© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 117/20 Anspruchsgrundlagen für Entschädigungen für Corona-bedingte Vermögensschäden von Betrieben Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/20 Seite 2 Anspruchsgrundlagen für Entschädigungen für Corona-bedingte Vermögensschäden von Betrieben Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 117/20 Abschluss der Arbeit: 7. Mai 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/20 Seite 3 1. Fragestellung Im Zuge der SARS-CoV-2-Pandemie wurde auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)1 verschiedenen Branchen untersagt, ihrem Gewerbe nachzugehen. Unter anderem wurde die Schließung von Theatern, Gaststätten, Bars, Diskotheken, Fitnessstudios und vielen anderen Einrichtungen und Stätten angeordnet.2 Gefragt wird nach den Grundlagen für Entschädigungsansprüche von Betrieben, die aufgrund dieser Schließungen Vermögensschäden erlitten haben. Insbesondere soll geprüft werden, ob sich aus landesrechtlichen Polizei- und Sicherheitsgesetzen, aus den Aufopferungsgedanken oder aus enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff Entschädigungsansprüche ergeben können. Die Prüfung kann zeitbedingt nur kursorisch erfolgen. 2. Entschädigungsansprüche aus dem Infektionsschutzgesetz Das Infektionsschutzgesetz enthält verschiedene Entschädigungsregelungen. In Betracht kommen hier § 65 IfSG (Entschädigung bei behördlichen Maßnahmen) sowie eine analoge Anwendung der allgemeinen Entschädigungsregelung des § 56 IfSG. 2.1. § 65 IfSG – Entschädigung bei behördlichen Maßnahmen § 65 Abs. 1 regelt: „Soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird, ist eine Entschädigung in Geld zu leisten […].“3 Im Grundsatz erfasst § 65 IfSG damit auch Rechtsverordnungen: § 17 Abs. 4 und Abs. 5 IfSG ermächtigt zum Erlass von Rechtsverordnungen. Gleichwohl geht es bei § 17 IfSG um besondere Fälle, insbesondere darum, dass „Gegenstände mit meldepflichtigen Krankheitserregern behaftet sind“. 1 Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587). 2 Vgl. bspw. die Fünfte Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung des Landes Berlin vom 28. April 2020, https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/; siehe auch die Auflistung bei Antweiler, NVwZ 2020, 584 (585). 3 Hervorhebung durch Autor. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/20 Seite 4 Die Verordnungen der Länder zur Schließung von Betrieben beruhen jedoch soweit ersichtlich auf § 32 IfSG: „Aufgrund des § 32 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes […] wird verordnet […].“4 Für diesen Fall sieht das IfSG keinen Entschädigungsanspruch vor.5 Selbst wenn ein Anspruch dem Grunde nach bestünde, würde er nicht allgemein auf den Ersatz von Vermögensschäden zielen. Zu diesem Ergebnis kommt eine der ersten Fachveröffentlichungen zu den „Corona-Verordnungen“: „Eine allgemeine Entschädigungsklausel für durch rechtmäßige Maßnahmen verursachte Vermögensschäden existiert im IfSG nicht. Auch eine Auslegung des § 65 I 1 Hs. 1, Var. 4 IfSG, zumindest ‚nicht nur unwesentliche Vermögensnachteile‘ durch Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (§§ 16, 17 IfSG) auszugleichen, ist nur schwerlich annehmbar. Zunächst sind alle Vermögensnachteile durch Eingriffe im Sinne der weiteren Maßnahmen zur Bekämpfung (insb. §§ 28 ff. IfSG) bereits durch den Wortlaut von § 65 I 1 Hs. 1 Var. 4 IfSG nicht erfasst. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit der insoweit zum heutigen § 65 I 1 Hs. 1 IfSG inhaltsgleichen Einfügung der Var. 4 in den damaligen § 57 I BSeuchG klargestellt, dass es sich hierbei lediglich um einen Auffangtatbestand für über die in den Var. 1–3 genannten konkreten Enteignungstatbestände (Vernichtung, Beschädigung oder Wertminderung in sonstiger Weise) hinausgehenden denkbaren Einbußen bezogen auf Gegenstände handeln solle. Weiter spricht auch die zielgerichtete und ausschließliche Beschränkung der Entschädigung auf Eigentümer nicht gefährlicher Gegenstände (‚Nichtstörer‘) systematisch für ein solches Verständnis: Ein danach möglicher, nicht gegenstandsbezogen- und pauschaler Entschädigungsanspruch für Maßnahmen aus den §§ 16, 17 IfSG für nicht unwesentliche Vermögenseinbußen zugunsten etwa von Verantwortlichen wäre auch im Hinblick auf § 65 I 1 Hs. 2 IfSG systemwidrig.