Die Souveränität Deutschlands - Sachstand - © 2009 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 119/09 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Die Souveränität Deutschlands Sachstand WD 3 - 3000 - 119/09 Abschluss der Arbeit: 25. März 2009 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - 1. Erlangung der vollen Souveränität 1.1. Deutschlandvertrag Der zunächst als Generalvertrag, später überwiegend als Deutschlandvertrag bezeichnete „Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten“ vom 26. Mai 1952 bzw. 23. Oktober 19541, der am 5. Mai 1955 in Kraft trat, beendete das Besatzungsregime der Westmächte in der Bundesrepublik. Dazu erklärten die Vertragsstaaten, die Bundesrepublik werde „demgemäß die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten haben“ (Art. 1 des Deutschlandvertrages). Der Rechtsstatus der Bundesrepublik war damit allerdings nicht zutreffend – weil nicht vollständig – beschrieben. Schon aufgrund der übrigen Bestimmungen des Deutschlandvertrages zeigten sich wesentliche Abweichungen von dem üblichen Status eines souveränen Staates. Zum einen behielten sich die Westmächte bestimmte Regelungs- und Entscheidungskompetenzen vor, die sie aus der Übernahme der Regierungszeit der Vier Mächte im Jahre 1945 herleiteten. Die Vorbehalte betrafen die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin sowie in Bezug auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung (Art. 2 des Deutschlandvertrages). Insoweit verpflichteten sie sich lediglich, die Bundesrepublik bei der Ausübung der vorbehaltenen Rechte zu konsultieren. Zum anderen waren sich die Vertragspartner darüber einig, dass die Existenz der Bundesrepublik Deutschland nur vorläufiger Natur war. Dies war aus der Formulierung der gemeinsamen Deutschlandpolitik in Art. 7 des Deutschlandvertrages ersichtlich. Darin erklärten die Vertragsstaaten, dass ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland sei. Diese Regelung müsse zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbart sein. Sie solle die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden. Die Vertragsparteien seien sich darüber einig, dass die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden müsse. Bis zum Abschluss der friedensvertraglichen Regelung wollten sie zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen , nämlich „ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik, besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist“. Die der DDR von der Sowjetunion zuerkannte Souveränität war mit ähnlichen Beschränkungen behaftet wie der im Deutschlandvertrag beschriebene Status der Bundesrepublik . Nach ihrem Beitritt zum Warschauer Pakt am 14. Mai 1955 schloss die DDR 1 BGBl. 1955 II S. 306. - 4 - mit der Sowjetunion am 20. September 1955 einen Vertrag über ihre Beziehungen. Die beiden Vertragsparteien erklärten darin, dass ihre Beziehungen auf völliger Gleichberechtigung , gegenseitiger Achtung der Souveränität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten beruhte. Die DDR sei „frei in der Entscheidung ihrer Innenpolitik und Außenpolitik, einschließlich der Beziehungen zur deutschen Bundesrepublik, sowie der Entwicklung der Beziehungen zu anderen Staaten“ (Art. 1). Die Vertragsparteien hoben in der Präambel die Existenz von Verpflichtungen gemäß den internationalen Abkommen hervor, die Deutschland als Ganzes beträfen. Im Übrigen sollte auch die Bildung der DDR nicht dem Friedensvertrag mit ganz Deutschland vorgreifen. In Art. 5 bezeichneten die Vertragsparteien es als ihr Hauptziel, durch Verhandlungen eine friedliche Regelung für ganz Deutschland herbeizuführen. Sie wollten deshalb „die erforderlichen Anstrengungen für eine friedensvertragliche Regelung und die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf friedlicher und demokratischer Grundlage unternehmen“. Auch in den in der Folgezeit zur Regelung der gegenseitigen Beziehungen getroffenen Vereinbarungen zwischen der Sowjetunion und der DDR wurden die Statusbeschränkungen durch die Rechte der Siegermächte nicht für beseitigt erklärt. Jedoch ist zuletzt das Vertragsziel der Herstellung des einheitlichen deutschen Staates entfallen (vgl. Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Bestand vom 7. Oktober 1975). 