© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 114/20 Einzelfragen zum Asyl- und Aufenthaltsrecht Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 114/20 Seite 2 Einzelfragen zum Asyl- und Aufenthaltsrecht Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 114/20 Abschluss der Arbeit: 20. Mai 2020 (zugleich letzter Aufruf der Internetquellen) Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 114/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Visumverfahren 4 2. Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis 5 3. Erforderliche Nachweise und Mitwirkung bei nationalem Visum und Aufenthaltserlaubnis 6 4. Asylverfahren 7 4.1. Amtsermittlung und Mitwirkungspflichten 7 4.2. Vollständigkeit der Daten und Entscheidungsfindung 8 4.3. Ablehnungsgründe 9 4.4. Überprüfung der Entscheidung und Qualitätskontrolle 9 4.5. Verfahrensdauer 10 5. Ersatzpapiere für Ausländer 10 6. Ausreisepflicht und Abschiebung 12 6.1. Sicherung der Abschiebung 12 6.2. „Erfolgsquoten“ von Abschiebungen 13 7. Aufenthalt von Unionsbürgern 14 7.1. Freizügigkeit und Daueraufenthalt 14 7.2. Verlust der Freizügigkeit und Ausreisepflicht 14 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 114/20 Seite 4 1. Visumverfahren Für die Einreise nach Deutschland benötigen Ausländer nach § 4 Abs. 1 S. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) einen Aufenthaltstitel. Dies gilt nicht für Unionsbürger, ihnen gleichgestellte Staatsangehörige von Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) sowie Schweizer Staatsangehörige .1 Zu den Aufenthaltstiteln gehört nach 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AufenthG das Visum.2 Das Visumverfahren dient dem Zweck, dass geprüft wird, ob eine Einreiseberechtigung besteht, bevor der Einreisende die Grenzkontrollstelle erreicht.3 Da an der Kontrollstelle keine aufwändigen Prüfungen möglich sind, wird die Prüfung der Einreiseberechtigung durch das Visumverfahren vorverlagert. Für das Visumverfahren sind nach § 71 Abs. 2 AufenthG die deutschen Auslandsvertretungen zuständig. Je nach Länge des angestrebten Aufenthalts wird das Visum in zwei verschiedenen Varianten erteilt: Für einen Aufenthalt von bis zu 90 Tagen gibt es das Schengenvisum, § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, das zu einem Aufenthalt im gesamten Schengenraum berechtigt. Für längerfristige Aufenthalte ist ein nationales Visum nach § 6 Abs. 3 AufenthG erforderlich. Die Erteilung des Schengenvisums richtet sich nach dem Unionsrecht. Die Voraussetzungen sind im Visakodex4 festgelegt. Der Antragsteller muss nach Art. 10 Abs. 3 Visakodex ein Antragsformular ausfüllen, ein gültiges Reisedokument und ein Lichtbild vorlegen und der Erfassung seiner Fingerabdrücke zustimmen, wenn er davon – etwa weil er noch nicht das zwölfte Lebensjahr vollendet hat – nicht nach Art. 13 Abs. 7 Visakodex befreit ist. Zudem sind nach Art. 14 Visakodex unter anderem Nachweise über den Zweck der Reise, die Unterkunft und die Mittel, mit denen der Aufenthalt und die Rückreise bestritten werden, zu erbringen. Nach Art. 15 Visakodex muss eine Reisekrankenversicherung nachgewiesen werden. Gemäß Art. 21 Abs. 1 wird geprüft, ob der Antragsteller die Einreisevoraussetzungen des Schengener Grenzkodex erfüllt, insbesondere ob das Risiko der rechtswidrigen Einwanderung besteht und ob der Antragsteller eine Gefahr für die Sicherheit der Mitgliedstaaten darstellt. Liegen die genannten Voraussetzungen nicht vor, ist nach Art. 32 Abs. 1 Visakodex die Erteilung des Visums zu verweigern. Die Erteilung eines nationalen Visums richtet sich nach dem deutschen Aufenthaltsrecht. Nach § 6 Abs. 3 S. 2 AufenthG gelten für das nationale Visum dieselben Anforderungen wie für den Aufenthaltstitel, auf den der Ausländer seinen Aufenthalt stützen will (siehe zur Aufenthaltserlaubnis unter 2.). Liegen die Voraussetzungen des Aufenthaltstitels nicht vor, so ist das Visum zu 1 Samel, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 4 AufenthG Rn. 9, 15. Zu den Besonderheiten bei der Einreise von Asylsuchenden siehe die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages , Einzelfragen zur Einreise von Asylsuchenden, WD 3 - 3000 - 349/18, abrufbar unter https://www.bundestag .de/resource/blob/585708/a798b059980c2570799f5918c1bfd86f/WD-3-349-18-pdf-data.pdf. 2 Andere Aufenthaltstitel sind etwa die Aufenthaltserlaubnis (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AufenthG) und die Niederlassungserlaubnis (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AufenthG). 