“6 2.2. § 56 Infektionsschutzgesetz analog? § 56 IfSG ist eine Anspruchsgrundlage für Störer. Absatz 1 Satz 1 lautet: „Wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der 4 Siehe nur bspw. Fünfte Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung des Landes Berlin vom 28. April 2020, https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/. 5 So auch Reschke, DÖV 2020, 423 (425) und Antweiler, NVwZ 2020, 584 (588 f.). 6 Giesberts/Gayger/Weyand, NVwZ 2020, 417 (420) – Hervorhebung durch Autor. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/20 Seite 5 Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine Entschädigung in Geld“7. Vereinzelt finden sich im Netz Andeutungen, § 56 IfSG müsse auf „gesunde Betriebe“, die rein präventiv aufgrund einer „Corona-Verordnung“ schließen mussten, analog angewendet werden.8 Die Kommentierung zu § 56 IfSG stützt diese Ansicht nicht, da selbst Störer eine Schließung grundsätzlich entschädigungslos hinnehmen müssen. Dies gilt für Nichtstörer erst recht: „Ein Eingriff, der den Störer zur Beachtung der öffentlichen Ordnung zwingt und von ihm ausgehende Störungen beseitigt, macht nur die allgemeinen Schranken der Rechtsausübung geltend (BGHZ 5, 144); eine solche Maßnahme ist grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen , auch wenn sie zu Vermögensschäden führt (BVerfGE 20, 351; BGHZ 43, 196 und 45, 23). Die §§ 56 ff sind folglich kein Entgeltfortzahlungsanspruch, sondern eine reine Billigkeitsentschädigung , die eigentlich dem sozialen Leistungsrecht zuzuordnen ist. Ziel ist kein Schadenersatz , sondern lediglich die wirtschaftliche Sicherung des Betroffenen vor materieller Not. Die Vorschriften sind nicht geschaffen, um Arbeitgeber oder Versicherungen zu entlasten [...]. Die §§ 56 ff sind keiner ausdehnenden Auslegung fähig.“9 Gegen eine Analogie spricht auch, dass der Gesetzgeber § 56 IfSG am 25. März 2020 erweitert hat und in Absatz 3 einen Satz 2 angefügt hat:10 „Demnach erhalten Eltern eine finanzielle Entschädigung, wenn sie wegen auf Grundlage des IfSG behördlich angeordneten Schließungen von Kinderbetreuungseinrichtungen oder Schulen 7 Hervorhebung durch Autor. 8 FAZ vom 8. April 2020, Kommt die Entschädigungswelle?, https://www.faz.net/einspruch/kommt-die-entschaedigungswelle -infektionsschutzgesetz-16716204.html: „Anwälte gehen daher davon aus, dass es nur gerecht wäre, wenn die bestehenden Regeln [§ 56 IfSG] für die Tätigkeitsverbote von betroffenen Personen erst Recht für Unternehmer gelten würden, die sich mit der Krankheit gar nicht erst angesteckt haben – und trotzdem von dem faktischen Berufsverbot betroffen sind“; Winterhoff, Coronavirus & Öffentliches Recht, juris vom 7. April 2020: „[....] § 56 IfSG [könnte] auf Nichtstörer und auch auf juristische Personen analog anwendbar [...] [sein]. Beides erscheint wegen der Lückenhaftigkeit der Entschädigungsregelungen des Infektionsschutzgesetzes nicht als ausgeschlossen“ (jedoch ohne weitere Begründung der Lückenhaftigkeit und weiteren Voraussetzungen einer analogen Anwendung ), https://www.juris.de/jportal/nav/juris_2015/aktuelles/magazin/coronavirus-entschaedigungsansprueche.jsp; Dörrenbacher, Folgewirkungen der extensiven Auslegung des IfSG, JuWiss vom 10. April 2020: „Denn bei genauerer Betrachtung ist eine erweiternde bzw. analoge Anwendung des § 56 IfSG nicht nur zulässig, sondern auch geboten. Denn die Lückenhaftigkeit der Norm beruht darauf, dass der Gesetzgeber – der diese Vorschrift in Abstimmung auf die u. a. nach § 28 IfSG zulässigen Maßnahmen gestaltet hat – solche kollektiven Betriebsschließungen überhaupt nicht im Blick hatte“, https://www.juwiss.de/55-2020/. Siehe auch Antweiler, NVwZ 2020, 584 (589). 