1.2. Zwei-plus-Vier-Vertrag Die Beendigung der Viermächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten erfolgte durch den „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ vom 12. September 19902, dem Zwei-plus-Vier-Vertrag. Die Vier Mächte erklärten in Art. 7 des Vertrages , dass sie hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes beendeten. Damit endete der Sonderstatus Deutschlands, der seit 1945 in einer Art internationaler Vormundschaft durch die vier Siegermächte bestanden hatte. Als unmittelbares Ergebnis stellten die Vier Mächte in Art. 7 Abs. 1 Satz 2 des Zwei-plus-Vier-Vertrages fest, dass die entsprechenden, mit den Vier Mächte -Rechten und –Verantwortlichkeiten zusammenhängenden vierseitigen Vereinbarungen , Beschlüsse und Praktiken beendet und alle entsprechenden Einrichtungen der Vier Mächte aufgelöst würden. Mit deklaratorischer Wirkung – und im Gegensatz zur entsprechenden Klausel in Art. 2 des Generalvertrages auch zutreffend – wird festgestellt, dass das vereinte Deutschland sinngemäß die volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten habe. Das vereinte Deutschland hat diesen Vertrag ratifiziert , der am 15. März 1991 in Kraft getreten ist3. Schon vor der Ratifizierung des Vertrages suspendierten die Vier Mächte ihre Rechte und Verantwortlichkeiten mit Wir- 2 BGBl. 1990 II S. 1317. 3 BGBl. 1991 II S. 587. - 5 - kung vom 3. Oktober 1990, dem Tag der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands 4. Der 3. Oktober 1990 kann somit als das faktische und der 15. März 1991 als das rechtliche Ende des Deutschlandvertrages angesehen werden. 2. Endgültige deutsche Außengrenzen Art. 1 des Zwei-plus-Vier-Vertrages nannte als Staatsgebiet des vereinten Deutschlands die Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und ganz Berlins. Die Endgültigkeit der sich hieraus ergebenden deutschen Außengrenzen war für die Vier Mächte von überragender Bedeutung und als ein wesentlicher Bestandteil der Friedensordnung in Europa bezeichnet. Gemäß Art. 1 Abs. 3 des Vertrages hat das vereinte Deutschland keinerlei Gebietsansprüche gegen andere Staaten und wird solche auch nicht in Zukunft erheben. 3. Bezeichnung Grundgesetz statt Verfassung Nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit durch Beitritt der DDR zum Grundgesetz nach Art. 23 Grundgesetz GG a.F. am 3. Oktober 1990 und nach Beendigung der alliierten Besatzungsrechte durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 wurde die Bezeichnung „Grundgesetz“ für die Verfassung des vereinigten Deutschland beibehalten. Nachdem sich Forderungen nicht durchgesetzt hatten, die Wiederherstellung der deutschen Einheit zum Anlass zu nehmen, das Grundgesetz gemäß Art. 146 a.F. durch eine neue Verfassung abzulösen, wurde auch davon abgesehen, das Grundgesetz in Verfassung „umzutaufen“. Dafür sprachen und sprechen weiterhin folgende Argumente 5: · Das Grundgesetz hat sich als deutsche Verfassung bewährt wie keine ihrer Vorgängerinnen . · Die deutsche Bevölkerung verbindet mit dem Grundgesetz Stabilität der rechtlichen Grundlagen des Staates, die weithin anerkannt sind und integrierend wirken . · Das Grundgesetz gilt außerhalb Deutschlands nicht nur in den Fachkreisen der Verfassungsrechtler als Markenzeichen für die in Deutschland geltende freiheitliche demokratische Staatsordnung, die in anderen Staaten teilweise rezipiert worden ist und noch rezipiert wird. 4 New Yorker Deutschland-Erklärung vom 1. Oktober 1990, BGBl. II S. 1331. 5 Starck, Christian, in. vMangold/Klein/Starck, GG-Kommentar, 5. Auflage 2005, Überschrift, Rn. 4. - 6 - Ein „Provisorium“ war das GG nicht in inhaltlicher, sondern allein in räumlicher und zeitlicher Hinsicht.6 Der Name „Grundgesetz“ bringt demgemäß zusammen mit der Streichung der Passage „für eine Übergangszeit“ aus der Präambel a.F. treffend zum Ausdruck, dass die - wenn auch häufig geänderte – alte, als zeitliches und räumliches Provisorium gedachte Verfassung der westlichen Teilnation nun das Staatsgrundgesetz des wiedervereinigten Deutschland bildet. Dass GG stellte von Anbeginn mehr als ein bloßes Organisationsstatut dar. Es war sowohl im Hinblick auf seine Rechtsgeltung (ranghöchste staatliche Normenebene, klar ausgeprägter Vorrang der Verfassung in Art. 1 Abs. 3 GG, 20 Abs. 3 GG) als auch durch seine inhaltliche Ausgestaltung (Grundrechtsteil und Staatsorganisationsteil) eine komplette, vollgültige Verfassung. So war in Art. 92 ff. GG vom Bundesverfassungsgericht und in Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG von der „Treue zur Verfassung“ die Rede. In Art. 79 Abs. 3 GG schrieb das GG unverbrüchliche Norminhalte fest und bekräftigte so seinen Geltungsanspruch in besonders nachdrücklicher Weise.7 6 Dreier, Horst, in: GG-Kommentar 2. Auflage 2004, Präambel, Rn. 83. Besonders deutlich Theodor Heuss im Plenum des Parlamentarischen Rates: „wir begreifen dieses Wort „provisorisch“ natürlich vor allem im geographischen Sinne, da wir uns unserer Teilsituation völlig bewusst sind, geographisch und volkspolitisch. Aber strukturell wollen wir etwas machen, was nicht provisorisch ist…“. (JöR 1, 1951, S. 16) 7 Mit weiteren Nachweisen, Dreier, Horst, in: GG-Kommentar 2. Auflage 2004, Präambel, Rn. 83.