Deutscher Bundestag Eisenbahnen des Bundes als privatrechtliche Wirtschaftsunternehmen und staatliche Gewährleistungspflicht für das Wohl der Allgemeinheit Zum Verhältnis von Art. 87e Abs. 3 und Art. 87e Abs. 4 Grundgesetz (GG) Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 124/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 124/12 Seite 2 Eisenbahnen des Bundes als privatrechtliche Wirtschaftsunternehmen und staatliche Gewährleistungspflicht für das Wohl der Allgemeinheit Zum Verhältnis von Art. 87e Abs. 3 und Art. 87e Abs. 4 Grundgesetz (GG) Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 124/12 Abschluss der Arbeit: 8. Mai 2012 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 124/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Grundaussagen der Art. 87 Abs. 3 und 4 GG 4 2.1. Eisenbahnunternehmen des Bundes gemäß Art. 87 Abs. 3 GG 4 2.2. Die Gewährleistungsverantwortung des Art. 87e Abs. 4 S. 1 GG 5 2.2.1. Gewährleistung hinsichtlich des Schienennetzes 5 2.2.2. Gewährleistungsverantwortung hinsichtlich des Verkehrsangebotes 5 3. Einzelfragen 6 3.1. Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen der privatrechtlichen Form der Eisenbahnunternehmen des Bundes als Wirtschaftsunternehmen einerseits und der Gewährleistungspflicht des Bundes für das Wohl der Allgemeinheit andererseits? 6 3.2. Welche Rechte als Eigentümer von Eisenbahnen als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form stehen dem Bund im Lichte seiner Gewährleistungspflicht für das Wohl der Allgemeinheit und deren Verkehrsbedürfnissen, insbesondere im Hinblick auf die allgemeine Daseinsvorsorge im Fernverkehr, zu? Liegt hier ggf. ein Spanungsverhältnis zwischen der privatwirtschaftlichen Gewinnerzielungsabsicht eines Wirtschaftsunternehmens und dem Wohl der Allgemeinheit und deren Verkehrsbedürfnissen vor? Wenn ja, wie kann ein solches Spannungsverhältnis aufgelöst werden, ohne dabei eines der beiden verfassungsrechtlich normierten Prinzipien zu verletzen? Welche Kriterien sind diesbezüglich anzulegen? 8 3.2.1. Externe Steuerung durch legislative oder administrative Einwirkung des Bundes 8 3.2.2. Interne Steuerung durch Beteiligungsverwaltung 8 3.2.3. Fazit 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 124/12 Seite 4 1. Einleitung Nach Art. 87e Abs. 3 S. 1 Grundgesetz (GG) werden Eisenbahnen des Bundes als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form geführt. Art. 87e Abs. 4 GG normiert eine staatliche Grundverantwortung für das Eisenbahnwesen.1 Danach gewährleistet der Bund, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz Rechnung getragen wird. Der Schienenpersonennahverkehr ist ausgenommen. Es besteht eine Verantwortung des Bundes selbst, nicht aber der als Wirtschaftsunternehmen zu führenden Eisenbahnen des Bundes.2 Nach einem Überblick über die Grundaussagen der Art. 87 Abs. 3 und 4 GG (2.) wird nachfolgend zu Einzelfragen betreffend das Verhältnis dieser Bestimmungen Stellung genommen (3.). 2. Grundaussagen der Art. 87 Abs. 3 und 4 GG 2.1. Eisenbahnunternehmen des Bundes gemäß Art. 87 Abs. 3 GG Eisenbahnen des Bundes nach Art. 87 Abs. 3 GG sind solche, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen. Dies entspricht der Definition des Art. 74 Abs.1 Nr. 6a GG. Art. 87 Abs. 3 GG schreibt eine Organisationsprivatisierung vor.3 Eine Verpflichtung zur Aufgaben- und Kapitalprivatisierung im Sinne einer vollständigen Veräußerung der staatlichen Unternehmen des Bundes an die Bahn gibt Art. 87e Abs. 3 GG nicht vor.4 Im Hinblick auf diese weitergehende Privatisierung ist vielmehr zwischen Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eisenbahnverkehrsunternehmen zu differenzieren, welche aus der europarechtlichen Trennung der Bereiche