9 Erdle, Infektionsschutzgesetz, 7. Auflage 2020, § 56, Vorbemerkungen (Hervorhebung durch Autor); siehe auch Eckert, Zeitschrift für Bilanzierung, Rechnungswesen und Controlling 2020, 157 (in Bezug auf „Corona-Verordnungen “): „Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko“, „unter Umständen ein Entschädigungsanspruch des Arbeitgebers nach § 65 IfSG“; ähnlich Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 3. Auflage 2020, § 56 Rn. 1: „Billigkeitsregelung“, „kein voller Schadensausgleich“; siehe aber die Rechtsprechung des BVerfG zum Bundesseuchengesetz BVerfGE 57, 107 (117). 10 BT-Drs. 19/18111. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/20 Seite 6 selbst die Betreuung ihrer Kinder übernehmen müssen und dadurch einen Verdienstausfall erleiden.“11 Der Gesetzgeber hat sich also trotz der sich bereits aufdrängenden Entschädigungsfrage12 gegen einen allgemeinen Entschädigungsanspruch entschieden. Auch dieser Umstand spricht gegen eine unbewusste Regelungslücke. Hiervon geht auch die Begründung eines in den Landtag Niedersachsen eingebrachten Gesetzentwurfs aus: „Der Deutsche Bundestag hat bei der Beschlussfassung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) absichtlich[13] keine Entschädigung für die breitflächigen Maßnahmen mit sehr hohen Schadensfolgen vorgesehen, um die Lastentragung in solchen Fällen, die potenziell eine sehr hohe Belastung für die Länderhaushalte bedeuten können, einer demokratisch verantworteten Bewältigung ad hoc zu überlassen.“14 Presseberichten zufolge stützt ein erstes Urteil diese Bewertung. Danach komme das LG Heilbronn zu der Einschätzung, dass für eine analoge Abwendung des § 56 IfSG kein Raum bestehe, da keine Regelungslücke durch Rechtsfortbildung zu schließen sei. Durch die Rettungspakete sei die Lücke geschlossen worden.15 3. Entschädigungsansprüche aus den landesrechtlichen Polizei- und Sicherheitsgesetzen Die Frage, ob die in den landesrechtlichen Polizei- und Sicherheitsgesetzen enthaltenen allgemeinen Entschädigungsregelungen16 ergänzend zu den speziellen gefahrenabwehrrechtlichen Entschädigungsregelungen des IfSG herangezogen werden können, ist in der Literatur umstritten . Eine höchstrichterliche Entscheidung hierüber steht noch aus. 11 Wagner/Weber, DStR 2020, 745 (749). 12 Siehe nur Cornils, Corona, entschädigungsrechtlich betrachtet, 13. März 2020, https://verfassungsblog.de/coronaentschaedigungsrechtlich -betrachtet/; siehe ferner die – vor Änderung des IfSG – verfassten Beiträge in Fn. 8. 13 Hiermit dürfte vermutlich die Änderung des IfSG vom 25. März 2020 gemeint sein, siehe oben bei Fn. 11 und 12. 14 LT-Drs. 18/06266, Entwurf eines niedersächsischen Gesetzes über Entschädigungen für Maßnahmen nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG), Niedersächsisches Infektionsschutz-Entschädigungsgesetz (NInfEntschG), Gesetzentwurf der Fraktion der FDP, https://www.landtag-niedersachsen.de/drucksachen/drucksachen_18_07500/06001-06500/18-06266.pdf (Hervorhebung durch Autor). 15 Siehe Berichtserstattung zum Urteil des LG Heilbronn (Urt. v. 29.4.2020, Az.: I 4 O 82/20), abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/kanzleien-unternehmen/k/lg-heilbronn-i4o8220-keine-entschaedigung-betriebeschliessungen -corona-infektionsschutzgesetz-ordnungsrecht-polizeigesetz-sonderopfer-enteignungsgleicherenteignender -eingriff/. 16 Siehe bspw. Art. 87 Polizeiaufgabengesetz Bayern, § 67 Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen in Verbindung mit § 39 Ordnungsbehördengesetz des Landes Nordrhein-Westfalen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/20 Seite 7 Gegen eine abschließende Sperrwirkung der Entschädigungsregelungen des IfSG wird eingewandt , dass die Entschädigungsregelungen des IfSG bereits nach dem gesetzgeberischen Willen anderweitige Rechtsvorschriften sowie Gewohnheitsrecht zum Entschädigungsrecht nicht ausschließen sollen.17 Da die Gesundheitsbehörden bei den aktuellen Schutzmaßnahmen gegen COVID-19 als spezielle Gefahrenabwehrbehörden oder Sonderordnungsbehörden handeln würden , sei ein Rückgriff auf die entsprechenden landesgesetzlichen Regelungen des Gefahrenabwehr - und Ordnungsrechts möglich. