© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 116/19 Empfehlungen der Unabhängigen Föderalismuskommission für eine ausgeglichene Verteilung von Bundesbehörden sowie Präsenz- und Residenzpflicht von Bundesbeamten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Einleitung und Fragestellung Die Unabhängige Föderalismuskommission für eine ausgeglichene Verteilung von Bundesbehörden unter besonderer Berücksichtigung der neuen Länder (im Folgenden: Unabhängige Föderalismuskommission ) wurde im Juni 1991 vom Bundestag berufen.1 Sie setzte sich aus 16 Vertretern aus Bundestag und Bundesrat, aus bis zu drei Vertretern der Bundesregierung sowie zehn weiteren unabhängigen Persönlichkeiten zusammen.2 Am 27. Mai 1992 hat die Unabhängige Föderalismuskommission mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit Vorschläge für die Verlagerung von Bundeseinrichtungen und Bundesinstitutionen zur Stärkung des Föderalismus beschlossen.3 Zum einen betrafen die Vorschläge Verlagerungen von Bundesinstitutionen in die neuen Länder wie bspw. das Bundesverwaltungsgericht, der 5. Strafsenat des BGH und das Bundesarbeitsgericht sowie das Bundesumweltamt und das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie. Es wurde weiter vorgeschlagen, neue Bundeseinrichtungen und Bundesinstitutionen grundsätzlich in den neuen Ländern anzusiedeln. Zudem hat die Unabhängige Föderalismuskommission auch Vorschläge für die Verlagerung von Bundesinstitutionen nach Bonn beschlossen, um einen Ausgleich für den Verlust des Parlamentssitzes und von Regierungsfunktionen zu schaffen. Der Bundestag hat diese Vorschläge am 26. Juni 1992 mit großer Mehrheit in Form einer namentlichen Abstimmung angenommen und beschlossen, dass die Unabhängige Föderalismuskommission die Umsetzung der Beschlüsse begleiten soll, bis eine annährend ausgewogene Verteilung von Bundeseinrichtungen und Bundesinstitutionen über alle Länder erreicht ist.4 Zur Umsetzung der Vorschläge wurden verschiedene Gesetze und Gesetzesänderungen beschlossen, wie bspw. das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung eines Umweltbundesamtes5 sowie das Dienstrechtliche Begleitgesetz (DBeglG)6. Die Unabhängige Föderalismuskommission löste sich aufgrund des Grundsatzes der Diskontinuität mit Ablauf der 12. Legislaturperiode auf. Sie wurde zu Beginn der 13. Legislaturperiode nicht neu eingesetzt. Die Umsetzung der Vorschläge der Unabhängigen Föderalismuskommission wurde stattdessen von einer Staatssekretärsarbeitsgruppe begleitet.7 1 Nr. 6 des Antrags zur Vollendung der Einheit Deutschlands vom 19.06.1991, BT-Drs. 12/815. 2 Zu den Mitgliedern siehe Heidemann, Anspruch und Wirklichkeit – Zur Arbeit der Unabhängigen Föderalismuskommission , Verw 27 (1994), S. 239 ff. (S. 242 ff.). 3 BT-Drs. 12/2835, S. 3 f. 4 BT-Plenarprotokoll 12/100 vom 26.06.1992, S. 8519. 5 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung eines Umweltbundesamtes vom 02.05.1996, BGBl. I, S. 660. 6 Dienstrechtliches Begleitgesetz im Zusammenhang mit dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 20. Juli 1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands (Dienstrechtliches Begleitgesetz - DBeglG) vom 30.07.1996, BGBl. I, S. 1183. 7 Ausführlich dazu Heidemann, Das Ende einer Illusion – Zur weiteren Arbeit der Unabhängigen Föderalismuskommission , Verw 32 (1999), S. 103 ff. (S. 107 ff.). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 116/19 Seite 4 Es wird gebeten, die vom Gesetzgeber verfolgte Zielsetzung bei der Umsetzung der Ergebnisse der Unabhängigen Föderalismuskommission darzustellen. Es wird weiter um eine Darstellung gebeten, wie die Residenz- und Präsenzpflicht für Bundesbeamte geregelt ist. 2. Zur Zielsetzung der Empfehlungen der Unabhängigen Föderalismuskommission und ihrer Umsetzung Die Unabhängige Föderalismuskommission hatte sich u.a. folgende Grundsätze gegeben, wie der damalige Thüringer Staatsekretär für Bundes- und Europaangelegenheiten und Leiter der Thüringer Landesvertretung Wolfgang Egerter zusammenfasst: „Um eine ‚ausgeglichene‘ Verteilung zu erreichen , sei der Gesamtbereich der Bundeseinrichtungen in die Überlegungen einzubeziehen. Bei eventuellen Verlagerungsempfehlungen, bzw. Standortentscheidungen