© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 121/19 Einstufung von Informationen als „GEHEIM“ und parlamentarisches Informationsrecht Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 121/19 Seite 2 Einstufung von Informationen als „GEHEIM“ und parlamentarisches Informationsrecht Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 121/19 Abschluss der Arbeit: 13. Mai 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 121/19 Seite 3 1. Fragestellung Es stellt sich die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage sich Informationen als „GEHEIM“ einstufen lassen und welche Beispiele es hierfür gibt. Ferner stellt sich die Frage, welche Rechtsschutzmöglichkeiten einer Fraktion gegen eine Einstufung von Informationen zur Verfügung stehen, die Ziel eines parlamentarischen Informationsersuchens sind. 2. Regelung des Geheimschutzes Die maßgebenden Regelungen zum Geheimschutz der Bundesregierung finden sich im Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG)1 und der Verschlusssachenanweisung des Bundes (VSA).2 Nach § 4 Abs. 2 Nr. 1-4 SÜG werden „Verschlusssachen […] entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer amtlichen Stelle des Bundes oder auf deren Veranlassung in folgende Geheimhaltungsgrade eingestuft: 1. STRENG GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden kann, 2. GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen kann, 3. VS-VERTRAULICH, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein kann, 4. VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein kann.“ § 2 VSA wiederholt den Wortlaut von § 4 SÜG. 3. Anwendungsfälle Die Kommentierung3 führt als mögliche Anwendungsfelder für die Einstufung als „GEHEIM“ auf: – Nachrichtendienstliche Aufklärung im militärischen Bereich; 1 Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 20.4.1994 (BGBl. I S. 867) zuletzt geändert durch Art. 4 Gesetz vom 18.7.2017 (BGBl. I S. 2732). 2 Ferner: § 15 Untersuchungsausschussgesetz; §§ 69, 73 GO-BT; ausführliche Darstellung in BT-Drs. 18/12850, S. 88-91. 3 Warg, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 4 Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 121/19 Seite 4 – Erkenntnisse der Spionageabwehr, die die Grundlage für das Agieren gegenüber einem spionierenden Staat darstellen; – Identität von V-Leuten der Sicherheitsbehörden.4 Nach Nr. 3.2. Anlage III zur VSA kommt eine „Einstufung als Verschlusssache des Geheimhaltungsgrades GEHEIM […] zum Beispiel in Betracht für: – Maßnahmen nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses , – Informationen zur ‚Elektronischen Kampfführung‘ der Bundeswehr, – Teile des Alarmplanes der Bundeswehr, – besondere Einsatzmittel und -verfahren von Spezialeinheiten der Polizei, – Kryptodaten, die für die Verschlüsselung von VS-VERTRAULICH und höher eingestuften Verschlusssachen eingesetzt werden und – Zusammenstellungen, deren einzelne Teile VS-VERTRAULICH eingestuft sind, die jedoch in ihrer Gesamtheit GEHEIM einzustufen sind.“ Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit bereits mehrfach Antworten auf parlamentarische Anfragen verweigert, weil die erbetenen Informationen „VS – Geheim“ eingestuft waren. Dabei waren Kernpunkt der Begründung u. a. mögliche Rückschlüsse auf – die „technischen Mittel [der] […] Nachrichtendienste des Bundes […] [wobei die Rückschlüsse ] zu einer Änderung des Kommunikationsverhaltens der betreffenden beobachteten Personen führen“ könnten,5 – die „Arbeitsweisen des BND“,6 – die „Ausrichtung und […] Leistungsfähigkeit des BfV [Bundesamt für Verfassungsschutz]“,7 4 Unter Verweis auf VG Ansbach, Urteil vom 13.9.2000, AN 12 K 00.00821, Rn. 25, und BVerfG NJW 2010, 925 (926 f.); BVerfG NJW 1981, 1719 (1724). 5 BT-Drs. 19/5874 „Kommunikationsüberwachung von E-Mails, Servern und Internetforen und BigData-Auswertungen im Bundesamt für Verfassungsschutz“, S. 6. 6 BT-Drs. 19/2645 „Cyberabteilungen im Zuständigkeitsbereich der Bundesministerien“, S. 5. 