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass die landesrechtlichen Polizei- und Sicherheitsgesetze z. T. Ausschlussregelungen vorsehen würden. So sehe bspw. § 39 Ordnungsbehördengesetz Nordrhein-Westfalen vor, dass ein Entschädigungsanspruch ausgeschlossen sei, soweit der Schaden anderweitig ersetzt werde oder wenn durch die Maßnahme „Person oder Vermögen der geschädigten Person“ geschützt worden sei. Freiwillige staatliche Hilfen sowie die Schutzwirkung gesamtgesellschaftlicher Schutzmaßnahmen etwa nach den §§ 28 ff. IfSG  seien demnach gegebenenfalls zu berücksichtigen.18 Andere Stimmen in der Literatur argumentieren dagegen, dass Entschädigungsansprüche aus Gründen der Spezialität von den §§ 56, 65 IfSG verdrängt werden würden. Es spreche viel dafür, dass der Gesetzgeber sich bewusst dazu entschieden habe, nur in begrenztem Umfang Entschädigungsansprüche für die Verhütungs- und Bekämpfungsmaßnahmen des IfSG zu gewähren. Das fein abgestimmte Entschädigungssystem des IfSG würde durch die Gewährung von weitergehenden Entschädigungsansprüchen für Bekämpfungsmaßnahmen auf Grundlage der Entschädigungsregelung für Nichtstörer ein Stück weit eingeebnet werden. Dies spreche dafür, dass die landesrechtlichen Entschädigungsansprüche wegen der Inanspruchnahme von Nichtstörern durch die spezielleren Entschädigungsansprüche des Infektionsschutzgesetzes gesperrt seien.19 Presseberichten zufolge geht eine erste Gerichtsentscheidung in einem Eilverfahren ebenfalls davon aus, dass das IfSG abschließende Regelungen treffe und ein Rückgriff auf das Polizeigesetz ausscheide.20 Zudem wird bezweifelt, ob bei Betriebsschließungen als „Jedermann-Maßnahme“, die nicht direkt jeden einzelnen betroffenen Unternehmer zielgerichtet und in der konkreten Person adressiert , überhaupt tatbestandlich von der Inanspruchnahme eines Nichtstörers ausgegangen werden könne.21 17 Giesberts/Gayger/Weyand, NVwZ 2020, 417 (421), die sich auf die Gesetzesbegründung zum IfSG beziehen. 18 Giesberts/Gayger/Weyand, NVwZ 2020, 417 (421). 19 Reschke, DÖV 2020, 423 (426 f.). 20 Siehe Berichtserstattung zum Urteil des LG Heilbronn (Urt. v. 29.4.2020, Az.: I 4 O 82/20), abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/kanzleien-unternehmen/k/lg-heilbronn-i4o8220-keine-entschaedigung-betriebeschliessungen -corona-infektionsschutzgesetz-ordnungsrecht-polizeigesetz-sonderopfer-enteignungsgleicherenteignender -eingriff/. 21 Reschke, DÖV 2020, 423 (426). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/20 Seite 8 4. Entschädigung gemäß dem Aufopferungsanspruch Der öffentlich-rechtliche Aufopferungsanspruch ist ein ungeschriebenes Rechtsinstitut. Mit diesem soll dem Bürger Entschädigung für staatlich verursachte Rechtsverletzungen gewährt werden . Voraussetzung für das Vorliegen einer entschädigungspflichtigen Aufopferungslage ist, dass dem Betroffenen im Vergleich zu anderen eine ungleich höhere Beeinträchtigung seines Rechtsgutes zugemutet wird und damit ein Sonderopfer vorliegt. Der allgemeine Aufopferungsanspruch ergänzt die Ansprüche aus enteignenden und enteignungsgleichen Eingriffen in das Eigentum und soll die Beeinträchtigung der nichtvermögensrechtlichen Rechtsgüter Leben, Gesundheit und Freiheit kompensieren. Als Rechtsfolge berechtigt das Sonderopfer den Betroffenen zur Forderung einer angemessenen Entschädigung, nicht jedoch zum Schadenersatz. Ein entgangener Gewinn kann damit nicht über den Aufopferungsanspruch verlangt werden.22 Das Rechtsinstitut wird vom Bundesgerichtshof zudem als streng subsidiär angewendet.23 Vor diesem Hintergrund erscheint der Aufopferungsanspruch als Anspruchsgrundlage für Entschädigungen für Betriebsschließungen nicht einschlägig zu sein. 5. Entschädigungsansprüche aus enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff Über die Ausgleichsansprüche des IfSG hinaus kommen grundsätzlich weitere Staatshaftungsansprüche , insbesondere Entschädigungsansprüche aus enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff in Betracht. 