3 Maor, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 25. Edition Stand: 1. März 2020, § 6 AufenthG Rn. 1. 4 Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl. L 243 vom 15. September 2009, S. 1). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 114/20 Seite 5 verweigern. In bestimmten Fällen bedarf die Visumerteilung gemäß § 31 Aufenthaltsverordnung5 zudem der Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde. 2. Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis Die Aufenthaltserlaubnis nach § 7 AufenthG ist ein befristeter und zweckgebundener Aufenthaltstitel , der anders als das Visum erst im Inland erteilt wird. Für die Erteilung sind Ausländerbehörden zuständig, § 71 Abs. 1 S. 1 AufenthG.6 Eine Aufenthaltserlaubnis wird nur auf Antrag erteilt, § 81 Abs. 1 AufenthG. Sie existiert in einer Vielzahl von Varianten, etwa zum Zweck einer Erwerbstätigkeit (§§ 18 ff. AufenthG), aus familiären Gründen (§§ 27 ff.) und aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen (§§ 22 ff., 104a, 104b AufenthG). Für die Aufenthaltserlaubnis gelten nach § 5 Abs. 1 AufenthG zunächst die Anforderungen, die für jeden Aufenthaltstitel gelten. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass – der Lebensunterhalt gesichert ist, – die Identität des Ausländers und, falls dieser nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit geklärt ist, – kein Ausweisungsinteresse besteht, – soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und – die Passpflicht nach § 3 AufenthG erfüllt wird. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis setzt nach § 5 Abs. 2 AufenthG zudem grundsätzlich voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumverfahren gemacht hat. Nach § 5 Abs. 3 AufenthG gelten die Anforderungen von § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG bei bestimmten Arten der Aufenthaltserlaubnis zum Teil nicht oder es ist eine Abweichung möglich. Dies betrifft etwa die Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Die weiteren Anforderungen hängen von der Art der beantragten Aufenthaltserlaubnis ab. Bei einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck einer Erwerbstätigkeit muss beispielsweise gemäß § 18 Abs. 2 AufenthG grundsätzlich ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorliegen und die Agentur für Arbeit der Beschäftigung zugestimmt haben, wenn nicht durch Gesetz, zwischenstaatliche Vereinbarung 5 Vom 25. November 2004 (BGBl. I S. 2945), zuletzt geändert durch Artikel 4 der Verordnung vom 23. März 2020 (BGBl. I S. 655). 6 Die kommunalen Ausländerbehörden regeln die konkrete Ausgestaltung des Verfahrens im Rahmen ihrer organisations - und Personalhoheit selbst, vgl. Niedersächsischer Landtag, LT-Drs. 17/7547, S. 3. Erkenntnisse zur Organisation des Verfahrens sowie zu etwaigen Qualitätskontrollen liegen hier daher nicht vor. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 114/20 Seite 6 oder durch die Beschäftigungsverordnung7 anderes bestimmt ist. Für einige Arten der Aufenthaltserlaubnis gelten zudem Sonderregelungen. So können etwa Arbeitgeber nach § 81a AufenthG ein beschleunigtes Fachkräfteverfahren beantragen, das die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Erwerbstätigkeit vereinfacht. Die Aufenthaltserlaubnis ist zu verweigern, wenn die Anforderungen von § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG und die jeweiligen speziellen Anforderungen nicht erfüllt werden. Außerdem ist sie aus Sicherheitsgründen zu verweigern, wenn – ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland) oder – ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG (politischen oder religiösen Zielen dienende Beteiligung an Gewalttätigkeiten, öffentlicher Aufruf zur Gewaltanwendung oder Drohung mit Gewaltanwendung) besteht, oder – eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erlassen wurde. 