© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 118/20 Prävention von Extremismus im öffentlichen Dienst: Datenschutz und Grundrechte Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 118/20 Seite 2 Prävention von Extremismus im öffentlichen Dienst: Datenschutz und Grundrechte Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 118/20 Abschluss der Arbeit: 14. Mai 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 118/20 Seite 3 1. Fragestellung 4 1.1. Personalwesen und Extremismus 4 1.2. Verwaltungsvorschriften: reines Innenrecht 4 1.3. Sittenwidrigkeit? 5 1.4. Schlussfolgerung 5 2. Datenschutzvorschriften 5 2.1. Grundsatz 5 2.1.1. Generalklausel 6 2.1.1.1. Anwendbarkeit 6 2.1.1.2. Zweckbindung 6 2.1.2. Einwilligung 6 2.2. Internetdaten 7 2.3. Gesundheitsdaten 7 2.4. Nachrichtendienste 7 2.5. Führungszeugnis 8 2.6. Aufklärungsmaßnahmen 8 3. Informationelle Selbstbestimmung 9 3.1. Schutzbereich 9 3.2. Eingriff 9 3.3. Gesetzliche Grundlage 9 3.4. Verhältnismäßigkeit 10 3.4.1. Legitimes Ziel 10 3.4.2. Geeignetheit 10 3.4.3. Erforderlichkeit 10 3.4.4. Angemessenheit 10 4. Privatleben 11 4.1. Schutzbereich 11 4.2. Eingriff 11 4.3. Gesetzliche Grundlage 11 4.4. Verhältnismäßigkeit 11 5. Zugang zu öffentlichen Ämtern 13 5.1. Schutzbereich 13 5.2. Eignung 13 5.3. Verhältnismäßigkeit 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 118/20 Seite 4 1. Fragestellung 1.1. Personalwesen und Extremismus Staatliche Arbeitgeber und Dienstherrn versuchen, extremistischen Tendenzen ihrer Arbeitnehmer und Beamten entgegenzuwirken (Begriff „Arbeitgeber“ im Folgenden synonym verwandt). Bei der Personalgewinnung und -führung sind strategische Maßnahmen denkbar, insbesondere in Form interner Verwaltungsvorschriften. Die internen Verwaltungsvorschriften können Vorgaben machen , wie die Personalsachbearbeiter ihr Ermessen ausüben, das ihnen gesetzliche Vorschriften einräumen. Dies kann sich darauf beziehen, inwieweit Arbeitgeber – Daten über extremistische Tendenzen von Bewerbern und Bestandspersonal erheben, speichern und weitergeben; – bei extremistischen Tendenzen einen „strengen Maßstab“ für die Prüfung der Verfassungstreue der Bewerber vorgeben und bei Vorliegen bestimmter Indizien die Nichteignung vorgeben; – Bewerbern den Zugang verwehren und Bestandspersonal aus dem Dienst entfernen. 1.2. Verwaltungsvorschriften: reines Innenrecht Gleichwohl sind Rechtsgrundlage für das Verwaltungshandeln gegenüber den Bewerbern und dem Bestandspersonal allein die gesetzlichen Vorschriften. Nur gesetzliche Vorschriften können grundsätzlich Grundrechtseingriffe legitimieren, nicht aber Verwaltungsvorschriften. Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften sind reines Innenrecht der Verwaltung. Es hat grundsätzlich keine Außenwirkung. Erst wenn und soweit eine Behörde im Außenverhältnis gegenüber Bewerbern oder Bestandspersonal eine entsprechende Entscheidungspraxis etabliert oder sich erkennbar eine Selbstbindung an eine künftige einheitliche Ermessenausübung auferlegen will, kann aufgrund der Geltung des Gleichheitsgrundsatzes eine faktische Außenwirkung entstehen.1 Insofern ist „Wirksamkeit“ keine für Verwaltungsvorschriften einschlägige Kategorie. Dementsprechend sind ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften einer richterlichen Kontrolle grundsätzlich nicht unmittelbar zugänglich.2 Dies gilt auch für Normenkontrollen nach § 47 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).3 Hingegen sind die konkreten Verwaltungsakte, die ggf. unter Beachtung der Verwaltungsvorschriften erlassen wurden, einer gerichtlichen Überprüfung auf Ermessensfehler zugänglich.4 1 Vgl. statt vieler: Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 1 Rn. 212. 2 Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 1 Rn. 215. 3 VGH Kassel, NVwZ 1992, 68. 