© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 117/21; WD 5 - 3000 - 049/21 Tierheilpraktiker und § 50 Gesetzentwurf BT-Drs. 19/28658 Verletzung der Berufsfreiheit bei Verbot homöopathischer Arzneimittel Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/21; WD 5 - 3000 - 049/21 Seite 2 Tierheilpraktiker und § 50 Gesetzentwurf BT-Drs. 19/28658 Verletzung der Berufsfreiheit bei Verbot homöopathischer Arzneimittel Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 117/21; WD 5 - 3000 - 049/21 Abschluss der Arbeit: 07.06.2021 (zugleich letzter Aufruf der Online-Quellen) Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/21; WD 5 - 3000 - 049/21 Seite 3 1. Fragestellung Es stellt sich die Frage, ob der Entwurf eines Gesetzes zum Erlass eines Tierarzneimittelgesetzes und zur Anpassung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (BT-Drs. 19/28658) unverhältnismäßig Tierheilpraktiker in ihrer Berufsausübung beschränkt. 2. Hintergrund (Fachbereich WD 5) 2.1. Tierheilpraktiker In einem Fachbeitrag aus dem Jahr 2015 heißt es hierzu: „Akupunktur, Homöopathie & Co. erfreuen sich seit Jahren steigender Beliebtheit. Vor allem Tierhalter, die mit ihren eigenen gesundheitlichen Problemen auf Naturmedizin setzen und zum Heilpraktiker gehen, werden mit ihren Tieren bei Tierheilpraktikern vorstellig. Da Tierheilpraktiker kein anerkannter Ausbildungsberuf ist und diese Tätigkeit nicht durch ein einschlägiges Gesetz geregelt ist, gibt es in Deutschland bisher keine zuverlässigen Zahlen über die Verbreitung von nicht tierärztlich aus-gebildeten gewerbsmäßig Tiere behandelnden Personen. [...] In verschiedenen Therapeutenlisten unterschiedlicher Verbände konnten im August 2014 in Deutschland über 2200 Therapeutenadressen ermittelt werden.“1 2.2. Tierhomöopathie: bisherige Rechtslage Für die Anwendung galt bislang unter anderem § 57a Arzneimittelgesetz (AMG): „Tierhalter und andere Personen, die nicht Tierärzte sind, dürfen verschreibungspflichtige Arzneimittel bei Tieren nur anwenden, soweit die Arzneimittel von dem Tierarzt verschrieben oder abgegeben worden sind, bei dem sich die Tiere in Behandlung befinden.“ Die ganz überwiegend nicht verschreibungspflichtigen homöopathischen Arzneimittel2 fielen damit nicht unter den Vorbehalt des § 57a AMG. 1 Deutsches Tierärzteblatt 63 (2015), S. 492-496, https://www.bundestieraerztekammer.de/btk/dtbl/archiv/2015/artikel /DTBl_04_2015_Tierheilpraktiker.pdf (Hervorhebung durch Autor); siehe auch WD 5 - 3000 - 032/19, Rechtliche Einordnung des Berufs des Tierheilpraktikers, https://www.bundestag.de/resource /blob/636996/8ae953e84c5d83d6a3c19ba0c60658e7/WD-5-032-19-pdf-data.pdf; WD 5 - 3000 - 236/14, Tierheilpraktiker , Regelungen in einzelnen Staaten. 2 Siehe hierzu § 5 Arzneimittelverschreibungsverordnung – AMVV, https://www.gesetze-im-internet.de/amvv/__5.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/21; WD 5 - 3000 - 049/21 Seite 4 2.3. Tierhomöopathie: Gesetzentwurf BT-Drs. 19/28658 In § 50 „Entwurf eines Gesetzes zum Erlass eines Tierarzneimittelgesetzes und zur Anpassung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ (im Folgenden Gesetzentwurf) heißt es:3 „(1) Nach der Verordnung (EU) 2019/6 oder nach den Vorschriften dieses Gesetzesverschreibungspflichtige Tierarzneimittel oder veterinärmedizintechnische Produkte dürfen vom Tierhalter nur gemäß den Festlegungen der tierärztlichen Verschreibung angewandt werden. (2) Tierhalterinnen und Tierhalter sowie andere Personen, die nicht Tierärztinnen oder Tierärzte sind, dürfen verschreibungspflichtige Tierarzneimittel und veterinärmedizintechnische Produkte sowie Arzneimittel nach § 2 Absatz 1 des Arzneimittelgesetzes bei Tieren nur anwenden , soweit 1. diese von einer Tierärztin oder einem Tierarzt verschrieben oder abgegeben worden sind, bei der oder dem sich die Tiere in Behandlung befinden, und 2. eine tierärztliche Behandlungsanweisung für den betreffenden Fall ausgehändigt wurde [...].