© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 124/20 Geschlechterspezifisches Recht Grundrechtliche Beurteilung nach Art. 3 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 GG Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 124/20 Seite 2 Geschlechterspezifische Recht Grundrechtliche Beurteilung nach Art. 3 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 GG Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 124/20 Abschluss der Arbeit: 5. Juni 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 124/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung und Einleitung 4 2. An Geschlechtszuordnung allgemein anknüpfende Normen 4 3. Art. 3 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG 5 4. Geschlechterspezifisches Recht 6 4.1. Wehrpflicht und zivile Dienstleistungspflicht 6 4.1.1. Rechtslage 6 4.1.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 7 4.2. Abstammungsrecht 7 4.2.1. Rechtslage 7 4.2.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 8 4.3. Art. 6 Abs. 4 GG und Mutterschutzgesetz 9 4.3.1. Rechtslage 9 4.3.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 9 4.4. Vorschriften zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter 10 4.4.1. Rechtslage 10 4.4.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 11 4.5. Regelungen zum Nachteilsausgleich 11 4.5.1. Rechtslage 11 4.5.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 12 4.6. Strafrecht – Exhibitionistische Handlungen 12 4.6.1. Rechtslage 12 4.6.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 12 4.7. Regelungen zur Unterbringung und Durchsuchung 12 4.7.1. Rechtslage 12 4.7.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 13 4.8. Regelungen zum Opfer- und Gewaltschutz 13 4.8.1. Rechtslage 13 4.8.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 124/20 Seite 4 1. Fragestellung und Einleitung Die Ausarbeitung befasst sich mit in deutschen Bundesgesetzen bestehenden Rechtsnormen, die Rechtsfolgen nur für ein bestimmtes Geschlecht vorsehen. Nach einem normativen Überblick wird die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung im Lichte von Art. 3 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz (GG) geprüft. Die Fragestellung knüpft an ein das deutsche Recht dominierendes binäres Verständnis der Geschlechter an.1 Danach bestehen nach wie vor viele Normen, die ausdrücklich Männer und/oder Frauen betreffen. Viele dieser Normen beinhalten die gleiche Rechtsfolge für beide Geschlechter. Die nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts2 im Jahr 2017 eingeführte Option eines „dritten Geschlechts“3 und die Möglichkeit, diese Personengruppe unter die jeweiligen Normen zu subsumieren, wird nachfolgend nicht untersucht. Als Geschlecht wird im Folgenden das im Personenstandsregister eingetragene Geschlecht verstanden. Die Ausarbeitung umfasst einen Überblick, einschließlich einer kursorischen Prüfung einzelner Bereiche geschlechterspezifischen Rechts. Eine ausführliche Übersicht mit Normen, die an ein spezifisches Geschlecht anknüpfen, findet sich im Anhang.4 Vollständigkeit kann insoweit nicht gewährleistet werden. 2. An Geschlechtszuordnung allgemein anknüpfende Normen In Deutschland bestehen zahlreiche Vorschriften, die als Tatbestandsvoraussetzung daran anknüpfen , dass einer Person ein Geschlecht zugeordnet ist. Bei diesen Normen stellt sich die rechtliche Problematik, wie mit den Personen zu verfahren ist, für die keine Geschlechtseintragung nach § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) vorgenommen wurde. So regelt beispielsweise § 1353 Abs. 1 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zur rechtlich geschützten Partnerschaft: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“ Nach dem Wortlaut wäre fraglich, inwieweit Personen ohne einen Geschlechtseintrag Zugang zur Ehe haben. In diesem Fall folgt allerdings schon aus der Gesetzesbegründung des „Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ ein Hinweis auf die verfassungskonforme Auslegung, nach der auch eine 1 Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte, Gutachten: Geschlechtervielfalt im Recht. Status quo und Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt, 2017, S. 30. 