4 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 40 Rn. 107 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 118/20 Seite 5 Unabhängig von den Erfolgsaussichten entfaltet eine gerichtliche Entscheidung aber grundsätzlich nur zwischen den beteiligten Parteien („inter partes“) Bindungswirkung, vgl. § 121 Nr. 1 VwGO. Die Rechtskraftwirkung ist einzelfallbezogen und in ihrer objektiven und subjektiven Reichweite begrenzt.5 Mithin führt eine erfolgreiche Klage nicht automatisch zu einer Änderung der gesamten Entscheidungspraxis der Behörde bezüglich aller Bewerber oder gar einer „Aufhebung“ der Verwaltungsvorschriften . 1.3. Sittenwidrigkeit? Aufgrund ihrer reinen Innenwirkung kann eine Verwaltungsvorschrift grundsätzlich nicht formal „sittenwidrig“ sein. Daher sieht das Verwaltungsverfahrensgesetz auch nur für Verwaltungsakte eine Rechtsfolge vor, wenn diese „gegen die guten Sitten verstoßen“ (§ 44 Abs. 2 Nr. 6 Verwaltungsverfahrensgesetz ),6 nicht aber für interne Verwaltungsvorschriften. 1.4. Schlussfolgerung Aufgrund der reinen Innenwirkung von Verwaltungsvorschriften skizzieren die folgenden Ausführungen die wesentlichen gesetzlichen Vorschriften und die wesentlichen Eckpunkte des Grundrechtsschutzes. Im Verhältnis gegenüber Bewerbern und Bestandspersonal sind allein diese gesetzlichen Vorschriften sowie das Grundgesetz (GG) die Rechtsgrundlage für Maßnahmen im Hinblick auf extremistische Tendenzen. Im Vergleich dazu kann eine Verwaltungsvorschrift weder Wirksamkeit noch Unwirksamkeit entfalten. 2. Datenschutzvorschriften 2.1. Grundsatz Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)7 gilt unmittelbar in den Mitgliedstaaten der EU seit dem 25. Mai 2018, vgl. Art. 99 Abs. 2 DSGVO. Die DSGVO erhält eine Reihe von Öffnungsklauseln, wonach Mitgliedstaaten eigene Regelungen treffen dürfen, vor allem bezüglich des Beschäftigungsdatenschutzes , vgl. Art. 88 DSGVO.8 Danach hat der nationale Gesetzgeber einen gesetzlichen 5 Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Werkstand: 37. EL Juli 2019, § 121 Rn. 33 und 42. 6 Schemmer, in: BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 47. Edition Stand: 1. April 2020, § 44 Rn. 59: Die Achtung und der Schutz der Menschenwürde (insbesondere im Zusammenhang mit sogenannten Peep-Shows) als „praktisch einziger Anwendungsfall des § 44 Abs. 2 Nr. 6“. 7 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. L 119 S. 1, ber. ABl. L 314 S. 72 und ABl. 2018 L 127 S. 2. 8 Kort, Eignungsdiagnose von Bewerbern unter der Datenschutz- Grundverordnung, NZA- Beilage 2016, 62. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 118/20 Seite 6 Anpassungsspielraum. Im Wesentlichen hat der Gesetzgeber die DSGVO im neuen Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)9 umgesetzt.10 Die DSGVO hat gleichwohl Anwendungsvorrang gegenüber dem BDSG.11 2.1.1. Generalklausel 2.1.1.1. Anwendbarkeit Die Zentralnorm des Beschäftigtendatenschutzrechts in Deutschland stellt § 26 BDSG dar, der zu § 32 BDSG a.F. weitgehend wortgleich ist.12 Abs. 1 Satz 1 lautet: „Personenbezogene Daten von Beschäftigten dürfen für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung [...] erforderlich ist.“ Der Begriff des „Beschäftigten“ erstreckt sich gemäß § 26 Abs. 8 Satz 1 BDSG auf Arbeitnehmer. Dies schließt Beamte des Bundes ein. Nach Satz 2 gelten auch Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis als Beschäftigte. Für Beamte gelten zudem noch vorrangig Sonderregelungen nach dem Bundesbeamtengesetz (BBG)13 wie insbesondere § 110a BBG bezüglich der Verarbeitung von Personalaktendaten. 2.1.1.2. Zweckbindung Aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. b DSGVO ergibt sich der Grundsatz der strengen Zweckbindung. Es ist grundsätzlich rechtswidrig, die Daten zu anderen als zu den vor der Erhebung festgelegten Zwecken weiterzuverarbeiten.14 2.1.2. Einwilligung Gemäß § 26 Abs. 2 BDSG ist die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten zulässig, wenn sie freiwillig erfolgt und der Arbeitgeber über den Zweck der Datenverarbeitung aufgeklärt hat. 9 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2097), zuletzt geändert durch Art. 12 Zweites Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1626). 