Deutscher Bundestag Handlungsmöglichkeiten des Bundesgesetzgebers für ein Verbot von Trans-Fettsäuren in Lebensmitteln Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 125/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 125/12 Seite 2 Handlungsmöglichkeiten des Bundesgesetzgebers für ein Verbot von Trans-Fettsäuren in Lebensmitteln Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 125/12 Abschluss der Arbeit: 31. Mai 2012 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 125/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Vereinbarkeit einer gesetzlichen Regelung mit nationalem Verfassungsrecht 4 2.1. Gesetzgebungskompetenz 4 2.2. Konkurrierende Bundeskompetenz nach Art. 74 GG 5 2.3. Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung nach Art. 72 Abs. 2 GG 5 2.4. Grundrechtliche Vereinbarkeit 5 2.5. Art. 12 GG (Berufsfreiheit) 6 2.5.1. Schutzbereich 6 2.5.2. Eingriff 6 2.5.3. Rechtfertigung 6 3. Unionsrechtliche Vereinbarkeit 7 3.1. Vereinbarkeit mit der Warenverkehrsfreiheit 8 3.1.1. Maßnahme gleicher Wirkung 8 3.1.2. Rechtfertigung 9 3.1.3. Exkurs: Bisherige Regelungen innerhalb der EU 10 3.1.3.1. Beispiel Dänemark 10 3.1.3.2. Beispiel Österreich 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 125/12 Seite 4 1. Einleitung Trans-Fettsäuren (TFS) sind ungesättigte Fettsäuren mit einer bestimmten chemischen Bindung, wodurch die biologische Wirkung beeinflusst wird. Sie kommen von Natur aus in Fleisch und Molkereiprodukten von Wiederkäuern vor. Künstliche Trans-Fettsäuren entstehen bei der industriellen Härtung von Fetten oder bei der Erhitzung von Ölen.1 Sie stehen im Verdacht gesundheitsschädlich zu sein. Insbesondere sollen sie das Risiko für Herz, bzw. Herz-Kreislauf- Krankheiten erhöhen.2 Über die genauen gesundheitlichen Auswirkungen besteht jedoch keine Einigkeit.3 Wegen dieser Gefahren sind unterschiedliche Möglichkeiten denkbar, auf die gesundheitlichen Risiken von Trans-Fettsäuren zu reagieren. Zum einen kommt ein komplettes Verbot von Lebensmitteln , die Trans-Fettsäuren enthalten, in Betracht. Zum anderen könnte ein verbindlicher Grenzwert für den Trans-Fettsäureanteil eingeführt werden. Dieser könnte sich entweder nur auf künstlich hergestellte Trans-Fettsäuren beziehen oder auch natürlich vorkommende Trans- Fettsäuren einbeziehen. Alternativ zu einer Verbotsregelung wäre auch die Einführung einer Kennzeichnungspflicht möglich. Nachfolgend wird die Frage geklärt, ob der Bund die Möglichkeit hätte, Trans-Fettsäuren in Lebensmitteln zu verbieten. Da sich der Gehalt natürlich vorkommender Trans-Fettsäuren nicht durch ein Gesetz steuern lässt und eine Herstellung vieler Lebensmittel komplett ohne Trans- Fettsäuren nach dem Stand der Technik nicht möglich ist, bezieht sich diese Ausarbeitung nur auf ein Verkehrsverbot für Lebensmittel, die einen bestimmten Grenzwert für Trans-Fettsäuren überschreiten. In diesem Zusammenhang werden die Vereinbarkeit mit nationalem Recht (2.) - hier die Gesetzgebungskompetenz für eine entsprechende Regelung (2.1) und grundrechtliche Implikationen (2.2.)- sowie die Europarechtrechtskonformität einer nationalen Regelung (3.) zu klären sein. 2. Vereinbarkeit einer gesetzlichen Regelung mit nationalem Verfassungsrecht 2.1. Gesetzgebungskompetenz Das Grundgesetz legt in Art. 70 als Regel die Landeskompetenz für die Gesetzgebung fest. Eine Bundeskompetenz besteht nur dann, wenn dafür ein ausdrücklicher Kompetenztitel besteht. 