© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 117/15 Zur Einrichtung eines Kinderbeauftragten beim Bundestag Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/15 Seite 2 Zur Einrichtung eines Kinderbeauftragten beim Bundestag Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 117/15 Abschluss der Arbeit: 15.05.2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/15 Seite 3 1. Fragestellung Es wird gefragt, welche verfassungs- und völkerrechtlichen Vorgaben bei der Einrichtung eines vom Bundestag eingesetzten Kinderbeauftragten zu beachten sind, insbesondere ob ein solcher nach dem Vorbild des Wehrbeauftragten (Art. 45b GG) ausgestaltet werden kann. 2. Regelungsvielfalt Für die Einrichtung eines Kinderbeauftragten gibt es kein feststehendes Muster. Weder die Rechtsstellung eines Kinderbeauftragten noch seine Aufgaben und Befugnisse sind begrifflich vorbestimmt. Vielmehr sind verschiedene konzeptionelle Ausgestaltungen denkbar. Ein staatlicher Beauftragter (öffentlich-rechtlich Beauftragter) fungiert typischerweise als Überwachungs-, Beschwerde- und Beratungsinstanz sowie als Vertreter bestimmter Interessen.1 Zur Wahrnehmung dieser Funktionen ist die Verleihung einer (gewissen) unabhängigen Rechtsstellung sowie die Einräumung bestimmter Befugnisse denkbar (z.B. Akteneinsichtsrechte, Teilnahmebefugnisse an Sitzungen inkl. Redeund Anhörungsrechte, Abgabe von Stellungnahmen, Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren, Öffentlichkeitsarbeit). Ein öffentlich-rechtlicher Beauftragter in diesem Sinne könnte zum Schutz von Kinderrechten und Kinderinteressen konzipiert werden (Kinderbeauftragter). Die organisatorische Anbindung könnte – wie das Beispiel des Kinderbeauftragten in Sachsen- Anhalt zeigt2 – bei der Exekutive erfolgen3 oder – wie vorliegend angestrebt – bei der Legislative. Die Einrichtung eines Kinderbeauftragten nach dem Vorbild des Wehrbeauftragten des Bundestages (Art. 45b GG) könnte dabei die bisherige Kinderschutzeinrichtung des Bundestages, die als Unterausschuss des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eingerichtete Kinderkommission , ergänzen. 3. Völkerrechtliche Vorgaben Vor dem Hintergrund der UN-Kinderrechtskonvention stellt sich zunächst die Frage, ob völkerrechtliche Vorgaben bei der Einrichtung und Ausgestaltung eines Kinderbeauftragten zu beachten sind.4 1 Franke-Wöller, Die Einführung eines Kinderrechtsbeauftragten in Deutschland nach polnischem Vorbild (2009), 353 ff. m.w.N. 2 Vgl. dazu den Internetauftritt des Kinderbeauftragten des Landes Sachsen-Anhalt, abrufbar unter: http://www.sachsen -anhalt.de/lj/politik-und-verwaltung/landesbehoerden/landesbeauftragte/kinderbeauftragter/kinderbeauftragter/; zu Kinderbeauftragten auf Landesebene siehe auch Franke-Wöller (Fn. 1), 322 ff. 3 Vgl. dazu Jeand‘ Heur, Verfassungsrechtliche Schutzgebote zum Wohl des Kindes und staatliche Interventionspflichten aus der Garantienorm des Art. 6 Abs.2 Satz 2 GG (1993), 262 ff.; Franke-Wöller (Fn. 1), 371 f.; allgemein zu Beauftragten der Exekutive , Bundesbeauftragte und Beauftragte der Bundesregierung, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 3 - 3000 - 282/10). 4 Die Beantwortung dieser Frage beruht auf einer Kurzinformation des Fachbereichs WD 2 ( , Zur Umsetzung der Kinderrechtskommission in Deutschland, Nr. 088/15). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/15 Seite 4 Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes5 trifft zur innerstaatlichen Durchsetzung der in dem Übereinkommen gewährleisteten Kinderrechte im Wesentlichen folgende Vorkehrung: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte. Hinsichtlich der wirtschaftlichen , sozialen und kulturellen Rechte treffen die Vertragsstaaten derartige Maßnahmen unter Ausschöpfung ihrer verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit“.6 Eine ausdrückliche Bestimmung, die die Einsetzung eines Kinder- und Jugendbeauftragten beim Deutschen Bundestag rechtlich zwingend erfordern würde, enthält das Übereinkommen aber nicht. 