5.1. Enteignender Eingriff Art. 14 Grundgesetz (GG) schützt das Eigentum. Ob künftige Umsätze eines Betriebs überhaupt unter den Schutz des Eigentums fallen, ist umstritten.24 Dessen ungeachtet könnte ein Anhaltspunkt für einen Eingriff in die Eigentumsfreiheit folgende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sein: „[E]in enteignender Eingriff in einen Gewerbebetrieb als Eigentum i. S. des Art. 14 GG [liegt] nur vor, wenn in die Substanz dieses Betriebes eingegriffen wird. […] Indessen ist die ‚Substanz‘ eines Gewerbebetriebes nur berührt, wenn in die den Betrieb darstellende Sach- und Rechtsgesamtheit als solche, in den Betrieb als wirtschaftlichen Organismus eingegriffen und damit das ungestörte Funktionieren dieses Organismus unterbunden oder beeinträchtigt, wenn mit anderen Worten der ‚Eigentümer‘ gehindert wird, von dem Gewerbebetrieb als der von ihm aufgebauten und aufrechterhaltenen Organisation sachlicher und persönlicher Mittel den bestimmungsgemäßen Gebrauch zu machen.“25 22 Ausführlich zum Aufopferungsanspruch siehe Kemmler, JA 2005, 659 f. 23 Siehe die Rechtsprechungsnachweise bei Kemmler, JA 2005, 659. 24 Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 14 Rn. 49. 25 BGHZ 111, 349 (356). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/20 Seite 9 Die Schließung von Betrieben – jedenfalls über mehrere Wochen – ließe sich als „Unterbinden“ des „ungestörten Funktionierens“ ansehen. Hierfür spricht auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1981 zu Maßnahmen nach Bundesseuchengesetz: „Zu seinen [des Klägers] Gunsten kann davon ausgegangen werden, dass die Entschädigungsregelung für Ansteckungsverdächtige nicht lediglich eine Billigkeitsmaßnahme im Rahmen der gewährenden Verwaltung darstellt, dass vielmehr die Tätigkeitsverbote das Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 GG – bei längerfristigen und existenzgefährdenden Maßnahmen möglicherweise das Grundrecht aus Artikel 14 Abs. 1 GG – berühren.“26 Insoweit eine „Corona-Verordnung“ in diesem Sinne grundrechtlich geschützte Eigentumspositionen beeinträchtigt, gilt nach Art. 14 Abs. 3 GG folgende Regelung zu Enteignung und Entschädigung: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen“ (Hervorhebung durch Autor). Die Kommentierung führt hierzu aus: „Der dem Art. 14 Abs. 3 GG zugrunde liegende Rechtsgedanke schafft demnach eine Anspruchsgrundlage für eine Entschädigung unter der Voraussetzung, dass durch einen Eingriff von hoher Hand Eigentum beeinträchtigt und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit abverlangt wird. Handelt es sich um die Nebenfolge eines an sich rechtmäßigen Handelns, spricht man von enteignendem Eingriff […].“27 Dabei gilt für eine Entschädigung aus enteignendem Eingriff: „Die Rspr. [Rechtsprechung] des BVerfG [Bundesverfassungsgerichts] hat klargestellt, dass eine Enteignungsentschädigung voraussetzt, dass ein den Anforderungen des Art. 14 III [GG] genügendes Gesetz sie regelt. Fehlt ein solches Gesetz, kann sich eine Klage nur auf Aufhebung des Eingriffsaktes richten. Nicht aber darf eine vom Gesetzgeber als entschädigungslose Schrankenbestimmung gedachte Regelung richterrechtlich oder gewohnheitsrechtlich durch eine Entschädigungsregelung ergänzt werden, womit zugleich auch die Befassung des BVerfG mit der Frage, ob der Ausschluss der Entschädigung mit Art. 14 [GG] vereinbar ist, umgangen würde. Dies folgt letztlich aus dem Eigentumsgrundrecht als Bestandsgarantie und dem Vorbehalt einer näheren Bestimmung eigentumsgestaltender oder -beeinträchtigender Wirkungen durch Gesetz. I. Ü. [im Übrigen] ist gegen eine Fortgeltung des aus dem Aufopferungsgedanken begründeten Instituts des enteignenden Eingriffs nichts einzuwenden.“28 26 BVerfGE 57, 107 (117) – Hervorhebung durch Autor. 