© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 112/18 Grenzüberschreitende technische Ortung von Personen zur Gefahrenabwehr Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 112/18 Seite 2 Grenzüberschreitende technische Ortung von Personen zur Gefahrenabwehr Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 112/18 Abschluss der Arbeit: 17. April 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 112/18 Seite 3 1. Fragestellung Geheimdienste, Polizei und Strafverfolgungsbehörden setzen technische Mittel ein, um Personen grenzüberschreitend zu orten. Die Ortung kann der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung dienen. Es stellt sich die Frage, welche Rechtsgrundlagen gelten, wenn Deutschland Aufenthaltsstaat der überwachten Person ist. 2. Grundsatz: Einverständnis des Aufenthaltsstaates notwendig 2.1. Hoheitsgewalt des Aufenthaltsstaates Öffentliche Hoheitsträger können nicht auf fremdem Staatsgebiet tätig werden, es sei denn, der ausländische Staat stimmt zu. Insoweit gilt das völkerrechtliche Verbot der Vornahme von Hoheitsakten auf fremdem Staatsgebiet.1 Dabei beurteilt sich letztlich aus Sicht des in seiner Gebietshoheit betroffenen ausländischen Staates, ob eine Person hoheitlich handelt.2 Geheimdienstliche oder polizeiliche Überwachungsmaßnahmen sind hoheitliche Tätigkeiten. 2.2. Rechtsfolge fehlenden Einverständnisses Ein Handeln ausländischer Hoheitsträger ohne Einverständnis des deutschen Staates zieht mehrere Rechtsfolgen nach sich: – Ausländische, geheimdienstliche Tätigkeiten gegen die Bundesrepublik sind gem. § 99 Strafgesetzbuch (StGB) strafbewehrt. Auch die Ausspähung von Ausländern in der Bundesrepublik erfüllt diesen Tatbestand.3 – Die unerlaubte Datenerhebung kann den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat nach Bundesdatenschutzgesetz erfüllen (§§ 43, 44 BDSG). – Ferner kommen je nach Sachverhalt weitere Straftatbestände in Betracht, wie z. B. § 202a StGB „Ausspähen von Daten“. – Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass ohne Zustimmung des ausländischen Staates erlangte Informationen ausländischer Amtsträger in Deutschland als Beweismittel nicht verwertbar sind.4 1 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 3. Auflage 2002, § 60 II 2 c; Hoppe, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG, 2015, § 10 Rn. 45, mit weiteren Einzelfällen. 2 Ipsen, Völkerrecht, 5. Auflage 2004, § 23 Rn. 70. 3 So z.B. KG NStZ 2004, 209 – Exiliraner; KG NStZ 2008, 573 – Algerier. 4 BGH NJW 1987, 2168 (2171). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 112/18 Seite 4 2.3. Rechtsfolge eines Einverständnisses Ist der deutsche Staat mit der hoheitlichen Tätigkeit eines ausländischen Staates innerhalb seines Hoheitsgebietes im Grundsatz einverstanden, muss die ausländische Stelle gleichwohl deutsches Recht einhalten. Dieses gilt zusätzlich zu den Bestimmungen, die für die ausländische Stelle nach dem Recht ihres Heimatlandes auch im Ausland gelten.5 Nach deutschem Recht kommen im Wesentlichen die folgenden drei Möglichkeiten in Betracht, mit einem ausländischen Geheimdienst oder einer ausländischen Polizei bei der Ortung einer Person zu kooperieren: – Deutsche Stellen überwachen und orten die Person (auf Grundlage deutscher Ermächtigungsnormen ). – Deutsche Stellen übermitteln ausländischen Stellen Informationen, z. B. zum Ergebnis einer Ortung. – Deutsche Stellen beziehen Vertreter ausländischer Stellen als „Hilfsbeamte“ in Überwachungsmaßnahmen nach deutschem Recht ein. 3. Zusammenarbeit im Bereich der Gefahrenabwehr Die Ortung von Personen, die sich in Deutschland aufhalten, fällt je nach Sachverhalt in die Zuständigkeit einer der folgenden Behörden. 