sollten ‚regionale, wirtschaftliche , beschäftigungspolitische, infrastrukturelle, historische, soziale, finanzielle, kostenspezifische und sachlich funktionale Aspekte‘ berücksichtigt werden. Zentraler Gesichtspunkt für eventuelle Empfehlungen sei die derzeitige Ausstattung der Länder mit Bundeseinrichtungen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl. ‚Umzugskarussells‘ seien zu vermeiden. Die neuen Länder seien bei der Verteilung bestehender und der Schaffung neuer nationaler bzw. internationaler Einrichtungen besonders zu berücksichtigen. Vor allem sollte in jedem der neuen Länder mindestens je eine wichtige Institution des Bundes eingerichtet werden. Institutionen, die sich in Ländern befinden, welche überproportional mit Bundeseinrichtungen ausgestattet sind, seien vor allem in die Überlegungen zur Verlagerung einzubeziehen. Schließlich legte der Punkt 4 der Grundsätze fest, dass aus der ‚Region Bonn‘ keine über den Bonn/Berlin-Beschluss hinausgehende Verlagerung stattfinden , dass es vielmehr das Ziel sei, eine Kompensation für den Verlust von Parlament und des Kernbereichs der Regierungsfunktionen für die Region Bonn vorzusehen.“8 Die Aufgabe und Arbeit der Unabhängigen Föderalismuskommission wurde von ihren beiden Vorsitzenden als sehr schwierig bewertet. Der Vorsitzende der Unabhängigen Föderalismuskommission , der Ministerpräsident des Freistaats Thüringen Dr. Bernhard Vogel, wies darauf hin, dass die Aufgabe der Kommission, Vorschläge für eine ausgeglichene Verteilung von Bundesinstitutionen unter besonderer Berücksichtigung der neuen Länder im Zusammenhang mit dem Bonn/Berlin-Ausgleich zu sehen sei und es „in den neuen Ländern oft nur schwer verständlich zu machen ist, daß es zwischen Bonn und Berlin zu einem vollen Ausgleich kommen soll und daß es zugunsten der neuen Länder lediglich zu Zeichen des guten Willens kommen kann.“9 Die Interessen seien sehr unterschiedlich gewesen. Die Geberländer hätten jeder Verlegung auch nur einer einzigen Einrichtung zu widersprechen versucht. Die Empfängerländer seien mit den Vorschlägen verständlicherweise nicht einverstanden gewesen und hätten diese als zu wenig empfunden.10 Diese Bewertung wurde im Nachgang von zwei weiteren (stellvertretenden) Mitgliedern der Kommission geteilt: Egerter zieht das Fazit, die Unabhängige Föderalismuskommission habe ihr ursprüngliches Ziel, eine wirklich ausgeglichene Verteilung von Bundesbehörden auf alle Länder zu erreichen, 8 Egerter, Die Unabhängige Föderalismuskommission von Bundestag und Bundesrat – Ein Bericht über ihre Arbeit unter besonderer Berücksichtigung der Umsetzung ihrer Empfehlungen im Freistaat Thüringen, ThürVBl. 2002, S. 58 ff. (S. 59). Die Grundsätze im Wortlaut finden sich zudem bei Heidemann, (Fn. 2), S. 258 f. 9 Redebeitrag des damaligen Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen, Dr. Bernhard Vogel, (Fn. 4), S. 8502. 10 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 116/19 Seite 5 nicht erreicht. Sie habe aber das erreicht, was unter den gegebenen Umständen möglich gewesen sei.11 Der damalige Leiter der Sächsischen Landesvertretung und Bevollmächtigte des Freistaates Sachsen beim Bund Fred J. Heidemann bemängelt, die Arbeit der Unabhängigen Kommission sei zum Ende des Jahre 1993 problematischer geworden, da die Mehrheit den Beschluss, neu zugründende Bundesinstitutionen grundsätzlich in die neuen Länder zu vergeben, nicht mehr mitgetragen habe. Zudem kritisiert er, dass die Unabhängige Föderalismuskommission in der 13. Legislaturperiode trotz verschiedener Versuche nicht wiederbelebt worden sei. Er stellt fest, die Widerstände derjenigen, die zusätzlich etwas abzugeben hätten, seien von Jahr zu Jahr größer geworden.12 Die Empfehlungen der Unabhängigen Kommission wurden größtenteils wie vorgeschlagen umgesetzt .13 Hierzu ist anzumerken, dass dem Beschluss des Bundestages vom 26. Juni 1992 politische Bedeutung zukommt. Der Beschluss entfaltet aber weder für andere Staatsorgane noch für den Bundestag selbst rechtliche Bindungswirkung.14 Die von der Unabhängigen Föderalismuskommission u.a. beschlossenen Grundsätze „Umzugskarussells “ zu vermeiden sowie bei den Verlagerungen der Behörden die beschäftigungspolitischen