“ Nach kursorischer Prüfung weitet § 50 des Gesetzentwurfes damit den tierärztlichen Vorbehalt auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel aus, die nicht für Tiere registriert und zugelassen sind.4 Dazu zählen unter anderem auch homöopathische Mittel. Damit wäre künftig für jede Anwendung von Arzneimitteln, die nicht für Tiere registriert und zugelassen sind, eine tierärztliche Verschreibung und Behandlungsanweisung erforderlich. Dies gilt unabhängig davon, ob das Tier der Gewinnung von Lebensmitteln dient (vgl. § 50 Abs. 4 Gesetzentwurf; § 58 AMG). Für die Anwendung von Arzneimitteln, die spezifisch für Tiere zugelassen und registriert sind und nicht verschreibungspflichtig sind, bedarf allerdings weiterhin keiner tierärztlichen Verschreibung und Behandlungsanweisung. Ein detaillierter Regelungszweck lässt sich der Gesetzesbegründung für die Ausweitung des tierärztlichen Vorbehalts in § 50 Abs. 2 Gesetzentwurf wohl nicht entnehmen: „Fortführung und Anpassung an die europarechtlichen Vorgaben der Regelung aus § 57a AMG. Geregelt wird die Anwendung von verschreibungspflichtigen Tierarzneimitteln und verschreibungspflichtigen veterinärmedizintechnischen Produkte und die Anwendung jeglicher Arzneimittel gemäß § 2 Absatz 2 AMG, ob verschreibungspflichtig oder nicht, durch Tierhalter und andere nichttierärztliche Personen. Voraussetzung für die rechtskonforme Anwendung ist der Bezug durch die behandelnde Tierärztin oder den behandelnden Tierarzt und die Beachtung der 3 BT-Drs. 19/28658, S. 36, https://dserver.bundestag.de/btd/19/286/1928658.pdf (Hervorhebung durch Autor). 4 Vgl. BT-Drs. 19/28658, S. 71/Art. 3 Nr. 3 Gesetzentwurf (die Definition des Arzneimittels in § 2 AMG erfasst künftig nur noch für den menschlichen Körper bestimmte Stoffe), https://dserver.bundetag.de/btd/19/286/1928658.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/21; WD 5 - 3000 - 049/21 Seite 5 tierärztlichen Behandlungsanweisung. Die Vorschrift betrifft die Anwendung bei Tieren aller Art, ob lebensmittelliefernd oder nicht.“5 Nach kursorischer Prüfung ergibt sich aus den europarechtlichen Vorgaben keine Notwendigkeit, den tierärztlichen Vorbehalt auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel auszuweiten, die nicht für Tiere registriert und zugelassen sind. In Art. 106 Abs. 4 der EU-Verordnung 2019/6 heißt es lediglich:6 „Die Mitgliedstaaten können in begründeten Fällen beschließen, dass ein Tierarzneimittel nur durch einen Tierarzt verabreicht bzw. angewendet werden darf.“ 3. Grundrecht auf Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG (Fachbereich WD 3) Die Ausweitung des Vorbehalts der tierärztlichen Verschreibungspflicht auf homöopathische Mittel gemäß des Gesetzentwurfes könnte die Berufsfreiheit der Tierheilpraktiker verletzen. 3.1. Schutzbereich Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG umfasst sowohl die Berufswahl als auch die Berufsausübung . Ein Beruf ist jede auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage .7 Bei der Tätigkeit als Tierheilpraktiker handelt es sich trotz des Fehlens einer Ausbildung oder staatlichen Anerkennung um ein typisiertes Berufsbild, das diesen Voraussetzungen gerecht wird. Zur Freiheit der Berufsausübung gehört die Gesamtheit der mit der Berufstätigkeit, ihrem Ort, ihren Inhalten, ihrem Umfang, ihrer Dauer, ihrer äußeren Erscheinungsform, ihren Verfahrensweisen und ihren Instrumenten zusammenhängenden Modalitäten der beruflichen Tätigkeit.8 Da Tierheilpraktiker schon nach geltendem Recht keine verschreibungspflichtigen Arzneimittel verordnen und diese auch nur bei einer vorherigen tierärztlichen Verschreibung anwenden dürfen, stellt die Anwendung homöopathischer Arzneimittel einen nicht unerheblichen Teil ihrer Tätigkeit dar. Indem sie unter den tierärztlichen Vorbehalt gestellt wird, ist der Schutzbereich der Berufsfreiheit betroffen . 