Deutscher Bundestag Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 118/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 118/11 Seite 2 Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 118/11 Abschluss der Arbeit: 13. April 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 118/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorfrage: Klimaschutz als Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft? 4 2. Die kommunale Selbstverwaltung 5 2.1. Das Recht der Selbstverwaltung 5 2.2. Die gemeindliche Aufgabenstruktur 5 2.2.1. Dualistisches Modell 5 2.2.2. Monistisches Modell 6 2.3. Formen der Aufgabenwahrnehmung 6 2.3.1. Selbstverwaltungsaufgaben 6 2.3.1.1. Freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben 6 2.3.1.2. Pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben (Pflichtaufgaben ohne Weisung) 7 2.3.2. Auftragsangelegenheiten bzw. Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung 8 3. Übertragung von Pflichtaufgaben im Bereich Klimaschutz auf die Gemeinde 9 3.1. Zuständigkeit 9 3.2. Formelle Voraussetzung 10 3.3. Grenze der Aufgabenübertragung 10 3.3.1. Schutzbereich 10 3.3.2. Eingriff 10 3.3.3. Rechtfertigung des Eingriffs 11 3.3.4. Kostenregelung 11 4. Fazit 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 118/11 Seite 4 1. Vorfrage: Klimaschutz als Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft? Bevor untersucht wird, ob Gemeinden die Aufgabe des Klimaschutzes übertragen werden kann, muss der Begriff des Klimaschutzes erläutert werden. „Klimaschutz“ bezeichnet die Gesamtheit der Maßnahmen zum Schutz des Klimas.1 Unter Klima wiederum versteht man „die statistische Beschreibung der Gegebenheiten und Variationen der Atmosphäre der Erde anhand der dafür relevanten Klimaelemente wie Lufttemperatur, Niederschlag , Luftfeuchtigkeit, Bewölkung, Wind usw., unter ursächlichen Aspekten auch des Luftdrucks , vorwiegend in der bodennahen Luftschicht, für eine relativ lange Zeitspanne.“2 Klima ist mithin ein Phänomen, das nur in einem größeren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang gesehen werden kann. Entsprechend kann der Schutz dieses Phänomens, der Klimaschutz , nur in einem größeren, einem globalen Zusammenhang stattfinden. Inhaltlich wird darunter allgemein die Anstrengung der (Industrie-)Staaten der Welt verstanden, das Weltklima zu erhalten bzw. zu verbessern, indem die Erderwärmung verlangsamt wird. Da nach bisherigem Wissensstand der Ausstoß von Treibhausgasen, insbesondere von CO2, die Erwärmung verursacht , soll dieser durch eine globale Anstrengung verringert und sollen CO2-aufnehmende Naturbestandteile , wie große Wälder oder Feuchtgebiete, erhalten werden. Klimaschutz ist demnach nur ein Oberbegriff von Umweltschutzmaßnahmen, wie solchen zur Vermeidung von Luftverschmutzung, des Natur- und des Gewässerschutzes. Die Zuweisung der Aufgabe an eine Gemeinde, das oder auch ihr Klima zu schützen, würde wegen der globalen Dimension von einer räumlich kleinen Einheit nicht bewältigt werden können. Die Aufgabe Klimaschutz ergibt in ihrer eigentlichen Bedeutung für eine Gemeinde keinen Sinn. Denkbar ist aber, Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes vorzusehen, die darauf abzielen, in der örtlichen Gemeinschaft die CO2-Bilanz zu verbessern, beispielsweise durch Vorgaben an die ansässige Industrie oder durch die Erhaltung der örtlichen Natur. Nur in diesem Kontext kann eine Gemeinde Klimaschutz betreiben. Es wird sich hier aber weniger um die Übertragung einer neuen Aufgabe handeln, als vielmehr um die Änderung von rechtlichen Rahmenbedingungen, beispielsweise des Bundesimmissionsschutzgesetzes oder der Naturschutzgesetze. Wegen der vielfältigen Möglichkeiten, mit denen der Gesetzgeber auf das Ziel der Verbesserung der CO2-Bilanz hinarbeiten kann, können an dieser Stelle keine konkreten Aussagen getroffen werden. Es muss genügen, die abstrakten Voraussetzungen darzulegen, unter denen Gemeinden neue Aufgaben übertragen oder derartige Vorgaben gemacht werden können. Zum besseren Verständnis soll zunächst der rechtliche Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung vorgestellt werden. 