4. Verfassungsrechtliche Vorgaben Ein konkretes Konzept zur Einrichtung eines Kinderbeauftragten beim Bundestag liegt nicht vor. Im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Einrichtung eines Kinderbeauftragten mit dem Grundgesetz können daher nur allgemeine verfassungsrechtliche Vorgaben erörtert werden. 4.1. Regelungsebene Denkbar wäre die Einrichtung eines Kinderbeauftragten durch bundesgesetzliche Regelung, wie sie in einem Gesetzentwurf aus dem Jahr 1998 vorgeschlagen wurde.7 Wird eine dem Wehrbeauftragten des Bundestages vergleichbare Stellung angestrebt, könnte auch eine verfassungsrechtliche Verankerung des Kinderbeauftragten, z.B. in einem Art. 45d GG, erfolgen. Nach der für den Wehrbeauftragten gewählten Regelungstechnik könnte sich die verfassungsrechtliche Verankerung darauf beschränken, die Rahmenbedingungen des Kinderbeauftragten, also seine Existenz, seine Stellung als Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle sowie seine allgemeine Funktion zum Schutz von Kindern festzulegen und die weitere Ausgestaltung einer bundesgesetzlichen Regelung vorzubehalten. 8 Die insoweit vorzunehmende Verfassungsänderung müsste den Anforderungen des Art. 79 GG genügen und dürfte insbesondere die von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten änderungsfesten Grundsätze nicht berühren. Ein auf die genannten 5 Übereinkommen über die Rechte des Kindes, auch: VN-Kinderrechtskonvention, am 26. Januar 1990 von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet (Zustimmung von Bundestag und Bundesrat durch Gesetz vom 17. Februar 1992 – BGBl. II S. 121), am 6. März 1992 Hinterlegung der Ratifikationsurkunde beim Generalsekretär der Vereinten Nationen, am 5. April 1992 für Deutschland in Kraft getreten (Bekanntmachung vom 10. Juli 1992 – BGBl. II S. 990), am 15. Juli 2010 Rücknahme der Vorbehalte zum Übereinkommen (Beschluss Bundesrat vom 26. März 2010; Kabinettsbeschluss vom 3. Mai 2010; formale Übergabe des Rücknahmeschreibens an die Vereinten Nationen am 15. Juli 2010), http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/_C3_9Cbereinkommen-_C3_BCberdie -Rechte-des-Kindes,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf (letzter Zugriff 13.05.2015). 6 Art. 4 des Übereinkommens (Fn. 5). 7 BT-Drs. 13/10880. 8 Vgl. die entsprechenden Formulierungsvorschläge bei Jeand‘ Heur (Fn. 3), 271 Fn. 81: „Als Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle, insbesondere bei der Wahrnehmung des der staatlichen Gemeinschaft überantworteten Wächteramtes zum Schutze des Kindeswohls, wird ein Kinderbeauftragter des Bundestages berufen. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“; Franke-Wöller (Fn. 1), S. 374 Fn. 1037: „Als Hilfsorgan des Bundestages bei der parlamentarischen Kontrolle, insbesondere zum Schutz der Grundrechte und des Kindeswohls, wird ein Kinderrechtsbeauftragter des Bundestages berufen. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/15 Seite 5 allgemeinen Rahmenbedingungen beschränkter verfassungsrechtlicher Regelungsgehalt begegnet insoweit keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. 4.2. Inhaltliche Ausgestaltung Soweit mit der verfassungsrechtlichen Verankerung des Kinderbeauftragten keine abweichenden Regelungen einhergehen,9 sind bei der inhaltlichen (einfachgesetzlichen) Ausgestaltung des Kinderbeauftragten insbesondere die grundgesetzliche Gewaltentrennung zwischen Legislative und Exekutive (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) sowie die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern (Art. 20 Abs. 1 GG) zu beachten. 