© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 112/20 Zustimmungserfordernis des Bundesrates nach Art. 80 Abs. 2 GG Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Für den Erlass einer Rechtsverordnung nach § 5 Abs. 2 IfSG ist keine Zustimmung des Bundesrates vorgesehen. Die Zustimmungsbedürftigkeit bestimmter Rechtsverordnungen auf Bundesebene ist in Art. 80 Abs. 2 GG näher geregelt. Dieser lautet: „Der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, vorbehaltlich anderweitiger bundesgesetzlicher Regelung, Rechtsverordnungen der Bundesregierung oder eines Bundesministers über Grundsätze und Gebühren für die Benutzung der Einrichtungen des Postwesens und der Telekommunikation , über die Grundsätze der Erhebung des Entgelts für die Benutzung der Einrichtungen der Eisenbahnen des Bundes, über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen, sowie Rechtsverordnungen auf Grund von Bundesgesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen oder die von den Ländern im Auftrage des Bundes oder als eigene Angelegenheit ausgeführt werden.“2 2. Rechtliche Würdigung Art. 80 GG regelt die Möglichkeit der Rechtssetzung durch die Exekutive mittels Rechtsverordnungen . Art. 80 Abs. 2 GG bestimmt unter welchen Voraussetzungen Rechtsverordnungen der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Die häufigsten Fälle sind, wenn die Länder die Gesetze ausführen, ihnen also die Verwaltungskompetenz zukommt, oder die Rechtsverordnung auf der Grundlage eines Bundesgesetzes ergangen ist, das seinerseits der Zustimmung durch den Bundesrat bedurfte. Die Regelung dient dem Schutz der Mitwirkungsrechte des Bundesrates bei der Rechtssetzung. Diese sollen auch erhalten bleiben, wenn die Rechtssetzung an die Exekutive delegiert wird.3 Die Regelung sieht vor, dass das Erfordernis einer Zustimmung des Bundesrates „vorbehaltlich anderweitiger bundesgesetzlicher Regelung“ besteht. Das bedeutet, dass die Möglichkeit gegeben ist, durch ein Bundesgesetz die Zustimmungsbedürftigkeit zu beseitigen oder auch auf Bereiche auszudehnen, für die eigentlich keine Zustimmungsbedürftigkeit besteht.4 Überwiegend wird in der Literatur verlangt, dass das Gesetz, durch das ein Zustimmungserfordernis beseitigt wird, 1 Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages „Staatsorganisationsrecht und § 5 Infektionsschutzgesetz“ vom 2.4.2020, WD 3 - 3000 - 080/20. 2 Hervorhebung nur hier. 3 BVerfG, Beschluss vom 1.4.2014 – 2 BvF 1/12, Rn. 74, BVerfGE 136, 69. 4 Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 80 Rn. 38; Wallrabenstein, in: v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 80 Rn. 55 f.; Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 80 Rn. 175. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 112/20 Seite 4 selbst mit der Zustimmung des Bundesrates erlassen worden sein muss.5 Der dahinterstehende Rechtsstreit muss hier jedoch nicht entschieden werden. Dem (ersten) Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (1. BevSchG) hatte der Bundesrat am 27. März 2020 zugestimmt.6 Dieses enthielt zahlreiche Verordnungsermächtigungen nach § 5 Abs. 2 IfSG ohne weitere Zustimmung des Bundesrates. Der Gesetzentwurf zum Zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (2. BevSchG) – einschließlich darin geplanter Erweiterungen der Verordnungsermächtigungen nach § 5 Abs. 2 IfSG – sieht ebenso die Zustimmung des Bundesrates für das Gesetz vor.7 Weitere Voraussetzungen, wie ein besonderer sachlicher Grund oder ähnliches, müssen für ein Entfallen des Zustimmungserfordernisses durch anderweitige bundesgesetzliche Regelung nach Art. 80 Abs. 2 GG nicht erfüllt sein.8 Gewisse Einschränkungen hat jedoch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) herausgearbeitet. Es betont: „Das Zustimmungserfordernis darf nur unter den Voraussetzungen entfallen, denen der Bundesrat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zugestimmt hat. Daraus folgt allerdings nicht mehr als das, was sich aus der Bindung an die gesetzliche Regelung (Art. 20 Abs. 3 GG) ohnehin ergibt: Die Voraussetzungen, unter denen nach der ‚anderweitigen bundesgesetzlichen Regelung‘ eine Zustimmung des Bundesrates entbehrlich ist, dürfen nicht über ihren im Wege der anerkannten Auslegungsmethoden zu ermittelnden Gehalt hinaus ausgedehnt werden.