1 „Trans-Fettsäuren sind in der Ernährung unerwünscht – zu viel Fett auch“, Stellungnahme Nr. 015/2006 des BfR vom 30. Januar 2006, S. 3 f., http://www.bfr.bund.de/cm/343/trans_fettsaeuren_sind_in_der_ernaehrung_unerwuenscht_zu_viel_fett_auch.p df, Abgerufen am 23.5.2012. 2 Opinion of the Scientific Panel on Dietetic Products, Nutrition and Allergies on a request from the Commission related to the presence of trans fatty acids in foods and the effect on human health of the consumption of trans fatty acids (Request N° EFSA-Q-2003-022) vom 8. Juli 2004, http://www.efsa.europa.eu/de/efsajournal/doc/81.pdf, S.2f.; BfR (Fn. 1) S. 2. 3 BfR (Fn. 1), S. 4f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 125/12 Seite 5 2.2. Konkurrierende Bundeskompetenz nach Art. 74 GG Kompetenznorm für das Recht der Lebensmittel ist Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG. Diese umfasst auch den Bereich der Lebensmittelsicherheit und somit auch Verbote bezüglich einzelner Inhaltsstoffe .4 Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG ist als Kompetenztitel einschlägig. 2.3. Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung nach Art. 72 Abs. 2 GG Vorliegend könnte eine Regelung durch den Bundesgesetzgeber nach Art. 72 Abs. 2 GG zur Wahrung der Wirtschaftseinheit erforderlich sein. Wirtschaftseinheit i. S. d. Art. 72 Abs. 2 GG bedeutet , dass gleiche Bedingungen zur wirtschaftlichen Betätigung im gesamten Bundesgebiet gegeben sind.5 Eine bundesgesetzliche Regelung ist zur Vermeidung von gesamtwirtschaftlichen Nachteilen dann erforderlich, wenn ansonsten durch die unterschiedlichen Landesgesetze Hindernisse für den Wirtschaftsverkehr entstehen würden.6 Unterschiedliche Regelungen bzgl. der Verkehrsfähigkeit von Trans-Fettsäurehaltigen Lebensmitteln würden zu stark abweichenden Voraussetzungen für Lebensmittelproduzenten, -importeure und -händler in den einzelnen Bundesländern führen. Dies würde für den gesamtdeutschen Lebensmittelhandel starke Hindernisse bedeuten. Somit ist zur Vermeidung von gesamtwirtschaftlichen Nachteilen eine Regelung des Bundes zur Wahrung der Wirtschaftseinheit erforderlich. Für den Bund besteht somit eine konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Nr. 20 GG. 2.4. Grundrechtliche Vereinbarkeit Der Bundesgesetzgeber dürfte mit einer Regelung zu Trans-Fettsäuren auch nicht gegen materielle Verfassungsbestimmungen verstoßen. Anforderungen an eine gesetzliche Regelung ergeben sich hier hauptsächlich aus Art. 12 GG (Berufsfreiheit), so dass sich die nachfolgende Prüfung darauf konzentriert. Art. 14 GG (Eigentumsfreiheit) könnte eine Übergangsregelung erforderlich machen. Ein Verbot nur von künstlich hergestellten Trans-Fettsäuren stellt eine Ungleichbehandlung i. S. v. Art. 3 GG (Gleichheitsgrundsatz) dar. Jedoch lassen sich natürlich vorkommende Trans-Fettsäuren nicht durch eine Umstellung der Produktionsmethoden vermeiden. Daher sind diese einem gesetzlichen Verbot nicht zugänglich. Weiter enthalten Nahrungsmittel mit natürlichem Trans-Fettsäuregehalt, wie z.B. Molkereiprodukte, wichtige Nährstoffe, so dass hier ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben sein dürfte. 