5 BT-Drs. 19/28658, S. 120, https://dserver.bundestag.de/btd/19/286/1928658.pdf (Hervorhebung durch Autor). 6 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32019R0006&from=EN#d1e6765-43-1 (Hervorhebung durch Autor). 7 BVerfGE 7, 377 (397), BVerfGE 102, 197 (212), BVerfGE 105, 252 (265), BVerfGE 111, 10 (28), Mann, in: Sachs, 9. Aufl. 2021, GG Art. 12 Rn. 45; Jarass/Pieroth, 16. Aufl. 2020, GG Art. 12 Rn. 5, Ruffert, in: BeckOK GG 46. Ed. 15.2.2021, GG Art. 12 Rn. 40. 8 Mann, in: Sachs, 9. Aufl. 2021, GG Art. 12 Rn. 79. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/21; WD 5 - 3000 - 049/21 Seite 6 3.2. Eingriff Die Einführung dieses Vorbehalts würde eine imperative Beeinträchtigung und damit auch einen Eingriff darstellen. 3.3. Rechtfertigung Auf der Ebene der Rechtfertigung hat das Bundesverfassungsgericht die sog. Drei-Stufen-Theorie entwickelt.9 Danach steigen die Anforderungen an die Rechtfertigung entsprechend der Intensität des Eingriffs. Dabei ist von drei Stufen auszugehen: den Berufsausübungsregeln, den subjektiven und den objektiven Berufswahlregeln. Die Abgrenzung erfolgt danach, was der Gesetzgeber regelt: das „Ob“ oder das „Wie“ der Berufstätigkeit. Dreht es sich um deren Modalitäten, liegt eine Berufsausübungsregelung vor.10 Berufswahlregeln dagegen bestimmen den Zugang zu einem Beruf. 3.3.1. Berufsausübungsregelung oder Berufswahlregelung? Durch den tierärztlichen Vorbehalt bezüglich Humanarzneimitteln werden die Behandlungsmöglichkeiten der Tierheilpraktiker beschränkt, was grundsätzlich das „Wie“ der Berufsausübung betrifft . Führen die Berufsausübungsregeln jedoch dazu, dass die Tätigkeit faktisch nicht unerheblich eingeschränkt wird oder sogar unmöglich wird und dies nicht lediglich Einzelsituationen betrifft, so kommt dies einem Eingriff in die Berufswahl nahe.11 Dann kann der Eingriff nicht mehr mit jeder vernünftigen Erwägung des Gemeinwohls gerechtfertigt werden, sondern nur mit Interessen des Gemeinwohls, die so schwer wiegen, dass sie den Vorrang vor der erheblichen Berufsbehinderung verdienen.12 Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Tierheilpraktiker (und andere Personen, die nicht Tierärzte oder Tierärztinnen sind), lediglich als homöopathische Tierarzneimittel registrierte oder zugelassene Mittel anwenden dürfen. Die tatsächlichen Auswirkungen dieser Regelungen auf die Berufsausübung der Tierheilpraktiker können nicht abschließend geklärt werden. Die Kooperation deutscher Tierheilpraktiker-Verbände e.V., nach eigenen Angaben die einzige übergeordnete Vereinigung deutscher Tierheilpraktiker- 9 BVerfGE 7, 377 (397 ff.). 10 Wieland, in: Dreier, 3. Aufl. 2013, GG Art. 12 Rn. 69. 11 BVerfGE 11, 30 (44 f.); BVerfGE 77, 84 (106). 12 BVerfGE 32, 1 (34 f.), BVerfGE 82, 209 (229 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/21; WD 5 - 3000 - 049/21 Seite 7 Berufsverbände, hat eine Stellungnahme zum Gesetzesentwurf veröffentlicht.13 Sie geht davon aus, dass von dem in § 50 Gesetzentwurf vorgesehenen tierärztlichen Vorbehalt über 98 % der registrierten oder zugelassenen Homöopathika erfasst wären und dass die übrigen als homöopathische Tierarzneimittel registrierten Mittel für eine Behandlung nach homöopathischen Prinzipien nicht ausreichen würden. Nach ihrer Einschätzung würde dies eine massive Einschränkung der Berufsausübung bedeuten. Die klassische Homöopathie, aber auch die Pflanzenheilkunde könnten danach nicht mehr ganzheitlich ausgeübt werden. Treffen diese Ausführungen zu, liegt nahe, dass