2 BVerfG, Beschluss vom 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16. Dazu: Froese, DÖV 2018, 315; kritisch: Märker, NZFam 2018, 1. 3 Sanders, NZFam 2018, 241; Gössl, StAZ 2018/2, 40. 4 Die Tabelle ist eine aktualisierte, auf die hier untersuchten Gegenstände gekürzte Fassung der Übersicht des Deutschen Instituts für Menschenrechte, verfügbar unter: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/themen /diskriminierungsschutz/sexuelle-selbstbestimmung-und-geschlechtsidentitaet/geschlechtervielfalt-im-recht/ (zuletzt aufgerufen am 4.6.2020). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 124/20 Seite 5 Person ohne Geschlechtseintrag „gleichen oder anderen Geschlechts“ sei.5 Die Frage des fehlenden Geschlechtseintrags wird im Folgenden nicht weiter begutachtet. Zahlreiche weitere Normen knüpfen abstrakt an das Geschlecht an, ohne dass nach diesen Regelungen eine Differenzierung in der Rechtsfolge besteht. So wird beispielsweise nach zahlreichen Normen aus dem Melde- oder Formularwesen das Geschlecht einer Person erfasst bzw. es ist anzugeben .6 Auch § 15 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz knüpft an eine Geschlechtszuordnung an. Er regelt: „Das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, muss mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein, wenn dieser aus mindestens drei Mitgliedern besteht.“ Diese Norm knüpft mithin allgemein an das Geschlecht an. Die Rechtsfolge kann nur auf Basis der Geschlechterverteilung in dem jeweiligen Betrieb vorgenommen werden. Die Norm ist in ihrer Konstruktion zunächst neutral.7 3. Art. 3 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG Eine grundlegende Norm, die am binären Verständnis von Geschlechtern anknüpft ist Art. 3 GG. Dieser lautet. „(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“8 Durch Art. 3 Abs. 2 oder Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG wird keine unterschiedliche Rechtsfolge an das Merkmal eines spezifischen Geschlechts geknüpft. Die Absätze beziehen sich entweder allgemein auf das „Geschlecht“ oder auf „Frauen und Männer“. Art. 3 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG regeln jeweils die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Das Bundesverfassungsgericht differenziert die Anwendungsbereiche insoweit, dass Abs. 3 S. 1 5 BT-Drs. 19/4670, S. 19; Berndt-Benecke, NVwZ 2019, 286, 290; Gössl/Dannecker/Schulz, NZFam 2020, 145, 148. 6 Dazu ausführlich: Deutsches Institut für Menschenrechte, Gutachten: Geschlechtervielfalt im Recht. Status quo und Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt, 2017, S. 38 ff. 7 Gössl/Dannecker/Schulz, NZFam 2020, 145, 149. 8 Hervorhebung nur hier. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 124/20 Seite 6 dann zur Anwendung kommt, wenn eine rechtliche Ungleichbehandlung durch Grundrechtsverpflichtete vorgenommen wird, Abs. 2 hingegen bei mittelbaren Ungleichbehandlungen.9 Das Grundrecht auf Gleichberechtigung gewährleistet ein subjektives Recht, einschließlich des Auftrags des Staates, zur Angleichung der Lebensverhältnisse zu wirken.10 Zugleich beinhaltet es eine objektive Wertentscheidung.11 Das Grundrecht ist sowohl ein Gleichheitsrecht, als auch ein Leistungs- und Schutzrecht. Nach dem Grundrecht ist ein spezifisches Geschlecht als Anknüpfungspunkt einer rechtlichen Ungleichbehandlung grundsätzlich verboten.12 Auch indirekte Benachteiligungen, indem eine Norm an natürliche Unterschiede oder gesellschaftliche Bedingungen