27 Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 14 Rn. 174 (Fußnoten ausgelassen; Hervorhebung durch Autor). 28 Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 14 Rn. 178 (Fußnoten ausgelassen; Hervorhebung durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/20 Seite 10 Ausnahmen hiervon lässt die Rechtsprechung der Zivilgerichte nur zu bei ungewollten Nebenfolgen: „Wohl aber erscheint es zulässig, wenn die Zivilrspr. [Zivilrechtsprechung] ungewollte, insbes . unvorhergesehene Nebenfolgen an sich rechtmäßigen hoheitlichen Handelns, die der Betroffene aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren wegen ihrer besonderen ‚Schwere‘ oder des im Verhältnis zu anderen nicht betroffenen Personen bewirkten Gleichheitsverstoßes übersteigen, als ‚enteignenden Eingriff‘ begreift und – so z. B. bei Zufalls- und Unfallschäden – eine Entschädigung zuerkennt.“29 Es lässt sich wohl kaum argumentieren, dass wirtschaftliche Nachteile eines Betriebs „ungewollte“ oder „unvorhergesehene“ Nebenfolgen einer Verordnung zur Schließung sind. Entschädigungsrechtliche Rechtsprechung existiert zu den erst wenige Wochen alten, nach § 32 IfSG erlassenen Verordnungen soweit ersichtlich nicht. Ein Professor für öffentliches Recht kommt aber zu dem Thema „Corona, entschädigungsrechtlich betrachtet“ zu folgendem Ergebnis: „Alles in allem zeichnet sich doch ab, dass der eigentumsverfassungsrechtlich begründete Sonderopferausgleich des Infektionsschutzrechts kaum der Hebel sein dürfte, mit dem das gesamtgesellschaftliche Problem schwerwiegender, wohl auch für manches Unternehmen existenzgefährdender, wirtschaftlicher Schäden aufgrund der Corona-Epidemie zu bewältigen wäre. Die Frage einer gerechten Lastenverteilung für die wirtschaftlichen Folgen dieser Krankheit muss politisch verhandelt und dann situationsangemessen entschieden werden; sie ist schwerlich schon durch die spezifischen Entschädigungsvorschriften des Seuchenrechts , die solche Schadensszenarien ersichtlich nicht im Blick hatten, vorentschieden.“30 In diese Richtung weisen auch die beiden folgenden Stellungnahmen wirtschaftsrechtlicher Kanzleien: „Wenn wir also davon ausgehen dürfen, dass angesichts der derzeit bekannten epidemiologischen und virologischen Fakten und der Krankheits- und Mortalitätsstatistik das derzeitige Handeln geboten ist, bestehen gegen die öffentliche Hand keine Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche , da die Behörden sich notgedrungenermaßen gerechtfertigt also rechtmäßig verhalten.“31 29 Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 14 Rn. 179 (Fußnoten ausgelassen; Hervorhebung durch Autor): siehe aber Reschke, DÖV 2020, 423 (428 f.), dem zufolge der BGH „atypische und unvorhergesehene Nachteile“ nicht zwingend voraussetzt, der aber den Anspruch am fehlenden Vorliegen eines Sonderopfers scheitern lässt. 30 Cornils, Corona, entschädigungsrechtlich betrachtet, 13. März 2020, https://verfassungsblog.de/corona-entschaedigungsrechtlich -betrachtet/ (Hervorhebung durch Autor). 31 SKW Schwarz Rechtsanwälte, 23. März 2020, Entschädigung und staatliche Hilfen – muss der Staat für Corona zahlen?, https://www.skwschwarz.de/aktuelles/artikel/artikel-detail/news/entschaedigung-und-staatliche-hilfen -muss-der-staat-fuer-corona-zahlen/4/detail/News/ (Hervorhebung durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/20 Seite 11 „Ein umfangreiches Entschädigungsregime, das für die große Zahl der von den Schutzmaßnahmen betroffenen Unternehmen und Betriebe Abhilfe schaffen könnte, lässt sich auf die bestehenden Regeln des IfSG jedoch nicht stützen. Vor diesem Hintergrund ist es Sache des Gesetzgebers, Entschädigungen für von Betriebsschließungen infolge der Corona-Krise betroffene Unternehmen und Betriebe einzuführen.