10 Riserer/Christ/Heinz, Der Countdown ist abgelaufen- Anpassungsbedarf umgesetzt?, DStR 2018, 1501. 11 Kort, Eignungsdiagnose von Bewerbern unter der Datenschutz- Grundverordnung, NZA-Beilage 2016, 63. 12 Maschmann, in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 2. Auflage 2018, § 26 BDSG Rn. 3. 13 Bundesbeamtengesetz (BBG) vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160), zuletzt geändert durch Art. 11 Zweites Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1626). 14 Maschmann, in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 2. Auflage 2018, § 26 BDSG Rn. 17. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 118/20 Seite 7 2.2. Internetdaten Eine ausdrückliche Regelung fehlt zu der Frage, ob der Arbeitgeber Daten aus offenen Quellen erheben darf. Die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung der Daten ist somit nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO von einer Interessensabwägung abhängig.15 „Soll die gezielte Erhebung der Daten aus dem Internet oder sonstigen ‚Publikationen‘ nicht gegen Treu und Glauben (Art. 5 I Buchst. a DSGVO) verstoßen, kann eine ohne konkrete Einschaltung des Betroffenen erfolgende Erhebung bei anderen Stellen nur erlaubt sein, wenn eine spezielle Interessenlage hierfür spricht. Dabei sind die Interessen der betroffenen Person gegenüber einem Zugriff auf die sie betreffenden Daten abgeschwächt, weil diese bereits öffentlich sind. Eindeutig ist, dass die Informationsinteressen des Arbeitgebers Vorrang haben, wenn die Interessen des Bewerbers durch die Internetrecherche nicht anders tangiert werden als bei der direkten Befragung, und zwar dies deshalb, weil er, worauf auch Art. 9 II Buchst. e DSGVO abstellt, die Daten selbst zu diesem Zweck in das Internet eingestellt hat. Eindeutig das Privatleben betreffende Informationen zählen jedoch eindeutig nicht dazu. Zudem bedürfen auch die Erhebung und weitere Verwendung einstellungsrelevanter Daten einer Rechtsgrundlage .“16 2.3. Gesundheitsdaten Der Zweck einer ärztlichen Untersuchung im Bewerbungsverfahren bzw. in einem Angestelltenverhältnis ist die Feststellung der „gesundheitlichen Eignung“ der betreffenden Person (siehe nur § 34 Abs. 1 S. 2, § 44 BBG). Eine extremistische Einstellung ist für sich genommen kein gesundheitlicher Aspekt und ist daher vom Zweck der Untersuchung nicht umfasst. Eine extremistische Einstellung kann aber z. B. mit einer „wahnhaften Störung“17 einhergehen. Daten zu einer solchen Störung dürften vom Zweck einer ärztlichen Untersuchung umfasst sein. Der Umfang der ärztlichen Schweigepflicht bei ärztlichen Untersuchungen ist Gegenstand der Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 042/20. 2.4. Nachrichtendienste Die politische Treuepflicht ist eine Besonderheit des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses. Die Beschäftigten müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen und für deren Einhaltung eintreten. 18 Hierbei gilt: „So bedeutsam die Verfassungstreue für die im Öffentlichen Dienst Beschäftigten auch ist, so rechtfertigt sie dennoch keine routinemäßige Überprüfung im gesamten Öffentlichen Dienst, da gegen eine pauschale Verfassungstreueprüfung Bedenken im Hinblick auf den Grundsatz 15 Lewinski/Pohl, Auskunfteien nach der europäischen Datenschutzreform, ZD 2018, 17 (21). 16 Gola, Das Internet als Quelle von Bewerberdaten, NZA 2019, 654 (655) – Fußnoten des Originals ausgelassen. 17 Siehe z. B. OVG Koblenz, NVwZ-RR 2019, 814 („Reichsbürger“ mit wahnhafter Störung). 18 Siems, Der Umgang mit Extremismus im Öffentlichen Dienst, DÖV 2014, 338. