© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 125/20 Zeugenvereidigung im Untersuchungsausschuss und Wahlprüfungsausschuss Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Rechtsprechung 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/20 Seite 4 1. Fragestellung Es stellen sich folgende beiden Fragen: – Sind Untersuchungsausschüsse und Wahlprüfungsausschüsse des Bundestages zur Vereidigung von Zeugen berechtigt? (Hierzu Abschnitt 2 und 4). – Inwieweit sind Falschaussagen vor Untersuchungsausschüssen und Wahlprüfungsausschüssen strafbar? (Hierzu Abschnitt 3). 2. Vereidigung nach einfachem Recht 2.1. Wahlprüfungsausschüsse In § 9 Wahlprüfungsgesetz ist eine Vereidigung von Zeugen durch den Wahlprüfungsausschuss ausdrücklich vorgesehen:1 „Für das gesamte Verfahren sind die für den Zivilprozess geltenden Bestimmungen entsprechend anzuwenden auf Fristen, Ladungen, Zustellungen, Vereidigungen und die Rechte und Pflichten von Zeugen und Sachverständigen.“ 2.2. Untersuchungsausschüsse Das Untersuchungsausschussgesetz (PUAG)2 aus dem Jahr 2001 sieht keine Vereidigung von Zeugen vor. Nach der Gesetzesbegründung war dies eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers: „Auf eine mögliche Vereidigung von Zeugen durch einen Untersuchungsausschuss soll ausdrücklich verzichtet werden. Zum einen entspricht ein ausdrücklicher Verzicht der ständigen Praxis der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages. Die gesetzliche Festschreibung widerspricht aber auch nicht der strafverfahrensrechtlichen Praxis, da auch die Gerichte zunehmend von Vereidigungen absehen. Eine mögliche Strafbarkeit wegen falscher uneidlicher Aussage bleibt durch die vorgeschlagene Änderung von § 153 StGB gewährleistet.“3 1 Im Vergleich hierzu ist „der Petitionsausschuss mangels gesetzlicher Grundlage nicht zur Vereidigung der Zeugen und Sachverständigen berechtigt“, Unger, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 45c Rn. 50. 2 https://www.gesetze-im-internet.de/puag/BJNR114210001.html. 3 BT-Drs. 14/5790 S. 19 (Hervorhebung durch Autor); zu den weiteren Argumenten, die auf einfachgesetzlicher Ebene gegen eine Vereidigung sprechen, wie z. B. die parlamentarische Praxis, siehe Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 26 Rn. 43 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/20 Seite 5 Vor Inkrafttreten des PUAG war eine Zeugenvereidigung vor dem Untersuchungsausschuss nach überwiegender Meinung nach Art. 44 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit §§ 59 ff. Strafprozessordnung (StPO) zulässig.4 3. Strafbarkeit von Falschaussagen 3.1. Tatbestände Nach § 153 Strafgesetzbuch (StGB) ist die falsche uneidliche Aussage ein Vergehen: „Wer vor Gericht oder vor einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständigen Stelle als Zeuge oder Sachverständiger uneidlich falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ Eine erhöhte Strafandrohung sieht § 154 Abs. 1 StGB für das Verbrechen des Meineids vor: „Wer vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle falsch schwört, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.“ § 161 Abs. 1 StGB kriminalisiert den fahrlässigen Falscheid: „Wenn eine der in den §§ 154 bis 156 bezeichneten Handlungen aus Fahrlässigkeit begangen worden ist, so tritt Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe ein.“ 3.2. Untersuchungsausschüsse Ein Untersuchungsausschuss ist im Sinne des StGB keine „zur Abnahme von Eiden zuständige Stelle“, § 162 Abs. 2 StGB: „Die §§ 153 und 157 bis 160, soweit sie sich auf falsche uneidliche Aussagen beziehen, sind auch auf falsche Angaben vor einem Untersuchungsausschuss eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes anzuwenden“ (Hervorhebung durch Autor). § 162 Abs. 2 StGB geht auf das PUAG und die gesetzliche Abschaffung der Vereidigungsmöglichkeit zurück.5 Der Meineid nach § 154 StGB und der fahrlässige Falscheid nach § 161 StGB sind von § 162 Abs. 2 StGB nicht erfasst. Daher kann sich ein Zeuge vor einem Untersuchungsausschuss nicht wegen Meineids oder Falscheids strafbar machen, auch wenn der Untersuchungsausschuss 4 Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 89. EL Oktober 2019, Art. 44 Rn. 210. 