3. Erforderliche Nachweise und Mitwirkung bei nationalem Visum und Aufenthaltserlaubnis Gemäß § 79 Abs. 1 AufenthG wird über den Aufenthalt von Ausländern auf der Grundlage der im Bundesgebiet bekannten Umstände und zugänglichen Erkenntnisse entschieden. § 82 Abs. 1 S. 1 AufenthG verpflichtet den Ausländer, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise über seine persönlichen Verhältnisse, sonstige erforderliche Bescheinigungen und Erlaubnisse sowie sonstige erforderliche Nachweise, die er erbringen kann, unverzüglich beizubringen. Die nachzuweisenden Angaben hängen von der Art des angestrebten Aufenthaltstitels ab. So ist etwa die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Erwerbstätigkeit auf Fachkräfte beschränkt. Nach § 18 Abs. 3 AufenthG setzt die Erteilung voraus, dass der Ausländer eine deutsche qualifizierte Berufsausbildung oder eine gleichwertige ausländische Berufsqualifikation bzw. einen deutschen oder vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss besitzt. Von besonderer Bedeutung ist die Identitätsfeststellung. Jeder Ausländer ist nach § 49 Abs. 2 AufenthG verpflichtet, gegenüber den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden auf Verlangen die erforderlichen Angaben zu seinem Alter, seiner Identität und Staatsangehörigkeit zu machen. Nach § 48 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer verpflichtet, auf Verlangen der mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden seinen Pass, Passersatz oder Ausweisersatz vorzulegen.8 Ein Ausländer, der keinen Pass oder Passersatz besitzt, ist nach § 48 Abs. 3 AufenthG verpflichtet, an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken. Er muss zudem den zustän- 7 Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern (Beschäftigungsverordnung) vom 6. Juni 2013 (BGBl. I S. 1499), zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung vom 23. März 2020 (BGBl. I S. 655). 8 Zum Passersatz und Ausweisersatz siehe 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 114/20 Seite 7 digen Behörden alle Dokumente oder Datenträger vorlegen, die für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein können. Die Auswertung von Datenträgern ist nach § 48 Abs. 3a AufenthG nur zulässig, soweit dies erforderlich ist. Bestehen Zweifel über die Identität, das Lebensalter oder die Staatsangehörigkeit des Ausländers, sind nach § 49 Abs. 3 AufenthG die erforderlichen Maßnahmen zur Überprüfung zu treffen, wenn dem Ausländer die Einreise erlaubt oder ein Aufenthaltstitel gewährt werden soll. Mögliche Maßnahmen sind nach § 49 Abs. 6 S. 1 AufenthG grundsätzlich das Aufnehmen von Lichtbildern, das Abnehmen von Fingerabdrücken sowie Messungen und ähnliche Maßnahmen, einschließlich körperlicher Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zum Zweck der Feststellung des Alters vorgenommen werden, wenn kein Nachteil für die Gesundheit des Ausländers zu befürchten ist. Für die Erteilung eines nationalen Visums sind nur die Aufnahme von Lichtbildern und die Abnahme von Fingerabdrücken zulässig, § 49 Abs. 6a AufenthG. Diese Maßnahmen sind nach § 49 Abs. 6 S. 2 AufenthG bei Ausländern zulässig, die das 14. Lebensjahr vollendet haben. Zur Feststellung der Identität sind die Maßnahmen gemäß § 49 Abs. 6 S. 3 AufenthG nur zulässig, wenn die Identität in anderer Weise, insbesondere durch Anfragen bei anderen Behörden , nicht oder nicht rechtzeitig oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Damit sichergestellt ist, dass die Ausländerbehörden Kenntnis über alle wesentlichen Umstände haben, enthält das AufenthG an verschiedenen Stellen Übermittlungspflichten sowie Regelungen zur Beteiligung anderer Behörden. Zur Feststellung von Sicherheitsbedenken können etwa die Ausländerbehörden über das Bundesverwaltungsamt nach § 73 AufenthG den Bundesnachrichtendienst , das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst, das Bundeskriminalamt , die Bundespolizei und das Zollkriminalamt beteiligen. Nach § 87 Abs. 2 AufenthG sind zudem öffentliche Stellen verpflichtet, die Ausländerbehörden über das Bestehen von Ausweisungsgründen zu informieren. 4. Asylverfahren Einen Überblick über den Ablauf des Asylverfahrens gibt die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Verfahrens- und Prüfungsschritte im Asylverfahren, WD 3 - 3000 - 220/15, Anlage 1. Die Ausarbeitung ist inhaltlich weiterhin aktuell. Das dort genannte Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) wurde Ende 2015 in Asylgesetz (AsylG) unbenannt. Die in der Ausarbeitung aufgeführten Paragrafen stimmen größtenteils mit den derzeitigen überein. Einzig der Inhalt des aufgehobenen § 27a AsylVfG wurde in den § 29 Abs. 1 Nr. 1 a und b AsylG verschoben. 