Infrastruktur und Verkehrsleistungen resultiert.5 Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes sind solche Unternehmen, denen der Bau, die Unterhaltung und das Betreiben der Schienenwege obliegen (Art. 87e Abs. 3 S. 2 GG). „Bau“ umfasst den Neu- und Ausbau sowohl des Schienennetzes, als auch der schienenspezifischen Bestandteile (z.B. Signaltechnik).6 „Unterhaltung“ bedeutet, für die Funktionsfähigkeit des Schienennetzes Sorge zu tragen. Unter „Betreiben“ des Schienennetzes ist nicht die tatsächliche Beförderung der Fahrgäste oder Güter zu verstehen, vielmehr geht es um den Betrieb der Leit- und 1 Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 87e Rn. 18. 2 Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, Art. 87e Rn. 18. 3 Remmert, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar GG, Stand: 1. Februar 2012, Art. 87e GG Rn. 10. 4 Wieland, in: Dreier, GG, 2. Aufl., Bd. III, 2008, Art. 87e Rn. 27. 5 Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl., 2012, Art. 87e Rn. 11. Zur nachfolgenden Begriffsunterscheidung siehe: , Die Vereinbarkeit einer Privatisierung der Deutschen Bahn AG mit Artikel 87e Abs. 3 und 4 des Grundgesetzes, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Ausarbeitung WD 3 - 106/07. 6 Gersdorf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl, 2010, Art. 87e Rn. 56. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 124/12 Seite 5 Sicherheitssysteme.7 Der Bund kann seine Anteile an einem solchen Infrastrukturunternehmen grundsätzlich an Private veräußern. Jedoch bedarf es dazu einerseits eines förmlichen Gesetzes (Art. 87e Abs. 3 S. 3, 1. HS GG); andererseits muss bei einer solchen Veräußerung die Mehrheit der Anteile stets beim Bund verbleiben (Art. 87e Abs. 3 S. 3, 2. HS GG). Eisenbahninfrastrukturunternehmen müssen danach im Eigentum des Bundes verbleiben. Es besteht ein Veräußerungsverbot für Infrastrukturunternehmen (sog. Infrastruktur- oder Schienenwegevorbehalt). Für Unternehmen, von denen die eigentliche Verkehrsleistung erbracht wird (Eisenbahnverkehrsunternehmen des Bundes), gelten die Einschränkungen des Art. 87e Abs. 3 GG hingegen nicht. Für die Privatisierung ist kein Gesetz erforderlich, der Bund kann seine Anteile vollständig oder mehrheitlich aufgeben.8 2.2. Die Gewährleistungsverantwortung des Art. 87e Abs. 4 S. 1 GG9 2.2.1. Gewährleistung hinsichtlich des Schienennetzes Die Gewährleistungsverantwortung erstreckt sich einerseits auf das Schienennetz. Wegen des Schienenwegevorbehalts des Artikel 87e Abs. 3 S. 2, 3 GG besteht die Gewährleistung für das Schienennetz zeitlich unbegrenzt und kann nicht ohne weiteres entfallen. Der Bund muss deshalb das Schienennetz als solches erhalten.10 Eine Bestandsgarantie für einzelne Strecken kann aus Art. 87e Abs. 4 S. 1 GG zwar nicht abgeleitet werden, jedoch wäre ein massiver oder kontinuierlicher Abbau des Schienennetzes im Hinblick auf die Gewährleistungsverantwortung des Bundes unzulässig.11 Eine adäquate Grundversorgung ist zu gewährleisten, eine optimale, flächendeckende Schieneninfrastruktur und Aufrechterhaltung des Status quo ist nicht erforderlich.12 2.2.2. Gewährleistungsverantwortung hinsichtlich des Verkehrsangebotes Für den Bund ergibt sich aus Art. 87e Abs. 4 S. 1 GG auch die Verpflichtung, ein angemessenes Verkehrsangebot sicherzustellen. Die Veräußerung der Eisenbahnverkehrsunternehmen des Bundes an Private unterliegt jedoch nicht den Einschränkungen des Art. 87e Abs. 3 S. 2 und 3 GG, sodass die Situation eintreten kann, dass der Bund nicht mehr (alleiniger) Eigentümer der Eisenbahnverkehrsunternehmen ist. 7 Röhl/Schmidt-Aßmann, Grundpositionen des neuen Eisenbahnverfassungsrechts (Art. 87e GG), in: DÖV 1994, S. 577 ff., S. 582. 