© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 120/14 Verfassungsmäßigkeit der Länderöffnungsklausel zur Vorgabe von Mindestabständen zwischen Windenergieanlagen und anderen baulichen Nutzungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 120/14 Seite 2 Verfassungsmäßigkeit der Länderöffnungsklausel zur Vorgabe von Mindestabständen zwischen Windenergieanlagen und anderen baulichen Nutzungen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 120/14 Abschluss der Arbeit: 5. Juni 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 120/14 Seite 3 1. Fragestellung Geprüft werden soll die Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Länderöffnungsklausel zur Vorgabe von Mindestabständen zwischen Windenergieanlagen und zulässigen Nutzungen.1 2. Inhalt des Gesetzentwurfs und Verfahrensstand Wesentlicher Inhalt des Artikelgesetzes ist die Anfügung eines Absatzes 3 an den bestehenden § 249 Baugesetzbuch (BauGB)2 mit folgendem Wortlaut: „(3) Die Länder können durch bis zum 31. Dezember 2015 zu verkündende Landesgesetze bestimmen, dass § 35 Absatz 1 Nummer 5 auf Vorhaben, die der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie dienen, nur Anwendung findet, wenn sie einen bestimmten Abstand zu den im Landesgesetz bezeichneten zulässigen baulichen Nutzungen einhalten. Die Einzelheiten, insbesondere zur Abstandsfestlegung und zu den Auswirkungen der festgelegten Abstände auf Ausweisungen in geltenden Flächennutzungsplänen und Raumordnungsplänen , sind in den Landesgesetzen nach Satz 1 zu regeln. Die Länder können in den Landesgesetzen nach Satz 1 auch Abweichungen von den festgelegten Abständen zulassen.“ Dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung ist am 8. Mai 2014 in erster Lesung im Deutschen Bundestag beraten und im vereinfachten Verfahren ohne Debatte dem federführenden Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit überwiesen worden.3 Der Bundesrat hat am 23. Mai 2014 beschlossen, zu dem Entwurf gemäß Art. 76 Abs. 2 Grundgesetz (GG)4 Stellung in Gestalt einer Ablehnung des Gesetzentwurfs zu nehmen.5 In der Sache hält der Bundesrat die Einführung der Länderöffnungsklausel für überflüssig und im Hinblick auf die notwendige Umsetzung der Energiewende für kontraproduktiv.6 1 BT-Drs. 18/1310. 2 Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004 (BGBl. I S. 2414), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Juni 2013 (BGBl. I S. 1548) geändert worden ist. 3 BT-PlPr. 18/33 , S. 2753B - 2754B. 4 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478) geändert worden ist. 5 BR-Drs. 155/14. 6 BR-Drs. 155/14, S. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 120/14 Seite 4 3. Verfassungsrechtliche Bewertung 3.1. Gesetzgebungskompetenz Der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG verleiht dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz unter anderem für den Bereich des Bodenrechts. Zur Rechtsmaterie des Bodenrechts zählen alle „öffentlich-rechtlichen Normen, die die Beziehungen des Menschen zum Grund und Boden regeln“7 und damit insbesondere die im Bauplanungsrecht des BauGB enthaltenen Regelungen über die Art und Weise der baulichen Nutzung von Grundstücken.8 Für das Bauordnungsrecht hingegen weist das Grundgesetz dem Bund keine Kompetenz zu. Dieser Bereich unterliegt daher entsprechend dem Grundsatz des Art. 70 Abs. 1 GG ausschließlicher Landesgesetzgebung. Der zu prüfende Gesetzentwurf betrifft die Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit baulicher Vorhaben im unbeplanten Außenbereich. Diese zählt zum Bodenrecht und unterliegt damit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG konkurrierender Bundesgesetzgebung. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder nach Art. 72 Abs. 1 GG die Gesetzgebungskompetenz nur, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht Gebrauch gemacht hat. Der Bund hat jedoch für das Bauplanungsrecht umfassend von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht, insbesondere durch Erlass des BauGB sowie der aufgrund dessen erlassenen Baunutzungsverordnung (BauNVO)9. Bundesrechtliche Regelungen entfalten für ihren Geltungsbereich grundsätzlich Sperrwirkung zulasten der Gesetzgebungsbefugnis der Länder. Dies gilt auch für die in § 35 BauGB enthaltenen bauplanungsrechtlichen Regelungen zur Bebaubarkeit des unbeplanten Außenbereichs. Der Bund ist allerdings nicht verpflichtet, seine konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis wahrzunehmen . Wird er in einem Bereich nicht tätig, verbleibt es bei der Zuständigkeit der Länder. Der Bund kann sich auch darauf beschränken, bestimmte Teilbereiche eines Rechtsgebietes zu regeln mit der Folge, dass es im Übrigen bei der Zuständigkeit der Länder verbleibt (Art. 72 Abs. 1 GG: „soweit“). Der Bund könnte die Regelung des Bauplanungsrechts also ganz oder zum Teil der Landesgesetzgebung überlassen, indem er insgesamt oder in bestimmten Teilen schlicht keine eigenen Regelungen erlässt. Ebenso kann der Bund in Bereichen, in denen er von der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht hat, den Ländern Regelungsspielräume für Einzelfragen eröffnen, indem er einen Regelungsvorbehalt bzw. eine Regelungsermächtigung zugunsten des Landesgesetzgebers vorsieht.10 7 BVerfGE 3, 407 (424). 