5 BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 424/19, S. 4 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/20 Seite 6 ihn vereidigt hat.6 Aufgrund des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots für Straftatbestände nach Art. 103 Abs. 2 GG ist dies wohl unbestritten. Es kommt nur eine Strafbarkeit wegen uneidlicher Falschaussage nach § 153 StGB in Betracht. 3.3. Wahlprüfungsausschüsse Für eidliche Falschaussagen vor einem Wahlprüfungsausschuss entfaltet § 162 Abs. 2 StGB seiner Entstehungsgeschichte nach keine Sperrwirkung.7 Damit kann sich ein Zeuge vor dem Wahlprüfungsausschuss wegen Meineids oder fahrlässigen Falscheids strafbar machen. 4. Vereidigung nach Verfassungsrecht Es stellt sich die Frage, ob Untersuchungsausschüsse des Bundestages – trotz der fehlenden Strafbarkeit eines Meineids oder Falscheids – aufgrund von Verfassungsrecht berechtigt sind, Zeugen zu vereidigen. 4.1. Grundsatz: Verweis auf Strafprozessordnung Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG lautet: „Auf Beweiserhebungen [des Untersuchungsausschusses] finden die Vorschriften über den Strafprozess sinngemäß Anwendung.“ Diese Allgemeinverweisung auf die Vorschriften über den Strafprozess sichert die rechtsstaatliche Ausgestaltung der Untersuchungsausschüsse und soll die effektive Erfüllung des Untersuchungsauftrags ermöglichen.8 Dabei ist zu berücksichtigen, dass Untersuchungsausschüsse und Strafprozesse unterschiedliche Ziele haben: Am Ende eines Untersuchungsausschusses kann „nur“ ein Bericht stehen, am Ende eines Strafprozesses hingegen eine lange Freiheitsstrafe. Daher geht es bei Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG nicht um die Anwendung der gesamten Strafprozessordnung, sondern um deren Prinzipien, soweit dies im 6 Müller, in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 162 Rn. 10; Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 26 Rn. 58; OLG Celle (2. Strafsenat), Urteil vom 4. November 2003 – 22 Ss 142/03, BeckRS 2004, 2445: „Eine beschworene Falschaussage vor einem Untersuchungsausschuss des Niedersächsischen Landtags kann trotz Art. 27 Abs. 6 S. 2 NdsVerf. wegen der in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes erlassenen geltenden Fassungen der § 153, § 154 StGB jedenfalls nicht als Meineid bestraft werden“; so auch Brocker, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 42. Edition, Stand: 1. Dezember 2019, Art. 44 Rn. 53, aber mit rechtspolitischer Kritik: „Ein de lege lata grotesker Rechtszustand, der darüber hinaus in bedenklicher Weise auf das parlamentarische Untersuchungsrecht der Landesparlamente ausstrahlt“ (siehe z. B. die Vereidigungsmöglichkeit in § 24 Hamburger UAG). 7 BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 424/19. 8 Versteyl, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 6. Auflage 2012, Art. 44 Rn. 36 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/20 Seite 7 Untersuchungsausschussverfahren sinnvoll ist.9 Es ist im Einzelfall zu prüfen, welche strafprozessualen Vorschriften in welchem Umfang anzuwenden sind.10 Die Verweisung hat dynamischen Charakter und ist vom jeweiligen Stand der StPO unabhängig.11 Der einfache Gesetzgeber kann die Verfahrensvorschriften zur sinngemäßen Anwendbarkeit der Vorschriften über den Strafprozess innerhalb des ihm überlassenen Spielraums interpretieren und verbindlich ausgestalten.12 Damit stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber des PUAG diesen ihm durch Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG eingeräumten Spielraum überschritten hat, insoweit er die Vereidigung von Zeugen ausgeschlossen hat. 4.2. Historische Auslegung: Vereidigung Eine Befugnis zur Zeugenvereidigung bestand unstreitig im Rahmen der weitgehend inhaltsgleichen Regelung nach Art. 34 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung (WRV).13 Die Bezugnahme nach Art. 34 Abs. 3 WRV auf die Vorschriften der StPO wurde nur eingefügt, um das Recht der Zeugenvereidigung hinzuzufügen.14 Mehrere Literaturstimmen gehen daher davon aus, dass der Verfassungsgesetzgeber das Vereidigungsrecht vorgegeben hat. Der einfache Gesetzgeber dürfe dem Untersuchungsausschuss diese verfassungsrechtlich verbürgte Befugnis nicht nehmen.15 4.3. Auslegung nach Sinn und Zweck: keine Vereidigung Die wohl überwiegende Zahl der Literaturstimmen geht jedenfalls im Ergebnis davon aus, dass der einfache Gesetzgeber die Vereidigung von Zeugen abschaffen konnte.16 Dabei führt diese Auffassung insbesondere folgende Argumente an: 9 Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 26 Rn. 64. 10 BVerfGE 67, 100 (128 ff.). 11 Versteyl, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 6. Auflage 2012, Art. 44 Rn. 36. 12 Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 89. EL Oktober 2019, Art. 44 Rn. 168. 13 Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 26 Rn. 47 unter Verweis auf die Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung. 14 BVerfGE 67, 100 (131). 15 Brocker, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 42. Edition, Stand: 1. Dezember 2019, Art. 44 Rn. 52; Glauben, in: Bonner Kommentar GG, 160. Aktualisierung März 2013, Art. 44 Rn. 109; Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 89. EL Oktober 2019, Art. 44 Rn. 210; Sacksofsky, in: Festschrift Schlinck, 2014, 221 (230): „Das Recht zur Vereidigung ist ein den Untersuchungsausschüssen verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht; der einfache Gesetzgeber kann es ihnen nicht entziehen.“; offengelassen von Pieper /Spoerhase, Untersuchungsausschussgesetz, 1. Auflage 2012, § 24 Rn. 3. 16 Siehe die Nachweise bei Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 26 Rn. 45. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/20 Seite 8 – Die Verweisung in Art. 44 Abs. 1 Satz 2 GG habe dynamischen Charakter und sei vom jeweiligen Stand der StPO unabhängig.17 – Durch die Neuregelung des § 59 StPO im Jahre 200418 sei die obligatorische Vereidigung im Strafverfahren entfallen. Seither sei die uneidliche Vernehmung der Regelfall. Auch aufgrund der schwindenden religiösen Bindung der Gesellschaft sei der Eid in der strafprozessualen Praxis nur noch ausnahmsweise als Mittel der Wahrheitsfindung eingesetzt.19 Diese abnehmende Bedeutung des Eides sei bei der Frage nach der „Sinngemäßheit“ der Anwendung der Zeugenvereidigung im Untersuchungsausschuss zu berücksichtigen.20 – Die fehlende Bedeutung für ein effizientes Untersuchungsverfahren ergebe sich auch aus der parlamentarischen Praxis: Nur in der 4. und 5. Wahlperiode gab es Vereidigungen in insgesamt zwei Ausschüssen.21 – Sei ein Untersuchungsausschuss schon strafrechtlich keine zur eidlichen Vernehmung von Zeugen zuständige Stelle, spreche auch dies gegen eine Vereidigungsmöglichkeit.22 Mangels Strafbarkeit führe der Eid nur zu einer moralisch-ethischen Verstärkung der Wahrheitspflicht, sei aber rechtlich folgenlos („ius nudum“).23 Dem letzten Argument begegnen insoweit Bedenken, als es auf Fakten aufbaut, die der einfache Gesetzgeber geschaffen hat (Straflosigkeit des Meineids vor dem Untersuchungsausschuss). Ob der einfache Gesetzgeber dies durfte, ist die Frage. Insoweit ist dieses Argument zirkulär. Auch spricht gegen die fehlende Bedeutung der Vereidigung in der Praxis, dass der 1. Untersuchungsausschuss der 14. Wahlperiode einen Mehrheitsbeschluss fasste, drei Zeugen zu vereidigen.24 17 Versteyl, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 6. Auflage 2012, Art. 44 Rn. 36. 