die geplante Regelung dazu führt, dass ein ganz wesentlicher Teil der beruflichen Tätigkeiten nicht mehr ausgeübt und angeboten werden kann. Nicht zuletzt aufgrund der damit verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen könnten Tierheilpraktiker durch die Regelung zur Berufsaufgabe gezwungen sein. Es würde sich dann um eine Berufswahlregelung handeln.14 Die Differenzierung von subjektiven und objektiven Berufswahlregelungen erfolgt anhand dessen, ob auf persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten, erworbene Abschlüsse oder erbrachte Leistungen abgestellt wird (subjektive Berufswahlregelung) oder anhand von objektiven Kriterien entschieden wird, die nicht in der Person des Betroffenen liegen und auf die er keinen Einfluss hat (objektive Berufswahlregelung). Vorliegend ist für die weitere Anwendung homöopathischer Humanarzneimittel die Qualifikation als Tierarzt/Tierärztin ausschlaggebend. Dies ist eine Berufsausbildung , sodass eine subjektive Berufswahlregelung vorliegt. Eine solche ist zulässig, wenn es um den Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts geht, das gegenüber der Freiheit des Einzelnen vorrangig ist.15 Dabei ist das Übermaßverbot strikt zu beachten.16 Dem Gesetzgeber kommt bei der Beurteilung der zu schützenden Güter ein großer Entscheidungsspielraum zu. Die Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts beschränkt sich insoweit auf offensichtlich fehlerhafte oder mit der Werteordnung des Grundgesetzes unvereinbare Erwägungen.17 3.3.2. Verhältnismäßigkeit 3.3.2.1. Ziel der europarechtlichen Harmonisierung Die Gesetzesbegründung zu § 50 Gesetzentwurf bezieht sich lediglich auf die „Fortführung und Anpassung an die europarechtlichen Vorgaben der Regelung aus § 57a AMG“.18 13 Kooperation deutscher Tierheilpraktiker-Verbände e.V., Stellungnahme zum Gesetz zum Erlass eines Tierarzneimittelgesetzes und zur Anpassung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, BT-Dr. 19/28658. 14 BVerfGE 78, 155 (161). 15 BVerfGE 7, 377 (407). 16 BVerfG NJW 2003, 3618 (3619). 17 Ruffert, in: BeckOK GG, 46. Ed. 15.2.2021, GG Art. 12 Rn. 97, 98. 18 Drucksache 19/28658, S. 120, Zu § 50 (Anwendung von Tierarzneimitteln), Zu Absatz 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/21; WD 5 - 3000 - 049/21 Seite 8 Während eine Harmonisierung des nationalen mit dem Europarecht ein legitimes Ziel darstellt, so ist bereits die Geeignetheit, dieses durch die Ausdehnung des Vorbehalts zu fördern, fraglich, da der Entwurf, wie unter 2.3. dargelegt, über das gesetzte Ziel hinausgeht. Auch ist die Erforderlichkeit zweifelhaft, da ein gleich geeignetes, aber milderes Mittel zur Zielerreichung insbesondere die Beschränkung des tierärztlichen Vorbehalts auf verschreibungspflichtige Arzneimittel darstellen könnte. Im Rahmen der Angemessenheit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass das Anwendungsverbot eine sehr starke Beeinträchtigung der Tierheilpraktiker in ihrer Berufstätigkeit darstellen würde und dadurch das Übermaßverbot verletzt sein könnte. Dem steht eine über die europarechtlichen Vorschriften hinausgehende Regelung entgegen. Zwar kommt dem Gesetzgeber ein weiter Beurteilungsspielraum zu, ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut ist eine überschießende Regulierung jedoch nicht. Auch die höhere Gewichtung einer nicht europarechtlich geforderten Regelung, die im konkreten Fall zu einem faktischen Berufsverbot führen könnte, gegenüber der Berufsfreiheit , entspricht nicht den Wertungen des Grundgesetzes. Tierheilpraktiker finden in der gesamten Begründung des Gesetzesentwurfs keine Erwähnung, weder im Rahmen der Gesetzesfolgen noch konkret bei § 50 Gesetzentwurf. Es liegt nahe, dass ihre Interessen nicht einbezogen wurden und eine Abwägung mit diesen nicht stattgefunden hat. Dies spricht für eine Verletzung des Übermaßverbots . 