4.1. Amtsermittlung und Mitwirkungspflichten Im Rahmen des Asylverfahrens ist das hierfür zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 AsylG von Amts wegen zur Sachverhaltsaufklärung und Erhebung der hierfür erforderlichen Beweise verpflichtet. Dies betrifft insbesondere die Behauptung des Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 114/20 Seite 8 Antragstellers über die Furcht vor Verfolgung9 sowie die Identität des Antragstellers. Nach der Einleitung des Verfahrens durch einen Asylantrag ist der Asylbewerber grundsätzlich persönlich anzuhören, § 24 Abs. 1 S. 3 AsylG. Bei der persönlichen Anhörung hat der Asylbewerber, wie § 25 Abs. 1 AsylG bestimmt, selbst die Tatsachen vorzutragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen, und die erforderlichen Angaben zu machen. Zu den hierfür erforderlichen Angaben gehören unter anderem Auskünfte über Reisewege, Aufenthalte in anderen Staaten sowie über Tatsachen und Umstände, die einer Abschiebung entgegenstehen , § 25 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 AsylG. Dabei dürfen aufgrund der typischen Beweisnot und begrenzten Möglichkeiten der Darlegung dieser Behauptungen keine zu hohen Anforderungen an den Vortrag selbst gestellt werden.10 Es genügt daher, wenn die vorgetragenen Tatsachen die Möglichkeit einer Verfolgung des Asylbewerbers im Herkunftsstaat nicht fernliegend erscheinen lassen.11 Den Asylbewerber treffen verschiedene Mitwirkungspflichten.12 Er ist gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG verpflichtet, seinen Pass oder Passersatz den mit der Ausführung des AsylG betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Besitzt der Asylbewerber keinen Pass oder Passersatz , ist er verpflichtet, an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken, § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG. Als Teil seiner Pflicht zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung gemäß § 15, § 25 Abs. 1, Abs. 2 Asylgesetz hat der Asylbewerber alle erforderlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen , die in seinem Besitz sind, den Behörden vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen, § 15 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3 AsylG. 4.2. Vollständigkeit der Daten und Entscheidungsfindung Das BAMF hat eine Vervollständigung der für die Entscheidung notwendigen Daten unter Erhebung der erforderlichen Beweise zu bewirken. Die Anhörung des Asylbewerbers reicht für die gemäß § 24 AsylG angeordnete Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen zwar regelmäßig nicht aus, bildet allerdings dessen Grundlage.13 Die erforderlichen Kenntnisse über das Herkunftsland des Asylbewerbers sind auf Grundlage seiner Angaben durch das BAMF zu beschaffen und mit Hilfe von 9 Vgl. hierzu Schönenbroicher/Dickten, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 25. Edition 1. März 2020, § 24 AsylG Rn. 2. 10 Schönenbroicher/Dickten, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 25. Edition 1. März 2020, § 24 AsylG Rn. 2. Zur Reichweite der Mitwirkungspflicht hinsichtlich der einzelnen vorzutragenden Tatsachen siehe Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 25 AsylG Rn. 3 ff.; Schönenbroicher/Dickten, in: Kluth/ Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 25. Edition 1. März 2020, § 25 AsylG Rn. 5 ff. 11 BVerwGE 66, 237. 12 Vgl. vertiefend hierzu den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Mitwirkungspflichten bei der Identitätsfeststellung im Asylverfahren, WD 3 - 3000 - 158/16, abrufbar unter https://www.bundestag .de/resource/blob/436792/77d507b37f1ab6fc7a6b3722436ca9e2/wd-3-158-16-pdf-data.pdf. 13 Schönenbroicher/Dickten, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 25. Edition 1. März 2020, § 24 AsylG Rn. 1 f.; Schönenbroicher, in: Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, 1. Aufl. 2016, Teil B Rn. 173. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 114/20 Seite 9 unabhängigen Quellen zu prüfen.14 Als Beweismittel kommen zum Beispiel Zeugen, Sachverständigengutachten , amtliche Auskünfte sowie Berichte und Stellungnahmen von Menschenrechtsorganisationen in Betracht.15 Die Anerkennung als Asylberechtigter setzt eine individuelle Betroffenheit voraus. Über die Asylberechtigung kann daher nur entschieden werden, wenn die Identität des Asylbewerbers geklärt ist.16 Die Identität eines Asylbewerbers ist gemäß § 16 Abs. 1 AsylG durch erkennungsdienstliche Maßnahmen sicherzustellen. Dazu gehören insbesondere die Abnahme der Fingerabdrücke, die Aufnahme von Lichtbildern, das Auslesen biometrischer Daten und die Aufnahme von Sprachaufzeichnungen zur Bestimmung der Herkunftsregion. Der Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Fragen zur Nutzung von falschen Identitäten gegenüber Behörden, WD 3 - 3000 - 136/17, Anlage 2, gibt einen Überblick über Maßnahmen, mit denen im Asylverfahren die Identität ermittelt werden kann. Zum Verfahren der Altersbestimmung, das insbesondere bei minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen relevant ist, wird verwiesen auf die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Zuständigkeitsfragen zur Altersbestimmung bei minderjährigen Ausländern und zum Eintritt der Volljährigkeit, WD 3 - 3000 - 044/16, Anlage 3. 