7 BT-Drs. 19/2645 „Cyberabteilungen im Zuständigkeitsbereich der Bundesministerien“, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 121/19 Seite 5 – „internationale Kooperationen des BND“,8 – die „Zusammenarbeit […] deutscher Sicherheitsbehörden mit Gesprächspartnern“9, – die „Methodik der Sicherheitsbehörden“,10 – die „Luftraumordnung“,11 – die „Fähigkeiten und das Vorgehen deutscher Behörden“ bezüglich der IT-Sicherheit,12 – die „dem Zollkriminalamt zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten bei präventiven Maßnahmen“,13 – „nachrichtendienstliche Aufklärungsaktivitäten“,14 – „Arbeitsweise und Methodik des BfV und insbesondere deren Aufklärungsaktivitäten und Analysemethoden“,15 – die „technischen Fähigkeiten von ausländischen Partnerdiensten“,16 – die „technischen Aufklärungsfähigkeiten des BND im Bereich der Fernmeldeaufklärung“,17 8 BT-Drs. 18/3538 „Liegenschaften US-amerikanischer und britischer Geheimdienste in Deutschland“, S. 2. 9 BT-Drs. 18/215 „Verdacht der Verwendung von Informationen aus Asylverfahren für ‚targeted killings‘“, S. 2. 10 BT-Drs. 17/8544 „Computergestützte Kriminaltechnik bei Polizeibehörden“, S. 2. 11 BT-Drs. 18/7947 „Tornadoeinsatz in der Türkei“, S. 2. 12 BT-Drs. 19/2587 „Bereitstellung von Erkenntnissen aus dem Hack der Bundesregierung für Wirtschaft und Bevölkerung“, S. 2. 13 BT-Drs. 19/5874 „Kommunikationsüberwachung von E-Mails, Servern und Internetforen und BigData-Auswertungen im Bundesamt für Verfassungsschutz“, S. 3. 14 BT-Drs. 19/6338 „Evaluation der ‚Ertüchtigungsinitiative‘ in Tunesien“, S. 2. 15 BT-Drs. 19/1993 „Besondere Maßnahmen zur technischen Überwachung durch Bundesbehörden“, S. 2. 16 BT-Drs. 19/1262 „Hybride Bedrohungen“, S. 1; ebenso BT-Drs. 19/989 „Errichtung einer ‚ortsfesten elektronischen Überwachungsanlage‘ in Tunesien, S. 6; BT-Drs. 18/7708 „Mögliche Erkenntnisse der Bundesregierung schon seit den 1980er-Jahren zur Überwachungstätigkeit ausländischer Geheimdienste, insbesondere der NSA, in Deutschland“, S. 2. 17 BT-Drs. 18/159 „Aktivitäten der Bundesregierung zur Aufklärung der NSA-Ausspähmaßnahmen und zum Schutz der Grundrechte“, S. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 121/19 Seite 6 – die „nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern und nachrichtendienstliche Quellen“18 oder – die „Art und Umfang von Kooperationen des Militärischen Nachrichtenwesens“.19 Die Rechtsprechung hat ein Geheimhaltungsinteresse – ohne Angabe des Geheimhaltungsgrades im konkreten Fall – z. B. anerkannt, wenn „andernfalls Rückschlüsse im Hinblick auf […] die Arbeitsmethode einer nachrichtendienstlichen Behörde möglich wären“.20 Dabei muss ein „sicherer Nachweis“ für die „Gefahr“ oder den „erwarteten Schaden“ wohl nicht erbracht werden: „Dies liegt in der Natur der vorbeugenden Regelung, die nicht erst rückblickend die tatsächlichen Wirkungen eines Handelns bewerten, sondern aufgrund einer prognostischen Entscheidung den Eintritt der nachteiligen Veränderung verhindern will. Es genügt insofern die Möglichkeit einer Beeinträchtigung. Diese Möglichkeit darf nicht nur eine theoretische sein. Eher fernliegende Befürchtungen scheiden daher aus […].“21 4. Eingriff in das parlamentarische Informationsrecht Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, dass dem „Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung, […] grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung korrespondiert.“22 Geheimhaltungsinteressen rechtfertigen es in aller Regel nicht, dass die Bundesregierung dem Bundestag Informationen verschweigt:23 „Ohne Beteiligung am Wissen der Regierung kann das Parlament sein Kontrollrecht gegenüber der Regierung nicht ausüben.“24 Allerdings sind bei der Information des Parlamentes geeignete Vorkehrungen für den Geheimschutz zu beachten.25 Das BVerfG hat es dabei grundsätzlich als zulässig erachtet, wenn die Bundesregie- 18 BT-Drs. 18/11576 „Konsequenzen aus der DITIB-Diyanet-Spionage-Affäre sowie antisemitischen Vorfällen und antichristlichen Online-Kampagnen von DITIB-Untergliederungen für die Deutsche Islamkonferenz“, S. 5. 