© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 125/14 Grundgesetzliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern in den Bereichen Bildung und Wissenschaft Änderungshistorie und deren Hintergründe seit Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahr 1949 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Seite 2 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste Grundgesetzliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern in den Bereichen Bildung und Wissenschaft Änderungshistorie und deren Hintergründe seit Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahr 1949 Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 125/14 Abschluss der Arbeit: 24. Juni 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: + Seite 3 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Überblick über die gegenwärtige Verteilung der Kompetenzen 5 3. Phasen des Wandels 6 3.1. Verfassungsänderungen im Zusammenhang mit der Finanzreform von 1969 6 3.1.1. Hintergrund 6 3.1.2. Verfassungsänderungen im Einzelnen 7 3.1.2.1. Ergänzung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG: Regelung der Ausbildungsbeihilfen 7 3.1.2.2. Ergänzung von Art. 75 Abs. 1 GG a. F. um Nr. 1a: Allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens 8 3.1.2.3. Einfügung des Abschnitts VIIIa „Gemeinschaftsaufgaben“: Hochschulbau, Bildungsplanung und Wissenschaftsförderung 8 3.1.2.4. Einfügung von Art. 104a GG a. F. 10 3.2. Verfassungsreform von 1994 12 3.3. Föderalismusreform I von 2006 13 3.3.1. Hintergrund 13 3.3.2. Verfassungsänderungen im Einzelnen 13 3.3.2.1. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG, Abweichungsrecht der Länder nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 6 GG und Aufhebung der Rahmenkompetenz gemäß Art. 75 Abs. 1 Nr. 1a GG 13 3.3.2.2. Änderung von Art. 91a GG und Art. 91b GG: Abschaffung der echten Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ und geänderte Möglichkeit eines (fakultativen) Zusammenwirkens von Bund und Ländern bei Wissenschaft und Bildung 15 3.3.2.3. Änderung der Regelungen für Geldleistungsgesetze: Art. 104a Abs. 3 und 4 GG 17 3.3.2.4. Einfügung von Art. 104b GG: Änderung der Investitionshilfekompetenz des Bundes 18 3.4. Föderalismusreform II von 2009 19 4. Tabellarische Übersicht der Änderungshistorie der Gemeinschaftsaufgaben in den Bereichen Bildung und Wissenschaft 20 Seite 4 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste 1. Einleitung Nachdem eine Verständigung über die Finanzierung prioritärer Maßnahmen im Bereich Bildung erzielt wurde, präsentierten am 27. Mai 2014 Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble, der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg Olaf Scholz, die Bundesministerin für Bildung und Forschung Prof. Dr. Johanna Wanka, der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung Stefan Müller und die Ministerin für Bildung des Landes Rheinland-Pfalz Doris Ahnen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin das Ergebnis ihrer Einigung.1 Zur Umsetzung des Auftrages aus der Koalitionsvereinbarung heißt es in dem mit „Prioritäre Maßnahmen - Vorschlag für die Verteilung der finanziellen Mittel“ überschrieben Papier:„Neben der Finanzierung von Forschung über Forschungsinstitutionen wie Max- Planck-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft oder Fraunhofer-Gesellschaft sollte zukünftig auch die Möglichkeit bestehen, Hochschulen direkt zu fördern. Dazu ist vorgeschlagen worden, Artikel 91b, Absatz 1 GG wie folgt zu fassen: „(1) Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen in Fällen überregionaler Bedeutung bei der Förderung von Forschung und Lehre zusammenwirken. Mit Ausnahme der Förderung von Forschungsbauten, einschließlich Großgeräten, bedürfen die Vereinbarungen der Zustimmung aller Länder.“ Der endgültige Text der in Aussicht genommenen Verfassungsänderung soll im Benehmen zwischen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, den Verfassungsressorts, den Regierungsfraktionen und den Ländern vereinbart werden.“…. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung schlägt nunmehr in einem entsprechenden „Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91b)“2 eine erweiterte Kooperation von Bund und Ländern im Wissenschaftsbereich vor, die auch eine institutionelle Forschungsförderung im Hochschulbereich und nicht nur bei der außeruniversitären Forschung beinhaltet (Textvorschlag siehe 4. Übersicht). Hiermit soll die bisherige Problematik gelöst werden, dass der Bund gemeinsam mit den Ländern zwar außeruniversitäre Forschungseinrichtungen in Fällen überregionaler Bedeutung nach Art. 91b Abs. 1 Nr. 1 GG institutionell fördern kann, Einrichtungen von Wissenschaft und Forschung der Hochschulen vom Bund aber nicht in gleicher Weise unterstützt werden können. Nach Art. 91b Abs. 1 Nr. 2 GG können Bund und Länder an Hochschulen nur thematisch und zeitlich begrenzt „Vorhaben der Wissenschaft und Forschung“ in Fällen überregionaler Bedeutung gemeinsam fördern. Vor diesem Hintergrund soll nachfolgend die grundgesetzliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern in den Bereichen Bildung und Wissenschaft und ihre Änderungshistorie aufbereitet werden. Dabei ist zwischen Gesetzgebungskompetenzen, Gemeinschaftsaufgaben und Finanzierungszuständigkeiten zu unterscheiden. Ausgehend von der geltenden Verfassungslage (2.) werden die verschiedenen Grundgesetzänderungen und ihre jeweiligen Hintergründe im Bereich der Kompetenzen für Bildung und Wissenschaft seit Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahr 1949 bis heute näher beleuchtet (3.). Am Ende der Darstellung sind im Hinblick auf die 1 Zur Umsetzung der Koalitionsvereinbarungen im Einzelnen: http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Oeffentliche_Finanzen/Foederale _Finanzbeziehungen/Laenderhaushalte/2014-05-27-Vorschlag-Verteilung-Mittel.html. 2 Vorschlag mit Stand 16. Juni 2014 abzurufen unter: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/grundgesetzwanka -will-kooperationsverbot-bei-hochschulen-aufweichen-a-975702.html. Seite 5 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste aktuelle Änderungsdebatte um Art. 91b GG alle Fassungen der Gemeinschaftsaufgaben im Bereich Bildung und Wissenschaft tabellarisch zusammengestellt (4.). 