“32 Für einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff könnte sprechen, dass das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1981 in einem Entschädigungsfall zum Bundesseuchengesetz Folgendes entschieden hat: „Gemessen an diesen Grundrechten wären Tätigkeitsverbote im Interesse der Allgemeinheit sicherlich zulässig, aber unter Umständen nur dann verhältnismäßig, wenn den Betroffenen eine Entschädigung gewährt wird, die demgemäß nicht im freien Belieben des Gesetzgebers stünde. Unter Berücksichtigung der den Betroffenen gewährten Verdienstausfallentschädigung ist aber nicht erkennbar, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit selbst bei kurzfristigen Tätigkeitsverboten einen Ersatz auch der Betriebsausgaben gebietet.“33 Insoweit zielt das Bundesverfassungsgericht mit seinen Überlegungen auf einen Fall des enteignungsgleichen Eingriffs: Der Eingriff ist rechtmäßig („zulässig“), stellt aber ein ausgleichspflichtiges Sonderopfer dar („unverhältnismäßig“). Folgende Umstände sprechen aber dagegen, diese Ausführungen spiegelbildlich oder auch nur in ähnlicher Weise auf Eingriffe durch Eindämmungsverordnungen zu übertragen: In der Vorlagefrage des Normenkontrollverfahrens ging es um die Frage der Gleichbehandlung verschiedener Störer nach Art. 3 GG. Die weiteren Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des Eigentums nach Art. 14 GG erscheinen aus diesem Grund eher als obiter dictum (geäußerte Rechtsansicht, die nicht die gefällte Entscheidung trägt). Hierfür sprechen auch die spekulativen, im Konjunktiv gehaltenen Formulierungen („sicherlich “, „unter Umständen“, „stünde“, „gebiete“). Von einer Grundsatzentscheidung zur Frage des enteignungsgleichen Eingriffs lässt sich daher wohl kaum sprechen. Hierzu passt, dass die Kommentierung zu § 56 IfSG diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ignoriert.34 Diese Überlegung des Bundesverfassungsgerichts wäre mit folgender, die Entscheidung tragender , Begründung in einem anderen Fall in Ausgleich zu bringen: „Der Grundsatz: Sachen , von denen erhebliche Gefahren für die öffentliche Gesundheit ausgehen, können dem 32 Noerr Rechtsanwälte, Newsroom vom 9. April 2020, Entschädigungen für Betriebsschließungen nach aktueller Rechtslage unwahrscheinlich, https://www.noerr.com/de/newsroom/news/entschadigungen-fur-betriebsschliessungen -nach-aktueller-rechtslage-unwahrscheinlich (Hervorhebung durch Autor). 33 BVerfGE 57, 107 (117) – Hervorhebung durch Autor. 34 Vgl. Erdle, Infektionsschutzgesetz, 7. Auflage 2020, § 56 (die Entscheidung des BVerfG findet sich – soweit ersichtlich – an keiner Stelle des Kommentars); Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 3. Auflage 2020, § 56. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/20 Seite 12 Eigentümer ohne Entschädigung entzogen (und vernichtet) werden, stellt eine dem Sacheigentum immanente Sozialbindung dar [...].“35 In dem vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Fall ging es um Entschädigungsansprüche eines Störers für Nachteile aus einem individuellen Tätigkeitsverbot, nicht um Ansprüche der Allgemeinheit (Nichtstörer). Abgesehen davon könnten bei einer Pandemie Nichtstörer Störern eher gleichkommen, als bei einer punktuellen Infektion. Treten z. B. in einem Betrieb Salmonellen auf, begrenzt sich die Störereigenschaft mehr oder weniger auf diesen Betrieb und ist von Nichtstörern (z. B. anderen Betrieben) klar abgrenzbar. Bei einer Pandemie mit einer leicht übertragbaren Atemwegsinfektion hingegen lassen sich Störer und Nichtstörer kaum mehr unterscheiden: Wer trägt bereits ein unerkanntes Infektionsrisiko mit sich und wer nicht? Mit anderen Worten: Jeder Veranstalter einer infektionsträchtigen Zusammenkunft von Menschen (Fußballspiele , Après-Ski-Feiern, etc.) wird sich jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit im Nachhinein als Störer herausstellen; jedenfalls in Bezug auf die Gesamtheit der Veranstaltung besteht bereits ein „Ansteckungsverdacht“, der bereits die Störereigenschaft begründen könnte. Dies könnte verfassungsrechtlich einen entschädigungslosen Eingriff in das Eigentum eher rechtfertigen.36 Die verfassungsrechtliche Abwägung in dem Verfahren aus dem Jahr 1981 (die die Entscheidungsgründe auch nicht ausführt) ist