© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 116/20 Gesetzgebung in EU-Mitgliedstaaten Formulierungshilfen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 116/20 Seite 2 Gesetzgebung in EU-Mitgliedstaaten Formulierungshilfen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 116/20 Abschluss der Arbeit: 4. Juni 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 116/20 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wurde, ob auch in anderen EU-Mitgliedstaaten dem Parlament im Rahmen der Gesetzgebungstätigkeit durch die Regierung sogenannte Formulierungshilfen zur Verfügung gestellt werden. 2. Formulierungshilfen der Bundesregierung für den Bundestag Art. 76 Abs. 1 Grundgesetz sieht vor, dass Gesetzesvorlagen durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Deutschen Bundestages oder durch den Bundesrat beim Bundestag eingebracht werden können. Gesetzesvorlagen aus der Mitte des Bundestages müssen von mindestens fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages oder von einer Fraktion unterschrieben werden, § 76 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Die Bundesregierung unterstützt den Deutschen Bundestag bei der Gesetzgebungstätigkeit und erarbeitet u.a. Entwürfe einzelner Vorschriften (Regelfall) oder ganzer Regelwerke (Ausnahmefall). Diese Entwürfe werden als Formulierungshilfen bezeichnet. Im Regelfall erstellt die Bundesregierung Änderungsanträge zu Gesetzentwürfen und stellt diese dem Bundestag und seinen Ausschüssen als Formulierungshilfen zur Verfügung, die dann in den Ausschüssen behandelt und dort zur Abstimmung gestellt werden. § 52 Abs. 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien sieht hierzu vor, dass „über Formulierungshilfen, die inhaltlich von Beschlüssen der Bundesregierung abweichen oder über sie hinausgehen, die beteiligten Bundesministerien und das Bundeskanzleramt unverzüglich zu unterrichten sind, möglichst vor Zuleitung an die Ausschüsse“. Im Ausnahmefall erarbeitet die Bundesregierung einen Gesetzentwurf und stimmt ihn unter den Bundesministern ab, bringt ihn aber nicht selbst in den Bundestag ein, sondern der Bundestag übernimmt ihn und bringt ihn über sein Initiativrecht in den Bundestag ein.1 3. Unterstützung der Parlamente in den EU-Mitgliedstaaten Die nachfolgenden Informationen beruhen auf Antworten aus den Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten . Die Parlamente der EU-Mitgliedstaaten Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Kroatien, Lettland, Litauen, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Ungarn und Zypern haben mitgeteilt, dass sich die dortigen Regierungen nicht in Form von Formulierungshilfen am Gesetzgebungsprozess beteiligen. 3.1. Belgien Art. 75 der belgischen Verfassung legt fest, dass jeder Zweig der föderalen gesetzgebenden Gewalt – der König, die Abgeordnetenkammer und der Senat – das Recht hat, Gesetzesvorschläge einzureichen . 1 https://www.verwaltung-innovativ.de/DE/Gesetzgebung/Projekt_eGesetzgebung/Handbuecher_Arbeitshilfen_Leitfaeden /Hb_vorbereitung_rechts_u_verwaltungsvorschriften/Teil_IV_Vertiefte_Betrachtung/4_Sonderfall_Formulierungshilfen /4_Sonderfall_Formulierungshilfen_node.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 116/20 Seite 4 Es gibt keine institutionalisierte Form der „Formulierungshilfe“ im Gesetzgebungsverfahren durch die föderale Regierung, wenn die Abgeordnetenkammer oder der Senat und ihre ständigen Ausschüsse Gesetzesvorlagen prüfen. Die föderale Regierung und auch jeder Abgeordnete haben das Recht, Änderungsanträge zu Gesetzentwürfen einzureichen. Gelegentlich kommt es vor, dass von der Regierung ausgearbeitete Gesetzesentwürfe oder Änderungen an einen einzelnen Abgeordneten weitergeleitet werden, der sie dann auf eigene Initiative einbringt. 