© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 118/16 Bund-Länder-Vereinbarungen nach Art. 91b GG Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeit WD 3 - 3000 - 118/16 Seite 2 Bund-Länder-Vereinbarungen nach Art. 91b GG Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 118/16 Abschluss der Arbeit: 20.04.2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeit WD 3 - 3000 - 118/16 Seite 3 1. Fragestellung Art. 91b GG sieht vor, dass der Bund und die Länder Vereinbarungen über die Zusammenarbeit in den dort genannten Bereichen der Bildungsplanung und Forschungsförderung abschließen können. In der Praxis werden solche Vereinbarungen häufig zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen getroffen (Verwaltungsabkommen), ohne dass der Bundestag oder die Landesparlamente diesen zustimmen müssen. Es ist daher die Frage aufgeworfen worden, in welchem Maße der Bundestag (und die Landeparlamente ) bei Vereinbarungen im Sinne des Art. 91b GG beteiligt werden müssen (dazu unten Ziff. 2.). Dabei soll auch dargestellt werden, ob die in der Praxis häufig fehlende parlamentarische Beteiligung bisher auf Kritik gestoßen ist (dazu unten Ziff. 3.). Schließlich soll erläutert werden, in welchem Verhältnis die Bund-Länder-Vereinbarungen nach Art. 91b GG zur Gesetzeskompetenz des Bundes zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG stehen (dazu unten Ziff. 4.). 2. Parlamentarische Beteiligung im Rahmen von Art. 91b GG Die Regelung über die Bund-Länder-Vereinbarungen nach Art. 91b GG stellt eine Ausnahme von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz dar, dass Bund und Länder ihre Aufgaben getrennt und jeweils mit eigenen Mitteln zu erfüllen haben (Grundsatz der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung ).1 Nach Maßgabe dieser Regelung können die Länder an den Aufgaben des Bundes und der Bund an den Aufgaben der Länder beteiligt werden. Art. 91b GG spricht nur von „Vereinbarungen“, so dass auf seiner Grundlage sowohl Staatsverträge als auch Verwaltungsabkommen abgeschlossen werden können.2 Dabei kommt es darauf an, ob von den Vereinbarungen Gesetzgebungskompetenzen betroffen sind. Ist dies der Fall, so ist ein Staatsvertrag abzuschließen, dem auch die Parlamente, d.h. der Bundestag und die Landesparlamente , zustimmen müssen.3 Sind allein Kompetenzen der Regierungen (Verwaltungskompetenzen) Gegenstand der Vereinbarung, handelt es sich um ein Verwaltungsabkommen, das nicht der Zustimmung der Parlamente bedarf. Wie eingangs erwähnt, wurden in der bisherigen Staatspraxis Bund-Länder-Vereinbarungen nach Art. 91b GG in der Regel als Verwaltungsabkommen geschlossen,4 so dass die Zustimmung der Parlamente dazu nicht eingeholt wurde. Dennoch ist bei jeder neuen Vereinbarung zwischen Bund und Ländern zu prüfen, ob Gesetzgebungskompetenzen berührt sind oder nicht. Wird beispielsweise 1 Heun, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 3, 2. Auflage 2006, Art. 91b Rdnr. 12 m.w.N. 2 Mager, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 2, 6. Auflage 2012, Art. 91b Rdnr. 12; Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 91b Rdnr. 23; Heun, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 3, 2. Auflage 2006, Art. 91b Rdnr. 8. 3 Schladebach, Staatsverträge zwischen Ländern, VerwArch 2007, 238, 244 m.w.N. in Fn. 26 4 Auflistung von bisherigen Verwaltungsabkommen bei: Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Kommentar zum Grundgesetz, 13. Auflage 2014, Art. 91b Rn. 27 bis 36; für den Befund ebenso Heun, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 3, 2. Auflage 2006, Art. 91b Rdnr. 8; Mager, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 2, 6. Auflage 2012, Art. 91b Rdnr. 12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeit WD 3 - 3000 - 118/16 Seite 4 in einer Vereinbarung nach Art. 91b GG durch die darin vorgesehene Wissenschaftsförderung so weit in die Struktur der Wissenschaft und Lehre eingegriffen, dass darüber nur der Gesetzgeber entscheiden dürfte, so müsste dafür ein Staatsvertrag mit Zustimmung der Parlamente abgeschlossen werden. Bewegen sich die geplanten Vereinbarungen innerhalb der Verwaltungskompetenzen der Regierungen, ist ein Verwaltungsabkommen ohne Parlamentsbeteiligung zulässig. Die vertraglichen Verpflichtungen eines Verwaltungsabkommens gelten allerdings nur für die daran beteiligten Regierungen und nicht auch für die Parlamente.5 Dies bedeutet, dass die Parlamente als Haushaltsgesetzgeber rechtlich nicht an die Förderungsverpflichtungen aus dem Abkommen gebunden sind. Folglich müssen die Vereinbarungen über die Finanzierung und insbesondere die Kostentragung (Art. 91b Abs. 2 GG) von den Parlamenten in den jeweiligen Haushaltsgesetzen erst noch genehmigt und die entsprechenden Mittel breitgestellt werden. 