© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 114/17 Zum räumlichen Schutzbereich der Versammlungsfreiheit Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Die BImA habe die Durchführung einer Demonstration unter Berufung auf ihre politische Neutralität abgelehnt. Mit derselben Begründung lehne es die BImA darüber hinaus ab, ihre Liegenschaften für „Veranstaltungen politischen, religiösen, kulturellen oder sonstigen Charakters“ zur Verfügung zu stellen.1 Vor diesem Hintergrund wird die allgemeine Frage nach der von der Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Wahl des Veranstaltungsortes gestellt. Insbesondere soll unter Berücksichtigung der sog. Fraport-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts2 geprüft werden, ob eine Behörde die Durchführung einer Demonstration auf dem allgemein zugänglichen Teil ihres Verwaltungsgeländes gestatten muss. 2. Räumlicher Schutzbereich der Versammlungsfreiheit Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schützt das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG die örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen , auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtete Erörterung oder Kundgebung.3 Dabei gewährleistet es auch das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung.4 In Bezug auf den Ort der Veranstaltung betont das Bundesverfassungsgericht , die Grundrechtsträger müssten selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen – gegebenenfalls auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen – am wirksamsten zur Geltung bringen können.5 Das Selbstbestimmungsrecht über den Ort der Veranstaltung kann man dem räumlichen Schutzbereich der Versammlungsfreiheit zuordnen.6 Das Bundesverfassungsgericht hat den räumlichen Schutzbereich der Versammlungsfreiheit insbesondere in seiner Fraport-Entscheidung näher konkretisiert. 2.1. Fraport-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall ging es um die Frage, ob die Fraport AG, ein im Mehrheitseigentum der öffentlichen Hand stehendes privates Unternehmen, der unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegt und damit bei der Ausübung ihres Hausrechts das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu beachten hat, ohne sich in einem Zivilrechtsstreit auf eigene 1 Vgl. dazu die Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage in BT-Drs. 18/12322, 34. 2 BVerfGE 128, 226. 3 BVerfGE 104, 92, 104. 4 BVerfGE 69, 315, 343. 5 BVerfGE 128, 226, 251. 6 Siehe Krisor-Wietfeld, Rahmenbedingungen der Grundrechtsausübung (2016), 194 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 114/17 Seite 4 Grundrechte berufen zu können.7 In diesem Zusammenhang war auch zu klären, ob der Frankfurter Flughafen überhaupt als ein vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit umfasster Raum angesehen werden kann. Im Ergebnis geht das Bundesverfassungsgericht für wesentliche Bereiche des Frankfurter Flughafens von der Eröffnung des (räumlichen) Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG aus. Im Zentrum der Begründung steht die Funktion dieser Bereiche als Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs. Die Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs wiederum zeichneten sich dadurch aus, dass sie der Öffentlichkeit allgemein zugänglich sind und – dem Leitbild des öffentlichen Forums entsprechend – die Wahrnehmung einer Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten, Anliegen und kommunikativen Nutzungen ermöglichten.8 Dazu führt das Bundesverfassungsgericht aus: „Wenn Orte in tatsächlicher Hinsicht ausschließlich oder ganz überwiegend nur einer bestimmten Funktion dienen, kann in ihnen – außerhalb privater Nutzungsrechte – die Durchführung von Versammlungen nach Art. 8 Abs. 1 GG nicht begehrt werden. Anders ist dies indes dort, wo die Verbindung von Ladengeschäften, Dienstleistungsanbietern, Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen einen Raum des Flanierens schafft und so Orte des Verweilens und der Begegnung entstehen. Werden Räume in dieser Weise für ein Nebeneinander verschiedener, auch kommunikativer Nutzungen geöffnet und zum öffentlichen Forum, kann aus ihnen gemäß Art. 8 Abs. 1 GG auch die politische Auseinandersetzung in Form von kollektiven Meinungskundgaben durch Versammlungen nicht herausgehalten werden. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet den Bürgern für die Verkehrsflächen solcher Orte das Recht, das Publikum mit politischen Auseinandersetzungen, gesellschaftlichen Konflikten oder sonstigen Themen zu konfrontieren.