“9 In den mit dem 1. BevSchG in § 5 Abs. 2 Nr. 3, 4, 7 und 8 IfSG eingefügten Verordnungsermächtigungen ist ausdrücklich benannt, dass die Verordnungen „ohne Zustimmung des Bundesrates“ erlassen werden können. Dasselbe gilt auch für die mit dem 2. BevSchG geplanten Verordnungsermächtigungen in § 5 Abs. 2 Nr. 4 und 10 IfSG. Insofern war der Wegfall des Zustimmungserfordernisses mit Zustimmung zum 1. BevSchG für den Bundesrat nicht überraschend oder in irgendeiner Art verschleiert. Mit einer Zustimmung zum 2. BevSchG würde der Bundesrat ebenso offen auf die Ausübung seiner Befugnisse nach Art. 80 Abs. 2 GG verzichten. Dies deutet neben den bereits erörterten Fragestellungen darauf hin, dass alle bekannten Prinzipien der Rechtssetzung auch in diesem Zusammenhang gelten. Der Verweis auf Art. 20 Abs. 3 GG erinnert an die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung. 5 BVerfG, Beschluss vom 24.2.1970 – 2 BvL 12/69 u.a., BVerfGE 28, 66, 77 ff.; BVerfG, Beschluss vom 1.4.2014 – 2 BvF 1/12, Rn. 75, BVerfGE 136, 69; Wallrabenstein, in: v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 80 Rn. 56 m.w.N.; a.A. Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 80 Rn. 176 f. 6 Beschluss des Bundesrates vom 27.3.2020, BR-Drs. 151/20. 7 BT-Drs. 19/18967, S. 12. 8 BVerfG, Beschluss vom 1.4.2014 – 2 BvF 1/12, Rn. 75, BVerfGE 136, 69. 9 BVerfG, Beschluss vom 1.4.2014 – 2 BvF 1/12, Rn. 74, BVerfGE 136, 69. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 112/20 Seite 5 Jedoch ist zweifelhaft, ob die in Art. 80 Abs. 1 GG angelegten Anforderungen nach Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit der Regelungen,10 die aufgrund der Verordnungsermächtigung erlassen werden können, erfüllt sind. Diese sind auch Teil der verfassungsmäßigen Ordnung nach Art. 20 Abs. 3 GG. Mit den Anforderungen der Erkenn- und Vorhersehbarkeit hat sich für die Verordnungsermächtigungen im 1. BevSchG bereits ausführlich die Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 080/20 auseinander gesetzt. Diese kam zu dem Ergebnis, dass insbesondere die Abweichungskompetenzen von einer nahezu unüberschaubaren Zahl an gesetzlichen Regelungen nicht mit den genannten Anforderungen vereinbar sind.11 Dies ist vorliegend insbesondere deshalb relevant, weil zahlreiche der Normen, von denen durch Rechtsverordnung abgewichen werden kann, ursprünglich mit Zustimmung des Bundesrates erlassen wurden. Zum Beispiel wurden das Fünfte Sozialgesetzbuch, das Arzneimittelgesetz und das Pflegeberufsgesetz mit Zustimmung des Bundesrates erlassen. Von diesen kann nun durch Rechtsverordnung abgewichen werden. Das BVerfG stellt die genannten Anforderungen an das Parlament in „seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft“.12 Da auch der Bundesrat mit seiner Zustimmung für das 1. und 2. BevSchG als gesetzgebende Körperschaft auftritt, kann davon ausgegangen werden, dass diese Anforderungen auch bezüglich des Bundesrates gelten. Insoweit hätte der Bundesrat dem 1. BevSchG nicht zustimmen dürfen, wenn er damit auf weitere Zustimmungserfordernisse in einer nicht überschau- und einschätzbaren Fülle verzichtet. Die durch das 2. BevSchG eingefügten Änderungen bzw. neuen Verordnungsermächtigungen nach § 5 Abs. 2 Nr. 4 und 10 IfSG scheinen insoweit aber wesentlich konkreter und vorhersehbarer gefasst. Unschädlich ist die in § 5 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 10 IfSG nach dem Entwurf zum 2. BevSchG enthaltene Formulierung, dass „insbesondere“ bestimmte Regelungsgegenstände von der Verordnungsermächtigung umfasst sein sollen. Mit dieser näheren Beschreibung des potentiellen Verordnungsinhalts kommt der Gesetzgeber gerade den Anforderungen an die Erkenn- und Vorhersehbarkeit nach. *** 10 BVerfG, Beschluss vom 8.6.1988 – 2 BvL 9/85 und 3/86, Rn. 71, BVerfGE 78, 249, 272. 11 Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages „Staatsorganisationsrecht und § 5 Infektionsschutzgesetz“ vom 2.4.2020, WD 3 - 3000 - 080/20, S. 5 ff. 12 BVerfG, Beschluss vom 8.6.1988 – 2 BvL 9/85 und 3/86, Rn. 71, BVerfGE 78, 249, 272.