4 Seiler, Christian, in: Epping, Volker/ Hillgruber, Christian, Beck‘scher Online Kommentar GG, Edition 14, 2012, Art. 74, Rn. 76. 5 Maunz, Theodor, in: Maunz, Theodor/ Dürig, Grundgesetz Kommentar, Band 7, 64. Ergänzungslieferung 2012, Art. 72, Rn. 17 ff. 6 BVerfGE 106, 62 (146 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 125/12 Seite 6 2.5. Art. 12 GG (Berufsfreiheit) 2.5.1. Schutzbereich Als Grundrechtsbetroffene kommen sowohl die Hersteller von Trans-Fettsäurehaltigen Produkten als auch Importeure und Händler derartiger Produkte in Betracht. Soweit es sich bei diesen um natürliche Personen handelt, ist der sachliche Schutzbereich unproblematisch eröffnet. Handelt es sich jedoch, wie regelmäßig der Fall, um juristische Personen des Privatrechts, so kommt eine Anwendbarkeit der Grundrechte gem. Art. 19 Abs. 3 GG in Betracht. Demnach gelten die Grundrechte für inländische juristische Personen, sofern sie dem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Eine juristische Person kann sich dann auf Art. 12 GG berufen, wenn die Tätigkeit so auch von einer natürlichen Person ausgeführt werden könnte.7 Berufswahl und Berufsausübung sind ineinander übergehende Phasen eines einheitlichen Vorgangs . Eine scharfe Trennung von Berufswahl und Berufsausübung ist somit nicht möglich.8 Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nimmt daher für Art. 12 GG einen einheitlichen Schutzbereich der Berufsfreiheit an.9 Ein Beruf ist „jede auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage“.10 Darunter fallen sowohl Herstellung als auch Import und Vertrieb von Lebensmitteln. 2.5.2. Eingriff Art. 12 GG schützt sowohl vor klassischen, finalen Eingriffen als auch vor mittelbaren Eingriffen .11 Ausreichend ist dabei, dass auf Grund der staatlichen Maßnahme der Beruf nicht wie gewünscht ausgeübt werden darf.12 Dies ist sowohl bei einem Verbot von Trans-Fettsäuren als auch bei einer Kennzeichnungspflicht für Trans-Fettsäuren der Fall. 2.5.3. Rechtfertigung Entgegen dem Wortlaut steht das gesamte Grundrecht der Berufsfreiheit, inklusive der Freiheit der Berufswahl, unter dem Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG.13 Eine Differenzierung zwischen Berufsausübung und Berufswahl findet letztlich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung statt.14 Die Anforderungen sind dabei umso höher je stärker der 7 Breuer, Rüdiger, in: Isensee, Josef/ Kirchhof, Paul, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Band 7, 3. Auflage 2009, Rn. 23; BVerfGE 74, 129 (148 f.). 8 Breuer, Rüdiger (Fn. 7), HStR 7, Rn. 32. 9 BVerfGE 7, 377 (400ff.); Scholz, Rupert, in: Maunz, Theodor/ Dürig, Grundgesetz Kommentar, Band 1, 64. Ergänzungslieferung 2012, Art.12 Rn. 25. 10 BVerfGE 7, 377 (397), Scholz, Rupert (Fn. 9), Rn. 29. 11 Scholz, Rupert (Fn. 9), Rn. 301. 12 BVerfGE 86, 28 (37). 13 Vgl. BVerfGE 7, 377 (399 ff.), Scholz, Rupert (Fn. 9), Rn. 312. 14 Schmidt, Ingrid, in: Dieterich, Thomas/ Hanau, Peter/ Schaub, Günter, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, Art. 12 GG, Rn. 26 f.; Ruffert, Matthias, in: Epping, Volker/ Hillgruber, Christian, Beck‘scher Online Kommentar GG, Edition 14, 2012, Art. 12, Rn. 101. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 125/12 Seite 7 Eingriff die Berufswahl tangiert.15 Dabei wird zwischen Berufsausübungsregeln sowie subjektiven und objektiven Berufszugangsregeln unterschieden.16 Der hier anzuwendende Kontrollmaßstab hängt davon ab, auf welcher Stufe ein Vertriebsverbot anzusiedeln ist. Weder Vertriebsverbot noch Kennzeichnungspflicht regeln die Zulassung zu einem Beruf. Die Grenze von einer bloßen Berufsausübungsregel zur Berufswahlbestimmung wird jedoch auch dann überschritten, wenn sie die Berufsangehörigen zur Aufgabe des Berufs zwingt.17 Die Angehörigen der betroffenen Berufsgruppen können jedoch durch Produktionsumstellung , bzw. angepasste Produktauswahl ihren Beruf voraussichtlich weiterhin ausüben. Somit richten sich die Anforderungen der Rechtfertigung nach der ersten Eingriffsstufe (Berufsausübung ). Die Freiheit der Berufsausübung kann eingeschränkt werden, „soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls dies zweckmäßig erscheinen lassen.“18 Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG begründet eine staatliche Schutzpflicht für Leben und Gesundheit.19 Somit stellt der Gesundheitsschutz einen legitimen Zweck dar. Weiter muss die Beeinträchtigung auch verhältnismäßig sein.20 Sowohl ein Verkehrsverbot als auch eine Kennzeichnungspflicht sind geeignet, diesen Zweck zumindest zu fördern. Auch Berufsausübungsregeln müssen erforderlich sein.21 Der Zweck der Maßnahme dürfte also nicht durch eine weniger einschneidende Maßnahme erreicht werden können.22 Dies ist jedenfalls für ein Verkehrsverbot fraglich. Eine Gefährdung für die Gesundheit besteht erst ab einer gewissen Menge an zu sich genommenen Trans-Fettsäuren. Ein Verbot für jegliche trans-fettsäurehaltigen Lebensmittel wäre daher nicht erforderlich. Jedoch könnte auch ein Verbot für über einem bestimmten Grenzwert liegende Produkte an der Erforderlichkeit scheitern. Mit einer bewussten und ausgeglichenen Ernährung wird der kritische Wert nicht erreicht. Daher könnte eine Kennzeichnungspflicht zum Schutz der Bevölkerung ausreichend sein. Grundsätzlich ist dabei aber auch die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative zu beachten, so dass auch ein Verkehrsverbot wohl noch als verhältnismäßig anzusehen sein dürfte. 3. Unionsrechtliche Vereinbarkeit Der Handlungsspielraum des Bundesgesetzgebers könnte zudem durch das Recht der Europäischen Union eingeschränkt sein. Sofern das Verkehrsverbot bzw. die Kennzeichnungspflicht auch auf in anderen EU-Mitgliedstaaten produzierte oder rechtmäßig in Verkehr befindliche Pro- 15 Scholz, Rupert (Fn. 9), Rn. 335. 16 Jarass, Hans, in: Jarass, Hans/ Pieroth, Bodo, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 10. Auflage 2009, Art. 12, Rn. 24 ff. 17 Jarass, Hans (Fn. 16), Art. 12, Rn. 28. 18 BVerfGE 7, 374(378). 19 Jarass, Hans (Fn. 16), Art. 2 Rn. 91. 20 Jarass, Hans (Fn. 16), Art. 12, Rn. 31. 21 BVerfGE 17, 163 (182). 22 Jarass, Hans (Fn. 16), rt. 12, Rn. 34. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 125/12 Seite 8 dukte Anwendung fände, könnte die Vorschrift gegen Unionsrecht verstoßen,23 nicht dagegen, wenn sich die Regelung nur auf Deutsche bezöge. Es besteht kein europäisches Sekundärrecht, dass die Zulässigkeit von Trans-Fettsäuren in Lebensmitteln regelt. Demnach kann der nationale Gesetzgeber dazu Regelungen erlassen. Dabei darf er aber nicht gegen das Primärrecht verstoßen. Ein Verkehrsverbot von Lebensmitteln, die den mitgliedstaatlich festgesetzten Höchstwert für Trans-Fettsäuren überschreiten, könnte einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit aus Art. 34 AEUV darstellen. 3.1. Vereinbarkeit mit der Warenverkehrsfreiheit Die Warenverkehrsfreiheit des Art. 34 AEUV enthält ein Abwehrrecht gegen mengenmäßige Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung. Mengenmäßige Begrenzungen sollen explizit die Einfuhr von Waren anderer Mitgliedsländer beschränken.24 Der einzuhaltende Grenzwert soll jedoch nicht speziell die Waren anderer Länder fernhalten, vielmehr soll ein einheitlicher Standard für alle in Deutschland im Verkehr befindlichen Waren gesichert werden. In Betracht kommt demnach lediglich eine Maßnahme gleicher Wirkung. 3.1.1. Maßnahme gleicher Wirkung Nach der Dassonville-Entscheidung des EuGH25 ist eine Maßnahme gleicher Wirkung „jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“,26 auch wenn sie unterschiedslos auf inländische und ausländische Waren Anwendung findet.27 Nach dem in der Cassis de Dijon Entscheidung 28 etablierten Herkunftslandsprinzip sind grundsätzlich alle Produkte, die sich in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig im Verkehr befinden, in den anderen Mitgliedstaaten zuzulassen .29 Keine Maßnahmen gleicher Wirkung stellen dabei jedoch in Folge der Keck- Entscheidung30 unterschiedslos anwendbare vertriebsbezogene Maßnahmen dar. 31 23 Bei tatsächlicher Feststellung der Europarechtswidrigkeit müsste die Vorschrift auf Grund des Anwendungsvorrangs für grenzüberschreitende Sachverhalte unangewendet bleiben (EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Rs 6/64 (Costa v. E.N.E.L.); Leible, Stefan/ Streinz, Thomas, in: Grabitz, Eberhard/ Hilf, Meinhard/ Nettesheim, Martin, Das Recht der Europäischen Union, 46. Ergänzungslieferung 2011, Art. 34 AEUV, Rn. 20) 24 Leible, Stefan/ Streinz, Thomas (Fn. 23), Art. 34 AEUV, Rn. 51.. 25 EuGH, Urteil vom 11. Juli 1974, Rs. 8/74 (Dassonville). 26 EuGH (Fn. 265), Rs. 8/74. 27 Leible, Stefan/ Streinz, Thomas (Fn. 23), Art. 34 AEUV, Rn. 61; EuGH, Urteil vom 20. Februar 1979, Rs. 120/78 (Cassis de Dijon). 28 EuGH (Fn. 27) Rs. 120/78. 29 Leible, Stefan/ Streinz, Thomas (Fn. 23), Art. 34 AEUV, Rn. 67; Haratsch, Andreas/ Koenig, Christian/ Pechstein , Metthias, Europarecht, 7. Aufl. 2010, Rn. 822. 30 EuGH, Urteil vom 24. November 1993, Rs. 267/91/Rs. 268/91 (Keck/Mithouard). 31 Leible, Stefan/ Streinz, Thomas (Fn. 23), Art. 34 AEUV, Rn. 74. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 125/12 Seite 9 Im Ergebnis ist daraus ein Recht auf Marktzugang entstanden.32 Mitgliedstaatliche Maßnahmen dürfen den Marktzugang für ausländische Waren im Vergleich zu inländischen Waren nicht erschweren . Anderenfalls stellen diese eine Maßnahme gleicher Wirkung dar.33 Das Vertriebsverbot für Produkte, die nicht dem Trans-Fettsäuregrenzwert entsprechen, stellt daher dann eine Maßnahme gleicher Wirkung dar, wenn sie produktbezogen ist. Dies der Fall, wenn sie sich auf Merkmale des Produkts bezieht und nicht nur für die gesamte Wirtschaft geltende Absatzbestimmungen aufstellt.34 Davon