1 Duden – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 10 Bänden, 3. Auflage, Mannheim /Leipzig/Wien/Zürich 1999, Stichwort Klimaschutz. 2 Der Brockhaus – Naturwissenschaft und Technik, Heidelberg 2003, Stichwort Klima. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 118/11 Seite 5 2. Die kommunale Selbstverwaltung3 2.1. Das Recht der Selbstverwaltung Nach Art. 28 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz (GG) haben die Gemeinden hinsichtlich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Selbstverwaltung wird durch Art. 28 Abs. 2 GG nicht als Grundrecht verbürgt4. Die Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG sichert den Gemeinden allerdings einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich (Allzuständigkeit), sowie die Befugnis zu eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte in diesem Bereich5. „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ sind diejenigen Bedürfnisse, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder zu ihr einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindebürgern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde betreffen6. Den Gemeindeverbänden ist zwar nicht Allzuständigkeit, aber doch im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs wie den Gemeinden die Eigenverantwortlichkeit garantiert7. Zum Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung gehört kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog, wohl aber die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen (Universalität des gemeindlichen Wirkungskreises)8. Das Universalprinzip wirkt als eine (gesetzlich widerlegbare) Zuständigkeitsvermutung9. 2.2. Die gemeindliche Aufgabenstruktur In der Bundesrepublik Deutschland haben sich in den einzelnen Bundesländern zwei Modelle der kommunalen Aufgabenwahrnehmung herausgebildet, die dualistische und die monistische Aufgabenstruktur. 2.2.1. Dualistisches Modell Nach der dualistischen Aufgabenstruktur gibt es sowohl staatsfreie und originär den Kommunen zugeordnete Aufgaben als auch Aufgaben, die vom Staat auf die Gemeinde übertragen worden sind. Das dualistische Modell unterscheidet zwischen Aufgaben des eigenen und des übertragenen Wirkungskreises. Die garantierte Selbstverwaltung erfasst die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises , der wiederum in freie und pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben zerfällt. Die Auf- 3 Der Sachstand enthält Auszüge aus dem Gutachten WD 3 – 3000 – 221/10. 4 Tettinger, Peter, in: von Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian, Kommentar zum Grundgesetz, 6. Auflage, München 2010, Art. 28 GG, Rn. 127. 5 BVerfGE 26, S. 228 (S. 237 f.); 56, S. 298 (S. 312); 59, S. 216 (S. 226). 6 BVerfGE 79, S. 127 (S. 152). 7 BVerfGE 21, S. 117 (S. 130). 8 BVerfGE 79, S. 127 (S. 146). 9 Dreier, Horst, in: Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Auflage, Tübingen 2008, Art. 28 GG, Rn. 112. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 118/11 Seite 6 gaben des übertragenen Wirkungskreises, die so genannten Auftragsangelegenheiten, bleiben trotz Wahrnehmung durch die Kommunen ihrer Rechtssubstanz nach staatlich10. Der dualistischen Aufgabenstruktur folgen die Bundesländer Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen , Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen. 2.2.2. Monistisches Modell Demgegenüber werden im monistischen Modell alle von der Gemeinde wahrgenommenen Aufgaben auch als kommunale Aufgaben angesehen, so dass trotz teilweise umfassender