© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 113/20 Fragen zu Migration und Flüchtlingsschutz in Australien Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 113/20 Seite 2 Fragen zu Migration und Flüchtlingsschutz in Australien Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 113/20 Abschluss der Arbeit: 12. Mai 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 113/20 Seite 3 1. Einleitung Die Wissenschaftlichen Dienste wurden um statistische Angaben zur legalen und illegalen Einwanderung nach Australien innerhalb der letzten 10 Jahre gebeten. Ferner wurde gefragt, ob das australische Recht Verpflichtungen zur Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen aus dem Ausland begründet und ob für abgelehnte Asylbewerber ein sog. Spurwechsel zulässig ist, der die Erteilung von Aufenthaltstiteln insbesondere zum Zwecke der Erwerbstätigkeit ermöglicht. 2. Pflichten zur Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen Laut Auskunft Australiens bestehen weder verfassungs- noch einfachrechtliche Verpflichtungen, Migranten oder Flüchtlinge aus dem Ausland aufzunehmen. Das Völkerrecht, insbesondere die auch für Australien geltende Genfer Flüchtlingskonvention, begründet ebenfalls keine Verpflichtungen zur Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen.1 3. Zahlen zu Asyl und Migration 3.1. Migrationsprogramm Die Zahl der im Rahmen des australischen Migrationsprogramms verfügbaren Plätze wird jährlich festgelegt. Dabei wird nach den Kategorien Skill, Family, Special Eligibility und Child differenziert. Die Skill-Kategorie hat die größte Aufnahmekapazität. Sie dient der Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität und soll den Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt eindämmen. Die Family-Kategorie umfasst Familienangehörige australischer Staatsbürger. Im Rahmen der Special Eligibility- Kategorie finden besondere Migrationsumstände Berücksichtigung. Finanzjahr Skill Family Special Eligibility Child Insgesamt 2009-10 107.868 60.254 501 168.623 2010-11 113.725 54.543 417 168.685 2011-12 125.755 58.604 639 184.998 2012-13 128.973 60.185 842 190.000 2013-14 128.550 61.112 338 190.000 2014-15 127.774 61.085 238 189.097 2015-16 128.550 57.400 308 3.512 189.770 2016-17 123.567 56.220 421 3.400 183.608 2017-18 111.099 47.732 236 3.350 162.417 2018-19 109.713 47.247 115 3.248 160.323 Quelle: Australian Government Department of Home Affairs, 2018 – 19 Migration Program Report, S. 12. 1 Vgl. dazu bereits den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, „Fragen zu Migration und Flüchtlingsschutz in Deutschland, Kanada, Neuseeland und den USA“ (WD 3 - 3000 - 010/20, WD 2 - 3000 - 006/20), S. 4 f. (letzter Abruf aller im hiesigen Sachstand enthaltenen Verweise auf Internetfundstellen: 6. Mai 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 113/20 Seite 4 3.2. Humanitäre Programme Australien verfügt über zwei unterschiedliche humanitäre Schutzprogramme: Das sog. Offshore Humanitarian Program unterstützt Personen, die sich noch außerhalb Australiens (offshore) befinden und Schutz in Australien suchen. Das sog. Onshore Humanitarian Program unterstützt schutzbedürftige Personen, die sich bereits innerhalb Australiens (onshore) aufhalten.2 3.2.1. Offshore Humanitarian Program Das Offshore Humanitarian Program umfasst drei Schutzformen: Flüchtlingsschutz, das Special Humanitarian Program und das Community Support Program. Personen, die in ihrem Herkunftsland Verfolgung ausgesetzt sind, können als Flüchtling (Refugee) aufgenommen werden. Üblicherweise werden diese Personen durch den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) in das Offshore Humanitarian Program Australiens vermittelt. Das Special Humanitarian Program umfasst Personen, die in ihrem Herkunftsland unter erheblicher Verletzung der Menschenrechte diskriminiert werden und eine besondere Verbindung zu Australien vorweisen können. Das Community Support Program bietet private Unterstützung für volljährige und arbeitsfähige Personen in humanitären Notlagen, die binnen eines Jahres finanzielle Unabhängigkeit in Australien erreichen. Aufnahmen im Offshore Humanitarian Program im Finanzjahr 2014-15 2015-16 2016-17 2017-18 2018-19 Refugee Subclass 200 (Refugee) 4.848 6.843 8.328 5.890 6.666 Subclass 201 (In-Country) 133 162 265 1.078 1.861 Subclass 203 (Emergency Rescue) 11 2 16 1 7 Subclass 204 (Woman at Risk) 993 1.277 1.044 940 917 Insgesamt 5.985 8.248 9.653 7.909 9.451 Special Humanitarian Program 4.996 7.268 10.604 6.916 7.661 Community Support Program 507 401 608 326 563 Insgesamt 10.981 15.552 20.257 14.825 17.112 Quelle: Australian Government, Department of Home Affairs, Australias’s offshore Humanitarian Program: 2018-19, S. 4. 