4.2.1. Gewaltentrennung Ein Kinderrechtsbeauftragter als Hilfsorgan des Bundestages kann im Hinblick auf die Gewaltentrennung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) nicht mehr Befugnisse besitzen als das Parlament selbst. Dem Kinderbeauftragten können daher „lediglich“ Aufgaben und Befugnisse zugewiesen werden, die das Gesetzgebungsverfahren sowie die parlamentarischen Kontrolle betreffen. Darüber hinausgehende Befugnisse, z.B. Weisungs-, Beanstandungs- oder Sanktionsrechte, die in die Entscheidungen der Exekutive eingreifen, könnten dem Kinderbeauftragten des Bundestages – im Gegensatz zu Beauftragten der Bundesregierung – nicht zukommen.10 4.2.2. Kompetenzen des Bundes Während sich die Aufgaben des Wehrbeauftragten des Bundestages ausschließlich auf Bereiche beziehen, die in die Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeit des Bundes fallen (Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG, Art. 87a GG), gestaltet sich die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern in den die Kinderrechte und Kinderinteressen betreffenden Bereiche schwieriger. Auf Seiten des Bundes kann insoweit auf eine konkurrierende Bundeskompetenz zur Regelung der „öffentlichen Fürsorge“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) verwiesen werden, die auch den Kinder- und Jugendschutz umfasst,11 in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fällt beispielsweise das Schulrecht. Darüber hinaus liegt die Kompetenz zur Ausführung von Bundesgesetzen grundsätzlich bei den Ländern (Art. 84, 85 GG). Die Aufgaben und Befugnisse eines Bundeskinderbeauftragten müssten unter Wahrung dieser Zuständigkeitsverteilung konkretisiert werden.12 Eine Begleitung der Ländergesetzgebung oder eine Kontrolle der Länderverwaltung durch einen 9 Vgl. dazu den Vorschlag von Franke-Wöller (Fn. 1), 385, in der verfassungsrechtlichen Regelung zum Kinderbeauftragten eine Handlungserweiterung gegenüber Behörden der Länder durch staatsvertragliche Vereinbarung vorzusehen. 10 Dazu Franke-Wöller (Fn. 1), 381; Jeand‘ Heur (Fn. 3), 272. 11 Degenhart, in: Sachs, GG (7. Aufl., 2014), Rn. 36 zu Art. 74. 12 Treffend insoweit die Formulierung von Jeand‘ Heur (Fn. 3), 274: „Dort wo die Gesetzgebungs-bzw. Verwaltungstätigkeit der Länder und ihrer Behörden beginnt, endet das Aufgabenfeld des Bundesbeauftragten. An seine Stelle tritt dann gegebenenfalls der Landeskinderbeauftragte.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 117/15 Seite 6 Bundeskinderbeauftragten würde also ausscheiden. Eine Begleitung der Bundesgesetzgebung sowie eine Kontrolle der Bundesregierung und Bundesbehörden wären hingegen möglich.13 4.2.3. Rechtsstellung, Aufgaben und Befugnisse nach dem Vorbild des Wehrbeauftragten Verfassungsrechtliche Bedenken, die Rechtsstellung des Kinderbeauftragten nach dem Vorbild des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (WBeauftrG) auszugestalten und dementsprechend z.B. die Wahl (§ 14 WBeauftrG), den Status (§ 15 Abs. 1 WBeauftrG) sowie die Weisungsfreiheit (§ 5 Abs. 2 WBeauftrG) des Kinderbeauftragten zu regeln, bestehen nicht. Auch vergleichbare Regelungen z.B. zum Eigeninitiativrecht (§ 1 Abs. 3 WBeauftrG), zu Informationsbeschaffungsrechten (§ 3 Nr. 1 WBeauftrG), zu Hinweisrechten gegenüber Behörden (§ 3 Nr. 2 WBeauftrG) sowie zum (zusätzlichen) Petitionsrecht (§ 7 WBeauftrG) kommen in Betracht. Über die Regelungen im WBeauftrG hinaus wird vorgeschlagen, dem Kinderbeauftragten umfassende Befugnisse zur Öffentlichkeitsarbeit14 sowie zur Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren einzuräumen.15 5. Fazit Die UN-Kinderrechtskonvention enthält keine Verpflichtung zur Einrichtung eines Kinderbeauftragten . Gegen die Einrichtung eines Kinderbeauftragten beim Bundestag nach dem Vorbild des Wehrbeauftragten des Bundestages (Ar. 45b GG) bestehen keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Bei der Ausgestaltung der Aufgaben und Befugnisse des Kinderbeauftragten wäre aber insbesondere auf die Wahrung der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern zu achten. 13 Siehe dazu auch Franke-Wöller (Fn. 1), 382. 14 Franke-Wöller (Fn. 1), 391 ff. 15 Franke-Wöller (Fn. 1), 393 ff.; Jeand‘ Heur (Fn. 3), 274 ff.