3.2. Dänemark Nach dem dänischen Verfassungsgesetz können nur das dänische Parlament und die Regierung Gesetzesinitiativen einbringen, d.h. Vorschläge für neue Gesetze und Gesetzesänderungen. Jedes Mitglied des Parlaments hat das Recht, einen Gesetzentwurf einzubringen (§ 41 des Verfassungsgesetzes ), dies geschieht aber in der Praxis nur selten. Stattdessen legen die Parlamentarier oft eigene Vorschläge zur parlamentarischen Beschlussfassung vor, die in der Regel als Aufforderung an die Regierung formuliert werden, z.B. neue Vorschriften einzuführen oder einen Gesetzentwurf mit einem bestimmten Inhalt vorzubereiten. Als Teil des Gesetzgebungsverfahrens unterstützt die Regierung die Parlamentsmitglieder häufig bei der Formulierung von Änderungen an einem Gesetzentwurf. Ein Abgeordneter, der eine Änderung zu einem Gesetzentwurf vorschlagen möchte, leitet eine Ausschussfrage an den für den Gesetzentwurf zuständigen Minister weiter und bittet um „technische Unterstützung“ für die Formulierung eines Änderungsvorschlags mit einem bestimmten Inhalt. Das Ausschusssekretariat des dänischen Parlaments bietet auch Unterstützung bei der Formulierung von Änderungsanträgen an. 3.3. Estland Obwohl die Regierung das Recht hat, Gesetzesvorlagen zu initiieren, hat die Regierung kein Recht, Änderungsanträge zu der dem Parlament übermittelten Gesetzesvorlage einzureichen. Häufig ist es jedoch notwendig, den Gesetzentwurf erheblich zu ändern. In diesen Fällen beginnt in der Regel eine Kommunikation zwischen Beamten des Ministeriums (oder eines anderen Exekutivorgans ) und Beamten des federführenden Ausschusses des Parlaments, der für die Behandlung des Gesetzentwurfs benannt wurde. Wenn die Regierung bzw. das Ministerium der Auffassung ist, dass weitere Änderungen am Gesetzentwurf vorgenommen werden müssen, werden diese Änderungen von den Verfassern des Entwurfs formuliert und an den federführenden Ausschuss weitergeleitet . Wenn der Ausschuss mit den vorgeschlagenen Änderungen einverstanden ist, werden die Änderungen als Änderungsanträge des Ausschusses in die Beratungen zum Gesetzentwurf eingebracht . Ausschüsse, politische Fraktionen und Abgeordnete haben das Recht, Änderungsanträge einzureichen. Es ist auch möglich, dass die im Ministerium formulierten Änderungsanträge von einer Fraktion oder einem Abgeordneten eingereicht werden, in der Regel geschieht das aber über den federführenden Ausschuss. Zulässig ist auch, dass Änderungsanträge, die von einem Ausschuss, einer Fraktion oder einem Parlamentarier formuliert wurden, mit den Beamten des Ministeriums besprochen werden. Der Prozess der Konsultationen oder der zusätzlichen Änderungsanträge, die vom Ministerium über den federführenden Ausschuss kommen, ist gesetzlich nicht geregelt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 116/20 Seite 5 3.4. Finnland Die Geschäftsordnung für die Ausschüsse im finnischen Parlament sieht vor, dass sich ein Ausschuss an das zuständige Ministerium wenden kann, wenn er eine Änderung des Gesetzentwurfs in Erwägung zieht. Das Ministerium unterstützt bei der Formulierung des Änderungsantrags und prüft, ob die Änderungen mit den anderen Teilen der Gesetzesvorlage und mit anderen Rechtsvorschriften im Einklang stehen. Gemäß Abschnitt 47 der Verfassung „hat ein Ausschuss das Recht, von der Regierung oder dem zuständigen Ministerium Informationen über eine in seine Zuständigkeit fallende Angelegenheit zu erhalten“. Dies umfasst auch die Pflicht der Ministerien, die Ausschüsse bei der Änderung einer Gesetzesvorlage zu unterstützen. 3.5. Niederlande Der Grad der Beteiligung an der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen bzw. Änderungen hängt in erster Linie davon ab, inwieweit das Ministerium um offizielle Unterstützung gebeten wird und diese in Anspruch genommen wird. Die Amtshilfe gilt sowohl für die Mitglieder der Koalitionsfraktionen als auch für die Mitglieder der Oppositionsfraktionen des Repräsentantenhauses. Mitglieder des Repräsentantenhauses, die eine Änderung vorschlagen möchten, können das betreffende Ministerium auf Grundlage der Bestimmung 7.20 der Ausführungsbestimmungen um Unterstützung bei der Formulierung von Änderungsanträgen bitten. Diese Unterstützung wird im Rahmen des Möglichen geleistet. Die Mitglieder des Parlaments, die Mitarbeiter einer Fraktion und die Mitarbeiter des Gesetzgebungsbüros des Repräsentantenhauses können bei der Ausarbeitung von Änderungsanträgen direkte Unterstützung von Beamten der zuständigen Ministerien anfordern. Die Beamten informieren ihren Minister über die Tatsache, dass um Unterstützung ersucht und diese geleistet wurde. Die offizielle Unterstützung besteht aus rechtlicher