2 Weitere Informationen zu den Programmen unter Australian Government, Department of Home Affairs, Discussion Paper. Australia’s Humanitarian Program 2019-20 und Visa statistics. Humanitarian Program. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 113/20 Seite 5 3.2.2. Onshore Humanitarian Program Das Onshore Humanitarian Program richtet sich an Schutzsuchende, die sich bereits innerhalb Australiens befinden. Seit 2013 kann es ausschließlich von Personen in Anspruch genommen werden, die nach legaler Einreise nach Australien entweder als Flüchtling eingestuft werden oder den Schutzkriterien des Migration Act 1958 entsprechen. Onshore Humanitarian Program - Jährliche Gesamtzahl nach legaler Einreise 2014-15 2015-16 2016-17 2017-18 2018-19 2.747 2.003 1.711 1.425 1.650 Quelle: Australian Government Department of Home Affairs, Visa statistics. Humanitarian Program. 4. Illegale Migration Die australische Regierung veröffentlicht keine Übersichten zur Gesamtzahl der Personen, die innerhalb eines Jahres oder Finanzjahres illegal eingereist sind. Allerdings können den Monatsstatistiken der australischen Regierung über in Gewahrsam befindliche Immigranten Anhaltspunkte bezüglich illegaler Migration nach Australien entnommen werden, da Personen, die kein gültiges Visum besitzen, nach dem Migrationsgesetz von 1958 grundsätzlich in Gewahrsam genommen werden müssen.3 Die meisten im Jahr 2020 in Gewahrsam befindlichen Personen sind zuvor mit einem Visum eingereist, welches dann für ungültig erklärt wurde (visa cancellation); es folgt die Gruppe der illegal auf dem Seeweg eingereisten Personen (illegal maritime arrivals – IMA); an dritter Stelle stehen diejenigen, deren Visa abgelaufen sind (overstayer), und an letzter Stelle die auf dem Luftweg eingereisten Personen.4 4.1. Illegale Einreise auf dem Luftweg Den Wissenschaftlichen Diensten liegen keine detaillierten Informationen zu illegalen Einreisen auf dem Luftweg innerhalb der letzten 10 Jahre vor. Im Januar 2020 lag die Zahl der Personen, die illegal auf dem Luftweg eingereist und in Gewahrsam genommen wurden bei 43, im Februar bei 46 und im März bei 28.5 Die Gewahrsamsstatistiken weisen zwar in gestaffelten Kategorien die Dauer des Gewahrsams aus,6 enthalten aber keine konkreten Angaben dazu, wann die Einreise erfolgt ist. 3 Australian Boarder Force, Immigration Detention in Australia. 4 Australian Government, Department of Home Affairs, Immigration Detention and Community Statistics Summary 31. Januar 2020, S. 7; 29. Februar 2020, S. 7; 31. March 2020, S. 7. 5 Siehe Australian Government, Department of Home Affairs, Immigration Detention and Community Statistics Summary (Fn. 4). 6 Australian Government, Department of Home Affairs, Immigration Detention and Community Statistics Summary (Fn. 4), jeweils S. 11. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 113/20 Seite 6 In den Medien wird berichtet, dass die Zahl der mit einem Visum zu Reisezwecken (Electronic Travel Authority – ETA) auf dem Luftweg eingereisten Personen, die danach Schutz beantragen, seit 2014 steigt.7 4.2. Illegale Einreise auf dem Seeweg Nach einem deutlichen Anstieg der Bootsankünfte startete die australische Regierung im September 2013 die bis heute andauernde Operation Sovereign Borders, die durch die Maritime Border Force durchgeführt und durch eine Einsatzgruppe weiterer Regierungseinheiten unterstützt wird.8 Festgestellte Bootsankünfte in Australien Jahr Zahl der Boote Zahl der Personen* 2009 60 2726 2010 134 6.555 2011 69 4.565 2012 278 17.204 2013 300 20.587 2014 1 160 2015 0 0 2016 0 0 2017 0 0 2018 2 >17** 2019 3 38 Januar-April 2020 1 8 * bis 2016 ohne Besatzungsmitglieder, ab 2017 keine Unterscheidung möglich ** Bezüglich eines Schiffs keine Angaben zur Personenzahl Quellen: 2005-2016: Parliament of Australia, Boat arrivals and boat “turnbacks“ in Australia since 1976: a quick guide to the statistics, Stand 17. Januar 2017; 2017 bis 2019 und Januar bis April 2020: Australian Border Force, Operation Sovereign Borders, monthly updates. 