8 Gersdorf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 87e Rn. 61. 9 Zu den nachfolgenden Ausführungen siehe: , S. 4 f. 10 Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, Art. 87e Rn. 20. 11 Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, Art. 87e Rn. 20. 12 Windthorst, in: Sachs, Grundgesetz, 5. Aufl., 2009, Art. 87e Rn. 64. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 124/12 Seite 6 Ob in diesem Fall die Gewährleistungsverantwortung des Bundes endet oder weiterhin bestehen bleibt, ist umstritten: Es wird zum Teil vertreten, dass bei einer vollständigen Veräußerung der Eisenbahnverkehrsunternehmen auch die Gewährleistungspflicht des Bundes entfällt.13 Absatz 4 S. 1 der Vorschrift gelte nur für Infrastrukturunternehmen. Bei Verkehrsunternehmen gelte: Nach einer vollständigen Veräußerung der Eisenbahnverkehrsunternehmen gebe es keine Eisenbahnen mehr, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stünden (vgl. Art. 73 Nr. 6a GG), sodass der Regelungszweck des Absatz 4 S. 1 GG für diesen Bereich entfalle. Der Bund sei jedoch verpflichtet, vor einer Anteilsveräußerung zu überprüfen, ob die Verkehrsangebote auch von den privaten Betreibern dauerhaft sichergestellt werden können. Andere Stimmen leiten aus Art. 87 e Abs. 4 GG eine noch weitergehende Pflicht des Bundes ab.14 Auch wenn er das mehrheitliche Anteilseigentum aufgegeben habe, bestehe seine Gewährleistungsverantwortung fort.15 Er habe sogar die Pflicht, Unternehmensanteile zurückzuerwerben, wenn sich die Prognose, dass ausreichende Verkehrsangebote auch ohne Bundeseigentum bestünden , nicht erfüllt habe (Rückholpflicht).16 3. Einzelfragen 3.1. Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen der privatrechtlichen Form der Eisenbahnunternehmen des Bundes als Wirtschaftsunternehmen einerseits und der Gewährleistungspflicht des Bundes für das Wohl der Allgemeinheit andererseits? Wie bereits dargelegt, ist zu unterscheiden zwischen den Eisenbahnen des Bundes und dem Bund selbst: Das Führen der Eisenbahnen des Bundes als privatrechtliches Wirtschaftsunternehmen gemäß Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG bedeutet eine kaufmännische, wettbewerbs- und gewinnorientierte Führung nach handelsrechtlichen Grundsätzen.17 Dies gilt sowohl für Eisenbahninfrastruktur - als auch für Eisenbahnverkehrsunternehmen.18 Zu den unternehmerischen Entscheidungsrechten bzw. -pflichten, die auch für die Eisenbahnen des Bundes bestehen, zählen u.a. eine unabhängige Geschäftsführung durch eigenverantwortliche, im Rahmen der Rechtsordnung freie Festlegungen, insbes. hinsichtlich der Unternehmensziele und -politik, Verantwortung für unternehmerische Entscheidungen und daraus resultierende wirtschaftliche Ergebnisse, ein handelsrechtlichen Bilanzierungsgrundsätzen verpflichtetes Rechnungswesen, das kaufmännische 13 Möstl, in: Maunz/Dürig/Herzog (MDH), Bd. VI, Stand: November 2006, Art. 87e Rn. 108; Windthorst, in: Sachs, Art. 87e Rn. 61. 14 Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, Art, 87e Rn. 21; Wieland, in: Dreier, Art. 87e Rn. 33. 15 Gersdorf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 87e Rn. 74. 16 Wieland, in: Dreier, Art. 87e Rn. 33. 17 Windthorst, in: Sachs, Art, 87e Rn. 42. 18 Gersdorf, in v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 87e Rn. 49. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 124/12 Seite 7 Führung nach innen gewährleistet und wahrheitsgemäß Rechenschaft nach außen ablegt.19 Die Privatwirtschaftlichkeitsgarantie schließt – für Infrastrukturunternehmen in den Grenzen des Art. 87e Abs. 3 S. 3 und 4 GG – auch die Verfügung über das Unternehmensvermögen ein.20 Die durch Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG festgestellte Privatwirtschaftlichkeit verbietet eine unmittelbare Gemeinwohlbindung nach Art. 87e Abs. 4 S. 1 GG.21 Adressat der Gemeinwohlverpflichtung ist allein der Bund. Es vollzieht sich in der Regelung des Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG ein grundlegender Wechsel der Entscheidungsrationalität: An die Stelle dominierender Leistungsstaatlichkeit und einer hierin von vornherein einbezogenen Gemeinwirtschaftlichkeit tritt nunmehr das vorrangige Ziel der Erwerbswirtschaftlichkeit und Gewinnerzielung.22 Die Eisenbahnen unterliegen nicht mehr dem verfassungsrechtlichen Gemeinwohlauftrag. Dies bedeutet aber nicht, dass sie jeden Gemeinwohlbezug eingebüßt haben.23 Vielmehr gibt es zahlreiche Möglichkeiten der Indienstnahme für und Beauftragung mit gemeinwirtschaftlichen Leistungen zur Erbringung des staatlichen Gemeinwohlauftrags nach Art. 87e Abs. 4 S. 1 GG, die die Privatwirtschaftlichkeit nicht beeinträchtigen . Angesichts des Spannungsverhältnisses zu Art. 87e Abs. 4 GG wird man davon ausgehen können, dass die Privatwirtschaftlichkeit nach Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG einzelnen, punktuellen Modifikationen und Überlagerungen unterliegen kann (zum Sach- und Streitstand im Einzelnen 3.2).24 Allerdings darf der Gewährleistungsauftrag des Art. 87e Abs. 4 S. 1 GG auch nicht dergestalt umgesetzt werden, dass gleichsam „durch die Hintertür“ die prinzipielle Leistungsstaatlichkeit und Gemeinwohlbindung der Eisenbahnen des Bundes wieder eingeführt und zur erklärten Unternehmensaufgabe gemacht wird.25 Letztlich sind Art. 87e 3 und 4 GG Ausprägungen des Leitbildes einer staatlichen Gewährleistung eines privatwirtschaftlichen Dienstleistungsangebotes.26 19 Windthorst, in: Sachs, Art. 87e Rn. 45. 20 Windthorst, in: Sachs, Art. 87e Rn. 46. 21 Windthorst, in: Sachs, Art. 87e Rn. 47. 22 Möstl, in: MDH, Art. 87e Rn. 82. 23 Möstl, in: MDH, Art. 87e Rn. 82. 24 Möstl, in: MDH, Art. 87e Rn. 82. 25 Möstl, in: MDH, Art. 87e Rn. 84. 26 Möstl, in: MDH, Art. 87e Rn. 84. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 124/12 Seite 8 3.2. Welche Rechte als Eigentümer von Eisenbahnen als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form stehen dem Bund im Lichte seiner Gewährleistungspflicht für das Wohl der Allgemeinheit und deren Verkehrsbedürfnissen, insbesondere im Hinblick auf die allgemeine Daseinsvorsorge im Fernverkehr, zu? Liegt hier ggf. ein Spanungsverhältnis zwischen der privatwirtschaftlichen Gewinnerzielungsabsicht eines Wirtschaftsunternehmens und dem Wohl der Allgemeinheit und deren Verkehrsbedürfnissen vor? Wenn ja, wie kann ein solches Spannungsverhältnis aufgelöst werden, ohne dabei eines der beiden verfassungsrechtlich normierten Prinzipien zu verletzen? Welche Kriterien sind diesbezüglich anzulegen? Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG impliziert ein Handlungsverbot für den Bund.27 Er darf die erfassten Leistungen nicht selbst gewährleisten, sondern kann als Eigentümer durch legislative und administrative Instrumente auf die Eisenbahnen des Bundes einwirken.28 Der Bund ist gemäß Art. 87e Abs. 4 S. 1 GG in seiner Eigenschaft als Aktionär und Regulierungsberufener Adressat des Gemeinwohlauftrags .29 3.2.1. Externe Steuerung durch legislative oder administrative Einwirkung des Bundes Umfasst sind die Mittel des Eisenbahnverwaltungsrechts wie Regelungen über den Netzzugang, Genehmigungsverfahren für Streckenstilllegungen, ggf. eine Entgeltregulierung sowie Planungsund Finanzierungsmittel für die Infrastruktur30 und der Einkauf gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Wege der öffentlichen Auftragsvergabe.31 Zu nennen sind außerdem gesetzliche Regelungen , wie z. B. im Rahmen des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG), die