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 118/20 Seite 8 der Verhältnismäßigkeit bestehen. Zur Rechtfertigung einer Überprüfung durch Verfassungsschutzbehörden bedarf es daher besonderer Anknüpfungspunkte, die sich entweder – im konkreten Einzelfall – aus vorhandenen Erkenntnissen oder – abstrakt – durch die Natur der Tätigkeit ergeben. Insbesondere die Sicherheitsüberprüfungsgesetze des Bundes und der Länder lassen vor der Aufnahme sicherheitsempfindlicher Tätigkeit eine Prüfung der Verfassungstreue zu. [...] Die Erkenntnisse der Sicherheitsüberprüfung dürfen indessen wegen der strengen Zweckbindung des § 21 SÜG nicht in personalrechtlichen Angelegenheiten genutzt werden. Eine entzogene Ermächtigung zu sicherheitsempfindlicher Tätigkeit kann im Weiteren aber eigenständigen Anlass zu personalrechtlichen Maßnahmen, unter Umständen auch zu einer Entlassung des Betroffenen geben.“19 2.5. Führungszeugnis Gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) darf die bei der Sicherheitsüberprüfung mitwirkende Behörde uneingeschränkte Auskunft beim Bundeszentralregister einholen und ein Ersuchen um eine Datenübermittlung aus dem Zentralen Staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister stellen. 2.6. Aufklärungsmaßnahmen § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG (vormals § 32 BDSG a.F.) ist die für Ermittlungen einschlägige Norm: „Zur Aufdeckung von Straftaten dürfen personenbezogene Daten von Beschäftigten nur dann verarbeitet werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass die betroffene Person im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Verarbeitung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse der oder des Beschäftigten an dem Ausschluss der Verarbeitung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.“20 Auch die Rechtmäßigkeit der Überwachung der Arbeitnehmer und die Durchführung interner Ermittlungen zum Zweck der Verhinderung von Extremismus im Öffentlichen Dienst können unter den Anwendungsbereich dieser Norm fallen: „Sämtliche Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahmen des Arbeitgebers ohne wirksame Einwilligung des Arbeitnehmers bedurften schon nach altem Datenschutzrecht eines einfachen Verdachts entweder einer Straftat (§ 32 I 2 BDSG a.F.) oder jedenfalls einer erheblichen Pflichtverletzung . [...] Erforderlich war daher in jedem Fall der auf konkrete Tatsachen begründete Verdacht einer schwerwiegenden, nicht jedoch strafbaren Pflichtverletzung und darüber hinaus auf Rechtsfolgenseite ein Eingriff, der geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen war, um den erstrebten Zweck zu erreichen. 19 Siems, Der Umgang mit Extremismus im Öffentlichen Dienst, DÖV 2014, 338 (343) – Hervorhebung durch Autor. 20 Hervorhebung durch Autor. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 118/20 Seite 9 Anders formuliert: Arbeitnehmerüberwachungen und interne Ermittlungen ‚ins Blaue hinein‘ und ohne einen durch objektive Anhaltspunkte gestützten Verdacht einer Pflichtverletzung waren auch schon vor Inkrafttreten der DSGVO datenschutzwidrig.“21 § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG ist weit auszulegen und setzt für seine Ermächtigung zu Aufklärungsmaßnahmen lediglich einen Anfangsverdacht voraus. Dieser muss jedoch über vage Anhaltspunkte und Mutmaßungen hinausgehen.22 3. Informationelle Selbstbestimmung 3.1. Schutzbereich Der Schutzbereich der informationellen Selbstbestimmung erfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).23 3.2. Eingriff Die Erhebung von Daten über extremistische Tendenzen sowie deren Dokumentation und Weitergabe greift grundsätzlich in den Schutzbereich ein.24 Ausnahmen können sich insbesondere ergeben, „wenn die Information aus offenen Quellen“ stammt.25 3.3. Gesetzliche Grundlage Ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bedarf grundsätzlich einer gesetzlichen Grundlage.26 Ein Strategiepapier oder eine verwaltungsinterne Anweisung genügt hierfür nicht. Hinsichtlich von Bewerbern und Bestandspersonal sind jedoch die oben unter Abschnitt 2. genannten gesetzlichen Grundlagen für eine Datenverarbeitung einschlägig. 21 Fuhlrott/Oltmanns, Arbeitnehmerüberwachung und interne Ermittlungen im Lichte der Datenschutz-Grundverordnung , NZA 2019, 1105 (1108) – Hervorhebung durch Autor. 