2. Überblick über die gegenwärtige Verteilung der Kompetenzen Grundsätzlich gilt Art. 30 GG, nach dem die Ausübung staatlicher Befugnisse Sache der Länder ist, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt. Für die Gesetzgebung trifft Art. 70 Abs. 1 GG eine entsprechende Regelung. Im Hinblick auf die Verwaltungszuständigkeit bestimmt Art. 83 Abs. 1 GG, dass Bundesgesetze im Regelfall durch die Länder als eigene Angelegenheit ausgeführt werden. Art. 104a Abs. 1 GG regelt zur Finanzierungszuständigkeit, dass Bund und Länder gesondert die Ausgaben tragen, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt. Die Finanzierungszuständigkeit folgt der Verwaltungszuständigkeit.3 Dem Bund sind nach dem Grundgesetz nur für einzelne Aspekte im Bereich Bildung und Wissenschaft Kompetenzen zugewiesen. Im Übrigen gilt die oben dargelegte Zuständigkeit der Länder. Besonders die Hoheit auf dem Gebiete des Schulwesens wird als das Kernstück der Eigenstaatlichkeit der Länder gesehen.4 Als konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die frühkindliche Bildung ist die konkurrierende Kompetenz gemäß Art. 74 Abs. Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) zu nennen. Für den betrieblichen Teil der Berufsbildung wird die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes insbesondere aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 (Recht der Wirtschaft) und Nr. 12 GG (Arbeitsrecht) abgeleitet.5 Das schulische Berufsbildungswesen ist dagegen Ländersache. Weitere konkurrierende Gesetzgebungskompetenzen ergeben sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG (Regelung der Ausbildungsbeihilfen und Förderung der wissenschaftlichen Forschung) und Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG (Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse).6 Bei allen genannten Kompetenztiteln kann der Bund allerdings nur regeln, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht (Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung gemäß Art. 72 Abs. 2 GG). Es besteht zudem ein Abweichungsrecht der Länder gemäß Art. 72 Abs. 3 Nr. 6 GG von einer bundesgesetzlichen Regelung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG. Im Bereich der Finanzierungskompetenz gilt: Als Ausnahme zum Trennungsgebot des Art. 104a Abs. 1 GG können Bundesgesetze, die Geldleistungen gewähren und von den Ländern ausgeführt werden, bestimmen, dass die Geldleistungen ganz oder zum Teil vom Bund getragen werden 3 Siehe zur Kompetenzverteilung im Bereich Wissenschaft und Bildung auch: , Inwieweit ist die Kulturhoheit der Länder vom Grundgesetz abgesichert (Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG)?, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Sachstand WD 3 – 3000 – 207/11. 4 BVerfGE 6, 309, 346 f. 5 Siehe etwa zur Begründung der Gesetzgebungskompetenz: Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Gesetzes zur Reform der beruflichen Bildung (Berufsbildungsreformgesetz - BerBiRefG), BT-Drs. 15/3980, S. 40. 6 Außer Betracht bleibt nachfolgend der Wandel der Gesetzgebungskompetenzen im Bereich der Besoldung und Versorgung des Bildungs- und Wissenschaftspersonals. Seite 6 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste (Art. 104a Abs. 3 S. 1 GG). Ein Beispiel für ein Geldleistungsgesetz des Bundes im Bereich der Bildung und Wissenschaft ist das Bundesausbildungsförderungsgesetz – BAföG7. Für das BAföG gilt als Ausnahme von der Verwaltung als eigene Angelegenheit nach Art. 83 GG die Verwaltungskompetenz der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 104a Abs. 3 S. 2 GG (siehe auch § 39 BAföG). Art. 104b Abs. 1 S. 1 GG sieht unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit von Finanzhilfen des Bundes vor, nämlich bei Vorliegen der Gesetzgebungskompetenz des Bundes und weiterer wirtschaftsbezogener Voraussetzungen, wie z. B. dem Kriterium „Förderung des wirtschaftlichen Wachstums“. Sofern der Bund eine Gesetzgebungskompetenz im Bereich Bildung und Wissenschaft besitzt, steht ihm danach auch das Instrument der Finanzhilfen zur Verfügung. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notlagen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, darf der Bund nach Art. 104b Abs. 1 S. 2 GG auch ohne Gesetzgebungszuständigkeit den Ländern finanzielle Unterstützung gewähren. Neben den Gesetzgebungskompetenzen sind ferner die Einflussmöglichkeiten des Bundes über das Instrument der Gemeinschaftsaufgabe als Verwaltungs- und Finanzierungskompetenz zu nennen. Die diesbezüglichen Regelungen des Grundgesetzes sind lex specialis gegenüber Art. 30, 83 ff. und 104a Abs. 1 GG,8 die eine grundsätzlich getrennte Aufgabenerledigung vorsehen. Nach Art. 91b GG können Bund und Länder auf Grund von Vereinbarungen in Fällen überregionaler Bedeutung zusammenwirken bei der Förderung von Einrichtungen (z. B. Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG) und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung außerhalb von Hochschulen (Art. 91b Abs. 1 Nr. 1 GG). Gleiches gilt für Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen (Art. 91b Abs. 1 Nr. 2 GG). Ebenso ist eine Bund-Länder-Kooperation im Bereich von Forschungsbauten an Hochschulen einschließlich Großgeräten (Art. 91b Abs. 1 Nr. 3 GG) möglich. Nach Art. 91b Abs. 2 GG können Bund und Länder außerdem auf Grund von Vereinbarungen zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich und bei diesbezüglichen Berichten und Empfehlungen zusammenwirken (Stichwort „PISA“). 3. Phasen des Wandels 3.1. Verfassungsänderungen im Zusammenhang mit der Finanzreform von 1969 Erste bedeutende Änderungen erfuhr das Grundgesetz in den Bereichen Bildung und Wissenschaft im Zuge der Finanzreform mit mehreren Gesetzen zur Änderung des Grundgesetzes vom 12. Mai 1969.9 3.1.1. Hintergrund Ursprünglich war das Grundgesetz von 1949 strikt nach einem Trennsystem der föderalen Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern konzipiert (Modell des separativen Föderalismus). 7 Neugefasst durch Bek. v. 7. Dezember 2010 (BGBl I, S. 1952). 8 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl. 2012, Art. 91b Rn. 1. 