werden Bestimmungen über die Zusammensetzung eines Produkts ebenso erfasst wie Vorschriften über die Kennzeichnung.35 Durch einen Höchstwert für den Trans-Fettsäuregehalt in Lebensmitteln in Deutschland werden Anbieter aus anderen Ländern gezwungen, sich dem anzupassen. Dadurch wird ihnen der Zugang zu dem Markt in Deutschland erschwert. Eine entsprechende Regelung stellt somit eine Maßnahme gleicher Wirkung dar. 3.1.2. Rechtfertigung Für die Warenverkehrsfreiheit existieren zunächst die geschriebenen Rechtfertigungsgründe des Art. 36 AEUV. Hier könnte der Schutz der Gesundheit einen Rechtfertigungsgrund darstellen. Neben den geschriebenen Rechtfertigungsgründen finden auf unterschiedslos anwendbare Maßnahmen gleicher Wirkung auch die zwingenden Erfordernisse des Allgemeinwohls als ungeschriebene Rechtfertigungsgründe Anwendung.36 Art. 36 Abs. 1 AEUV ist dabei nur dann einschlägig , wenn die Maßnahme konkret und unmittelbar auf den Gesundheitsschutz abzielt. Andernfalls ist nur die Berufung auf ein zwingendes Erfordernis möglich.37 Um die Warenverkehrsfreiheit zu stärken, werden die Rechtfertigungsgründe eng ausgelegt.38 Eine Gesundheitsgefährdung vermag eine Beschränkung nur dann zu rechtfertigen, wenn diese auch ausreichend substantiiert dargelegt werden kann. Bloße Behauptungen und Vermutungen reichen nicht aus.39 Andererseits haben die Mitgliedstaaten auch einen gewissen Ermessensspielraum hinsichtlich des von ihnen gewollten Schutzniveaus.40 Den Mitgliedstaaten sind dabei grundsätzlich auch präventive Maßnahmen möglich. Je größer der drohende Gesundheitsschaden ist, desto geringer sind auch die Anforderungen an die Darlegungslast.41 Zudem muss im Rahmen der Rechtfertigung die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Die Regelung würde also auch dann gegen Art. 34 AEUV verstoßen, wenn der Gesundheitsschutz durch 32 Leible, Stefan/ Streinz, Thomas (Fn. 23), Art. 34 AEUV, Rn. 83. 33 Leible, Stefan/ Streinz, Thomas (Fn. 23), Art. 34 AEUV, Rn. 84. 34 Leible, Stefan/ Streinz, Thomas (Fn. 23), Art. 34 AEUV, Rn. 77 ff. 35 Leible, Stefan/ Streinz, Thomas (Fn. 23), Art. 34 AEUV, Rn. 78. 36 EuGH (Fn. 28), Rs 120/78; Leible/T. Streinz, Art. 34, Rn. 67. 37 Leible, Stefan/ Streinz, Thomas (Fn. 23), Art. 36 AEUV, Rn. 24; Kingreen, Thorsten, in: Calliess, Christian/ Ruffert, Matthias, EUV/AEUV Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta Kommentar, 4. Auflage 2011, Art. 34-36 AEUV, Rn. 200. 38 Leible, Stefan/ Streinz, Thomas (Fn. 23), Art. 36 AEUV, Rn. 2. 39 EuGH, Urteil vom 12. Juli 1984, Rs.17/83 (Angelidis). 40 Leible, Stefan/ Streinz, Thomas (Fn. 23), Art. 36 AEUV, Rn. 22. 41 Leible, Stefan/ Streinz, Thomas (Fn. 23), Art. 36 AEUV, Rn. 23. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 125/12 Seite 10 eine andere Maßnahme, die die Warenverkehrsfreiheit weniger beeinträchtigt, gleich gut geschützt werden könnte.42 Entscheidend ist hier also, ob eine Kennzeichnungspflicht als gleich effektiv angesehen werden kann. Der unionsrechtliche Handlungsspielraum ist folglich abhängig von dem aktuellen wissenschaftlichen Stand bezüglich der Gesundheitsgefahren von Trans-Fettsäuren. Dem Gesetzgeber ist außerdem ein Entscheidungsspielraum zuzugestehen. 