19 BT-Drs. 17/13187 „Satellitenüberwachung durch den Bund und andere“, S. 8. 20 BVerwG, Beschluss vom 1.2.2011, 20 F 17.10, juris Rn. 5 (Hervorhebung durch Autor) – das Verfahren betraf eine Auskunft über die zur Person des Klägers durch das Bundesamt für Verfassungsschutz erhobenen Daten; ebenso BVerwG, Beschluss vom 27.10.2014, 20 F 6.14. 21 OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.5.2017, 12 B 17.15, Rn. 19 (Hervorhebung durch Autor) im Hinblick auf die Einstufung „VS-NfD“. 22 BVerfG, Urteil vom 21.10.2014, 2 BvE 5/11, Leitsatz 1 (Hervorhebung durch Autor). 23 Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 43 Rn. 103. 24 BVerfG, Urteil vom 7.11.2017, 2 BvE 2/11, Rn. 196. 25 Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 43 Rn. 103. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 121/19 Seite 7 rung Informationen „eingestuft in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages zur Verfügung stellt“ zur dortigen Einsicht durch alle Abgeordneten.26 Ebenfalls anerkannt hat das Gericht die Möglichkeit, „nur ein sehr kleines parlamentarisches Gremium mit Beratungsgegenständen aus einem vertraulichen Bereich zu befassen, […] obgleich damit erhebliche Beschränkungen des Zugangs der meisten Abgeordneten zu diesen Informationen verbunden sind […]“.27 Derartige Beschränkungen sind „rechtfertigungsbedürftig“28 und unterliegen daher dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebot. Dabei gilt insbesondere, dass die Beschränkung erforderlich sein muss, weil kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Verfügung steht. § 15 S. 3 VSA greift diesen Gedanken auf: „Von einer Einstufung als Verschlusssache ist nur Gebrauch zu machen, soweit dies notwendig ist.“ Ist ein geringerer Einstufungsgrad möglich oder steht ein anderes , gleich geeignetes Mittel zur Verfügung, ist hiervon Gebrauch zu machen. Denkbar ist es z. B., je nach Einzelfall, dass sich Informationen zu einem Sachverhalt dergestalt abstrahieren lassen, dass auf geschützte Interessen des Staates keine wesentlichen Rückschlüsse mehr möglich sind. Im Ergebnis könnten dem Bundestag so z. B. abstrakte Informationen offen übermittelt werden, sowie zugleich der Geheimschutzstelle des Bundestages konkretere aber eingestufte Informationen. 5. Rechtsschutz Die Einstufung nach § 4 SÜG ist gerichtlich nachprüfbar.29 Für Untersuchungsausschüsse sieht der Gesetzgeber in § 18 Abs. 3 PUAG vor, dass „der Ermittlungsrichter […] des Bundesgerichtshofes über die Rechtmäßigkeit einer Einstufung“ entscheidet. Zusätzlich hierzu, und auch außerhalb des Bereichs der Untersuchungsausschüsse, kann der Bundestag gegen die Bundesregierung noch eine Organklage anstrengen, mit dem gleichen Ziel, den Verschlussgrad herabzustufen.30 Gleiches gilt für ein mit eigenem Recht ausgestattetes Organ, also z. B. eine Fraktion.31 Für das Parlamentarische Kontrollgremium ist die Organklage in § 14 Kontrollgremiumgesetz noch einmal einfachgesetzlich festgeschrieben.32 Bislang ist es – soweit ersichtlich – zu keiner solchen Klage des Bundestages oder eines seiner Organe gekommen. *** 26 BVerfG, Urteil vom 7.11.2017, 2 BvE 2/11, Leitsatz 9. 27 BVerfG, Urteil vom 21.10.2014, 2 BvE 5/11, Rn. 151 (Hervorhebung durch Autor); vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 13.6.2017, 2 BvE 1/15: Die Bundesregierung „musste die Auskünfte auch nicht unter Anwendung der Geheimschutzordnung erteilen, weil die Wahrscheinlichkeit einer unerlaubten Informationsweitergabe steigt, je größer die Zahl der Geheimnisträger ist.“ 28 Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 43 Rn. 99 (Einzelheiten umstritten). 29 Vgl. nur OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.5.2017, OVG 12 B 17.15; Frage nicht thematisiert bei Warg, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 4. 30 Gärditz in: Waldhoff/Gärditz, PUAG, 1. Aufl. 2015, § 18 Rn. 48. 31 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Werkstand: 55. EL Oktober 2018, § 64 Rn. 81 ff. 32 Vgl. Singer, Praxiskommentar zum PKGrG, 1. Aufl. 2015, § 14 Rn. 7 ff. mit weiteren Nachweisen.