9 BGBl. I 1969, S. 357 ff. Seite 7 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste Aufgabenzuteilung und -wahrnehmung sollten danach nicht durch Bund und Länder arrangiert werden, sondern auf einer klaren Aufteilung der Zuständigkeiten beruhen.10 Die Kulturhoheit sollte dabei in Abkehr der zentralistischen Ausrichtung des nationalsozialistischen Bildungssystems Kernstück der nach dem 2. Weltkrieg wieder erstarkten Eigenstaatlichkeit der Länder sein.11 Doch schon bald wuchs die Erkenntnis, dass die föderale Eigenstaatlichkeit im Bereich des Bildungswesens den Realitäten einer zunehmenden Verzahnung von Bildung und Wissenschaft mit Wirtschafts- und Sozialpolitik, einer auf die stärkere Vereinheitlichung drängenden öffentlichen Meinung und einem zunehmendem Finanzbedarf nicht gerecht werde.12 Schon früh gab es zwar erste Formen der Länderkooperation wie die 1948 gegründete Kultusministerkonferenz und später dann den Wissenschaftsrat (seit 1957) und den Deutschen Bildungsrat (seit 1965), aber die Reform von 1969 sollte nicht zuletzt die bereits praktizierte Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bildungsbereich auf eine gesicherte verfassungsrechtliche Grundlage stellen.13 Zudem wurden bestimmte, überregionale Aufgaben, wie das Hochschulwesen einschließlich Hochschulbau, in die gesamtstaatliche Verantwortung verlagert.14 Die Verfassungsänderungen von 1969 im Bereich von Bildung und Wissenschaft umfassen Änderungen bei den Gesetzgebungs- und Finanzierungszuständigkeiten und führen die Gemeinschaftsaufgaben in das Grundgesetz ein. 3.1.2. Verfassungsänderungen im Einzelnen 3.1.2.1. Ergänzung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG: Regelung der Ausbildungsbeihilfen Art. 74 Nr. 13 GG wurde durch das 22. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes15 ergänzt um den Bereich „Regelung der Ausbildungsbeihilfen“. Wortlaut der Regelung: „Art. 74 (1) Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich auf folgende Gebiete: … 13. die Regelung der Ausbildungsbeihilfen und die Förderung der wissenschaftlichen Forschung; …“16 10 Guckelberger, in: Härtel (Hrsg.), Handbuch Föderalismus, Bd. II, 2012, § 61 Rn. 10. 11 Guckelberger, in: Härtel (Hrsg.), § 61 Rn. 10. 12 Guckelberger, in: Härtel (Hrsg.), § 61 Rn. 11. 13 Guckelberger, in: Härtel (Hrsg.), § 61 Rn. 11. 14 Guckelberger, in: Härtel (Hrsg.), § 61 Rn. 15. 15 BGBl. I 1969, S. 363. 16 BGBl. I 1969, S. 363. Seite 8 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste 3.1.2.2. Ergänzung von Art. 75 Abs. 1 GG a. F. um Nr. 1a: Allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens Mit dem bereits genannten 22. Änderungsgesetz wurde außerdem die Rahmengesetzgebung um den Bereich der allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens ergänzt. Durch die Formulierung „Grundsätze“ wurde die gewünschte zurückhaltende Handhabung der Rahmenkompetenz durch den Bund zum Ausdruck gebracht.17 Außerdem war eine kooperative Gesetzgebung auf dem Gebiet des Hochschulwesens intendiert. Wortlaut der Regelung: „Art. 75 (1) Der Bund hat das Recht, unter den Voraussetzungen des Artikels 72 Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder zu erlassen über: … 1a. die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens; … Artikel 72 Abs. 3 gilt entsprechend. (2) Rahmenvorschriften dürfen nur in Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen enthalten. (3) Erläßt der Bund Rahmenvorschriften, so sind die Länder verpflichtet, innerhalb einer durch das Gesetz bestimmten angemessenen Frist die erforderlichen Landesgesetze zu erlassen.“18 3.1.2.3. Einfügung des Abschnitts VIIIa „Gemeinschaftsaufgaben“: Hochschulbau, Bildungsplanung und Wissenschaftsförderung Mit dem 21. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes19 wurden die Gemeinschaftsaufgaben des Art. 91a und b GG a. F. eingeführt, die die auf den in diesem Abschnitt genannten Gebieten bereits faktisch bestehende Zusammenarbeit einer verfassungsrechtlichen Regelung zuführen sollten.20 Die Fonds- und Dotationspraxis des Bundes und der daraus resultierende Einfluss des Bundes auf die Landespolitik sollte rechtlich eingedämmt werden.21 Für den Bereich Bildung und Wissenschaft sind Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG a. F. und Art. 91b GG a. F. als Neuerungen zu nennen. Nach Art. 91a Abs. 1 Nr. 1a GG a. F. von 1969 wirkt der Bund beim „Aus- und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken“ mit, wenn diese Aufgabe für die Gesamtheit bedeutsam und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist. Das Wort „wissenschaftliche“ wurde allerdings mit dem 27. Gesetz zur 17 Guckelberger, in: Härtel (Hrsg.), § 61 Rn. 17. 18 BGBl. I 1969, S. 363. 19 BGBl. I 1969, S. 359. 20 Guckelberger, in: Härtel (Hrsg.), § 61 Rn. 18. 21 Mager, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz, Kommentar, Bd. 2, 6. Aufl., 2012, Art. 91a Rn. 1. Seite 9 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste Änderung des Grundgesetzes22 gestrichen. Fortan heißt es „Aus- und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken“. Nach Art. 91a Abs. 4 GG a. F. von 1969 trägt der Bund die Hälfte der Ausgaben in jedem Land. Die Zielsetzung dieser Regelung war das gemeinsame Interesse von Bund und Ländern an einer ausreichenden Anzahl gut ausgestatteter Hochschulen.23 Zugleich wurde eine zwingende Mitwirkung des Bundes festgelegt. Die Regelung eines festen Beteiligungsverhältnisses im Grundgesetz sollte Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern über die Beteiligungsquoten verhindern und die partnerschaftliche Gleichberechtigung von Bund und Ländern bei der Erfüllung der Gemeinschaftsaufgaben durch gleiche Finanzierungsquoten zum Ausdruck bringen.24 Wortlaut der Regelung: „Art. 91a GG (1) Der Bund wirkt auf folgenden Gebieten bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist (Gemeinschaftsaufgaben): 1. Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken, … (2) Durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates werden die Gemeinschaftsaufgaben näher bestimmt. Das Gesetz soll allgemeine Grundsätze für ihre Erfüllung enthalten. (3) Das Gesetz trifft Bestimmungen über das Verfahren und über Einrichtungen für eine gemeinsame Rahmenplanung. Die Aufnahme eines Vorhabens in die Rahmenplanung bedarf der Zustimmung des Landes, in dessen Gebiet es durchgeführt wird. (4) Der Bund trägt in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und 2 die Hälfte der Ausgaben in jedem Land. In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 trägt der Bund mindestens die Hälfte; die Beteiligung ist für alle Länder einheitlich festzusetzen. Das Nähere regelt das Gesetz. Die Bereitstellung der Mittel bleibt der Feststellung in den Haushaltsplänen des Bundes und der Länder vorbehalten. (5) Bundesregierung und Bundesrat sind auf Verlangen über die Durchführung der Gemeinschaftsaufgaben zu unterrichten.