3.3.2.2. Ziel der Verbesserung des Tierwohls Über die Begründung zu § 50 Gesetzesentwurf hinaus könnte der in § 1 des Gesetzesentwurfs normierte Gesetzeszweck in die Rechtfertigungsprüfung einbezogen werden. Danach soll dieses die „Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Tierarzneimitteln und veterinärmedizintechnischen Produkten“ (Abs. 1) und „ein hohes Schutzniveau für die Tiergesundheit, den Tierschutz und die Umwelt sowie den Schutz der öffentlichen Gesundheit“ (Abs. 2) gewährleisten. Der Schutz von Tieren und Umwelt ist von Art. 20a GG erfasst und stellt als verfassungsrechtlich geschütztes Gut ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut dar. Auch hier sind jedoch die Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot zu beachten. So ist das Ziel, Tiere vor unqualifizierter Behandlung zu schützen, von dem in Art. 20a GG normierten Staatsziel des Tierschutzes umfasst. Der tierärztliche Vorbehalt ist zu dessen Erreichung auch geeignet, denn wenn nur noch Tierärzte/Tierärztinnen Arzneimittel nach § 2 AMG anwenden dürfen, ist durch deren Qualifikation eine angemessene Behandlung gesichert. Problematisch ist wiederum die Erforderlichkeit. So könnte eine Ausnahme homöopathischer Mittel vom tierärztlichen Vorbehalt ein milderes Mittel darstellen, das jedoch die gleiche Wirkung für das Tierwohl hat. Denn während die Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel bei Menschen und bei Tieren umstritten und nicht wissenschaftlich eindeutig belegt ist, so fehlt es ebenfalls an Nachweisen einer Schädlichkeit. Eine Besserung des Tierwohls durch die Erweiterung des Vorbehalts kann daher nicht gesichert erwartet werden. Eine Ausnahme homöopathischer Mittel vom tierärztlichen Vorbehalt des geplanten § 50 Gesetzentwurf dürfte daher ein zur Förderung des Tierwohls gleich geeignetes, mangels der Auswirkungen auf den Beruf der Tierheilpraktiker aber milderes Mittel darstellen. Die geplante Regelung wäre wohl schon nicht erforderlich. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/21; WD 5 - 3000 - 049/21 Seite 9 Auch im Rahmen der Angemessenheit ergeben sich Zweifel. So handelt es sich bei der Tätigkeit als Tierheilpraktiker zwar nicht um einen durch staatliche Prüfung anerkannten Beruf, sodass keine Standards bezüglich der Behandlungsqualität garantiert werden. Aufgrund der angesprochenen wissenschaftlichen Lage kann ein Nutzen für das Tierwohl durch den ausgedehnten tierärztlichen Vorbehalt jedoch ebenfalls nicht zuverlässig erwartet werden. Diese geringen Erfolgsaussichten stehen potentiell erheblichen Einschnitten in die Wirtschaftlichkeit der Tätigkeit als Tierheilpraktiker gegenüber. Dabei ist auch zu beachten, dass im Bereich der Humanmedizin homöopathische Mittel frei verkäuflich und ohne ärztliche Anordnung oder Aufsicht individuell angewendet werden können, auch bei Kindern. Geht man davon aus, dass eine homöopathische Behandlung von Nutztieren sich negativ auf die von diesen produzierten Lebensmittel auswirken kann, beispielsweise durch Rückstande und dadurch mögliche Gesundheitsgefahren für Konsumenten, so fehlt es an einer Differenzierung zwischen lebensmittelproduzierenden Nutz- und bloßen Haustieren. 4. Fazit Der geplante § 50 Gesetzentwurf, mit dem der tierärztliche Vorbehalt auf Arzneimittel nach § 2 AMG ohne Ausnahme für homöopathische Mittel erweitert werden soll, könnte erhebliche Auswirkungen auf das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG der Tierheilpraktiker haben. Wegen der europarechtlich nicht geforderten Regelung und der geringen zu erwartenden Vorteile für das Tierwohl könnte sie als unverhältnismäßig und damit nicht gerechtfertigt angesehen werden. ***