staatlicher Weisungsrechte immer eine gemeindliche Aufgabenwahrnehmung angenommen wird11. Damit wird in diesem Modell materiell nicht mehr zwischen Selbstverwaltungsaufgaben und übertragenen Angelegenheiten bzw. Auftragsangelegenheiten unterschieden, sondern zwischen weisungsfreien Angelegenheiten und Weisungsaufgaben12. Man differenziert also zwischen freien und pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben. Hinsichtlich der Selbstverwaltungsangelegenheiten unterscheidet sich das monistische Modell nicht vom dualistischen. Die freiwilligen und die pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben werden in eigener Verantwortung wahrgenommen. Daneben gibt es die Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung13. Die dem monistischen Modell folgenden Länder haben die Auftragsangelegenheiten durch Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung ersetzt. Diesem Modell können die Bundesländer Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Schleswig-Holstein zugeordnet werden. 2.3. Formen der Aufgabenwahrnehmung 2.3.1. Selbstverwaltungsaufgaben 2.3.1.1. Freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben Bei den freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben entscheidet die Gemeinde eigenständig sowohl über das „Ob“ als auch über das „Wie“ der Durchführung. Der Gemeinde steht es frei, die Aufgaben wahrzunehmen. Maßgeblich hängt diese Entscheidung auch von der Möglichkeit der Finanzierung ab. Die Gemeinde hat ein Aufgabenfindungsrecht in ihrem Bereich. Es entspricht mithin einer gesetzlich widerlegbaren Vermutung, dass es sich bei einer Aufgabe der Gemeinde um eine freiwillige handelt14. Beispielhafte Aufzählungen von Selbstverwaltungsaufgaben enthalten Art. 83 Bayerische Verfassung , § 2 Abs. 2 Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern und § 2 Abs. 2 Thüringer Kommunalordnung. Diese Auflistungen sind jedoch nicht abschließend und begrün- 10 Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 28 GG, Rn. 90. 11 Gern, Alfons, Deutsches Kommunalrecht, 3. Auflage, 2003, S. 160. 12 Gern, Deutsches Kommunalrecht, S. 160 f. 13 Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 28 GG, Rn. 90. 14 Gern, Deutsches Kommunalrecht, S. 162. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 118/11 Seite 7 den auch keine Verpflichtung der Gemeinde zur Wahrnehmung der aufgeführten Aufgabe15. Die Bestimmungen stellen keine Festlegung dar, welche Aufgaben als freiwillige Aufgaben einzustufen sind. Vielmehr wird durch die Darstellung lediglich allgemein der eigene Wirkungskreis der Gemeinden definiert. Der eigene Wirkungskreis umfasst alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, also alle Aufgaben, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln, auf sie einen spezifischen Bezug haben oder von ihr eigenverantwortlich und selbstständig bewältigt werden können16. Als Beispiel für den eigenen Wirkungskreis nennt Art. 83 Abs. 1 Bayerische Verfassung die Ortsplanung, die wegen des spezifischen Bezugs auf die örtliche Gemeinschaft klarer Bestandteil der gewährleisteten Selbstverwaltung ist und dem eigenen Wirkungskreis der Gemeinde zugewiesen wird17. 2.3.1.2. Pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben (Pflichtaufgaben ohne Weisung) Die zweite Art der Selbstverwaltungsaufgaben sind die pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben (Pflichtaufgaben ohne Weisung). Anders als bei den freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben, hinsichtlich deren Wahrnehmung die Gemeinden völlig frei sind, sind die Gemeinden zur Erledigung dieser Aufgaben gesetzlich verpflichtet18. Auch die Pflichtaufgaben sind nur zum geringen Teil unmittelbar in den Gemeindeordnungen geregelt (z. B. Trinkwasserversorgung in Art. 57 Abs. 2 Bayerische Gemeindeordnung). Die meisten Pflichtaufgaben sind in anderen (Fach-)Gesetzen festgelegt, worauf die Kommunalgesetze hinweisen (vgl. entsprechende Verweise in Art. 57 Abs. 1 S. 2 Bayerische Gemeindeordnung, § 2 Abs. 3 Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern, § 2 Abs. 3 Thüringer Kommunalordnung). In § 2 Abs. 2 der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg- Vorpommern wird beispielsweise die Bauleitplanung als Aufgabe im eigenen Wirkungskreis der Gemeinde definiert. Die Kommunalverfassung trifft keine Festlegung, ob es sich um eine freiwillige oder pflichtige Aufgabe handelt. Erst die fachgesetzliche Regelung in § 2 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) stellt die Erstellung von Bebauungsplänen als Pflicht dar. Erst hieraus ergibt sich, dass die Bauleitplanung pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe ist.19 Der Gesetzgeber hat bei der Festlegung als Pflichtaufgabe folgendes zu beachten: Formal können Pflichtaufgaben der Gemeinde grundsätzlich nur durch ein Gesetz im formellen Sinne auferlegt werden20. Da die Festlegung einer Selbstverwaltungsaufgabe als pflichtig eine Beschränkung des 15 Schweiger, Karl, in: Nawiasky, Hans/Schweiger, Karl/Knöpfle, Franz, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 14. Lieferung 2008, Art. 83, Rn. 3; Vogelsang, Klaus/Lübking, Uwe/Ulbrich, Ina-Maria, Kommunale Selbstverwaltung , 3. Aufl. 2005, S. 51. 16 Schweiger, in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 83, Rn. 3. 17 Schweiger, in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 83, Rn. 4. 18 Vogelsang,/Lübking/Ulbrich, Kommunale Selbstverwaltung, S. 53. 19 Grund hierfür ist, dass die örtliche Bauleitplanung eingebettet ist in überörtliche Gesamt- und Fachplanungen. Damit hat also die Bauleitplanung einen überörtlichen Bezug, sodass eine Verpflichtung dieser Aufgabe als notwendig erachtet wurde, um überörtliche Probleme zu vermeiden. 20 Im Einzelnen wurde dieser Gesetzesvorbehalt in den Gemeindeordnungen der einzelnen Bundesländer wie folgt festgesetzt: § 2 Abs. 2 Baden-Württembergische Gemeindeordnung; Art. 8 Abs. 1, Art. 57 Abs. 1 Satz 2 Bayrische Gemeindeordnung, § 3 Abs. 4 Brandenburgische Kommunalverfassung; § 3 Abs. 1 Hessische Gemeindeordnung; §§ 2 Abs. 3, 3 Abs. 1 Mecklenburg-Vorpommerische Kommunalverfassung; § 4 Abs. 1 Niedersächsische Gemeindeordnung ; § 3 Abs. 1 Nordrhein-Westfälische Gemeindeordnung; § 2 Abs. 3 Rheinland-Pfälzische Ge- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 118/11 Seite 8 in Art. 28 Abs. 2 GG garantierten Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden darstellt, setzt die Übertragung inhaltlich voraus, dass die Übertragung auf rechtfertigenden Gründen des Gemeinwohls beruhen muss und diese Gründe von höherem Gewicht sind als die Gründe, die gegen die Einschränkung des Selbstverwaltungsrechts sprechen21. Die Einschränkung des Selbstverwaltungsrechts ist zu beschränken auf dasjenige, was der Gesetzgeber zur Wahrung des jeweiligen Gemeinwohlbelangs für erforderlich halten kann, wobei er angesichts der unterschiedlichen Ausdehnung, Einwohnerzahl und Struktur der Gemeinden typisieren darf und auch im Übrigen einen grundsätzlich weiten Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum hat22. 2.3.2. Auftragsangelegenheiten bzw. Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung Auftragsangelegenheiten sind Aufgaben, die der Staat den Gemeinden zur Ausführung überträgt 23. Seit der Föderalismusreform ist es dem Bund untersagt, Aufgaben auf die Gemeinden und Gemeindeverbände zu übertragen (Art. 84 Abs. 1 S. 7, 85 Abs. 1 S. 2 GG – so genanntes Durchgriffsverbot). Das bedeutet, dass ausschließlich die Länder den Gemeinden Aufgaben übertragen können.24 Die Auftragsangelegenheiten gehören zum übertragenen Wirkungskreis der Gemeinden und sind damit naturgemäß immer Pflichtaufgaben mit Weisungsrecht. Der Sinn der Auftragsangelegenheiten