und sozialen Aspekte einzubeziehen, finden sich insbesondere in der Zielsetzung des DBeglG wieder.15 Das DBeglG sollte die Funktionsfähigkeit der Bundesverwaltung sichern, für die Beschäftigten aller Bundeseinrichtungen, die im Zuge der Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 ihren Sitz verlegen, den Umzug sozialverträglich ausgestalten sowie die für ihre persönliche Entscheidung notwendige Planungssicherheit gewährleisten.16 Der Ältestenrat hat in seiner Beratung zum Gesetzentwurf diese Zielsetzung bekräftigt und festgehalten, dass durch das DBeglG dazu beigetragen werden solle, dass niemand gegen seinen Willen an einen neuen Dienstort umziehen müsse.17 11 Egerter, (Fn. 8), S. 64. 12 Heidemann, (Fn. 7), S. 115. 13 Zu den Umsetzungen der Empfehlungen in Thüringen und in den übrigen neuen Bundesländern siehe Egerter, (Fn. 8), S. 62 ff. 14 Ausführlich dazu: Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste, Rechtliche Einordnung des Beschlusses des Deutschen Bundestages zu den Empfehlungen der Unabhängigen Föderalismuskommission, WD 3 - 3000 - 004/19. 15 Zu den Regelungen des DBeglG und ihrer rechtlichen Bewertung siehe Lecheler, Das dienstrechtliche Begleitgesetz zum Beschluss des Deutschen Bundestages vom 20.06.1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands, LKV 1998, S. 137 ff. 16 Beschluss und Bericht des Ältestenrates zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.P.D. – BT-Drs. 13/2377, BT-Drs. 13/5130, S. 9. 17 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 116/19 Seite 6 3. Zur Residenz- und Präsenspflicht von Bundesbeamten § 72 Bundesbeamtengesetz (BBG) regelt die Wahl der Wohnung. § 72 Abs. 1 BBG verpflichtet Beamte zur dienstpflichtkompatiblen Wohnungsnahme.18 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts begründet § 72 BBG für Beamte grundsätzlich keine Pflicht zum Wohnen am Dienstort (Residenzpflicht). „Der Beamte hat seine Wohnung lediglich so zu nehmen, dass er in der ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird […]“19. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz regelt § 72 Abs. 2 BBG. Danach kann der Dienstvorgesetzte einen Beamten anweisen, seine Wohnung innerhalb einer bestimmten Entfernung von seiner Dienststelle zu nehmen oder eine Dienstwohnung zu beziehen.20 Voraussetzung dafür ist, dass die dienstlichen Verhältnisse dies erfordern. Rein fiskalische oder wirtschaftliche Gründe reichen dafür nicht aus.21 Eine solche Residenzpflicht auf Weisung stellt einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 11 GG dar. Eine Verpflichtung zum Bezug einer Dienstwohnung wird angesichts der modernen Nachrichten- und Verkehrsmittel heute nur noch selten gerechtfertigt sein.22 Beamte müssen sich während ihrer dienstfreien Zeit grundsätzlich nicht in erreichbarer Nähe ihres Dienstortes aufhalten (Präsenzpflicht). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz regelt § 73 BBG. Danach darf der Dienstvorgesetzte ausnahmsweise einem Beamten außerhalb der Dienstzeit Aufenthaltsanweisungen auferlegen, wenn besondere dienstliche Verhältnisse dies dringend erfordern. Die Voraussetzungen für eine solche Weisung sind damit weitergehend als bei der Residenzpflicht auf Weisung. Die Aufenthaltsanweisung gemäß § 73 BBG „muss zur Bewältigung außergewöhnlicher von der Verwaltung zu meisternder Anforderungen unentbehrlich sein und darf nicht auf Dauer für ganze Beamtengruppen ausgesprochen werden“23. Der Dienstvorgesetzte hat die Rufbereitschaft nach pflichtgemäßem Ermessen auszugestalten; dabei hat er das dienstliche Erfordernis und Interesse einerseits und das grundsätzliche Recht des Beamten auf freie Wahl des Aufenthaltsortes während der Freizeit andererseits abzuwägen.24 Eine Präsenzpflicht ist somit nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt. *** 18 Grigoleit, in: Battis, Bundesbeamtengesetz, 5. Auflage 2017, § 72 Rn. 2. 19 BVerwG, DVBl 1991, S. 646. 20 Grigoleit, (Fn. 18), § 72 Rn. 5. 21 Heid, in: Brinktrine/Schollendorf, BeckOK Beamtenrecht Bund, 14. Edition, Stand: 01.02.2019, § 72 Rn. 4. 22 Grigoleit, (Fn. 18), § 72 Rn. 5 mit Rechtsprechungsnachweisen. 23 Grigoleit, (Fn. 18), § 73 Rn. 3 mit weiteren Nachweisen. 24 Heid, (Fn. 21), § 72 Rn. 4.