3. Kritik an der fehlenden Beteiligung der Parlamente bei Verwaltungsabkommen Mit Blick auf das Demokratieprinzip werden die Verwaltungsabkommen nach Art. 91b GG teilweise nicht unkritisch gesehen.6 Die Kritik bezieht sich jedoch überwiegend7 nicht darauf, dass die Parlamente beim Abschluss der Verwaltungsabkommen nicht beteiligt werden, sondern eher auf den Druck, der von diesen Abkommen auf die Parlamente in Bezug auf die Genehmigung der notwendigen Haushaltsmittel ausgehen kann. Durch die Verpflichtungen, die die jeweilige Regierung in dem Verwaltungsabkommen eingegangen sind, würden die Parlamente vor vollendete Tatsachen gestellt, die ihre Haushaltshoheit faktisch einschränken könnte.8 Die Parlamente bzw. die parlamentarischen Regierungsmehrheiten würden mit dem Verwaltungsabkommen dem Druck ausgesetzt, „ihre“ Regierung nicht vertragsbrüchig werden zu lassen und die notwendigen Mittel im Haushaltsgesetz zur Verfügung zu stellen.9 Für die Landesparlamente ergebe sich der Druck auch daraus, dass die vom Bund im Verwaltungsabkommen in Aussicht gestellten Mittel verloren gehen könnten, wenn das Landesparlament die von dieser Landeregierung ihrerseits zugesagten Landesmittel nicht genehmigt.10 Als gegenläufiges Argument wird jedoch vorgebracht, dass auch die Regierungen im Vorfeld des Abschlusses eines Verwaltungsabkommens unter einer erhöhten Rechtfertigungslast gegenüber ihren Parlamenten stehen würden, da diese die entsprechenden Haushaltsmittel genehmigen 5 Mager, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 2, 6. Auflage 2012, Art. 91b Rdnr. 32; Volkmann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 3, 6. Auflage 2010, Art. 91b Rdnr. 3 (mit Verweis auf die Argumentation zur parallelen Situation bei den Vereinbarungen nach Art. 91a GG: ebenda, Art. 91a Rdnr. 28). 6 Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 91b Rdnr. 38 m.w.N. 7 Eher grundsätzlich: Volkmann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 3, 6. Auflage 2010, Art. 91b Rdnr. 3: „Entmachtung der Parlamente“, „Dominanz der Expertenstäbe in den Ministerialbürokratien “. 8 Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 91b Rdnr. 38; Volkmann, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 3, 6. Auflage 2010, Art. 91a Rdnr. 28. 9 Heun, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 3, 2. Auflage 2006, Art. 91a Rdnr. 26 m.w.N. 10 Mager, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 2, 6. Auflage 2012, Art. 91b Rdnr. 32. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeit WD 3 - 3000 - 118/16 Seite 5 müssten. Folglich könnten die Parlamente schon zu einem führen Zeitpunkt Einfluss auf das geplante Abkommen nehmen.11 Außerdem habe die Bildungs- und Forschungspolitik, obwohl sie im Grunde im Kompetenzbereich der Länder liege, gesamtstaatliche Bedeutung. Daher würden gute Gründe für die Zusammenarbeit der Länder unter Einbeziehung des Bundes in diesem Bereich sprechen. Der sich möglicherweise aus den Vereinbarungen ergebende Druck auf die Haushaltshoheit der Parlamente sei daher als „Tribut“ der sinnvollen Zusammenarbeit im Rahmen von Art. 91b GG zu sehen.12 4. Verhältnis der Bund-Länder-Vereinbarungen zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes über die Förderung der wissenschaftlichen Forschung Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG verfügt der Bund über die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Ist eine bundesgesetzliche Regelung in diesem Bereich erforderlich (Art. 72 Abs. 2 GG), kann der Bund Regelungen über die Förderung der wissenschaftlichen Forschung, jedoch nicht über die Struktur der Forschung bzw. der Forschungseinrichtungen erlassen.13 Der Bund hat dabei insbesondere die Gesetzgebungskompetenz der Länder im Bereich des Hochschulwesens zu achten.14 Die von Art. 91b GG eingeräumte Möglichkeit, im Bereich der Bildungsplanung und Forschungsförderung Bund-Länder-Vereinbarungen zu treffen, steht neben dieser Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Soweit Bund und Länder im Rahmen von Art. 91b GG Verwaltungsabkommen schließen, dürfte es (rechtlich) auch zu keinen inhaltlichen Überschneidungen kommen, da Gegenstand der Verwaltungsabkommen nur Verwaltungskompetenzen und gerade keine Gesetzgebungskompetenzen sein dürfen.15 Sollen in einer Vereinbarung nach Art. 91b GG doch auch Gegenstände geregelt werden, die Gesetzgebungskompetenzen betreffen, so wäre ein Staatsvertrag abzuschließen. In einem Staatsvertrag können inhaltlich auch solche Vereinbarungen getroffen werden, die der Bund aufgrund seiner Gesetzeskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG (i.V.m. Art. 72 Abs. 2 GG) auch alleine regeln dürfte. Hierfür wäre aber – wie bei allen Staatsverträgen – die Zustimmung aller Parlamente einzuholen. Ende der Bearbeitung 11 Vgl. zum Ganzen insbesondere Mager, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 2, 6. Auflage 2012, Art. 91b Rdnr. 32 m.w.N. 12 Zu dieser Argumentationslinie, seine grundsätzlichen Bedenken an Art. 91b GG (vgl. Fn. 7) insoweit einschränkend : Volkmann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 3, 6. Auflage 2010, Art. 91b Rdnr. 3. 13 Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art.74 Rdnr. 62; Kunig, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 2, 6. Auflage 2012, Art. 74 Rdnr. 58. 14 Wittreck, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 2, 3. Auflage 2015, Art. 74 Rdnr. 65. 15 Vgl. dazu oben S. 3.