Anforderungen an die Sicherheit, einen funktionstüchtigen Wettbewerb und ein attraktives Verkehrsangebot auf der Schiene stellen.32 Die Vereinbarung oder Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Leistungen gemäß § 15 AEG ist ebenfalls ein privatwirtschaftliches Instrument, denn es verlangt zwar von einem Unternehmen die Erfüllung von Aufgaben, die nicht auch in seinem wirtschaftlichen Interesse liegen, sieht dies aber gegen finanziellen Ausgleich vor.33 3.2.2. Interne Steuerung durch Beteiligungsverwaltung Allgemein wird die Einwirkung des Bundes gegenüber den Eisenbahnen des Bundes als Eigentümer zur Realisierung des Gemeinwohlauftrages nach Art. 87e Abs. 4 GG, insbesondere zur Wah- 27 Windthorst, in: Sachs, Art. 87e Rn. 44. 28 Hammer, Die unternehmerische Freiheit der Eisenbahnen des Bundes, in: DÖV 2011, S. 761 ff., S. 767. 29 Hammer, in: DÖV 2011, S. 761 ff., S. 766. 30 Windhorst, in: Sachs, Art. 87e Rn. 66; siehe hierzu auch §§ 1, 8 Schienenwegeausbaugesetz (SchwAbG). 31 Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, Art. 87e Rn. 18. 32 Möstl, in: MDH, Art. 87e Rn. 87. 33 Möstl, in: MDH, Art. 87e Rn. 88. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 124/12 Seite 9 rung der Verkehrsinteressen, nicht kategorisch ausgeschlossen.34 Die durch Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG garantierte Privatwirtschaftlichkeit hindere den Bund nicht generell daran, durch Einfluss auf seine Eisenbahnunternehmen (sog. Beteiligungsverwaltung) gemeinnützige Ziele zu verfolgen, zumal diese in Art. 87e Abs. 4 S. 1 GG ausdrücklich verfassungsrechtlich verankert seien.35 Im Hinblick auf die Reichweite der Einwirkungsmöglichkeiten wird unterschiedlich argumentiert: Zum Teil wird generell festgestellt, dass der Bund als Eigentümer öffentlicher Eisenbahnunternehmen der Bindung an den öffentlichen Zweck nach Art. 87e Abs. 4 S. 1 GG unterworfen sei.36 Der Bund als Träger des öffentlichen Unternehmens sei hierzu infolge des Demokratieprinzips verpflichtet .37 Zum Teil wird einschränkend betont, dass die gemeinnützige Beteiligungsverwaltung formellen und materiellen Grenzen des Gesellschafts- und Konzernrechts unterliege, welche die privatwirtschaftliche Handlungsrationalität nach Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG schützten.38 So bestünden beispielsweis bei Aktiengesellschaften jedenfalls keine Weisungsrechte gegenüber der Unternehmensleitung . Das Ziel, die ökonomischen Interessen des Unternehmens zu wahren, stehe nicht zur Disposition der Organe und Aktionäre der Eisenbahnunternehmen des Bundes.39 Kämen sie diesem verfassungsunmittelbaren Grundsatz des Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG nicht nach, seien sie zum Schadensausgleich verpflichtet (§§ 76 Abs. 1 , 93, 116 AktG). Kernpunkt des Konzernrechts sei es, dass das herrschende Unternehmen (hier der Bund) das abhängige Unternehmen (hier die Eisenbahnen des Bundes) nicht zu nachteiligen Maßnahmen ohne Nachteilsausgleich veranlassen dürfe (§ 311 AktG); anderenfalls bestünden Schadensersatzansprüche (§ 317 AktG).40 Unproblematisch seien – umgekehrt formuliert – danach Einwirkungen des Bundes im Sinne des Gewährleistungsauftrags im Rahmen der Beteiligungsverwaltung, sofern aufgrund von Ausgleichsregelungen die ökonomischen Interessen des Eisenbahnunternehmens des Bundes unberührt blieben.41 Darüber hinaus wird es teilweise aber auch für möglich erachtet, dass der Bund die Möglichkeit hätte, im Wege externer, aber auch interner Steuerung privatwirtschaftseinschränkend auf die Eisenbahnunternehmen einzuwirken, sofern der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet und der Privatwirtschaftlichkeitsgrundsatz dem Grunde nach gewahrt werde, z. B. durch Einwirkung 34 Möstl, in: MDH, Art. 87e Rn. 91; Wieland, in: Dreier, Art. 87e Rn. 31; Windthorst, in: Sachs, Art. 87e Rn. 67; dogmatisch enger: Gersdorf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 87e Rn. 80 (Gersdorf betont, dass der Privatwirtschaftlichkeitsgrundsatz des Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG das einzige Funktionsgesetz sei). 