eine fundamental andere als bei der Entschädigungsfrage dieser Ausarbeitung. Die haushälterische und volkswirtschaftliche Auswirkung individueller Entschädigungen für Störer ist unbedeutend; bei flächendeckenden Entschädigungsansprüchen der Allgemeinheit ist sie jedoch kaum übersehbar und könnte unter Umständen das Staatswohl gefährden. Dies wäre ein Aspekt, der dafürsprechen könnte, dass individuelle Eigentumsrechte von Nichtstörern jedenfalls in gewissem Maß zurückstehen müssen . Eine solche verfassungsrechtliche Abwägung hat das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf den Seuchen- oder Infektionsschutz bislang nicht vorgenommen. Die Entscheidung aus dem Jahr 1981 befasst sich mit der Frage individueller Sonderopfer auf dem Boden ständiger Rechtsprechung seit dem Jahr 1952.37 Bei der Entschädigungsfrage dieser Ausarbeitung dürfte es aber – vereinfacht ausgedrückt – nicht mehr um ein Sonderopfer, sondern etwas anderes, nämlich Opfer der Allgemeinheit gehen. 5.2. Enteignungsgleicher Eingriff Der verschuldensunabhängige enteignungsgleiche Eingriff ist auf eine Entschädigung in Geld für rechtswidrige hoheitliche Eingriffe in eine Eigentumsposition im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gerichtet. Dies ist eine Frage des Einzelfalls. 35 BVerfGE 20, 351 (361) – Hervorhebung durch Autor. 36 Siehe BVerfG, oben Fn. 35. 37 BGHZ 6, 270 (Großer Senat). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/20 Seite 13 6. Amtshaftung Die Amtshaftung beruht auf Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Als grundgesetzlich verbürgtes Recht lässt sich der Amtshaftungsanspruch einfachgesetzlich nicht abbedingen. Art. 34 S. 1 GG lautet: „Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht.“ Bei dem Erlass von Gesetzen und Verordnungen verneint die Rechtsprechung regelmäßig das Bestehen einer drittbezogenen Amtspflicht: „Gesetze und Verordnungen enthalten durchweg generelle und abstrakte Regeln, und dementsprechend nimmt der Gesetzgeber – bei Tätigwerden und Untätigbleiben – in der Regel ausschließlich Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit wahr, denen die Richtung auf bestimmte Personen oder Personenkreise mangelt. Nur ausnahmsweise – etwa bei sogenannten Maßnahme- oder Einzelfallgesetzen – kann etwas anderes in Betracht kommen und können Belange bestimmter einzelner unmittelbar berührt werden, so dass sie als ‚Dritte‘ i.S. des § 839 BGB angesehen werden können.“38 So hat die Rechtsprechung z. B. eine Amtshaftung verneint für eine rechtswidrige Mietpreisverordnung 39 oder eine rechtswidrige Gymnasialschulordnung,40 während hingegen ein Einzelfallgesetz z. B. nur bei einem (bestimmte Grundstücksflächen betreffenden) Bebauungsplan denkbar sein soll.41 Es dürften die besseren Gründe dafür sprechen, dass sich die „Corona-Verordnungen“ der Länder an die Allgemeinheit richten, und keine Einzelfallregelung sind. Zwar gelten die Verordnungen in Bezug auf eine bestimmte Infektion und nur vorübergehend. Gleichwohl sprechen die abstrakten Regeln und die flächendeckend wirkenden Maßnahmen für den Allgemeinheitsbezug. Abgesehen davon würde ein etwaiger Verstoß einer Verordnung gegen Grundrechte als solches noch keine Amtspflichtverletzung begründen.42 Im Übrigen wäre nach § 839 BGB ein Verschulden der Landesregierungen darzulegen. Grundsätzlich gegen ein Verschulden der Landesregierungen würde deren Einschätzungsspielraum bei der Annahme der Gefahr und der Wahl geeigneter und erforderlicher Präventionsmittel sprechen.43 *** 38 BGH NJW 1971, 1172 (1174) – Hervorhebungen durch Autor. 39 LG München, Urteil vom 21. November 2018, 15 O 19893/17, BeckRS 2018, 29534. 40 BayObLGZ 1997, 31. 41 Vgl. LG München, Urteil vom 21. November 2018, 15 O 19893/17, BeckRS 2018, 29534. 42 BayObLGZ 1997, 31 (36). 43 Siehe hierzu ausführlich WD 3 - 3000 - 079/20, Kontaktbeschränkungen zwecks Infektionsschutz: Grundrechte, https://www.bundestag.de/resource/blob/690718/d37f86a0d2630831d13f70f16f63911b/WD-3-079-20-pdf-data.pdf.