4.3. Ablehnungsgründe Erfüllen die durch das BAMF festgestellten Tatsachen die Voraussetzungen eines Schutzstatus nach dem Asylgesetz nicht, ist ein ablehnender Bescheid zu erlassen. Ferner ist eine Ablehnung in bestimmten Fällen aus Sicherheitsgründen möglich. Zu den einzelnen Ablehnungsgründen wird auf die oben aufgeführte Anlage 1 verwiesen. 4.4. Überprüfung der Entscheidung und Qualitätskontrolle Das BAMF hat unabhängig von den Rechtsschutzmöglichkeiten des Asylbewerbers die Möglichkeit , durch Widerruf oder Rücknahme eigene Entscheidungen aufzuheben, § 73 AsylG. Unter den dort genannten Voraussetzungen können somit asylrechtliche Entscheidungen für die Vergangenheit und Zukunft korrigiert werden. 14 Schönenbroicher, in: Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, 1. Aufl. 2016, Teil B Rn. 174. 15 Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 24 AsylG Rn. 5 16 Schönenbroicher, in: Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, 1. Aufl. 2016, Teil B Rn. 153. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 114/20 Seite 10 Das BAMF als selbstständige Bundesoberbehörde ohne eigenen Verwaltungsunterbau führt seine Kompetenzen im Rahmen der bundeseigenen Verwaltung nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG aus und untersteht als Behörde auf Grundlage des § 5 Abs. 2 AsylG der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat. Im Rahmen der Rechtsaufsicht steht einer übergeordneten Behörde eine Weisungsbefugnis zur Sicherstellung der Rechtmäßigkeit des Handelns der nachgeordneten Behörde zu. Diese Befugnis erstreckt sich im Fall der Fachaufsicht auch auf Fragen der Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns. Zur Fachaufsicht des BMI über das BAMF gehört auch die Sicherstellung der Qualität der Aufgabenerfüllung.17 Die behördeninterne Qualitätskontrolle beim BAMF besteht zum einen darin, dass zu den ergehenden Bescheiden Kurzübersichten erstellt werden, die von sogenannten „Qualitätsförderern“ in den Außenstellen überprüft werden.18 Nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Verfahren werden zudem einer zusätzlichen Kontrolle durch das zentrale Qualitätssicherungsreferat unterzogen.19 4.5. Verfahrensdauer Nach Angaben des BAMF von April 2020 betrug die Gesamtverfahrensdauer der Erst- und Folgeanträge der in den letzten zwölf Monaten durchgeführten Verfahren 3,4 Monate.20 5. Ersatzpapiere für Ausländer Ausländer dürfen nach § 3 Abs. 1 S. 1 AufenthG grundsätzlich nur dann in das Bundesgebiet einreisen und sich dort aufhalten, wenn sie einen gültigen Pass oder Passersatz besitzen, sofern sie nicht durch Rechtsverordnung von der Passpflicht befreit sind.21 Für den Aufenthalt wird die Passpflicht nach § 3 Abs. 1 S. 2 AufenthG auch durch den Besitz eines Ausweisersatzes nach § 48 Abs. 2 AufenthG erfüllt. Während des Asylverfahrens genügt ein Ausländer der Passpflicht gemäß § 64 17 Vgl. Bundesrechnungshof, Abschließende Mitteilung über die Prüfung „Asylverfahren - Unregelmäßigkeiten in der Außenstelle Bremen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge“, 2018, abrufbar unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/pruefungsmitteilungen/langfassungen /2018/2018-pm-asylverfahren-unregelmaessigkeiten-in-der-aussenstelle-bremen-des-bundesamtes-fuer-migration -und-fluechtlinge-pdf. 18 Schneider/Wottrich, in: Lahusen/Schneider, Asyl verwalten, 2017, S. 100 f. 19 Siehe die Ausführungen auf der Internetseite des BAMF unter https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz /VerfahresteuerungQualitaetssicherung/verfahresteuerungqualitaetssicherung-node.html. 20 BAMF, Aktuelle Zahlen, April 2020, S. 13, abrufbar unter: https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik /AsylinZahlen/aktuelle-zahlen-april-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=6. Alle weiteren entsprechenden Veröffentlichungen des BAMF sind zu finden unter https://www.bamf.de/DE/Themen/Statistik/Asylzahlen/Aktuelle Zahlen/_functions/aktuelle-zahlen-suche-link-table.html?nn=284722. 