustellen. So könnte man beispielsweise im Fall der Schöffen die Altersgrenze in § 33 Nr. 2 GVG aufheben und es allein bei der Regelung in § 33 Nr. 4 GVG belassen, wonach Personen nicht berufen werden sollen, die „aus gesundheitlichen Gründen für das Amt nicht geeignet sind“.18 5.4. Gesetzgebungszuständigkeiten Zieht man entsprechende Gesetzesänderungen in Betracht, sind die jeweiligen Gesetzgebungszuständigkeiten zu beachten. Eine allgemeine Bundeszuständigkeit für Fragen der Altersdiskriminierung gibt es nicht. Vielmehr ist auf die jeweils betroffenen Sachbereiche abzustellen. So wäre der Bund nach Art. 72 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (Gerichtsverfassung) beispielsweise für die Änderung der Schöffenregelung im Gerichtsverfassungsgesetz zuständig. Die Änderung der landesgesetzlichen Altersregelungen obliegt hingegen den Landesgesetzgebern. Dies betrifft auch die gesetzliche Ausgestaltung der kommunalen Wahlämter. 6. Initiativen zur Abmilderung/Abschaffung von gesetzlichen Höchstaltersgrenzen Auf Landesebene ist eine Initiative der Landesregierung Brandenburgs hervorzuheben, die auf die Überprüfung aller altersdiskriminierenden Vorschriften abzielte.19 Im Ergebnis wurden 69 17 Vgl. dazu Barthe, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung (7. Aufl. 2013), GVG, Rn. 1 zu § 33: „Während § 32 die absolute Unfähigkeit zum Schöffenamt regelt, enthalten die §§ 33 und 34 Tatbestände, bei deren Vorliegen eine Person nicht zum Schöffen berufen werden 'soll', d.h. sie soll schon nicht in die Vorschlagslisten […] aufgenommen werden. Wird die Vorschrift nicht beachtet, ist die Wahl zum Schöffen voll wirksam […].“ 18 Die ebenfalls bei der Schöffenberufung zu beachtende Altersstruktur ist bereits nach § 36 Abs. 2 S. 1 GVG zu beachten , der wie folgt lautet: „Die Vorschlagsliste soll alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen berücksichtigen.“ 19 „Altersgrenzen in Brandenburger Rechtsvorschriften – Bestandsaufnahme und Bewertung, Maßnahme Ziffer 1 des seniorenpolitischen Maßnahmenpakets der Landesregierung >aktives Altern in Brandenburg…<, Stand: 03.12.2013, LT-Drs. Bbg. 5/8307. Eine ähnliche Überprüfung der landesrechtlichen Altersregelungen hat der Berliner Senat vorgenommen , vgl. Fn. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 127/15 Seite 12 von 85 „altersdiskriminierenden“ Normen für unverzichtbar gehalten und 16 als überarbeitungsbedürftig bewertet.20 Als Fazit der Überprüfung hielt man u.a. fest: „Noch zu oft wird pauschal von der >Unfähigkeit aufgrund von Alter< ausgegangen und nicht auf individuell unterschiedliche Voraussetzungen abgestellt. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und einem infolge dessen veränderten Altersgefüge hin zu einem immer größer und immer älter werdenden Anteil der Älteren an der Bevölkerung, die zudem in der Regel immer gesünder sind, ist ein Umdenken kontinuierlich erforderlich.“21 Ähnliche Initiativen mit dem Ziel der Überprüfung von Altersgrenzen wurden in den Bundesländern beispielsweise mit Kleinen Anfragen verfolgt.22 Darüber hinaus wurden die Höchstaltersgrenzen für Bürgermeister und Beigeordnete in Hessen (§§ 39 Abs. 2 S. 2, 39a Abs. 1 S. 3 Hessische Gemeindeordnung a.F.) abgeschafft. In Schleswig- Holstein liegt ein Gesetzentwurf zur Aufhebung der Höchstaltersbegrenzung für Bürgermeister und Landräte vor.23 Auf Bundesebene wurde die parlamentarische Initiative zum Thema „Altersbilder positiv fortentwickeln – Potenziale des Alters nutzen“ angenommen, die u.a. die an die Bundesregierung gerichtete Forderung enthielt, „bestehende Altersgrenzen in allen Lebensbereichen zu überprüfen und für den Einzelfall zu klären, ob die jeweilige Begründung noch zeitgemäß und gerechtfertigt ist“.24 Eine entsprechende Überprüfung der Altersgrenzen durch die Bundesregierung ist allerdings – soweit ersichtlich – noch nicht erfolgt. 20 Z.B. betreffend das Mindestalter der Wählbarkeit zum hauptamtlichen Bürgermeister (25 Jahre) sowie das Höchstalter der (Landes-)Verfassungsrichter (68 Jahre), vgl. LT-Drs. Bbg. 5/8307, 6 ff. 21 LT-Drs. Bbg. 5/8307, 8. 22 Vgl. LT-Drs. Nds. 16/3181; LT-Drs. Brem. 17/1391; LT-Drs. BW 14/842. 23 LT-Drs. SH 18/1550. 24 Vgl. BT-Drs. 17/8345 und PT-Plenarprotokoll 17/179, 21384D. Nicht erfolgreich waren hingegen ähnliche vorangegangene parlamentarische Initiativen, vgl. Vgl. BT-Drs. 17/11831 („Diskriminierung abbauen - in jedem Alter“) und BT-Plenarprotokoll 17/250, 32188B; BT-Drs. 17/2145 („Potenziale des Alters und des Alterns stärken – Die Teilhabe der älteren Generation durch bürgerschaftliches Engagement und Bildung fördern) und BT-Plenarprotokoll 17/179, 21385A.