22 Fuhlrott/Oltmanns, Arbeitnehmerüberwachung und interne Ermittlungen im Lichte der Datenschutz-Grundverordnung , NZA 2019, 1105 (1109); außerdem gibt es in der Gesetzesbegründung einen Hinweis darauf, dass ein enger Anwendungsbereich des § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG den Bereich der Pflichtverletzung nicht erfassen würde: Bundestagsdrucksache 18/11655, S. 14; Ströbel/Böhm/Breunig/Wybitul, Beschäftigtendatenschutz und Compliance : Compliance-Kontrollen und interne Ermittlungen nach der EU-Datenschutz-Grundverordnung und dem neuen Bundesdatenschutzgesetz, CCZ 2018, 14 (20). 23 BVerfGE 65, 1 (43). 24 Vgl. BVerwG NJW 2008, 3080 (Ausweispflicht von Taxifahrern). 25 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Stand März 2019, Art. 2 Abs. 1 Rn. 176. 26 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Stand März 2019, Art. 2 Abs. 1 Rn. 179; Masing, Herausforderungen des Datenschutzes, NJW 2012, 2306. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 118/20 Seite 10 3.4. Verhältnismäßigkeit Ein Eingriff in Grundrechte muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Dies setzt voraus, dass der Eingriff ein legitimes Ziel in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise verfolgt. 3.4.1. Legitimes Ziel „Extremismus“ lässt sich verstehen als Haltung im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung27 des Grundgesetzes.28 Die Verfassungstreuepflicht zählt zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums.29 Grundgesetzliche Aufgabe des Berufsbeamtentums ist es, im politischen Kräftespiel eine stabile und gesetzestreue Verwaltung zu sichern.30 Damit ist die Prävention von Extremismus im öffentlichen Dienst legitimes Ziel von Grundrechtseingriffen. 3.4.2. Geeignetheit Die Datenverarbeitung zu extremistischen Handlungen und Haltungen von Bewerbern und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst ist geeignet, die Vorbeugung von Extremismus zu unterstützen. 3.4.3. Erforderlichkeit Grundsätzlich ist kein milderes aber gleich wirksames Mittel ersichtlich, als Daten zu Extremisten zu verarbeiten. Erst auf Grundlage von Daten lassen sich konkrete, wirksame Maßnahmen gegen Extremisten einleiten. Allgemeine Maßnahmen, wie Schulungen, dürften nicht gleich wirksam sein. Im Übrigen ist die Erforderlichkeit Frage des Einzelfalls bei der Umsetzung strategischer Maßnahmen zu konkreten Sachverhalten. 3.4.4. Angemessenheit Die Angemessenheit ist gewahrt, wenn der Grundrechtseingriff nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck steht.31 Die Verfassungstreuepflicht „entspringt dem Prinzip einer wehrhaften Demokratie. Insbesondere in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen soll eine entschlossene Verteidigung der Verfassungsordnung durch 27 Zu diesem Begriff: WD 3 - 3000 - 193/15, Verfassungsrechtliche Grenzen der finanziellen Förderung von Initiativen gegen Rechtsextremismus, S. 7, https://www.bundestag.de/resource /blob/405552/f8170fda97f5651ee0cae2d3d9f9aaeb/wd-3-193-15-pdf-data.pdf; BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13, Leitsatz 3. 28 Hierzu WD 3 - 3000 - 286/18, Finanzielle Förderung von Initiativen gegen „Extremismus“, S. 4, https://www.bundestag.de/resource/blob/573146/ea018c4489306fd008d81110336bd76c/WD-3-286-18-pdf-data.pdf. 29 BVerfGE 39, 334 (346); BVerwGE 61, 200 (203). 30 BVerwGE 70, 251 (267); 92, 140 (152); 99, 300 (315). 31 BVerfGE 50, 217 (227); 80, 103 (107); 99, 202 (212 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 118/20 Seite 11 ihre Amtsträger sichergestellt werden. Diese qualifizierte Verfassungstreue umfasst nach der Formel des Bundesverfassungsgerichts das Bekenntnis zu den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die Anerkennung dieser Grundordnung als schützenswert und das aktive Eintreten hierfür.