35 Windhorst, in: Sachs, Art. 87e Rn. 67. 36 Wieland, in: Dreier, Art. 87e Rn. 31. 37 Wieland, in: Dreier, Art. 87e Rn. 31. 38 Möstl, in: MDH, Art. 87e Rn. 92; Windthorst, in: Sachs, Art. 87e Rn. 68, so im Ergebnis auch Gersdorf, in: v. Mangoldt /Klein/Starck, Art. 87e Rn. 80. 39 Gersdorf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 87e Rn. 80. 40 Möstl, in: MDH, Art. 87e Rn. 92. 41 Gersdorf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 87e Rn. 80. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 124/12 Seite 10 ohne Ausgleich abweichend von § 15 AEG bzw. § 311 AktG.42 Allerdings wird diesbezüglich die Frage der Europarechtskonformität aufgeworfen (europarechtliche Grenzen der gemeinwirtschaftlichen Bindungen und die Unabhängigkeit der Geschäftsführung).43 3.2.3. Fazit Es bleibt festzuhalten, dass sich aus dem Zusammenspiel von Art. 87e Abs. 3 und 4 GG eine komplexe Gemengelage von privatwirtschaftlichen Grundsätzen im Sinne kaufmännischer Unternehmensführung und einer gemeinwohlorientierten Verwaltungsverantwortung des Bundes ergibt. Hierbei ist zu beachten, dass der Gesetzgeber bei der Realisierung des Gewährleistungsauftrags verfassungsrechtliche Vorgaben in Bezug auf die Wahl der Mittel zu beachten hat: Das Erbringen der Leistungen ist ausschließlich durch die Eisenbahnen des Bundes möglich, der Bund ist auf die oben beschriebenen Einwirkungsmöglichkeiten beschränkt (3.2.1 und 3.2.2).44 Hinzu kommt, dass staatliche infrastrukturelle Verfassungsaufträge sich grundsätzlich nicht in einem reinen Gebot der Zielverfolgung erschöpfen dürften, sondern dem Staat jedenfalls ein gewisses Mindestniveau („Grundversorgung“) bindend vorschreiben wollen (Stichwort: „Untermaßverbot “).45 Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber nach Art. 87e Abs. 4 S. 2 GG über einen weiten Gestaltungsspielraum verfügt („Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt .“).46 Da sich das Grundgesetz auf wenig konkrete Vorgaben beschränkt („Wohl der Allgemeinheit “, insbesondere „Verkehrsbedürfnisse“), kommt dem Gesetzgeber letztlich die Aufgabe zu, den verfassungsrechtlich garantierten Leistungsumfang im Eisenbahnsektor näher zu definieren .47 Er hat hierbei eine nur begrenzt überprüfbare Einschätzungsprärogative.48 Zielkonflikte zwischen Art. 87e Abs. 3 und 4 GG sind letztlich durch Abwägung unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit und der praktischen Konkordanz auszugleichen.49 Ein unbedingter Vorrang etwa des Verkehrsbedürfnisses ist nicht anzunehmen,50 sondern lediglich das besondere Gewicht dieses Belanges. Auch andere Belange, wie z. B. das Wirtschaftlichkeitsprinzip und für andere Verkehrsträger sprechende Gründe, sind in die Abwägung einzubeziehen.51 42 Möstl, in: MDH, Art. 87e Rn. 98 f.; so im Ergebnis auch: Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, Art. 87e Rn. 18. 43 Möstl, in: MDH, Art. 87e Rn. 99. 44 Gersdorf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 87e Abs. 4 Rn. 76. 45 Gersdorf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 87e Abs. 4 Rn. 77; Möstl, in: MDH, Art. 87e Rn. 182. 46 Windthorst, in: Sachs, Art. 87e Rn. 64. 47 Gersdorf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 87e Abs. 4 Rn. 76. 48 Möstl, in: MDH, Art. 87e Rn. 182. 49 Windthorst, in: Sachs, Art. 87e Rn. 64. 50 Windthorst, in: Sachs, Art. 87e Rn. 63. 51 Möstl, in: MDH, Art. 87e Rn. 183.