“25 Des Weiteren wurde in Art. 91b S. 1 GG a. F. die Möglichkeit eines Zusammenwirkens von Bund und Ländern bei der Bildungsplanung und bei der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung geschaffen. Anders als bei der echten Gemeinschaftsaufgabe gemäß Art. 91a Nr. 1 GG a. F., ist hier die Zusammenarbeit fakultativ. Die Kostenverteilung wird nach Art. 91b S. 2 GG a. F. in einer Vereinbarung geregelt. Letzeres sollte eine der jeweiligen Zusammenarbeit angepasste Finanzierungsregelung ermöglichen.26 Die Möglichkeit gemeinsamer Bildungsplanung und Forschungsförderung wurde allgemein vor dem 22 BGBl. I 1970, S. 1161. 23 BT-Drs. V/2861, S. 26; Guckelberger, in: Härtel (Hrsg.), § 61 Rn. 18. 24 BT-Drs. V/2861, S. 28. 25 BGBl. I 1970, S. 1161. 26 BT-Drs. V/2862, S. 51. Seite 10 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste Hintergrund der großen Bedeutung der Forschung für die gesamtstaatliche Entwicklung und die internationale Wettbewerbsfähigkeit in das Grundgesetz eingefügt; die bereits vor 1969 bestehende Staatspraxis wurde so legitimiert.27 Die Voraussetzung der „überregionalen Bedeutung“ wurde in der Gesetzesbegründung u.a. mit „besonders bedeutsamen Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung“ umschrieben.28 Insbesondere Sonderforschungsbereiche müssten an den wissenschaftlichen Hochschulen gebildet werden, in denen bestimmte kostspielige Aufgaben schwerpunktmäßig wahrgenommen würden. Dies sei nur möglich auf Grund gemeinsamer Planung und Finanzierung von Bund und Ländern. Weitere Beispiele für Vorhaben von überregionaler Bedeutung, bei denen ebenfalls eine Zusammenfassung der Kräfte angestrebt wird, seien das Krebsforschungszentrum in Heidelberg und die Rechenzentren.29 Der Aspekt der Bildungsplanung wurde erst später in das Gesetzgebungsverfahren eingeführt. Seine Einfügung ist das Ergebnis eines Kompromisses, nachdem die Länder eine Rahmenkompetenz des Bundes in diesem Kernbereich der Länderkompetenz abgelehnt hatten.30 Letztlich einigte man sich auf die Möglichkeit gemeinsamer Bildungsplanung, um so durch Länderkoordinierung die innerstaatliche Mobilität und sozialstaatlich gewährleisteten Grundrechtsgehalte zu sichern.31 Die gemeinsame Bildungsplanung umfasste sämtliche Bildungsbereiche von der vorschulischen Erziehung über das gesamte allgemeine Schulwesen, das Hochschulwesen, die Fort- und Weiterbildung bis zur Erwachsenenbildung.32 In der Praxis fand diese Kooperation nach Art. 91b S. 1 GG a. F. aber letztlich nur bis 1980 statt.33 Wortlaut der Regelung: „Art. 91b GG Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen bei der Bildungsplanung und bei der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung zusammenwirken. Die Aufteilung der Kosten wird in der Vereinbarung geregelt.“34 3.1.2.4. Einfügung von Art. 104a GG a. F. Mit dem 21. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes35 wurden – als Ausnahme zum Konnexitätsgrundsatz – auch Regelungen zur Finanzierung von Geldleistungsgesetzen und die Investi- 27 Mager, in: v. Münch/Kunig, Art. 91b Rn. 1. 28 BT-Drs. V/2862, S. 29. 29 BT-Drs. V/2862, S. 29. 30 Mager, in: v. Münch/Kunig, Art. 91b Rn. 5. 31 Mager, in: v. Münch/Kunig, Art. 91b Rn. 5. 32 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 91b Rn. 2. 33 Mager, in: v. Münch/Kunig, Art. 91b Rn. 5. 34 BGBl. I 1969, S. 359. 35 BGBl. I 1969, S. 359. Seite 11 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste tionshilfekompetenz des Bundes durch einen neuen Art. 104a GG a. F. eingeführt. Mit diesen Bestimmungen wurde u. a. die bereits existierende Mischfinanzierung verfassungsrechtlich begrenzt.36 Nach Art. 104a Abs. 3 S. 1 GG a. F. konnten Geldleistungsgesetze, die von den Ländern ausgeführt werden, bestimmen, dass die Geldleistungen ganz oder teilweise vom Bund getragen werden. Nach S. 2 galt Bundesauftragsverwaltung, wenn der Bund die Hälfte der Ausgaben oder mehr trägt. S. 3 enthielt einen Zustimmungstatbestand für den Bundesrat, wenn die Länder nach dem Gesetz ein Viertel der Ausgaben oder mehr zu tragen hatten. Art. 104a Abs. 3 GG a. F. betraf im Bildungssektor z. B. das BAföG, das 197137 eingeführt wurde. Art. 104a Abs. 4 S. 1 GG a. F. ermöglichte unter bestimmten Voraussetzungen Finanzhilfen des Bundes an die Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände): Zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder zur Förderung des wirtschaftlichen Gleichgewichts. Nach S. 2 regelte das Nähere ein zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz oder eine Verwaltungsvereinbarung aufgrund des Bundeshaushaltsgesetzes. Mit der Investitionshilfekompetenz des Bundes sollten die allgemeine Wirtschaftstätigkeit angeregt und eine gleichgewichtige Wirtschaftsentwicklung wiederhergestellt bzw. die ungleichmäßige wirtschaftliche Entwicklung in den verschiedenen Regionen des Bundesgebiets verhindert werden.38 Nach Art. 104a Abs. 4 GG a. F. durften Finanzhilfen durch den Bund auch in Bereichen der reinen Länderzuständigkeiten gewährt werden. So konnte auf diese Basis z.B. später das Ganztagsschulprogramm gestützt werden.39 Allerdings eröffnete Art. 104a Abs. 4 S. 1 GG a. F. wegen der hiernach geforderten Wirtschaftsbezogenheit keine allgemeine Möglichkeit der Bund-Länder- Kooperation im Bildungswesen, wie Art. 91b GG a. F. dies vorsah.40 Wortlaut der Regelung: „Art. 104a … (3) Bundesgesetze, die Geldleistungen gewähren und von den Ländern ausgeführt werden, können bestimmen, daß die Geldleistungen ganz oder zum Teil vom Bund getragen werden. Bestimmt das Gesetz, daß der Bund die Hälfte der Ausgaben oder mehr trägt, wird es im Auftrage des Bundes durchgeführt. Bestimmt das Gesetz, daß die Länder ein Viertel der Ausgaben oder mehr tragen, so bedarf es der Zustimmung des Bundesrates. (4) Der Bund kann den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) gewähren, die zur Abwehr einer Störung des gesamtwirt- 36 Siekmann, in: Sachs, GG, 5. Aufl., 2009, Vor Art. 104a Rn. 1. 37 BGBl. I 1971, S. 1409. 38 BT-Drs. V/2861, S. 52. 39 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 104b Rn. 2. 