“32 Angesichts der hohen Bedeutung der Verfassungstreuepflicht stehen Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung grundsätzlich nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck. Im Übrigen ist die Angemessenheit Frage des Einzelfalls bei der Umsetzung strategischer Maßnahmen zu konkreten Sachverhalten. 4. Privatleben 4.1. Schutzbereich Die Informationsgewinnung gegenüber Bewerbern und Bestandspersonal berührt neben dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung einen weiteren Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts : Es umfasst einen geschützten „Raum, in dem der Einzelne unbeobachtet sich selbst überlassen ist“.33 4.2. Eingriff Datenverarbeitung zu dem Verhalten von Bewerbern in deren außerdienstlicher, persönlicher Sphäre greift in den Schutz des Privatlebens ein. 4.3. Gesetzliche Grundlage Staatliche Beeinträchtigungen der Privatsphäre müssen sich formell auf eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage stützen lassen.34 Hinsichtlich Bewerbern und Personalbestand sind die oben unter Abschnitt 3. genannten gesetzlichen Grundlagen für Eingriffe in die Privatsphäre einschlägig. 4.4. Verhältnismäßigkeit Zu Ziel, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit gelten die oben unter Abschnitt 3. genannten Überlegungen entsprechend. Bei der Angemessenheit ergibt sich für den Schutz des Privatlebens folgende Besonderheit: Die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte „Sphärentheorie “ unterscheidet Eingriffe in die Intimsphäre, Privatsphäre und Sozialsphäre.35 32 Siems, Der Umgang mit Extremismus im Öffentlichen Dienst, DÖV 2014, 338 (340) mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des BVerfG und BVerwG – Hervorhebung durch Autor. 33 BVerfGE 90, 255 Rn. 20 (Hervorhebung durch Autor). 34 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Stand März 2019, Art. 2 Rn. 133, 157, mit Nachweisen zur Rechtsprechung des BVerfG (Hervorhebung durch Autor). 35 Ausführlich hierzu: Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Stand März 2019, Art. 2 Rn. 157 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 118/20 Seite 12 Der Schutz der Intimsphäre sichert dem Grundrechtsträger einen unantastbaren Kern privater Lebensgestaltung zu. Dieser ist Teil der in Art. 1 Abs. 1 GG als „unantastbar“ verankerten Menschenwürde . Eingriffe in die Intimsphäre lassen sich daher generell nicht rechtfertigen.36 Das Bundesverfassungsgericht spricht mitunter auch von einem unantastbaren „Kernbereich persönlicher Lebensgestaltung“: „Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist strikt und darf nicht durch Abwägung mit den Sicherheitsinteressen nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes relativiert werden.“37 Wann ein Eingriff in die Intimsphäre oder in den Kernbereich privater Lebensgestaltung vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Abgrenzungskriterien sind z. B. für Gespräche der Gesprächspartner (Vertrauensverhältnis), die Thematik des Gespräches und der Ort. So geht das Bundesverfassungsgericht z. B. von Intimsphäre aus bei „höchstpersönlichem Gespräch mit Familienangehörigen und engen Vertrauten“.38 Die Privatsphäre unterscheidet sich von der Intimsphäre durch ihren Sozialbezug.39 Für einen Eingriff in die Privatsphäre müssen überwiegende Belange des Gemeinwohls vorliegen.40 Die Prävention von Extremismus dürfte hierzu gehören.41 Die Sozialsphäre umfasst den Lebensbereich des Einzelnen, der sich von der Umwelt nicht abschirmen lässt.42 Hierzu gehört z. B. das Verhalten in einem (öffentlichen) Rechtsstreit. Eingriffe belasten Betroffene relativ gering, weshalb auch die Anforderungen an die Rechtfertigung gering sind.43 So sind z. B. wahre Tatsachenbehauptungen über Vorgänge aus der Sozialsphäre (z. B. einem öffentlichen Rechtsstreit) grundsätzlich hinzunehmen.44 Dementsprechend dürften die Anforderungen an Eingriffe in die Sozialsphäre geringer sein, als in der Privatsphäre. 36 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Stand März 2019, Art. 2 Rn. 158. 37 BVerfGE 141, 220 Rn. 124 (Hervorhebung durch Autor). 