anknüpft, die überwiegend ein Geschlecht betreffen, werden von Art. 3 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG erfasst.13 Für eine Grundrechtsbeeinträchtigung ist zudem erforderlich, dass aus der geschlechtsbezogenen Ungleichbehandlung auch eine Benachteiligung oder ungleiche Begünstigung folgt.14 Art. 3 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG können durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden.15 4. Geschlechterspezifisches Recht 4.1. Wehrpflicht und zivile Dienstleistungspflicht 4.1.1. Rechtslage Bezüglich der mittlerweile ausgesetzten Wehrpflicht regelt Art. 12a Abs. 1 GG: „Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften , im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.“ Zur zivilen Dienstleistungspflicht regelt Art. 12a Abs. 4 GG: „Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger 9 Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2016, Art. 3, 78. 10 Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2016, Art. 3, 79. 11 BVerfG, Urteil vom 24.7.1963 – 1 BvL 30/57, 1 BvL 11/61, BVerfGE 17,1, 27. 12 BVerfG, Urteil vom 28.1.1992 – 1 BvR 1025/82, 1 BvL 16/83, 1 BvL 10/91, BVerfGE 85, 191, 206. 13 BVerfG, Beschluss vom 5.4.2005 – 1 BvR 774/02, BVerfGE 113, 1, 15; Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2016, Art. 3, 87. 14 Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2016, Art. 3, 88. 15 BVerfG, Beschluss vom 24.1.1995 – 1 BvL 18/93, 1 BvL 5/94, 1 BvL 6/94, 1 BvL 7/94, 1 BvR 403/94, 1 BvR 569/94, BVerfGE 92, 91, 109; Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2016, Art. 3, 93, 135. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 124/20 Seite 7 Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden.“16 Insofern erklären die Normen für Männer und Frauen unter unterschiedlichen Bedingungen abweichende Rechtsfolgen. 4.1.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Das Bundesverfassungsgericht hat erklärt, dass es sich bei der auf Männer beschränkten Wehrpflicht nicht um verfassungswidriges Verfassungsrecht handelt. Da Art. 12a Abs. 1 GG auf dem gleichen verfassungsrechtlichen Rang stehe wie Art. 3 GG, sei ein Verstoß gegen die Gleichberechtigung nicht gegeben.17 Die auf Frauen beschränkte Dienstverpflichtung nach Art. 12a Abs. 4 GG im Verteidigungsfall ist im Sinne der Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter insofern unproblematisch, als im Verteidigungsfall auch Männer zum Kriegsdienst oder zu entsprechenden Ersatzdienstleistungen verpflichtet werden können. Frauen steht zudem die Möglichkeit offen, sich freiwillig zum Wehr- oder Kriegsdienst zu melden. 4.2. Abstammungsrecht 4.2.1. Rechtslage Das in den §§ 1591 und 1592 BGB geregelte Abstammungsrecht knüpft an binär-geschlechterspezifische Voraussetzungen an. Nach § 1591 BGB ist Mutter eines Kindes die Frau, die es geboren hat. Nach § 1592 BGB ist Vater eines Kindes der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist (Nr. 1), der die Vaterschaft anerkannt hat (Nr. 2) oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt wurde (Nr. 3). Der Normtext geht insoweit von an das Geschlecht anknüpfenden unterschiedlichen Rechtsfolgen aus. Die Rechtsprechung und auch das Schrifttum sind jedoch unter bestimmten Umständen zu einer abweichenden Auslegung gekommen. Wenn ein Frau-zu-Mann-Transsexueller das Kind nach rechtskräftiger Entscheidung über die Änderung der Geschlechtszugehörigkeit geboren hat, ist er 16 Hervorhebung nur hier. 17 BVerfG, Beschluss vom 27.3.2002 – 2 BvL 2/02, NJW 2002, 1709, 1710; Guckelberger, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2018, Art. 12a, Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 124/20 Seite 8 im Rechtssinne Mutter des Kindes.18 Insofern ist die gebärende Person die Mutter, unabhängig von ihrem Geschlecht.19 Eine Mann-zu-Frau-Transsexuelle, mit deren