40 Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog, Bd. VI, Stand: 70. Erglfg., 2013, Art. 91b Rn. 20 (18. Lfg.). Seite 12 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste schaftlichen Gleichgewichts oder zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums erforderlich sind. Das Nähere, insbesondere die Arten der zu fördernden Investitionen, wird durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, oder auf Grund des Bundeshaushaltsgesetzes durch Verwaltungsvereinbarung geregelt. …“41 3.2. Verfassungsreform von 1994 In Bezug auf die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Bereich Bildung und Wissenschaft brachte die Verfassungsreform 199442 nur zwei Neuerungen: Zum Schutz der Länder vor einer ausufernden Bundesgesetzgebung wurde die Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG a. F in eine Erforderlichkeitsklausel umgewandelt. Aus diesem Grund wurde auch die Rahmengesetzgebungskompetenz gemäß Art. 75 GG a. F. um einen Abs. 1 ergänzt. Danach durften Rahmengesetze nur in Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende und unmittelbar geltende Regelungen enthalten. Wortlaut der Regelungen: „Art. 72 GG (1) Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung , solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. (2) Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht.“43 „Art. 75 GG (1) Der Bund hat das Recht, unter den Voraussetzungen des Artikels 72 Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder zu erlassen über: 1. die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienste der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Personen, soweit Artikel 74a nichts anderes bestimmt; 1a. die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens; 2. die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse; 3. das Jagdwesen, den Naturschutz und die Landschaftspflege; 4. die Bodenverteilung, die Raumordnung und den Wasserhaushalt; 5. das Melde- und Ausweiswesen; 6. den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland. Artikel 72 Abs. 3 gilt entsprechend. (2) Rahmenvorschriften dürfen nur in Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen enthalten. 41 BGBl. I 1969, S. 359. 42 BGBl. I 1994, S. 3146. 43 BGBl. I 1994, S. 3146. Seite 13 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste (3) Erläßt der Bund Rahmenvorschriften, so sind die Länder verpflichtet, innerhalb einer durch das Gesetz bestimmten angemessenen Frist die erforderlichen Landesgesetze zu erlassen.“44 3.3. Föderalismusreform I von 2006 Weitreichende Änderungen in den Bereichen Bildung und Wissenschaft erfolgten durch die Föderalismusreform I von 200645. 3.3.1. Hintergrund Ziel der Föderalismusreform I war allgemein, die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern zu verbessern, die politischen Verantwortlichkeiten deutlicher zuzuordnen sowie die Zweckmäßigkeit und Effizienz der Aufgabenerfüllung zu steigern.46 Konkret ging es um eine klarere Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern, die Reduzierung von Zustimmungstatbeständen, um Blockaden durch den Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren zu vermeiden, den Abbau von Mischfinanzierungen sowie die Stärkung der Europatauglichkeit des Grundgesetzes.47 3.3.2. Verfassungsänderungen im Einzelnen 3.3.2.1. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG, Abweichungsrecht der Länder nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 6 GG und Aufhebung der Rahmenkompetenz gemäß Art. 75 Abs. 1 Nr. 1a GG Mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG wurde für den Bereich der Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse eine neue konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes geschaffen. Gleichzeitig wurde – mit dem Ziel einer stärkeren Abgrenzbarkeit der Kompetenzen von Bund und Ländern – das Instrument der Rahmengesetzgebung vollständig gestrichen. Angestrebt wurde mit der Beschränkung der neuen konkurrierenden Zuständigkeit auf die genannten Bereiche auch ein Kompetenzzuwachs der Länder im Bereich des Hochschulrechts.48 Mit der Kompetenz für die Hochschulzulassung sollte der Bund – im Sinne einer Voll- und nicht wie bisher nur Rahmenkompetenz – die Möglichkeit haben, insbesondere bei bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen Vorgaben für die Ermittlung und vollständige Ausschöpfung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten der Hochschulen sowie für die Vergabe der Studienplätze und Auswahlverfahren einheitlich zu regeln.49 Dies dient der Sicherstellung 44 BGBl. I 1994, S. 3147. 45 BT-Drs. 16/813. 46 BT-Drs. 16/813, S. 1. 47 BT-Drs. 16/813, S. 7. 48 BT-Drs. 16/813, S. 14. 49 BT-Drs. 16/813, S. 14. Seite 14 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste der verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein transparentes und faires Vergabeverfahren. Nach der Gesetzesbegründung sind hiervon nicht die Regelung von Studiengebühren sowie Regelungen zum Hochschulzugang mit Bezug zur Länderhoheit für das Schulwesen erfasst.50 Auf der Grundlage der Kompetenz für die Hochschulabschlüsse kann der Bund im Interesse der Gleichwertigkeit einander entsprechender Studienleistungen und -abschlüsse die Abschlussniveaus und die Regelstudienzeiten zu regeln.51 Dies geschieht mit dem Ziel eines Beitrags zur Verwirklichung des einheitlichen europäischen Hochschulraums und zur internationalen Akzeptanz deutscher Hochschulabschlüsse. Die Länder haben nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 6 GG nunmehr ein Abweichungsrecht, wenn der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG Gebrauch gemacht hat. Das Instrument der Abweichungsgesetzgebung wurde durch die Föderalismusreform I eingeführt und soll den Ländern die Möglichkeit eröffnen, in den genannten Bereichen abweichend von der Regelung des Bundes eigene Konzeptionen zu verwirklichen und auf ihre unterschiedlichen strukturellen Voraussetzungen und Bedingungen zu reagieren.52 Wortlaut der Regelungen: „Art. 72 (1) Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung , solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. (2) Auf den Gebieten des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 4, 7, 11, 13, 15, 19a, 20, 22, 25 und 26 hat der Bund das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. (3) Hat der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht, können die Länder durch Gesetz hiervon abweichende Regelungen treffen über: … 6. die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse. Bundesgesetze auf diesen Gebieten treten frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft, soweit nicht mit Zustimmung des Bundesrates anderes bestimmt ist. Auf den Gebieten des Satzes 1 geht im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht das jeweils spätere Gesetz vor. (4) Durch Bundesgesetz kann bestimmt werden, daß eine bundesgesetzliche Regelung, für die eine Erforderlichkeit im Sinne des Absatzes 2 nicht mehr besteht, durch Landesrecht ersetzt werden kann.