ist es, eigene staatliche Behörden einzusparen und staatliche Aufgaben und Selbstverwaltungsaufgaben bei den Gemeinden zu konzentrieren25. Darüber hinaus kommt so der Erledigung staatlicher Aufgaben die Ortskenntnis und die Vertrautheit mit den lokalen Besonderheiten zugute , über die die Kommunalverwaltung bei der Wahrnehmung der Selbstverwaltungsaufgaben verfügt 26. Die Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung sind wie die Auftragsangelegenheiten staatliche Aufgaben, das staatliche Weisungsrecht im Rahmen der Fachaufsicht ist hier aber nicht mehr unbeschränkt; so ist der Umfang des Weisungsrechts in dem jeweiligen Gesetz, das der Gemeinde die Aufgaben zuweist, festzulegen27. Das die Auftragsangelegenheiten kennzeichnende unbeschränkte Weisungsrecht ist in diesem Bereich auf die Fälle beschränkt, in denen eine einheitliche Aufgabenerfüllung politisch erwünscht ist und die Aufgabe nur einen geringen Bezug zur örtlichen Gemeinschaft hat. meindeordnung; § 5 Abs. 3, § 6 Abs. 3 Saarländische Gemeindeordnung; § 2 Abs. 2 Sächsische Gemeindeordnung ; § 4 Abs. 1 Sachsen-Anhalt Gemeindeordnung; § 2 Abs. 2 Schleswig-Holsteinische Gemeindeordnung; § 2 Abs. 3 Thüringische Kommunalordnung. 21 BVerfG, NVwZ 1992, S. 365 (S. 366). 22 BVerfG, NVwZ 1992, S. 365 (S. 367). 23 Gern, Deutsches Kommunalrecht, S. 168. 24 Siehe dazu Schoch, Friedrich, Verfassungswidrigkeit des bundesgesetzlichen Zugriffs auf Kommunen, DVBl. 2007, S. 261 (S. 263). 25 Vogelsang,/Lübking/Ulbrich, Kommunale Selbstverwaltung, S. 55. 26 Wahl, Rainer in: Jeserich, Kurt/Pohl, Hans/von Unruh, Georg-Christoph, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 5, 1987, S. 232. 27 Vogelsang,/Lübking/Ulbrich, Kommunale Selbstverwaltung, S. 56. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 118/11 Seite 9 3. Übertragung von Pflichtaufgaben im Bereich Klimaschutz auf die Gemeinde Wie eingangs ausgeführt, ist es schwierig, in einem kommunalen Kontext von Klimaschutz zu sprechen. Maßnahmen, die zum Klimaschutz beitragen, können allerdings auch auf kommunaler Ebene ergriffen werden. Häufig werden sich diese Maßnahmen bereits aufgrund der geltenden Gesetze, die eventuell geändert werden müssten, verwirklichen lassen, sodass keine neue Aufgabe „Klimaschutz“ auf die Gemeinden übertragen würde. Da aber der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers kaum absehbar ist, sollen an dieser Stelle abstrakt die Voraussetzungen für die Übertragung von neuen Aufgaben im Bereich des örtlichen Umweltschutzes aufgezeigt werden. 3.1. Zuständigkeit Zunächst stellt sich die Frage, wer für die Übertragung von Maßnahmen zum Schutz des Klimas zuständig ist. Maßnahmen, die in einem örtlichen Rahmen zum Schutz des Klimas beitragen, könnten folgenden Bereichen entstammen: Naturschutz, Wasserhaushalt, Luftreinhaltung, Abfallwirtschaft. Diese Bereiche gehören alle der konkurrierenden Gesetzgebung an,28 was bedeutet, dass die Länder grundsätzlich die Gesetzgebungskompetenz besitzen, solange und soweit der Bund nicht von seiner Kompetenz durch Gesetz Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG). Handelt es sich z. B. um Maßnahmen im Anwendungsbereich des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) wie die Überwachung der Luftqualität (§ 44 BImSchG) oder die Festlegung der Immissions- und Emissionswerte (§ 48 Abs. 1 BImSchG) besäße der Bund die Zuständigkeit. Seit der Föderalismusreform ist es dem Bund – wie weiter oben dargelegt – jedoch untersagt, Aufgaben durch Bundesgesetz auf die Gemeinden zu übertragen (sog. Durchgriffsverbot). Dies gilt sowohl für Angelegenheiten der landeseigenen Verwaltung als auch für Auftragsangelegenheiten (Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG, Art. 85 Abs. 1 S. 2 GG). Nach der Übergangsregelung des Art. 125a Abs. 1 GG bleiben bereits vom Bund auf die Gemeinden