21 Zu den Besonderheiten bei der Einreise von Asylsuchenden siehe die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Einzelfragen zur Einreise von Asylsuchenden, WD 3 - 3000 - 349/18, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/585708/a798b059980c2570799f5918c1bfd86f/WD-3-349-18-pdfdata .pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 114/20 Seite 11 Abs. 1 AsylG mit der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung, die nach den § 55 Abs. 1, § 63 Abs. 1, § 63a Abs. 1 AsylG ausgestellt wird. Ein Passersatz ist ein Identitätspapier, das entweder vom Herkunftsstaat oder von der Bundesrepublik ausgestellt wird. Nach § 3 Aufenthaltsverordnung (AufenthVO) kommen zunächst ausländische amtliche Ausweise als Passersatz in Betracht. Dies können nach § 3 Abs. 3 AufenthVO beispielsweise Reiseausweise für Flüchtlinge oder Staatenlose sein. Grundsätzlich müssen Passersatzpapiere von der Bundesrepublik anerkannt werden, bevor ein Grenzübertritt gestattet wird, vgl. § 3 und § 71 Abs. 6 AufenthG. Dies gilt nach § 3 Abs. 1 AufenthVO nicht, wenn die Bundesrepublik aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarungen oder aufgrund des Unionsrechts verpflichtet ist, dem Ausländer den Grenzübertritt zu gestatten. Nach § 4 AufenthVO können einem Ausländer auch deutsche Identitätspapiere als Passersatz ausgestellt werden. Dabei kann es sich zum einen um die bereits erwähnten Reiseausweise für Flüchtlinge22 oder Staatenlose handeln. Zudem kann auch ein allgemeiner Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden. Die Beschaffung eines Passes oder Passersatzes des Herkunftsstaates hat in diesem Fall allerdings Vorrang, da dies der Passhoheit der Staaten über ihre eigenen Angehörigen entspricht und zudem nur mit diesen Dokumenten eine eventuelle Rückführung des Ausländers möglich ist.23 Voraussetzung der Erteilung eines deutschen Reiseausweises für Ausländer ist daher, dass der Ausländer einen Pass oder Passersatz des Herkunftsstaats nicht zumutbar erlangen kann. Kann der Ausländer weder einen Pass noch einen (ausländischen oder deutschen) Passersatz in zumutbarer Weise erlangen, so genügt er nach § 48 Abs. 2 AufenthG der Passpflicht mit der Bescheinigung über einen Aufenthaltstitel oder die Aussetzung der Abschiebung, wenn sie mit den Angaben zur Person und einem Lichtbild versehen und als Ausweisersatz bezeichnet ist. Die Voraussetzungen der Erteilung liegen beispielsweise vor, wenn der Pass bzw. Passersatz nur im Heimatstaat ausgestellt oder verlängert werden kann, die Rückkehr dorthin der Person aber nicht zumutbar ist oder wenn der Herkunftsstaat die Ausstellung oder Verlängerung des Passes an so hohe Hürden knüpft, dass dies einer Passverweigerung gleichkommt.24 Der Ausweisersatz berechtigt weder zur Einreise in einen anderen Staat noch begründet er eine Rückkehrberechtigung für die Bundesrepublik, sodass Auslandsreisen mit dem Ausweisersatz nicht möglich sind.25 22 Siehe zum deutschen Reiseausweis für Flüchtlinge die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Reiseausweis für Flüchtlinge, WD 3 - 3000 - 030/18, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/550318/16f21b950f3d81fb3957869ad5ec920f/WD-3-030-18-pdf-data.pdf. 23 Maor, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 25. Edition Stand: 1. März 2020, § 3 AufenthG Rn. 17. 24 Hörich/Hruschka, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 25. Edition Stand: 1. März 2020, § 48 AufenthG Rn. 29 f. 25 Hörich/Hruschka, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 25. Edition Stand: 1. März 2020, § 48 AufenthG Rn. 29 f.; Möller, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 48 Rn. 11. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 114/20 Seite 12 6. Ausreisepflicht und Abschiebung Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht. Bei Bestehen der Ausreisepflicht muss der Ausländer gemäß § 50 Abs. 2 AufenthG das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt wurde, bis zum Ablauf der Frist verlassen. Reist der ausreisepflichtige Ausländer freiwillig innerhalb der gesetzten Frist aus dem Bundesgebiet aus, so erhält die Ausländerbehörde hiervon Kenntnis, da der Ausländer bei der Grenzkontrolle oder bei der deutschen Auslandsvertretung im Zielstaat der Ausreise eine Grenzübertrittsbescheinigung abgeben muss, um den Nachweis über die Erfüllung seiner Ausreisepflicht zu