und legislativer Beratung bei der Formulierung eines Änderungsantrags oder bei der Überprüfung von Änderungsanträgen. Die Gutachten können sich beispielsweise auch auf die rechtliche Eingliederung eines Änderungsvorschlags in den Gesetzesvorschlag oder seine Vereinbarkeit mit dem europäischen oder internationalen Recht beziehen. Gemäß Art. 96 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses werden Änderungsanträge kurz erläutert. Die Unterstützung erstreckt sich nicht auf die Formulierung dieser Erläuterungen. Im Falle von Gesetzesvorlagen durch die Mitglieder des Repräsentantenhauses können diese auf Grundlage der Bestimmung 7.23 der Ausführungsbestimmungen den zuständigen Minister um Amtshilfe bei der Formulierung eines Initiativgesetzes ersuchen. Diese Hilfe wird so weit wie möglich geleistet. Wie bei den Änderungsanträgen handelt es sich um rechtliche und legislative Unterstützung, die auch die Bereitstellung von Sachinformationen für die Zwecke des allgemeinen Teils der vom Antragsteller zu erstellenden Begründung, die Formulierung von Passagen für die Begründung der einzelnen Artikel oder die Berechnung der finanziellen Folgen des Vorschlags beinhalten kann. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 116/20 Seite 6 3.6. Österreich Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Bundesverfassungsgesetzes werden Gesetzesvorlagen dem Nationalrat als Anträge seiner Mitglieder, des Bundesrates oder eines Drittels der Mitglieder des Bundesrates sowie als Vorlagen der Bundesregierung vorgelegt. Anträge von Mitgliedern des Nationalrates müssen von mindestens fünf Mitgliedern unterzeichnet werden (§ 26 Geschäftsordnungsgesetz Nationalrat). Im Übrigen sieht Art. 41 Abs. 2 des Bundesverfassungsgesetzes die Möglichkeit einer Volksinitiative („Volksbegehren“) vor. Eine solche Initiative kann einen Gesetzesvorschlag umfassen, den der Nationalrat berücksichtigen muss, wenn er von 100.000 Wählerinnen und Wählern unterstützt wird. Es gibt keine formellen Verfahren für die Unterstützung der Regierung bei gesetzgeberischen Aktivitäten . Es ist jedoch üblich, dass die zuständigen Ministerien Änderungsanträge zu Gesetzentwürfen im Ausschussstadium oder für die zweite Lesung vorbereiten. Die Bundesregierung kann keine Änderungsanträge einbringen und ist auf Abgeordnete angewiesen, die dies tun. Wenn sich Oppositionsparteien und Regierungsparteien auf weitere Änderungen einigen, wird auch davon ausgegangen , dass sie fachkundige Formulierungshilfe erhalten. Die Parlamentsverwaltung wird nur in Ausnahmefällen darum gebeten. In Österreich ist es üblich, dass Gesetzesentwürfe im Regierungsbereich vorbereitet und als Anträge von Abgeordneten des Nationalrates, die den Regierungsparteien angehören, eingebracht werden. Dies geschieht zur Beschleunigung von Verfahren oder zur bewussten Vermeidung von Vernehmlassungsverfahren, die (aufgrund einer langjährigen Praxis) im Zuge der Vorbereitung von Regierungsvorlagen zu erwarten sind. Eine Ausnahme bilden die Wahlgesetze (einschließlich der Gesetze über die direkte Demokratie) und die Gesetze über den fiskalischen Rahmen: Hier ist es (zumindest in den meisten Fällen) üblich, dass ein Konsens zwischen den Fraktionen hergestellt wird und dann das zuständige Ministerium gebeten wird, einen Gesetzesentwurf vorzubereiten, der dann wiederum von den Abgeordneten eingebracht wird. 3.7. Zypern Die Republik Zypern ist eine Präsidialdemokratie mit einer strikten Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative. Es ist nicht vorgesehen, dass die Regierung oder der oberste Rechtsberater („Attorney General“) das Repräsentantenhaus durch Formulierungshilfen zu Änderungsanträgen des Repräsentantenhauses, zu Gesetzentwürfen und insbesondere nicht zu Änderungsanträgen von Mitgliedern des Repräsentantenhauses unterstützt. Werden jedoch von einem Ausschuss oder seinen Mitgliedern während der Phase der parlamentarischen Prüfung eines Gesetzentwurfs Änderungen zu einem Gesetzentwurf vorgeschlagen und ist die Regierung mit diesen Änderungen einverstanden, so kann das zuständige Ministerium oder der oberste Rechtsberater („Attorney General“) entweder die Änderungen in den Gesetzentwurf aufnehmen oder den Ausschuss dabei unterstützen. ***