3.1.3. Exkurs: Bisherige Regelungen innerhalb der EU Obwohl bislang zwei Mitgliedstaaten eine Grenzwertregelung zu Trans-Fettsäuren erlassen haben , steht eine Entscheidung des EuGH diesbezüglich noch aus. Zwar hat die Europäische Kommission sich jeweils gegen eine derartige Regelung ausgesprochen und im Falle Dänemarks auch ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, bislang aber noch keine Klage vor dem EuGH eingereicht . 3.1.3.1. Beispiel Dänemark Dänemark hat am 11. März 2003 als erster Mitgliedstaat eine Verordnung zu Trans-Fettsäuren in Lebensmitteln erlassen.43 Diese sieht eine Höchstgrenze von 2 % Trans-Fettsäureanteil am Gesamtfettgehalt von allen Lebensmitteln vor. Ein daraufhin von der Kommission eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren führte bislang nicht zu einer Klage vor dem EuGH. Nachdem die Kommission zunächst mit einem Mahnschreiben im März 2005 sowie im Dezember 2005 mit einer begründeten Stellungnahme reagiert hatte,44 nahm sie nach der Antwort der Dänischen Regierung vom 7. März 2006 von einer Klageerhebung Abstand.45 Die EU-Kommission bewertete in dem Eröffnungsschreiben vom März 2005 sowie der begründeten Stellungnahme vom Dezember 2005 die dänische Regelung als mit der Warenverkehrsfreiheit nicht vereinbar. Sie berief sich dabei auf folgende Punkte:46 – Kennzeichnung von Produkten mit einem hohen Gehalt an Trans-Fettsäuren stellten einen ausreichenden Verbraucherschutz dar. – Es finde eine Ungleichbehandlung von Trans-Fettsäuren und gesättigten Fettsäuren statt. – Es finde eine Ungleichbehandlung von natürlichen und künstlichen Trans-Fettsäuren statt. 42 Leible, Stefan/ Streinz, Thomas (Fn. 23), Art. 36 AEUV, Rn. 7. 43 Transfedtsyrebekendtgørelsen, BEK nr 160 vom 11 März 2003, https://www.retsinformation.dk/Forms/R0710.aspx?id=7737&exp=1, Abgerufen am 23. Mai 2012. 44 Notat til Folketingets Europaudvalg, vom 7. März 2006, S. 1, http://www.ft.dk/samling/20051/almdel/euu/bilag/189/256936.pdf; Abgerufen am 23. Mai 2012. 45 EU lader Danmark beholde grænse for transfedtsyrer, vom 21. März 2007, http://www.dr.dk/Nyheder/Indland/2007/03/21/220124.htm; Abgerufen am 23. Mai 2012. 46 Notat til Folketingets Europaudvalg, vom 7. März 2006, S. 1 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 125/12 Seite 11 – Das geltend gemachte Risiko sei hypothetischer Natur und könne nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen nachgewiesen werden. – Die strafrechtlichen Bestimmungen entsprächen nicht dem Proportionalitätsprinzip. 3.1.3.2. Beispiel Österreich Im August 2009 hat Österreich als zweiter Mitgliedsstaat eine Verordnung zu Trans-Fettsäuren erlassen.47 Diese enthält einen Grenzwert für künstliche Trans-Fettsäuren in Höhe von 2 % des Fettanteils. Für Produkte mit wenig Fett liegt der Grenzwert höher. Ein drohendes Vertragsverletzungsverfahren hat Österreich dabei bewusst in Kauf genommen. 48 Bis jetzt wurde jedoch noch keine Klage eingereicht. 47 Trans-Fettsäuren-Verordnung, BGBl. II (für die Republik Österreich) Nr. 267/2009. 48 „Gesundes Essen: Stöger unterschreibt Transfettsäuren-Verordnung“, Pressemeldung des Bundesministeriums für Gesundheit der Republik Österreich vom 20. August 2009, http://www.bmg.gv.at/site2/Presse/Pressemeldungen/Gesundes_Essen_Stoeger_unterschreibt_Transfettsaeuren_ Verordnung, Abgerufen am 23. Mai 2012.