erbringen.26 Erfolgt keine freiwillige Ausreise, so hat die zuständige Behörde gemäß § 58 Abs. 1 AufenthG die Ausreisepflicht mittels Abschiebung durchzusetzen, wenn die Pflicht vollziehbar ist. Die Abschiebung ist gemäß § 59 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen anzudrohen. Sie ist unzulässig, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 AufenthG besteht. Sie kann zudem nach den §§ 60a ff. AufenthG unter bestimmten Voraussetzungen ausgesetzt werden. § 71 Abs. 1 S. 1 AufenthG bestimmt, dass für aufenthaltsrechtliche Maßnahmen nach dem Aufenth G die Ausländerbehörden zuständig sind. Grundsätzlich sind damit die Ausländerbehörden der Länder auch für die Abschiebung zuständig. Die tatsächliche Beförderung des Ausländers bis zur bundesdeutschen Grenze wird gemäß § 71 Abs. 5 AufenthG durch die Polizeien der Länder durchgeführt. Für die Beförderung ab der Grenze bis zum Zielort ist nach § 71 Abs. 3 Nr. 1d AufenthG die Bundespolizei zuständig. 6.1. Sicherung der Abschiebung Zur Sicherung der Abschiebung kommen nach den §§ 61 ff. AufenthG verschiedene Maßnahmen in Betracht. Die zuständigen Ausländerbehörden prüfen in diesem Zusammenhang beispielsweise die Notwendigkeit einer räumlichen Beschränkung, einer Wohnsitzauflage oder eines Ausreisegewahrsams . Die §§ 62 ff. AufenthG regeln die Möglichkeit der Anordnung der Abschiebungshaft. Diese ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Die Abschiebungshaft setzt nach § 62 Abs. 2 und 3 AufenthG eine richterliche Anordnung voraus. Unterschieden wird zwischen der Vorbereitungshaft und der Sicherungshaft. Die Vorbereitungshaft nach § 62 Abs. 2 AufenthG wird angeordnet, wenn über die Ausweisung oder die Abschiebungsanordnung nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde. Die Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 AufenthG ist unter anderem bei Fluchtgefahr anzuordnen. Unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Abschiebungshaft kann der Ausländer nach § 62b AufenthG zudem für die Dauer von bis zu zehn Tagen in Ausreisegewahrsam genommen werden, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist, die Abschiebung innerhalb der zehntägigen Frist erfolgen kann und der Ausländer ein Verhalten gezeigt hat, das erwarten lässt, dass er die Abschiebung erschweren oder vereiteln wird. Ein Ausländer, dessen Aufenthaltsort unbekannt ist, kann nach § 50 Abs. 6 AufenthG zum Zweck der Aufenthaltsbeendigung in den 26 Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 6. Aufl. 2017, § 7 Rn. 286. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 114/20 Seite 13 Fahndungshilfsmitteln der Polizei zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausgeschrieben werden. 6.2. „Erfolgsquoten“ von Abschiebungen Für die Jahre 201927 und 201828 liegen Zahlen zu den erfolgten Abschiebungen sowie zu gescheiterten Abschiebungen vor. Im Jahr 2019 wurden 22.097 Abschiebungen vollzogen.29 Im selben Zeitraum scheiterten 28.944 Abschiebungen (davon 16.854 Überstellungen im sogenannten Dublin-Verfahren) vor Übergabe der abzuschiebenden Person an die Bundespolizei30 und 3.567 Abschiebungen (davon 2.335 Überstellungen im Dublin-Verfahren) nach Übergabe an die Bundespolizei31. Im Jahr 2018 wurden 23.617 Abschiebungen vollzogen.32 Statistiken zu gescheiterten Abschiebungen liegen für das Jahr 2018 nur zum Teil vor. So wurden 1.637 Abschiebungen auf dem Luftweg aufgrund von Widerstandshandlungen abgebrochen.33 107 Abschiebungen auf dem Luftweg mussten wegen medizinischer Bedenken abgebrochen werden.34 506 Abschiebungen auf dem Luftweg scheiterten aufgrund einer Weigerung der Fluggesellschaft oder des Flugzeugführers, die Person zu transportieren.35 15 Abschiebungen scheiterten aufgrund einer Weigerung des Zielstaates, die Person aufzunehmen.36 27 BT-Drs. 19/18201. 28 BT-Drs. 19/8021. 29 BT-Drs. 19/18201 S. 2. 30 BT-Drs. 19/18201 S. 36. 31 BT-Drs. 19/18201 S. 29. 32 BT-Drs. 19/8021 S. 2, 10. 33 BT-Drs. 19/8021 S. 52. 34 BT-Drs. 19/8021 S. 54. 35 BT-Drs. 19/8021 S. 55. 36 BT-Drs. 19/8021 S. 57. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 114/20 Seite 14 7. Aufenthalt von Unionsbürgern 7.1. Freizügigkeit und Daueraufenthalt Für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen besteht mit dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) ein Spezialgesetz, das die Anwendbarkeit des allgemeineren AufenthG grundsätzlich ausschließt.37 Anders als Drittstaatenangehörige benötigen Unionsbürger daher grundsätzlich gemäß § 2 Abs. 4 FreizügG/EU für die Einreise nach Deutschland kein Visum und für den Aufenthalt keinen Aufenthaltstitel. Aufenthalte von bis zu drei Monaten sind gemäß § 2 Abs. 5 S. 1 FreizügG/EU für alle Unionsbürger unter der Voraussetzung des Besitzes eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses zulässig und werden nicht von weiteren materiellen Voraussetzungen abhängig gemacht.38 Bei Aufenthalten von mehr als drei Monaten ist das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers grundsätzlich daran geknüpft, dass die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU besteht. Freizügigkeitsberechtigt sind danach unter anderem Unionsbürger, die sich zur Berufsausübung im Bundesgebiet aufhalten, arbeitssuchende Unionsbürger (grundsätzlich für die Dauer von bis zu sechs Monaten), niedergelassene selbstständige Erwerbstätige sowie unter bestimmten Umständen Familienangehörige. Nicht erwerbstätige Unionsbürger sind freizügigkeitsberechtigt, wenn sie einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz sowie die Verfügbarkeit ausreichender Existenzmittel nachweisen können. Ein Daueraufenthaltsrecht sieht das FreizügG/EU nur in den Fällen des § 4a vor. Unionsbürger, die noch kein Daueraufenthaltsrecht erlangt haben, sind nur solange aufenthaltsberechtigt, wie sie die Voraussetzungen der Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU erfüllen. Voraussetzung des Daueraufenthaltsrechts ist nach § 4a FreizügG/EU, dass sich der Unionsbürger seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Rechtmäßig ist der Aufenthalt, wenn er nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU zulässig ist.39 Ob ein ständiger Aufenthalt vorliegt, richtet sich nach § 4a Abs. 6 und Abs. 7 FreizügG/EU. Der ständige Aufenthalt wird beispielsweise nicht berührt bei Abwesenheiten von insgesamt sechs Monaten im Jahr. Unter den Voraussetzungen des § 4a Abs. 2 können ehemals erwerbstätige Unionsbürger auch vor Ablauf der fünf Jahre ein Daueraufenthaltsrecht erwerben. 7.2. Verlust der Freizügigkeit und Ausreisepflicht Es besteht eine generelle Vermutung zugunsten von Unionsbürgern, dass sie über die Freizügigkeitsberechtigung verfügen.40 Gemäß § 5 Abs. 2 FreizügG/EU kann die zuständige Ausländerbehörde 37 Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 11 FreizügG/EU Rn. 3 f.; Gericke, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2018, § 11 FreizügG/EU Rn. 1. Einzelne Normen des AufenthG sind nach § 11 Abs. 1 FreizügG/EU allerdings auf Unionsbürger entsprechend anzuwenden. 38 Tewocht, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 25. Edition Stand: 1. März 2020, § 4 FreizügG/EU Rn. 1. 39 Tewocht, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 25. Edition Stand: 1. März 2020, § 2 FreizügG/EU Rn. 11. 40 Kurzidem, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 25. Edition Stand: 1. März 2020, § 5 FreizügG/EU Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 114/20 Seite 15 allerdings nach Ablauf von drei Monaten seit der Einreise verlangen, dass das Bestehen der Freizügigkeitsberechtigung glaubhaft gemacht wird. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU sind Unionsbürger ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass die Freizügigkeitsberechtigung nicht vorliegt. Eine solche Feststellung ist möglich: – wenn die Voraussetzungen der Freizügigkeitsberechtigung nicht (mehr) vorliegen, § 5 Abs. 4 FreizügG/EU, – wenn das Vorliegen der Voraussetzungen der Freizügigkeitsberechtigung durch gefälschte Dokumente oder Vorspiegelung falscher Tatsachen vorgetäuscht wurde, § 2 Abs. 7 FreizügG/EU oder – aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, § 6 Abs. 1 FreizügG/EU. Bei Daueraufenthaltsberechtigten ist die Feststellung über den Verlust der Freizügigkeit gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zulässig. Im Feststellungsbescheid soll gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 FreizügG/EU die Abschiebung angedroht und eine Ausreisefrist gesetzt werden. Folge der Feststellung über den Verlust der Freizügigkeit ist, dass gemäß § 11 Abs. 2 FreizügG/EU die Regelungen des AufenthG Anwendung finden, sofern im Freizüg G/EU keine besonderen Regelungen getroffen sind. Die Anwendbarkeit des AufenthG führt dazu, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 4 AufenthG möglich ist. In Betracht kommt etwa eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 4 oder 5 AufenthG. ***