“53 50 BT-Drs. 16/813, S. 14. 51 BT-Drs. 16/813, S. 14. 52 BT-Drs. 16/813, S. 11. 53 BGBl. I 2006, S. 2034. Seite 15 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste „Art. 74 (1) Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich auf folgende Gebiete: … 33. die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse. …“54 3.3.2.2. Änderung von Art. 91a GG und Art. 91b GG: Abschaffung der echten Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ und geänderte Möglichkeit eines (fakultativen) Zusammenwirkens von Bund und Ländern bei Wissenschaft und Bildung Die Gemeinschaftsaufgabe des Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG a. F. „Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken“, ein Produkt der bildungs- und forschungspolitischen Aufbruchstimmung der 1960er Jahre55, wurde mit der Vollendung des quantitativen Ausbaus der Hochschulen gestrichen, um so den Weg frei zu machen für weitere Investitionen in den Qualitätsausbau von Wissenschaft und Forschung.56 Die Neustrukturierung der Gemeinschaftsaufgabe wurde auch im Hinblick auf die notwendige Entflechtung von Zuständigkeiten für erforderlich gehalten.57 Die Streichung der (echten) Gemeinschaftsaufgabe des Hochschulbaus gilt zudem als Beitrag zum Abbau von Mischfinanzierungen und zur Stärkung der Länder.58 Finanzielle Kompensationsregelungen enthält der neu geschaffene Art. 143c GG.59 Der neu gefasste Art. 91b GG ist die bis heute geltende Grundlage des möglichen Zusammenwirkens von Bund und Ländern im Bereich der Forschungsförderung in Fällen überregionaler Bedeutung und bei der Bildungsevaluation im internationalen Vergleich. Folgendes ist im Vergleich zur früheren Fassung (Art. 91b S. 1 GG a. F. „Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung“) hervorzuheben : Die auch bis 2006 bestehende Möglichkeit der gemeinsamen Forschungsförderung an Hochschulen wird mit der Neuregelung fortgesetzt (Art. 91b Abs. 1 Nr. 2 GG „Forschung an Hochschulen“). Diese Vorschrift umfasst allerdings – wie auch nach alter Rechtslage – nicht die Förderung von Bauten und Großgeräten. Dies wurde vor 2006 durch die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ nach Art. 91a Nr. 1 GG a. F. abgedeckt. Seit 2006 sind Forschungsbauten an Hochschulen einschließlich Großgeräten über Art. 91b Nr. 3 GG förderungsfähig. Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied zur alten Rechtslage. Die institutionelle Förderung von Hoch- 54 BGBl. I 2006, S. 2035. 55 Siekmann, in: Sachs, GG, Grundgesetz, 5. Aufl. 2009, Art. 91b Rn. 1. 56 Mager, in: v. Münch/Kunig, Art. 91b Rn. 4. 57 BT-Drs. 16/813, S. 15. 58 BT-Drs. 16/813, S. 15. 59 Siehe hierzu im Einzelnen: , Welche Mitwirkungsrechte hat der Bund im Bereich der Hochschulfinanzierung durch die Föderalismusreform I aufgegeben?, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Sachstand WD 3 – 3000 – 103/14. Seite 16 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste schulen wurde bewusst im neuen Art. 91b Abs. 1 Nr. 2 GG mit der Beschränkung auf „Vorhaben“ ausgeklammert; in Art. 91b S. 1 GG a. F. hieß es dagegen „Einrichtungen und Vorhaben“. Als Folge dieser Neuregelung ist ein Zusammenwirken von Bund und Ländern beim allgemeinen Aus- und Neubau der Hochschulen einschließlich dem Hochschulklinikbau ausgeschlossen. Die Projektförderung an Hochschulen („Vorhaben“) ist weiterhin möglich.60 Projektförderung liegt nur dann vor, wenn Ausgaben für einen sachlich abgrenzbaren Zweck getätigt werden.61 Mit der Formulierung „Wissenschaft und Forschung“ ist dagegen seit 2006 auch die Förderung von Vorhaben der Lehre möglich.62 Dies war nach Art. 91b GG a. F. nicht möglich.63 Für die Forschung außerhalb von Hochschulen gilt anders als bei der Hochschulforschung seit der Föderalismusreform I der neue Art. 91b Abs. 1 Nr. 1 GG: Hiernach ist auch die institutionelle Förderung („Einrichtungen“) möglich. Der Bund darf somit Ausgaben zur Deckung der allgemeinen Kosten tätigen.64 Für alle Fördertatbestände des Art. 91b Abs. 1 GG ist die „überregionale Bedeutung“ der Fälle wie auch nach alter Rechtslage Voraussetzung. In der Gesetzesbegründung zur Föderalismusreform I wird hierzu ausgeführt, „dass es sich um eine Förderung handeln muss, die Ausstrahlungskraft über das einzelne Land hinaus hat und bedeutend ist im nationalen oder internationalen Kontext. Eine weitere Konkretisierung des Begriffes muss im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung erfolgen, auf deren Grundlage das Zusammenwirken von Bund und Ländern in der Forschungsförderung erst möglich wird.“65 Das Zusammenwirken von Bund und Länder im Bereich Bildung wurde eingeschränkt: Während Art. 91b S. 1 GG a. F. die Möglichkeit der gemeinsamen Bildungsplanung im Allgemeinen vorsah, ist die seit 2006 bestehende Gemeinschaftsaufgabe auf die „Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich und bei diesbezüglichen Berichten und Empfehlungen “ beschränkt (Art. 91b Abs. 2 GG). Zur Begründung wird im Gesetzentwurf zur Föderalismusreform I angeführt, dass die übergreifende Bildungsplanung letztlich nicht realisiert worden sei und daher durch eine zukunftsorientierte gemeinsame Evaluation und Bildungsberichterstattung zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich ersetzt werde.66 Die neue Gemeinschaftsaufgabe hat laut Gesetzesbegrünung drei Elemente: Gemeinsame Feststellung und gemeinsame Berichterstattung und die Möglichkeit der Abgabe von gemeinsamen Empfehlungen. Es sollten Grundinformationen (einschließlich Finanz- und Strukturdaten) mit dem Ziel geschaffen werden, die internationale 60 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 91b Rn. 4. 61 Volkmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl., 2010, Art. 91b Rn. 11. 62 Volkmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 91b Rn. 11. 63 Mager, in: v. Münch/Kunig, Art. 91b Rn. 20. 64 Volkmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 91b Rn. 11. 65 BT-Drs. 16/813, S. 17. 