Samen ein Kind gezeugt wurde, das nach rechtskräftiger Entscheidung über die Änderung der Geschlechtszugehörigkeit geboren worden ist, kann abstammungsrechtlich nur die Vaterstellung erlangen.20 Insoweit ist jedoch regelmäßig nach § 1592 Nr. 3 BGB eine gerichtliche Feststellung der Vaterschaft erforderlich. § 1592 Nr. 1 BGB, nach dem die Vaterschaft vom Ehepartner der gebärenden Mutter angenommen wird, entfaltet bei gleichgeschlechtlichen Paaren keine Wirkung. So kann zum Beispiel eine Frau, die zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, nicht Vater oder Mutter des Kindes sein.21 4.2.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die letztgenannte Ungleichbehandlung im Jahr 2018 als verfassungsrechtlich gerechtfertigt angesehen: „Dass die Ehefrau der Kindesmutter anders als ein Ehemann nicht allein aufgrund der bei Geburt bestehenden Ehe von Gesetzes wegen rechtlicher Elternteil des Kindes ist, stellt schließlich auch keine Ungleichbehandlung iSv Art. 3 I GG dar. Vielmehr ist die Situation – wie bereits dargestellt – insoweit verschieden, als die Ehefrau nicht leiblicher Elternteil des Kindes sein kann, während der Gesetzgeber dies für den Ehemann als Regelfall vermutet und darauf die Vorschrift des § 1592 Nr. 1 BGB gründet. Dieser Unterschied rechtfertigt die im Rahmen des Abstammungsrechts nach wie vor bestehende abweichende Behandlung gleichund verschiedengeschlechtlicher Ehepaare und deren Kinder (Kaiser, FamRZ 2017, 1889 [1897]; vgl. BVerfG, NJW 2011, 988 = FamRZ 2010, 1621 [1622], und OLG Köln, NJW-RR 2014, 1409 = FamRZ 2015, 156 [157], jew. zur Lebenspartnerschaft; Britz, StAZ 2016, 8 [12]). Verfassungsrechtlich ist daher nichts dagegen zu erinnern, dass die Ehefrau einer Kindesmutter – wie im vorliegenden Fall die Ast. – jedenfalls bis zu einer eventuellen gesetzlichen Neuregelung auf die Sukzessivadoption nach § 1741 II 3 BGB verwiesen bleibt, um in die rechtliche Elternstellung zu gelangen. Auf diesem rechtlichen Weg werden sowohl die Rechte des betroffenen Kindes gewahrt (vgl. dazu BVerfG, NJW 2013, 847 = FamRZ 2013, 18 BGH, Beschluss vom 6.9.2017 – XII ZB 660/14, NJW 2017, 3379; Budzikiewicz, in: Jauernig (Hrsg.), BGB, 17. Aufl. 2018, § 1591, Rn. 1. 19 Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundetages, Einführung eines positiven dritten Geschlechtseintrags im Personenstandsrecht, Erforderliche Gesetzesänderungen, WD 7 - 3000 - 148/17, vom 30.11.2017, S. 10 m.w.N. 20 BGH, Beschluss vom 29.11.2017 – XII ZB 459/16, NJW 2018, 471 f.; Budzikiewicz, in: Jauernig (Hrsg.), BGB, 17. Aufl. 2018, § 1591, Rn. 1. 21 Hahn, in: BeckOK BGB, 53. Ed. 1.2.2020, § 1591, Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 124/20 Seite 9 521 [526 ff.]) als auch über die Vorschrift des § 1747 BGB die Rechte des in solchen Fallgestaltungen notwendigerweise zusätzlich zu den beiden Ehegatten existierenden biologischen Vaters (vgl. dazu Senat, NJW 2015, 1820 = FamRZ 2015, 828 Rn. 15 ff.]).“22 4.3. Art. 6 Abs. 4 GG und Mutterschutzgesetz 4.3.1. Rechtslage Art. 6 Abs. 4 GG lautet: „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.“ Das Mutterschutzgesetz regelt den Schutz der Gesundheit der Frau und ihres Kindes am Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplatz während der Schwangerschaft, nach der Entbindung und in der Stillzeit. In zahlreichen Paragrafen wird explizit an das Tatbestandsmerkmal Frau angeknüpft. Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts vom 23. Mai 201723 wurde jedoch in § 1 Abs. 4 Mutterschutzgesetz für den persönlichen Anwendungsbereich folgende Klarstellung eingefügt: „Dieses Gesetz gilt für jede Person, die schwanger ist, ein Kind geboren hat oder stillt.