38 BVerfGE 109, 279 Rn. 369; Gercke, StV 2017, 615 (619). 39 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Stand März 2019, Art. 2 Rn. 159. 40 BVerfGE 32, 373 Rn. 45; Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Stand März 2019, Art. 2 Rn. 159. 41 Vgl. BVerfGE 57, 250 Rn. 78. 42 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Stand März 2019, Art. 2 Rn. 160. 43 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Stand März 2019, Art. 2 Rn. 160. 44 BVerfG, NJW 2016, 3362. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 118/20 Seite 13 5. Zugang zu öffentlichen Ämtern 5.1. Schutzbereich Art. 33 Abs. 2 GG verbürgt folgendes „grundrechtsgleiches Gleichheitsrecht“:45 „Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.“ Unter „öffentliches Amt“ fallen alle Amtspositionen in Bund und Ländern, die mit Beamten, Angestellten des öffentlichen Dienstes, Richtern oder Soldaten besetzt werden.46 5.2. Eignung Zur Eignung werden insbesondere alle geistigen, körperlichen, psychischen, charakterlichen Eigenschaften gezählt, die für ein spezifisches Amt von Bedeutung sind.47 Eine extremistische Haltung kann zu mangelnder Eignung eines Bewerbers im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG führen. So hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden: „Soweit durch Tätowierungen die Verfassungstreuepflicht berührt ist, betrifft dies ein unmittelbar kraft gesetzlicher Anordnung und Verfassungsrecht geltendes Eignungsmerkmal [...].“48 5.3. Verhältnismäßigkeit Entscheidungen über Bewerber und Bestandspersonal müssen – wie grundsätzlich alles staatliche Handeln49 – verhältnismäßig sein. Zu Ziel, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit gelten die oben unter Abschnitt 3. genannten Überlegungen entsprechend. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es grundsätzlich gerechtfertigt sein kann, einen Beamten aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen, weil ihm Verfassungstreue fehlt.50 Die aktive Verfassungstreuepflicht trifft den Tarifbeschäftigten nur, sofern von ihm aufgrund seiner Stellung und seines konkreten Aufgabenkreises ein solches Maß an politischer Treue erwartet werden kann.51 Stellt der Arbeitgeber eine Verletzung der nach Stellung und Aufgabenkreis zu 45 BVerfG, NJW 1990, 501; NVWZ 2007, 692. 46 Hense, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 42. Edition Stand: 1. Dezember 2019, Art. 33 Rn. 9. 47 BVerfGE 92, 140 (151). 48 BVerwGE 160, 370 Rn. 56, https://www.bverwg.de/171117U2C25.17.0. 49 Vgl. BVerfGE 23, 127 (133). 50 BVerfGE 39, 334. 51 Siems, Der Umgang mit Extremismus im Öffentlichen Dienst, DÖV 2014, 338 (341). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 118/20 Seite 14 bemessenden Pflicht innerhalb des Dienstverhältnisses fest, bestimmt die Schwere des Pflichtverstoßes , ob eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung auszusprechen ist.52 Dies dürfte je nach Einzelfall auch im Hinblick auf dessen Zugang zu öffentlichen Ämtern nach Art. 33 Abs. 2 GG angemessen sein. Beispielsweise im Hinblick auf Tätowierungen extremistischen Inhalts hat das Bundesverwaltungsgericht die Entfernung aus dem Dienst im Ergebnis für angemessen erachtet: „Ein Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht setzt weder ein öffentlich sichtbares noch ein strafbares Verhalten des Beamten voraus. [...] Ein Beamter, der sich mit einer Auffassung, die der Werteordnung des Grundgesetzes widerspricht, derart identifiziert, dass er sie sich in die Haut eintätowieren lässt, ist nicht tragbar. Er dokumentiert mit dem Tragen der Tätowierung sein dauerhaftes Bekenntnis zu dieser Anschauung und damit seine Abkehr von der Verfassungsordnung [...].“53 *** 52 Siems, Der Umgang mit Extremismus im Öffentlichen Dienst, DÖV 2014, 338 (342). 53 BVerwGE 160, 370 Leitsatz 3 und Rn. 26, https://www.bverwg.de/171117U2C25.17.0 (Hervorhebung durch Autor); siehe auch VGH München, Urteil vom 16. Januar 2019 – 16a D 15.2672, BeckRS 2019, 7189.