66 BT-Drs. 16/813, S. 17. Seite 17 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste Gleichwertigkeit und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Bildungswesens zu gewährleisten.67 Für Folgerungen aus diesem Zusammenwirken seien – unbeschadet eventueller gemeinsamer Empfehlungen – allein die Länder zuständig, soweit nicht der Bund konkrete Zuständigkeiten habe (außerschulische berufliche Bildung und Weiterbildung, Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse). Die bestehende Zusammenarbeit der Länder und des Bundes zur nationalen Bildungsberichterstattung bleibe als notwendige Grundlage internationaler Berichtspflichten und internationaler Vergleiche unberührt und werde weitergeführt.68 Im Hinblick auf die Kostentragung im Bereich der neu gefassten Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91b GG ergibt sich ebenfalls eine Änderung gegenüber der alten Regelung von 1969. Während früher von „Aufteilung“ der Kosten (Art. 91b S. 2 GG a. F.) die Rede war, heißt es nunmehr in der bis heute gültigen Fassung des Art. 91b Abs. 3 GG: „Die Kostentragung wird in einer Vereinbarung geregelt.“ Somit ist nunmehr auch eine einseitige Kostentragung durch einen der Vertragspartner möglich.69 Es wird klargestellt, dass der Bund auch alleine fördern darf.70 Wortlaut der Regelung: „Art. 91b (1) Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen in Fällen überregionaler Bedeutung zusammenwirken bei der Förderung von: 1. Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung außerhalb von Hochschulen; 2. Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen; 3. Forschungsbauten an Hochschulen einschließlich Großgeräten. Vereinbarungen nach Satz 1 Nr. 2 bedürfen der Zustimmung aller Länder. (2) Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich und bei diesbezüglichen Berichten und Empfehlungen zusammenwirken. (3) Die Kostentragung wird in der Vereinbarung geregelt.“71 3.3.2.3. Änderung der Regelungen für Geldleistungsgesetze: Art. 104a Abs. 3 und 4 GG Die Regelung der Investitionshilfekompetenz des Bundes gemäß Art. 104a Abs. 4 GG a. F. wurde ebenfalls 2006 geändert und in einen neuen Art. 104b GG verlagert. Art. 104a Abs. 3 und 4 GG betreffen seit der Reform von 2006 die Geldleistungsgesetze, im Bildungssektor z. B. für das BAföG maßgeblich. Letzeres unterfällt der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 104a Abs. 3 S. 2 GG. Diese Vorschrift ist gegenüber der Reform von 1969 unverändert geblieben: Bestimmt das Gesetz, dass der Bund die Hälfte der Ausgaben oder mehr trägt, wird es im Auftrage des Bundes durchgeführt. 67 BT-Drs. 16/813, S. 17. 68 BT-Drs. 16/813, S. 17. 69 Mager, in: v. Münch/Kunig, Art. 91b Rn. 31. 70 BT-Drs. 16/813, S. 16. 71 BGBl. I 2006, S. 2036. Seite 18 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste Der Zustimmungstatbestand in Art. 104a Abs. 3 S. 3 GG a. F. wurde allerdings in der Verfassungsänderung von 2006 gestrichen. Eine Neuregelung enthält nunmehr Art. 104a Abs. 4 GG. Sie ersetzt und erweitert Art. 104a Abs. 3 S. 3 GG a. F. mit dem Ziel eines weitergehenden Schutzes der Länder vor Kostenlasten aufgrund von Bundesgesetzen.72 Die Vorschrift sieht nunmehr vor, dass Bundesgesetze, die Pflichten der Länder zur Erbringung von Geldleistungen, geldwerten Sachleistungen oder vergleichbaren Dienstleistungen gegenüber Dritten begründen und von den Ländern als eigene Angelegenheit oder nach Absatz 3 Satz 2 im Auftrag des Bundes ausgeführt werden, der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, wenn daraus entstehende Ausgaben von den Ländern zu tragen sind. Damit wurde auch der aufgrund der alten Regelung bestehende Streit geklärt, ob auch ohne gesetzliche Kostenverteilungsregelung der Zustimmungstatbestand einschlägig ist.73 Früher hieß es: „Bestimmt das Gesetz, dass…“. Außerdem galt die Zustimmungsbedürftigkeit bis 2006 erst ab einer Kostentragungsquote der Länder von einem Viertel (Art. 104a Abs. 3 S. 2 GG a. F.), nunmehr greift sie bereits unabhängig von einer bestimmten Quote, sobald die Länder nach dem Bundegesetz Kosten zu tragen haben und entfällt, wenn der Bund die Kosten zu Hundert Prozent trägt. Wortlaut der Regelung: „Art. 104a … (3) Bundesgesetze, die Geldleistungen gewähren und von den Ländern ausgeführt werden, können bestimmen, daß die Geldleistungen ganz oder zum Teil vom Bund getragen werden. Bestimmt das Gesetz, daß der Bund die Hälfte der Ausgaben oder mehr trägt, wird es im Auftrage des Bundes durchgeführt. (4) Bundesgesetze, die Pflichten der Länder zur Erbringung von Geldleistungen, geldwerten Sachleistungen oder vergleichbaren Dienstleistungen gegenüber Dritten begründen und von den Ländern als eigene Angelegenheit oder nach Absatz 3 Satz 2 im Auftrag des Bundes ausgeführt werden, bedürfen der Zustimmung des Bundesrates, wenn daraus entstehende Ausgaben von den Ländern zu tragen sind. …“.74 3.3.2.4. Einfügung von Art. 104b GG: Änderung der Investitionshilfekompetenz des Bundes Mit dem durch die Föderalismusreform I eingefügten Art. 104b GG wird die bisher in Art. 104a Abs. 4 GG a. F. geregelte Investitionshilfekompetenz des Bundes eingeschränkt. Damit sollte das dauerhaft und strukturell verfestigte Finanzierungsinstrument der Finanzhilfen des Bundes einschließlich der damit verbundenen Einflussmöglichkeiten auf Sachentscheidungen der Länder eingedämmt werden.75 Wesentliche Neuerung ist – unter Beibehaltung der sonstigen Voraussetzungen 72 BT-Drs. 16/813, S. 18; Siekmann, in: Sachs, Art. 104a Rn. 36. 73 Siekmann, in: Sachs, Art. 104a Rn. 36. 74 BGBl. I 2006, S. 2036. 75 Siekmann, in: Sachs, Art. 104b Rn. 3. Seite 19 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste (Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder Förderung des wirtschaftlichen Wachstums) – die Tatsache, dass Finanzhilfen nur noch in den Bereichen gewährt werden dürfen, in denen der Bund die Gesetzgebungskompetenz besitzt. Für den Bildungssektor hat dies weitreichende Folgen, weil ein Großteil der Kompetenzen hier bei den Ländern liegt. So hält die Gesetzesbegründung fest, dass zum Beispiel ein neues Ganztagsschul-Investitionsprogramm danach nicht mehr zulässig wäre, weil das Schulwesen Gegenstand ausschließlicher Gesetzgebung der Länder sei.76 Nur dort, wo der Bund im Bildungsbereich Kompetenzen habe (außerschulische berufliche Bildung und Weiterbildung, Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse), seien Finanzhilfen des Bundes weiter zulässig. Die gemeinsame Kulturförderung von Bund und Ländern bleibe unberührt. Wortlaut der Regelung: „Art. 104b (1) Der Bund kann, soweit dieses Grundgesetz ihm Gesetzgebungsbefugnisse verleiht, den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und der Gemeinden (Gemeindeverbände) gewähren, die 1. zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder 2. zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder 3. zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums erforderlich sind. (2) Das Nähere, insbesondere die Arten der zu fördernden Investitionen, wird durch Bundesgesetz , das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, oder auf Grund des Bundeshaushaltsgesetzes durch Verwaltungsvereinbarung geregelt. Die Mittel sind befristet zu gewähren und hinsichtlich ihrer Verwendung in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen. Die Finanzhilfen sind im Zeitablauf mit fallenden Jahresbeträgen zu gestalten. (3) Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat sind auf Verlangen über die Durchführung der Maßnahmen und die erzielten Verbesserungen zu unterrichten.