8 Vgl. Seiler, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 20. Edition 2014, Art. 74 Rn. 66. 9 Baunutzungsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 1990 (BGBl. I S. 132), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 11. Juni 2013 (BGBl. I S. 1548) geändert worden ist. 10 BVerfGE 35, 65 (73 f.); Uhle, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 70. Ergänzungslieferung 2013, Art. 72 Rn. 105. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 120/14 Seite 5 Eben dies sieht die geplante Länderöffnungsklausel vor: Die Länder erhalten durch § 249 Abs. 3 BauGB in der Fassung des Gesetzentwurfs gesetzgeberischen Spielraum. Konkret werden sie ermächtigt, die bundesgesetzliche Privilegierung der Windenergie im unbeplanten Außenbereich durch § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB durch Landesgesetz einzuschränken. Dieses Vorgehen entspricht der grundgesetzlichen Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern und ist aus kompetenzrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. 3.2. Materielle Verfassungsmäßigkeit Für die Frage der materiellen Verfassungsmäßigkeit des Bundesgesetzes kommt es allein auf dessen Regelungsgehalt an. Dieser erschöpft sich darin, dass die Länder dazu ermächtigt werden, die Anwendbarkeit des Privilegierungstatbestandes des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB von der Einhaltung bestimmter landesgesetzlich zu definierender Mindestabstände abhängig zu machen. Eine materielle Regelung mit Außenwirkung gegenüber Bürgern oder Kommunen wird durch die Länderöffnungsklausel selbst nicht getroffen. Die Bestimmung kann daher weder gegen Grundrechte noch gegen die durch Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistete kommunale Selbstverwaltung verstoßen. Normadressat des § 249 Abs. 3 BauGB in der Fassung des Gesetzentwurfs sind ausschließlich die Länder. Eine Verletzung verfassungsmäßiger Rechte der Länder ist nicht ersichtlich, zumal die Inanspruchnahme der Regelungsermächtigung in das Belieben der Länder gestellt ist („Die Länder können […] bestimmen“). Außenwirkung gegenüber Bürgern oder Kommunen hätte erst eine aufgrund der Länderöffnungsklausel erlassene landesgesetzliche Regelung über Mindestabstände. Eine solche landesrechtliche Regelung muss selbstverständlich konform mit dem Grundgesetz und der jeweiligen Landesverfassung sein, insbesondere die Grundrechte sowie die kommunalen Selbstverwaltungsrechte, die unter anderem die gemeindliche Planungshoheit umfasst, wahren. Für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer künftigen landesgesetzlichen Regelung sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die aufgrund der Länderöffnungsklausel erlassenen landesrechtlichen Abstandsbestimmungen nur die Anwendbarkeit des Privilegierungstatbestandes des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB betreffen, nicht aber die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Windkraftanlagen an sich. Insbesondere bleibt es den Gemeinden unbenommen, durch Bebauungspläne Gebiete für Windkraftanlagen zu planen.11 Nach § 11 Abs. 2 BauNVO können die Gemeinden durch Bebauungsplan sog. Sondergebiete für besondere Zwecke festsetzen, unter anderem für „Anlagen, die der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung erneuerbarer Energien, wie Wind- und Sonnenenergie, dienen“ (sog. Positivplanung). Etwaige aufgrund der Länderöffnungsklausel normierte Mindestabstände würden nicht für die Planung dieser Sondergebiete gelten, sondern ausschließlich die Frage der Anwendbarkeit des Privilegierungstatbestandes des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB betreffen. Bei den Privilegierungstatbeständen für den unbeplanten Außenbereich handelt es sich ohnehin um eine Art Ersatzpla- 11 Vgl. Raschke, Privilegierter Föderalismus – Länderöffnungsklausel im BauGB?, NVwZ 2014, 414 (416). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 120/14 Seite 6 nung des Gesetzgebers,12 nicht um eigentliche gemeindliche Planung. Ermächtigte die Länderöffnungsklausel hingegen auch zur Festsetzung von Mindestabständen für die gemeindliche Planung von Sondergebieten, könnte eine entsprechende landesrechtliche Regelung in der Tat in die kommunale Planungshoheit eingreifen.13 Dies sieht der Entwurf des § 249 Abs. 3 BauGB aber gerade nicht vor. 4. Fazit Es besteht nach alledem weder in formaler noch in materieller Hinsicht Anlass, an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Einführung einer Länderöffnungsklausel zur Vorgabe von Mindestabständen zwischen Windenergieanlagen und zulässigen Nutzungen zu zweifeln. 12 Vgl. Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, 12. Aufl. 2014, § 35 Rn. 1. 13 Vgl. Raschke, Privilegierter Föderalismus – Länderöffnungsklausel im BauGB?, NVwZ 2014, 414 (416).