übertragene Aufgaben bestehen. Nach wohl überwiegender Ansicht bleibt der Bund befugt, diese Aufgaben zu modifizieren oder an neue Entwicklungen anzupassen. Nicht zulässig soll aber eine grundlegende Änderung sein.29 Es bleibt dem Bundesgesetzgeber weiterhin unbenommen, Aufgaben auf die Länder zu übertragen , die diese dann nach ihrem jeweiligen Landesverfassungsrecht auf die Gemeinden übertragen können oder auch müssen.30 Die Länder können im Rahmen ihres jeweiligen Landesrechts den Gemeinden Aufgaben als eigene oder als Auftragsangelegenheiten übertragen.31 28 Art. 74 Abs. 1 Nr. 29, 32, 24 GG. 29 Stettner, Rupert, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 125a GG, Rn. 10; Uhle, Arnd, in: Maunz, Theodor/Dürig, Günther, Kommentar zum Grundgesetz, 60. Lieferung, München 2010, Art. 125a GG, Rn. 27; Jarass, Hans, in: Jarass, Hans/Pieroth, Bodo, Grundgesetz Kommentar, 11. Auflage, München 2011, Art. 125a GG, Rn. 7 (Der Bund habe eine Fortschreibungskompetenz.); Wolff, Heinrich, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 125a GG, Rn. 12. A.A. Degenhart, Christoph, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform , in: NVwZ 2006, S. 1209 (S. 1215). 30 Hermes, Georg, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 84 GG, Rn. 72; Pieroth, Bodo, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 84 GG, Rn. 7; Henneke, Hans-Günther, in: Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Klein, Franz/Hofmann, Hans/Hopfauf, Axel, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Auflage, Köln 2011, Art. 84 GG, Rn. 24a. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 118/11 Seite 10 3.2. Formelle Voraussetzung Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG garantiert den Gemeinden das Selbstverwaltungsrecht „im Rahmen der Gesetze“. Dies bedeutet, dass durch Gesetz in das Selbstverwaltungsrecht eingegriffen werden kann,32 indem etwa Aufgaben übertragen oder entzogen oder Vorgaben für die Art der Erfüllung der Aufgabe gemacht werden. 3.3. Grenze der Aufgabenübertragung Eine Grenze findet die Übertragung von Aufgaben auf die Gemeinde in der in Art. 28 Abs. 2 GG gewährten Garantie der kommunalen Selbstverwaltung. 3.3.1. Schutzbereich Der Schutzbereich ist eröffnet, wenn es sich um eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft handelt.33 Definiert man Klimaschutz als eine globale Aufgabe, schließt dies eine nur auf ein Gemeindegebiet beschränkte Dimension aus. Versteht man darunter im vorliegenden Kontext ein Bündel von Maßnahmen zum Schutz der örtlichen Umwelt, die zum globalen Klimaschutz beitragen , besteht ein enger Bezug zum Gemeindegebiet und den von den Maßnahmen betroffenen Gemeindeeinwohnern. Die Sicherung der Umwelt ist eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft , die die Gemeinde beispielsweise durch Maßnahmen zum Erhalt der örtlichen Waldgebiete oder durch Festsetzung bestimmter Emissionsgrenzwerte in gemeindlichen Baugebieten wahrnehmen kann.34 Es ist daher denkbar, dass Vorgaben, die den Schutz des Klimas bezwecken, den Schutzbereich der kommunalen Selbstverwaltung berühren. Innerhalb dieses Schutzbereiches nehmen die Gemeinden die Aufgaben eigenverantwortlich wahr. Sie entscheiden über das „Ob“, das „Wann“ und das „Wie“ der Aufgabenwahrnehmung, ohne einer Weisungsbefugnis der Länder zu unterliegen.35 3.3.2. Eingriff Jede belastende Regelung des Schutzbereichs stellt einen Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht dar.36 Eine solche belastende Regelung kann in der Übertragung von Aufgaben liegen,37 wenn z. B. die Pflicht begründet wird, eine Selbstverwaltungsangelegenheit wahrzunehmen, da die 31 Siehe beispielsweise §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 Niedersächsische Gemeindeordnung. 32 Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 28 GG, Rn. 118; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 28 GG, Rn. 10, 20. 