18 Durch das Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004. 19 Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 26 Rn. 51 mit weiteren Nachweisen. 20 Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 26 Rn. 53. 21 Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 26 Rn. 54. 22 Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 26 Rn. 67 f.; Maier, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, § 59 Rn. 7; StGH Hessen, Urteil vom 16. November 2011, P.St. 2323, BeckRS 2011, 55885. 23 Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 26 Rn. 69. 24 Zu diesen Vereidigungen Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 26 Rn. 54. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/20 Seite 9 Gegen eine fehlende Bedeutung allgemein könnten auch das Recht und die Praxis der Untersuchungsausschüsse auf Landesebene sprechen, Zeugen zu vereidigen.25 4.4. Rechtsprechung Die Rechtsprechung ist – soweit ersichtlich – bislang nicht auf die Frage eingegangen, wie weit der Spielraum des Art. 44 Abs. 1 Satz 2 GG reicht. Das Verwaltungsgericht Berlin geht von der Möglichkeit einer Vereidigung im Ergebnis aus. Dabei verweist das Gericht unter anderem auf die Notwendigkeit effektiver Ermittlungsinstrumente, wozu auch die Vereidigung von Zeugen gehöre. Allerdings betrifft die Entscheidung aus dem Jahr 200326 einen Untersuchungsausschuss, auf den das PUAG noch nicht anwendbar war.27 Ferner geht die Entscheidung nicht auf die Frage ein, welchen Spielraum Art. 44 G dem einfachen Gesetzgeber einräumt. Der Staatsgerichtshof Hessen spricht sich im Jahr 2011 gegen eine Vereidigungsmöglichkeit von Zeugen aus.28 Allerdings befasst sich der Staatsgerichtshof nicht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes oder der Landesverfassung Hessen29 und prüft im Übrigen auch nur das hessische Recht zum Untersuchungsausschuss.30 Insoweit ist die Frage weiterhin gerichtlich ungeklärt, ob nach Art. 44 Abs. 1 Satz 2 GG eine Vereidigung von Zeugen verfassungsrechtlich vorgegeben ist. *** 25 Siehe nur OLG Celle, Urteil vom 4. November 2003 – 22 Ss 142/03, wo die Vereidigung nur aufgrund der zwischenzeitlichen Änderung des StGB im Ergebnis nicht zu einem Meineid führte; Niedersachsen hat jedoch kein Untersuchungsausschussgesetz . Siehe aber z. B. § 24 Abs. 1 Gesetz über die Untersuchungsausschüsse der Hamburgischen Bürgerschaft: „Der Untersuchungsausschuss entscheidet über die Vereidigung von Zeuginnen und Zeugen.“ 26 VG Berlin, NVwZ-RR 2003, 708 (709): „Der 1. Untersuchungsausschuss war [...] berechtigt, vom Kl[äger] die Eidesleistung zu verlangen“. 27 Siehe Art. 3 S. 2 Untersuchungsausschussgesetz vom 19. Juni 2001, BGBl. I 1142 (1148): „Auf im Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits eingesetzte Untersuchungsausschüsse findet das Gesetz keine Anwendung“; die Entscheidung betraf den bereits am 2. Dezember 1999 eingesetzten „Parteispenden“-Ausschuss und die in dessen Sitzung am 16. November 2001 verweigerte Vereidigung. 28 StGH Hessen, Urteil vom 16. November 2011, P.St. 2323, BeckRS 2011, 55885: „Die Vereidigung eines Zeugen vor einem Untersuchungsausschuss des Landes Hessen ist unzulässig, da an die Eidesleistung vor einem Untersuchungsausschuss keine besondere Strafdrohung mehr anknüpft [...]“. 29 Art. 92 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3: „Der Landtag hat das Recht und auf Antrag von einem Fünftel der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. […] Für die Beweiserhebungen der Ausschüsse und der von ihnen ersuchten Behörden gelten die Vorschriften der Strafprozessordnung sinngemäß, doch bleibt das Postgeheimnis unberührt.“ 30 §§ 54 und 97 Geschäftsordnung des Hessischen Landtages, aber kein Untersuchungsausschussgesetz, LT-Drs. 20/517.