“77 3.4. Föderalismusreform II von 2009 Im Hinblick auf die Bereiche Bildung und Wissenschaft brachte die Föderalismusreform II von 200978 nur eine Änderung. Die Regelung der Finanzhilfen wurde in Art. 104b Abs. 1 S. 2 GG dahingehend abgeschwächt, dass in Ausnahme von der Grundregel, im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, Finanzhilfen auch ohne Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes gewährt werden können. Die Gesetzesbegründung zur Grundgesetzänderung hält fest, dass damit sichergestellt werden solle, zur Bewältigung solcher Notsituationen erforderliche Programme zur Belebung der Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand mit Unterstützung des 76 BT-Drs. 16/813, S. 19. 77 BGBl. I 2006, S. 2036 f. 78 BGBl. I 2009, S. 2248 ff. Seite 20 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste Bundes in allen Investitionsbereichen durchführen zu können.79 Diese Ausnahme vom Erfordernis der Gesetzgebungsbefugnis des Bundes bei Finanzhilfen gilt folglich auch für die Bereiche Bildung und Wissenschaft. Wortlaut der Regelung: „Art. 104b (1) Der Bund kann, soweit dieses Grundgesetz ihm Gesetzgebungsbefugnisse verleiht, den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und der Gemeinden (Gemeindeverbände) gewähren, die 1. zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder 2. zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder 3. zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums erforderlich sind. Abweichend von Satz 1 kann der Bund im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, auch ohne Gesetzgebungsbefugnisse Finanzhilfen gewähren. (2) Das Nähere, insbesondere die Arten der zu fördernden Investitionen, wird durch Bundesgesetz , das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, oder auf Grund des Bundeshaushaltsgesetzes durch Verwaltungsvereinbarung geregelt. Die Mittel sind befristet zu gewähren und hinsichtlich ihrer Verwendung in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen. Die Finanzhilfen sind im Zeitablauf mit fallenden Jahresbeträgen zu gestalten. (3) Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat sind auf Verlangen über die Durchführung der Maßnahmen und die erzielten Verbesserungen zu unterrichten.“80 4. Tabellarische Übersicht der Änderungshistorie der Gemeinschaftsaufgaben in den Bereichen Bildung und Wissenschaft Vor dem Hintergrund des kürzlich vorgelegten Gesetzentwurfs der Bundesbildungsministerin zur Änderung des Art. 91b GG (s.o. 1.) soll die nachfolgende Übersicht einen Überblick über die verschiedenen Fassungen der Gemeinschaftsaufgaben im Bereich Bildung und Wissenschaft einschließlich des Änderungsvorschlags geben. 79 BT-Drs. 16/12410, S. 10. 80 BGBl. I 2009, S. 2248. Seite 21 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste Finanzreform 1969/70 Föderalismusreform I 2006 Aktueller Änderungsvorschlag Art. 91a GG (1) Der Bund wirkt auf folgenden Gebieten bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist (Gemeinschaftsaufgaben): 1. Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken, … (2) Durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates werden die Gemeinschaftsaufgaben näher bestimmt. Das Gesetz soll allgemeine Grundsätze für ihre Erfüllung enthalten. (3) Das Gesetz trifft Bestimmungen über das Verfahren und über Einrichtungen für eine gemeinsame Rahmenplanung. Die Aufnahme eines Vorhabens in die Rahmenplanung bedarf der Zustimmung des Landes, in dessen Gebiet es durchgeführt wird. (4) Der Bund trägt in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und 2 die Hälfte der Ausgaben in jedem Land. In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 trägt der Bund mindestens die Hälfte; die Beteiligung ist für alle Länder einheitlich festzusetzen. Das Nähere regelt das Gesetz. Die Bereitstellung der Mittel bleibt der Feststellung in den Haushaltsplänen des Bundes und der Länder vorbehalten. (5) Bundesregierung und Bundesrat sind auf Verlangen über die Durchführung der Gemeinschaftsaufgaben zu unterrichten. Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ gestrichen . Seite 22 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 125/14 Wissenschaftliche Dienste Finanzreform 1969/70 Föderalismusreform I 2006 Aktueller Änderungsvorschlag Art. 91b GG Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen bei der Bildungsplanung und bei der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung zusammenwirken. Die Aufteilung der Kosten wird in der Vereinbarung geregelt. Art. 91b GG (1) Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen in Fällen überregionaler Bedeutung zusammenwirken bei der Förderung von: 1. Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung außerhalb von Hochschulen ; 2. Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen; 3. Forschungsbauten an Hochschulen einschließlich Großgeräten. Vereinbarungen nach Satz 1 Nr. 2 bedürfen der Zustimmung aller Länder. (2) Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich und bei diesbezüglichen Berichten und Empfehlungen zusammenwirken. (3) Die Kostentragung wird in der Vereinbarung geregelt. Art. 91b Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen in Fällen überregionaler Bedeutung bei der Förderung von Wissenschaft, Forschung und Lehre zusammenwirken. Vereinbarungen, die im Schwerpunkt Hochschulen betreffen, bedürfen der Zustimmung aller Länder. Dies gilt nicht für Vereinbarungen über Forschungsbauten einschließlich Großgeräten.