“ Mithin wurde für das Mutterschutzgesetz eine neue funktionelle Definition des Begriffs Frau im Sinne dieses Gesetzes eingeführt. Danach sind die Rechtsfolgen des Mutterschutzgesetzes also nicht an das biologische Merkmal der Frau geknüpft, sondern an den Zustand der Schwangerschaft, die Geburt eines Kindes oder die Tätigkeit des Stillens.24 4.3.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Aufgrund der funktionellen Definition des Anwendungsbereichs des Gesetzes ist nicht erforderlich , dass die Person personenstandrechtlich als weiblich eingetragen ist. Insofern können auch Personen ohne, mit männlichem oder diversem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister unter den Anwendungsbereich des Mutterschutzgesetzes fallen.25 Mithin liegt vom Normtext her keine geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung vor. Jedoch können die Schwangerschaft, die Geburt und das Stillen nur bei Personen mit den entsprechenden biologischen Voraussetzungen vorliegen. Daher knüpfen diese Normen an das Geschlecht an, wenn auch nicht an das in einer Personenstandsurkunde vermerkte Geschlecht. Die durch die Regeln des Mutterschutzgesetzes erfolgenden Bevorzugungen von Frauen können jedoch durch konkurrierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt 22 BGH, Beschluss vom 10.10.2018 – XII ZB 231/18, NJW 2019, 153, Rn. 28, 29. 23 BGBl. I S. 1228. 24 Pepping, in: Rancke (Hrsg.), Mutterschutz – Elterngeld – Elternzeit – Betreuungsgeld, 5. Aufl. 2018, § 1 MuSchG, Rn. 82. 25 Pepping, in: Rancke (Hrsg.), Mutterschutz – Elterngeld – Elternzeit – Betreuungsgeld, 5. Aufl. 2018, § 1 MuSchG, Rn. 83; Schlachter, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Aufl. 2020, § 1 MuSchG, Rn. 12; Latterner/Weth, in: Brose/Weth/Volk (Hrsg.), Mutterschutzgesetz, Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, 9. Aufl. 2020, § 1 MuSchG, Rn. 77. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 124/20 Seite 10 werden.26 Der genannte Art. 6 Abs. 4 GG gibt jeder Mutter den Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Dies umfasst auch die werdende Mutter.27 Nach Auslegung knüpft Art. 6 Abs. 4 GG an den biologischen Vorgang des Gebärens an, nicht an die personenstandsrechtliche Geschlechtseintragung.28 Da in der menschlichen Biologie nur Frauen schwanger sein, gebären und stillen können, ist die Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung der Geschlechter aufgrund unterschiedlicher natürlicher Voraussetzungen möglich. Eine Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung ist zudem dann möglich, wenn die Differenzierung nach dem Geschlecht grundsätzlich zur Lösung eines Problems, das der Natur nach nur bei einem Geschlecht vorkommt, zwingend erforderlich ist.29 Eine Festschreibung überkommener Rollenverteilungen ist dabei jedoch von Art. 3 Abs. 2 GG verboten .30 Ob die Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann, ist bezüglich jeder Norm gesondert zu prüfen. 4.4. Vorschriften zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter 4.4.1. Rechtslage Es bestehen zahlreiche Regelungen, die in der Rechtsfolge nach dem Geschlecht differenzieren, die das Ziel der Gleichstellung von Männern und Frauen bzw. Jungen und Mädchen verfolgen. Teile dieser Regelungen sind beispielsweise unterschiedliche Erfassungs- und Berichtspflichten, Gleichstellungsinstrumente und -pläne, sowie Regelungen zur Gremien- oder Stellenbesetzung. Ein hervorzuhebendes Beispiel ist das Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG). So heißt es in § 1 Abs. 2 BGleiG zu den Zielen des Gesetzes: „Nach Maßgabe dieses Gesetzes wird die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern gefördert. Strukturelle Benachteiligungen von Frauen sind durch deren gezielte Förderung zu beheben.“31 26 BVerfG, Beschluss vom 25.1.1972 – 1 BvL 3/70, BVerfGE 32, 273; von Coelln, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 6, Rn. 93. 27 BVerfG, Beschluss vom 25.1.1972 – 1 BvL 3/70, BVerfGE 32, 273; von Coelln, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 6, Rn. 90. 