7 Siehe etwa ABC News, The new 'boat people'? How Labor's focus on air arrivals only hints at new immigration challenge , 8. Oktober 2019. 8 Australien Government, Department of Home Affairs, Operation Sovereign Borders (Joint Agency Task Force), Internetauftritt zur Vorstellung der Operation für die Öffentlichkeit: https://osb.homeaffairs.gov.au/home. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 113/20 Seite 7 Im September 2012 wurde ein sog. Regional Processing Centre (RPC) auf dem Gebiet des pazifischen Inselstaates Nauru für die Aufnahme von Personen in Betrieb genommen, die illegal auf dem Seeweg nach Australien eingereist waren.9 Im August 2013 wurde auch ein RPC (zuvor: Offshore Processing Centre) auf der Insel Manus (Papua Neuguinea) wiedereröffnet. Nach Angaben der Australian Border Force wurden seit Januar 2015 keine IMA mehr in die Regional Processing Centre verbracht.10 Das RPC Manus bestand bis Oktober 2017.11 Zuvor hatte das Oberste Gericht Papua Neuguineas im April 2016 geurteilt, dass die Internierung unrechtmäßig die persönliche Freiheit der Betroffenen einschränke.12 Seit März 2019 sind keine Personen mehr im RPC Nauru untergebracht .13 Es befinden sich aber noch ehemals in den RPC internierte Personen auf Nauru und Manus, deren Flüchtlingsstatus noch geprüft wird, die als Flüchtlinge anerkannt wurden und im Rahmen von Resettlementverfahren in andere Staaten umgesiedelt werden sollen oder die als Flüchtlinge abgelehnt wurden.14 Die zwischen dem 13. August 2012 und dem 1. Januar 2014 illegal auf dem Seeweg nach Australien eigereisten Schutzsuchenden (illegal maritime arrivals; IMA) können seit 2014 ein Temporäres Schutzvisum oder ein Safe Haven Enterprise-Visum beantragen. Temporäre Schutzvisa berechtigen zu einem dreijährigen, „Safe Haven Enterprise“ Visa zu einem fünfjährigen legalen Aufenthalt. Die Verfahren der genannten Personengruppe werden als „IMA Legacy Caseload“ (Altfälle von illegal auf dem Seeweg eingereisten Migranten) bezeichnet. Bewältigung des IMA Legacy Caseload - Januar 2014 bis März 2020 Erteilte Temporäre Schutzvisa 8.431 Erteilte Safe Haven Enterprise Visa 16.647 Anträge in Bearbeitung 5.958 Entschiedene Anträge (einschließlich Ablehnungen) 25.078 Insgesamt 31.036 Quelle: Australian Government Department of Home Affairs, IMA Legacy Caseload Report on Processing Status and Outcomes March 2020. 9 Australian Government, Department of Home Affairs, Reviews and Inquiries, Departmental Inquiries, Nauru Regional Processing Centre. 10 Australian Border Force, Operation Sovereign Borders, monthly updates. 11 Australian Government, Department of Home Affairs, Reviews and Inquiries, Departmental Inquiries, Manus Regional Processing Centre. 12 Vgl. bspw. Deutsche Welle, Papua-Neuguinea will australisches Flüchtlingslager schließen, 27. April 2016. 13 Australian Border Force, Operation Sovereign Borders, monthly updates. 14 Australian Government, Department of Home Affairs, Statistics of transitory persons in Nauru and PNG, Key Statistics at 31 March 2020. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 113/20 Seite 8 5. Aufenthaltstitel und Erwerbstätigkeit nach abgelehntem Asylverfahren Während des Asylverfahrens können Personen ein Überbrückungsvisum (Bridging Visa E) erhalten .15 Dieses Überbrückungsvisum berechtigt zum legalen Aufenthalt in Australien und kann eine Arbeitserlaubnis enthalten. Das Überbrückungsvisum ist auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt. Personen, die nicht als schutzbedürftig eingestuft wurden, müssen Australien nach Ablauf ihres Visums verlassen. Geschieht die Ausreise nicht auf freiwilliger Basis, so können Festnahme und Abschiebung angeordnet werden. *** 15 Australian Government, Department of Home Affairs, Bridging visa E (BVE).