“9 Mit dem Abstellen auf die Funktion eines Raumes als Ort des allgemeinen kommunikativen Verkehrs geht das Bundesverfassungsgericht über den öffentlichen Straßenraum als dem „natürlichen […] Forum, auf dem die Bürger ihre Anliegen besonders wirksam in die Öffentlichkeit tragen und hierüber die Kommunikation anstoßen können“, hinaus und bezieht auch private Räume in den räumlichen Schutzbereich der Versammlungsfreiheit mit ein. Die Orte des allgemeinen kommunikativen Verkehrs beschränken sich aber nicht auf private Räume. Das Bundesverfassungsgericht konkretisiert diese Orte vielmehr allgemein in Abgrenzung zu „Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums“.10 Somit können auch andere Räume der öffentlichen Hand außerhalb des öffentlichen Straßenraums als Orte des allgemeinen kommunikativen Verkehrs in den räumlichen Schutzbereich der Versammlungsfreiheit fallen. In diesem Sinn sah das Bundesverfassungsgericht in einer anderen Entscheidung einen Friedhof als einen von der Versammlungsfreiheit geschützten Veranstaltungsort an. Da der Friedhof durch die Genehmigung eines Gedenkzugs jedenfalls für einen bestimmten Zeitpunkt für den allgemeinen kommunikativen 7 BVerfGE 128, 226, 247 f. 8 BVerfGE 128, 226, 252 f. 9 BVerfGE 128, 226, 253 f. 10 BVerfGE 128, 226, 252 (Hervorhebung nicht im Original). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 114/17 Seite 5 Verkehrs geöffnet worden sei, hätten sich auch die Teilnehmer einer Protestveranstaltung in Bezug auf den Friedhof als Veranstaltungsort auf die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG berufen können.11 Keine Orte des allgemeinen kommunikativen Verkehrs sind nach der Fraport-Rechtsprechung hingegen solche Orte, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird.12 Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus: „Die Durchführung von Versammlungen etwa in Verwaltungsgebäuden oder in eingefriedeten , der Allgemeinheit nicht geöffneten Anlagen ist durch Art. 8 Abs. 1 GG ebenso wenig geschützt wie etwa in einem öffentlichen Schwimmbad oder Krankenhaus.“13 2.2. Verwaltungsgelände als Ort des allgemeinen kommunikativen Verkehrs Nach der o.g. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind zwar Verwaltungsgebäude als Veranstaltungsorte vom räumlichen Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ausgeschlossen, nicht aber Verwaltungsgelände, die allgemein zugänglich sind und für die ein allgemeiner kommunikativer Verkehr eröffnet wurde. Die allgemeine Zugänglichkeit und die Eröffnung eines allgemeinen kommunikativen Verkehrs von Bereichen eines Verwaltungsgeländes können nicht abstrakt bestimmt werden, sondern sind anhand der konkreten örtlichen Umstände zu prüfen. Es kommt in Betracht, dass die hier fraglichen allgemein zugänglichen Grünflächen von Verwaltungsgeländen Orte des allgemeinen kommunikativen Verkehrs darstellen, insbesondere wenn die Grünflächen an den allgemeinen Straßenraum angrenzen und keine besonderen Zweckbestimmungen erkennbar sind. So hatte beispielsweise das Oberverwaltungsgericht Nordrhein- Westfalen (OVG NRW) über eine allgemein zugängliche öffentliche Grünfläche als Veranstaltungsort für eine Versammlung zu entscheiden, die von Wegen durchzogen war und u.a. an eine Ganztagsschule und an einen öffentlichen Spielplatz angrenzte. Die Protestaktion auf dieser Grünfläche richtete sich gegen die Errichtung des Lebensmittelmarktes an dieser Stelle. Das OVG NRW kam nach summarischer Prüfung zu dem Ergebnis, dass „die Versammlung unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit auf einer öffentlichen Grünfläche stattfindet, auf der trotz fehlender straßenrechtlicher Widmung in ähnlicher Weise ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist.“14 2.3. Mögliche Eingriffe in den räumlichen Schutzbereich der Versammlungsfreiheit Auch wenn der gewählte Veranstaltungsort einen Ort des allgemeinen kommunikativen Verkehrs darstellt und der räumliche Schutzbereich der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG eröffnet ist, kommen versammlungsbeschränkende Maßnahmen in Bezug auf den Veranstaltungsort in 11 BVerfG, Urt. v. 20.06.2014 – 1 BvR 980/13, BeckRS 2014, 54506. 12 BVerfGE 128, 226, 251, 253. 13 BVerfGE 128, 226, 251. 14 OVG NRW, Beschl. v. 27.02.2014 – 5 B 243/14, BeckRS 48485. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 114/17 Seite 6 Betracht. Die Eröffnung eines grundrechtlichen Schutzbereichs führt nämlich nicht schon „automatisch “ zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der beabsichtigten Grundrechtsbetätigung. Vielmehr unterliegen die Grundrechte Einschränkungsmöglichkeiten. Für Versammlungen unter freiem Himmel sieht Art. 8 Abs. 2 GG die Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes vor.15 In diesem Sinne regelt § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz des Bundes, dass die zuständige Versammlungsbehörde öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel von bestimmten Auflagen abhängig machen kann, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.16 Eine solche Auflage könnte die Verlegung des Veranstaltungsortes zum Schutz anderer Rechtsgüter sein. Zu beachten ist dabei aber, dass die Beschränkung der Versammlungsfreiheit nicht unbegrenzt möglich ist, sondern sich im Rahmen einer Abwägung der betroffenen Rechtsgüter mit der Versammlungsfreiheit als verhältnismäßig erweisen muss.17 3. Genehmigungsbedürftigkeit in Bezug auf den Veranstaltungsort? Geht man davon aus, dass das fragliche Verwaltungsgelände als Ort des allgemeinen kommunikativen Verkehrs einzuordnen ist, stellt sich die weitere Frage, ob die Nutzung als Veranstaltungsort für eine Versammlung der Genehmigung bedarf. Versammlungen im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG18 unterliegen einfachgesetzlich den jeweils anwendbaren Versammlungsgesetzen. Diese sehen keine Genehmigungspflicht von Versammlungen vor,19 sondern regeln allein die Anmeldung von Versammlungen unter freiem Himmel bei der zuständigen Versammlungsbehörde (§ 14 Abs. 1 Versammlungsgesetz des Bundes).20 Soweit eine 15 Versammlungen an Orten des allgemeinen kommunikativen Verkehrs sind Versammlungen unter freiem Himmel im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG, vgl. dazu BVerfGE 128, 226, 255 f. 16 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf das Versammlungsgesetz des Bundes. Durch die Föderalismusreform I von 2006 ist die Gesetzeskompetenz für das Versammlungsrecht in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder übergegangen. Einige Bundesländer haben inzwischen eigene Versammlungsgesetze erlassen bzw. das des Bundes in Landesrecht überführt. Im Hinblick auf die angesprochenen Befugnisnormen ergeben sich jedoch keine wesentlichen Abweichungen zwischen Bundes- und Landesrecht. 17 Vgl. dazu BVerfG NJW 2007, 2167, 2169: „Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schützt das Interesse des Veranstalters, auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu zielen, also gerade auch durch eine möglichst große Nähe zu dem symbolhaltigen Ort (…), hier des G8-Gipfels. Die Versammlungsbehörde hat in der Verbotsverfügung selbst festgehalten, dass der Zaun auf Grund seiner Baukosten sowie seiner optischen Wirkung ‚das besondere Interesse der Öffentlichkeit und insbesondere der Gipfelkritiker‘ auf sich ziehe. Dass ein Versammlungsveranstalter darauf bedacht ist, dieses Interesse auch zur Konzentration der öffentlichen Aufmerksamkeit auf seine Protestveranstaltung zu richten, ist von seinem Selbstbestimmungsrecht umfasst. Eine andere Frage ist, ob dieses Interesse gegebenenfalls im Zuge einer Güterabwägung zurückzutreten hat.“ 18 Siehe dazu oben unter Ziff. 2. 19 Siehe dazu auch die Formulierung in Art. 8 Abs. 1 GG „(…) das Recht, sich ohne (…) Erlaubnis (…) zu versammeln “. 20 Zur Anmeldepflicht vgl. BVerfGE 69, 315, 349 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 114/17 Seite 7 Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG an einem Ort des allgemeinen kommunikativen Verkehrs stattfinden soll, greift der Schutz der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG und es besteht nach den anwendbaren Versammlungsgesetzen auch in Bezug auf den Veranstaltungsort keine Genehmigungspflicht.21 Die hier fragliche Versammlung auf einem Verwaltungsgelände müsste demnach – wenn es sich insoweit um einen Ort des allgemeinen kommunikativen Verkehrs handelt – lediglich bei der zuständigen Versammlungsbehörde angemeldet werden. Eine weitere Genehmigung für die Nutzung des Veranstaltungsortes durch den Verfügungsberechtigten wäre nicht erforderlich. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der Veranstaltungsort, wie z.B. eine Stadthalle, gerade nicht als Ort des allgemeinen kommunikativen Verkehrs einzuordnen ist. In diesem Fall richtet sich die Zugangsentscheidung nach der jeweiligen Widmung und den ggf. bestehenden Benutzungsbestimmungen . *** 21 Vgl. dazu auch Krüger, Versammlungsfreiheit in privatisierten öffentlichen Räumen, DÖV 2012, 837, 843: „Diese Räume [gemeint sind Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs] sind für Demonstrationen originär geöffnet, und Demonstrationen stellen keine erlaubnispflichtigen Sondernutzungen dar. Möglich sind folglich insbesondere Spontanversammlungen auf dem betreffenden Gelände.“