28 Von Coelln, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 6, Rn. 95. 29 BVerfG, Beschluss vom 24.1.1995 – 1 BvL 18/93, 1 BvL 5/94, 1 BvL 6/94, 1 BvL 7/94, 1 BvR 403/94, 1 BvR 569/94, BVerfGE 92, 91, 109. 30 Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2016, Art. 3, 95. 31 Hervorhebung nur hier. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 124/20 Seite 11 4.4.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der durch die Förderung der Gleichstellung entstehenden einseitigen Berücksichtigung eines Geschlechts seitens des Gesetzgebers führt das Deutsche Institut für Menschenrechte aus: „Diese Normen konkretisieren Artikel 3 Absatz 2 GG zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern mit dem besonderen Diskriminierungsverbot in Satz 1 und dem ausdrücklichen Fördergebot in Satz 2. Aufgrund dieses verfassungsrechtlichen Schutz- und Förderauftrags und der noch immer vorhandenen strukturellen Benachteiligungen von Frauen sind Regelungen zur Gleichstellung von Frauen und Männern grundsätzlich gerechtfertigt.“32 Art. 3 Abs. 2 GG beinhaltet die Förderung der Chancengleichheit, nach der Normen, die hinreichend geeignet sind, eine auf dem Geschlecht beruhende Benachteiligung auszugleichen, verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden können.33 Die verfassungsrechtliche Prüfung bedarf insoweit immer einer Betrachtung der einzelnen Normen. So hat beispielsweise der Europäische Gerichtshof das Hessische Gleichstellungsgesetz mit zahlreichen Vorgaben und Instrumenten zur Förderung der Gleichstellung und zur Frauenförderung für unionsrechtskonform erklärt.34 Insbesondere sogenannte flexible Entscheidungsquoten, die ausdrücklich ermöglichen, dass „sonstige Gründe“ in der Person eines männlichen Mitbewerbers zu dessen Gunsten berücksichtigt werden können, sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.35 4.5. Regelungen zum Nachteilsausgleich 4.5.1. Rechtslage Regelungen zum Nachteilsausgleich bestehen vor allem im Bereich der sozialen Absicherung, insbesondere im Rentenrecht. So regelt zum Beispiel § 237a des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) spezielle Ansprüche auf vorzeitige Altersrente für Frauen, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind und das 60. Lebensjahr vollendet haben. Die so genannte Mütterrente ist hingegen nicht an das Geschlecht geknüpft, sondern kann von der Person in Anspruch genommen werden, die in dem relevanten Zeitraum einen Großteil der Kindererziehung geleistet hat, u.a. § 307d SGB VI. 32 Deutsches Institut für Menschenrechte, Gutachten: Geschlechtervielfalt im Recht. Status quo und Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt, 2017, S. 35. 33 Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2016, Art. 3, 97a. 34 EuGH, Urteil vom 28.3.2000 – Rs. C-158/97, NJW 2000, 1549. 35 Schmidt, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Aufl. 2020, GG, Art. 3, Rn. 93; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2013, Art. 3, Rn. 113. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 124/20 Seite 12 4.5.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Regelungen, die dem Nachteilsausgleich von Frauen dienen, können aufgrund des verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbots und des Fördergebots aus Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt sein, um so eine faktische Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen. 4.6. Strafrecht – Exhibitionistische Handlungen 4.6.1. Rechtslage Nach § 183 Strafgesetzbuch (StGB) kann nur ein Mann, der eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt, bestraft werden. 4.6.