© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 122/21 Streichung des Begriffs „Rasse“ aus der französischen Verfassung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Sie gewährleistet die Gleichheit vor dem Gesetz für alle Bürger unabhängig von der Herkunft, Rasse oder Religion.“ Darüber hinaus bestimmt die Präambel der Verfassung vom 27. Oktober 1946 (ein Text von verfassungsrechtlichem Wert, den der Conseil constitutionnel nutzt): „Nach dem Sieg, den die freien Völker herbeigebracht haben über die Regime, die versucht haben, die Menschen zu versklaven und zu erniedrigen, verkündet das französische Volk erneut, dass alle menschlichen Lebewesen, ohne Unterscheidung nach Rasse, Religion oder Glauben, unantastbare und heilige Rechte haben.“ 2. Gesetzentwurf „Démocratie plus représentative, responsable et efficace“ und Verfahren Der Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung (projet de loi constitutionnelle) „Démocratie plus représentative, responsable et efficace“ war ursprünglich von der Regierung am 9. Mai 2018 in die Nationalversammlung (Assemblée nationale) eingebracht worden und an die Commission des lois (vergleichbar mit dem Ausschuss für Recht) überwiesen. Der Gesetzentwurf verfolgte das Ziel, mehrere Artikel der Verfassung vom 4. Oktober 1958 zu ändern: So sollten bei den staatlichen Einrichtungen modifiziert werden: die Funktionsweise des Verfassungsgerichts (Ende der Mitgliedschaft früherer Präsidenten), der Regierung (Unvereinbarkeit des Amts des Ministers und lokaler Exekutive), des Gerichtshofs der Republik (Auflösung), des „Conseil économique, social et environnemental“, d. h. des Rats für Wirtschaft, Soziales und Umwelt (Umwandlung in eine „Chambre de la société civile“, also eine Kammer der Zivilgesellschaft, die insbesondere die Konsultation der Öffentlichkeit organisieren wird) und des „Conseil supérieur de la magistrature“ (CSM), d. h. des Obersten Gerichtsrats. Der Gesetzentwurf behandelte auch sehr technische Fragen des Gesetzgebungsverfahrens: die Behandlung bestimmter Änderungsanträge, die Durchsetzung der Rolle der Ausschüsse bezüglich der Annahme von Änderungsanträgen, die Funktionsweise des Ausschusses für Finanzen sowie des paritätischen Ausschusses. Hinzu kamen Änderungen bezüglich der Gebietskörperschaften. In der ursprünglich von der Regierung eingebrachten Fassung des Gesetzentwurfs wurde die Nennung des Begriffs „Rasse“ nicht thematisiert. Die Thematik wurde erst während des Verfahrens in der Commission des lois (Rechtsausschuss) durch den Änderungsantrag CL-241 eingefügt, der lautete: „In Absatz 1, Satz 2 von Artikel 1 der Verfassung wird das Wort ‚Rasse‘ gestrichen.“ Zur Begründung führte die Commission aus: „In der menschlichen Spezies gibt es keine Rassen. Es geht nun darum den Verweis auf die Rasse zu streichen, welcher in keiner Weise mit der biologischen Realität übereinstimmt, sondern im Gegenteil einer Ideologie entspricht, für die es Zeit ist, sie aus unserem Gründungstext zu streichen.“ Der Gesetzentwurf wurde am 29. August 2019 durch die Regierung von der Tagesordnung genommen und damit zurückgezogen. Diese Zurückziehung stand im Ermessen der Regierung und lässt Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 122/21 Seite 4 sich vor allem durch zwei Punkte erklären: das soziale Klima im Kontext der Krise der „gilets jaunes “, der Gelbwestenproteste, sowie das Risiko, die zur Annahme dieses Vorhabens notwendige Mehrheit nicht zu erreichen. Artikel 89 der französischen Verfassung bestimmt, dass ein Vorhaben entweder durch ein Referendum oder durch den Kongress, der aus Nationalversammlung und Senat besteht, angenommen werden muss. In diesem Fall fordert Artikel 89 der französischen Verfassung eine Mehrheit von drei Fünfteln der abgegebenen Stimmen. Der Gesetzentwurf „pour un renouveau de la vie démocratique“ (für eine Erneuerung des demokratischen Lebens), der von der Regierung am 29. August 2019 in die Nationalversammlung eingebracht wurde, stellt keinen Ersatz für den am gleichen Tag zurückgezogenen Entwurf dar. Er enthält eine gewisse Anzahl an Reformen, insbesondere zur Bürgerbeteiligung sowie zahlreiche Forderungen, die anlässlich der „Krise der Gelbwesten“ geäußert wurden, jedoch keine Änderungen der Verfassung . Allerdings wurde auch dieser Gesetzentwurf noch nicht beschlossen.1 Die Streichung des Begriffs „Rasse“ aus der Verfassung ist tagespolitisch nicht mehr aktuell. Im Jahr 2018 wurde die Thematik anlässlich eines ursprünglich sehr technischen Textes (parlamentarische Rechte, Rechte der Gebietskörperschaften) aufgegriffen. Politischer Hintergrund waren einige Abgeordnete in der Nationalversammlung, für die die Nennung des Begriffs „Rasse“ entweder einen Bezug zu Frankreichs kolonialer Vergangenheit oder zu den „Rassegesetzen“ (ein von der Vichy-Regierung beschlossenes Gesetzespaket, das gegen die in Frankreich lebenden Juden gerichtet war) darstellt. *** 1 Lediglich die Meinung des Conseil de l’Etat (Staatsrat) wurde veröffentlicht. Informationen über das Vorhaben sind auf der Internetseite der Assemblée nationale verfügbar: https://www.assemblee-nationale.fr/dyn/15/dossiers /alt/renouveau_vie_democratique.