33 Zum Begriff der Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft siehe oben S. 5. 34 Vgl. hierzu BVerwG, 15.12.1989, 7 C 6/88, Rn. 11. 35 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 28 GG, Rn. 16. 36 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 28 GG, Rn. 18. 37 Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 28 GG, Rn. 120; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 28 GG, Rn. 18; Henneke, Hans-Günter, Aufgabenwahrnehmung und Finanzlastverteilung im SGB II als Verfassungsproblem, in: DÖV 2005, S. 177 (S. 183). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 118/11 Seite 11 Gemeinde ja grundsätzlich selbst über das „Ob“ entscheiden kann. Es besteht nämlich die Gefahr , dass durch den Aufgabenzuwachs Mittel der Gemeinde, die sie zur Erfüllung ihrer (freiwilligen ) Selbstverwaltungsangelegenheiten benötigt, gebunden werden und die Gemeinde dadurch die freiwilligen Aufgaben nicht mehr wahrnehmen kann. 3.3.3. Rechtfertigung des Eingriffs Art. 28 Abs. 2 GG verbietet nicht jeden Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht, da er dieses nur „im Rahmen der Gesetze“ gewährleistet. Vorgaben hinsichtlich der Zuständigkeit und der Art und Weise der Erledigung der Aufgaben sind daher zulässig.38 Die Eingriffsmöglichkeit ist jedoch nicht unbegrenzt: Den Gemeinden stehe ein unantastbarer Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung zu.39 Wie der Kernbereich zu definieren ist, ist allerdings unklar. Der Selbstverwaltungsspielraum dürfe nicht so weit ausgehöhlt werden, dass die Gemeinde die Selbstverwaltung nicht mehr ausüben könne40 oder wegen der hohen Regelungsdichte die eigene Gestaltungsfähigkeit im Ergebnis ersticke.41 Außerhalb dieses Kernbereichs sind allerdings Einschränkungen des Selbstverwaltungsrechts zulässig.42 Diese müssen dann verhältnismäßig sein, insbesondere muss das betroffene Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde hinter Interessen von höherem Gewicht zurückstehen.43 Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und des Klimas könnten solchen überwiegenden Interessen dienen. 3.3.4. Kostenregelung Die Frage der Kostentragung ist Sache des Landesverfassungsgebers. Die Landesverfassungen sehen neben der allgemeinen Finanzausstattungspflicht der Gemeinden auch eine Kostenerstattung vor, wenn durch Landesgesetz den Gemeinden neue, Kosten verursachende Aufgaben übertragen werden (Konnexitätsprinzip).44 38 BVerfG, 23.11.1988, 2 BvR 1619/83, Rn. 41. 39 Ebenda. 40 BVerfG, 07.10.1980, 2 BvR 584/76 u. a., Rn. 43. 41 BVerfG, 26.10.1994, 2 BvR 445/91, Rn. 33. 42 Vgl. Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 28 GG, Rn. 127. 43 BVerfG, 07.05.2001, 2 BvK 1/00, Rn. 124. 44 Siehe z. B. Art. 57 Abs. 4 S. 2 Verfassung von Niedersachsen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 118/11 Seite 12 4. Fazit Die Zuweisung der Aufgabe Klimaschutz an eine kleine Gebietseinheit wie eine Gemeinde erscheint wegen der globalen Dimension des Themas nicht sinnvoll. Möglich ist aber, zum Schutz der örtlichen Umwelt Maßnahmen vorzusehen, die einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Wie dies allerdings im Einzelnen geschehen könnte, kann an dieser Stelle wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht vorhergesehen werden. Grundsätzlich können sowohl der Bund als auch die Länder in ihrem Zuständigkeitsbereich bestehende Gesetze ändern, um beispielsweise Umweltschutzanforderungen zu verschärfen. Werden tatsächlich neue Aufgaben geschaffen, ist es dem Bund untersagt, sie auf die Gemeinden zu übertragen. Er kann sie nur den Ländern zuweisen. In diesem Fall entscheidet das jeweilige Landesverfassungsrecht, ob und wie diese Aufgaben auf die Gemeinden übertragen werden dürfen und auf welche Weise ein finanzieller Ausgleich stattfindet.