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Bezüglich dieses Straftatbestandes haben 2017 sowohl der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages ,36 als auch eine vom damaligen Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz eingesetzte Expertenkommission zur Überarbeitung des Sexualstrafrechts eine geschlechtsneutrale Formulierung empfohlen.37 Eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter wurde bislang damit begründet, dass Frauen wesentlich seltener exhibitionistische Handlungen begehen und diese für die Opfer auch weniger negative Auswirkungen haben.38 Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts kann aus diesem Umstand heraus jedoch nicht abgeleitet werden. 4.7. Regelungen zur Unterbringung und Durchsuchung 4.7.1. Rechtslage In mehreren Vorschriften, die polizeiliche Durchsuchungs- und Untersuchungsmaßnahmen betreffen , ist geregelt, dass Frauen nur von Frauen, und Männer nur von Männern durchsucht werden dürfen, zum Beispiel in § 84 Abs. 1 S. 2 Strafvollzugsgesetz (StVollzG), § 43 Abs. 4 Bundespolizeigesetz und § 81d Abs. 1 S. 1 Strafprozessordnung. Bezüglich des Strafvollzugs ist in § 140 Abs. 2 StVollzG geregelt, dass Frauen und Männer getrennt voneinander unterzubringen sind. Frauen sind in der Regel in besonderen Frauenanstalten unterzubringen. Der Strafvollzug fällt seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 jedoch in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder.39 36 BT-Drs. 19/2250, S. 24. 37 Vgl. Heger, ZRP 2018, 118 ff. 38 Heger, ZRP 2018, 118, 119 f. 39 Degenhart, NVwZ 2006, 1209, 1213. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 124/20 Seite 13 4.7.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Die Durch- und Untersuchung von Menschen des jeweils gleichen Geschlechts sowie die getrennte Unterbringung stellen eine unterschiedliche Behandlung der Personen aufgrund ihres Geschlechts dar. Jedoch ist darin keine Bevorzugung oder Benachteiligung iSd Art. 3 Abs. 3 GG bzw. Art. 3 Abs. 2 GG zu erkennen. 4.8. Regelungen zum Opfer- und Gewaltschutz 4.8.1. Rechtslage Es bestehen besondere Regelungen zum Schutz vor Gewalt, insbesondere häuslicher Gewalt oder Zwangsprostitution. Regelmäßig ist in diesen Regelungen das Kriterium des Geschlechts bzw. das Erfordernis der Schutzbedürftigkeit ein allgemeiner Anknüpfungspunkt.40 Teilweise werden explizit Frauen in bestimmten Situationen als zu schützenden Personen ausdrücklich benannt. So erklärt die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Bundesmeldegesetzes (BMGVwV) im Abschnitt 51, Nummer 51.0.2. zu Hinweispflichten der Behörden anlässlich der Eintragung einer Auskunftssperre: „Wenn Anhaltspunkte für die Gefährdung einer Frau bestehen, zum Beispiel durch häusliche Gewalt, Zwangsprostitution oder „Gewalt im Namen der Ehre“, soll die Meldebehörde auf das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben und die entsprechende Internetadresse (Telefon: 08000116016; Internet: www.hilfetelefon.de) hinweisen.“ 4.8.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Die genannte Norm stellt eine Verwaltungsanweisung dar, nach der Frauen auf ein besonderes Hilfsangebot aufmerksam gemacht werden sollen. Männer können auch Opfer von häuslicher Gewalt , Zwangsprostitution etc. sein. Insofern werden Frauen aufgrund ihres Geschlechts bevorzugt behandelt. Der Hinweis auf spezielle Hilfsmöglichkeiten dient den verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit etc. Frauen sind regelmäßig körperlich schwächer als Männer. Daher ist der spezielle Schutz von Frauen durch das genannte kollidierende Verfassungsrecht gerechtfertigt. Es entspricht ferner dem in Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG enthaltenen Gebot, aufgrund von meist unterschiedlicher körperlicher Ausstattung der Geschlechter, bestehende Nachteile zu beseitigen. *** 40 Deutsches Institut für Menschenrechte, Gutachten: Geschlechtervielfalt im Recht. Status quo und Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt, 2017, S. 38.