3.1. Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) 3.1.1. Zuständigkeit Gemäß § 3 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) sammelt das BfV gemeinsam mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz Informationen unter anderem über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder gegen den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden . Das BfV ist daher grundsätzlich zuständig, insoweit die Ortung einer Person diesem Ziel dient. Nach § 5 BVerfSchG muss das BfV seine Zuständigkeit mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz koordinieren. 3.1.2. Technische Überwachung 3.1.2.1. Peilsender Nach § 8 Abs. 2 BVerfSchG darf das BfV „Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen , Bild- und Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen anwenden.“ Es gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. § 9 Abs. 1 BVerfSchG). Unter § 8 Abs. 2 BVerfSchG fallen 5 Zur Geltung deutschen Rechts z. B. für den BND im Ausland siehe Hölscheidt, Jura 2017, 148 (150). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 112/18 Seite 5 auch Ortungsgeräte wie Peilsender.6 Denn unter die in § 8 BVerfSchG genannte Observation fällt auch die technische Observation mittels GPS zur Erstellung von Bewegungsprofilen.7 3.1.2.2. Standortdaten im Mobilfunk Für die Überwachung von Verkehrsdaten nach § 96 Abs. 1 S. 1 Nr. 1-4 Telekommunikationsgesetz (TKG) ist das besondere Auskunftsverlangen nach § 8a Abs. 2 Nr. 4 BVerfSchG einschlägig. § 96 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TKG umfasst auch die Standortdaten von mobilen Anschlüssen. Wesentliche Voraussetzung ist eine „schwerwiegende Gefahr für die in § 3 Absatz 1 [BVerfSchG] genannten Schutzgüter“ (Hervorhebung durch Autor). 3.1.2.3. Auslesen der Mobilfunkidentität („IMSI-Catcher“) „IMSI-Catcher“ sind Geräte, mit denen sich die auf der Mobilfunkkarte eines Mobiltelefons gespeicherte Mobilfunkidentität („International Mobile Subscriber Identity“ – IMSI) auslesen und der Standort eines Mobiltelefons innerhalb einer Funkzelle eingrenzen lässt.8 Unter den Voraussetzungen des § 8a Abs. 2 BVerfSchG darf das BfV auch IMSI-Catcher einsetzen. Wesentliche Voraussetzung ist eine „schwerwiegende Gefahr für die in § 3 Absatz 1 [BVerfSchG] genannten Schutzgüter“ (Hervorhebung durch Autor). 3.1.3. Informationsaustausch mit ausländischen Stellen Nach § 19 Abs. 3 BVerfSchG darf das „Bundesamt für Verfassungsschutz […] personenbezogene Daten an ausländische öffentliche Stellen sowie an über- und zwischenstaatliche Stellen übermitteln , wenn die Übermittlung zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist“ (Hervorhebung durch Autor). 3.1.4. Einbeziehung von Vertretern ausländischer Geheimdienste Das BVerfSchG enthält keine Rechtsgrundlage dafür, dass Mitarbeiter ausländischer Geheimdienste die Befugnisse des BfV ausüben können. 3.2. Bundesnachrichtendienst (BND) Nach § 2 des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst (BNDG) ist Aufgabe des BND das Sammeln „von Erkenntnissen über das Ausland“. Der BND ist daher zuständig, insoweit die Ortung der Person diesem Ziel dient. Nach § 5 BNDG finden auf die „heimliche Beschaffung von Informationen einschließlich personenbezogener Daten“ die Vorschriften des BVerfSchG entsprechend Anwendung. Insoweit gelten die vorstehend zum BfV gemachten Ausführungen entsprechend. 6 Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 8 BVerfSchG Rn. 34. 7 BVerfGE 112, 304; BVerfGE 120, 274. 8 Mallmann, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 9 BVerfSchG Rn. 36. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 112/18 Seite 6 3.3. Bundeskriminalamt (BKA) 3.3.1. Zuständigkeit Im Bereich der Gefahrenabwehr kann das BKA nur im Bereich des internationalen Terrorismus eigene Überwachungsmaßnahmen durchführen (Unterabschnitt 3a BKA-Gesetz). 3.3.2. Technische Überwachung Das BKA hat im Wesentlichen vergleichbare Befugnisse wie das BfV: Es kann Peilsender einsetzen, Standortdaten im Mobilfunk abfragen oder Mobilfunkidentitäten auslesen (§ 20n Abs. 1 Nr. 2 BKA-G in Verbindung mit § 20l BKA-G, § 7 Abs. 3 BKA-G, § 20g Abs. 2 Nr. 3 BKA-G).9 Voraussetzung ist insbesondere eine dringende Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder Sachen von bedeutendem Wert, oder die Vorbereitung einer Terrorismus-Straftat. 3.3.3. Informationsaustausch mit ausländischen Stellen Das BKA-Gesetz sieht für das BKA umfassende Befugnisse vor, Behörden anderer Staaten „personenbezogene Daten“ zu übermitteln. Dies ist unter anderem möglich „zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ (§ 14 BKA-G). An Mitgliedstaaten der Europäischen Union kann das BKA Informationen auch nur „zum Zweck der Verhütung von Straftaten“ übermitteln, § 14a BKA-G (Hervorhebung jeweils durch Autor). 3.3.4. Einbeziehung von Vertretern ausländischer Stellen Das BKA-G enthält keine Rechtsgrundlage dafür, dass Mitarbeiter ausländischer Geheimdienste die Befugnisse des BKA ausüben können. 3.4. Zollfahndungsdienst 3.4.1. Zuständigkeit Der Zollfahndungsdienst ist vor allem im Bereich der Strafverfolgung zuständig. Daneben kommt dem Zollfahndungsdienst auch die Aufgabe der „Verhütung der mittleren, schweren und organisierten Zollkriminalität“ zu (§ 3 Abs. 1 Zollfahndungsdienstgesetz – ZFdG). 3.4.2. Technische Überwachung Das ZFdG sieht keine Befugnisse dafür vor, den Standort einer Person mit technischen Mitteln zu bestimmen (Peilsender, IMSI-Catcher, etc.). 9 Nach der Gesetzesbegründung soll § 20g Abs. 2 Nr. 3 BKA-G auch Ortungen per GPS sowie zukünftige vergleichbare technische Entwicklungen von der Norm erfassen, Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 20g BKAG Rn. 19. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 112/18 Seite 7 3.4.3. Informationsaustausch mit ausländischen Stellen Das ZFdG sieht für den Zollfahndungsdienst umfassende Befugnisse vor, Behörden anderer Staaten „personenbezogene Daten“ zu übermitteln. Dies ist unter anderem möglich „zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ (§§ 34 ZFdG). An Mitgliedstaaten der Europäischen Union kann der Zollfahndungsdienst Informationen auch nur „zum Zweck der Verhütung von Straftaten“ übermitteln (§ 34a ZFdG) – Hervorhebung jeweils durch Autor. 3.4.4. Einbeziehung von Vertretern ausländischer Stellen Das ZFdG enthält keine Rechtsgrundlage dafür, dass Mitarbeiter ausländischer Geheimdienste die Befugnisse des Zollfahndungsdiensts ausüben können. 3.5. Bundespolizei 3.5.1. Zuständigkeit Die Bundespolizei ist auf Bundesebene mit vielfältigen sonderpolizeilichen Aufgaben zur Gefahrenabwehr betraut, die sich aus den §§ 1 bis 7 BPolG ergeben (insbesondere Grenzschutz, Bahnpolizei, Luftsicherheit). 3.5.2. Technische Überwachung Das Bundespolizei-Gesetz (BPolG) sieht keine Befugnisse für die Bundespolizei vor, in eigener Zuständigkeit den Standort von Personen mit technischen Mitteln zu orten (Peilsender, IMSI- Catcher etc.).10 3.5.3. Informationsaustausch mit ausländischen Stellen Das BPolG sieht für die Bundespolizei umfassende Befugnisse vor, Behörden anderer Staaten „personenbezogene Daten“ zu übermitteln. Dies ist unter anderem möglich zur „Abwehr einer erheblichen Gefahr oder zur Verhütung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ (§ 32 BPolG). An Mitgliedstaaten der Europäischen Union kann die Bundespolizei Informationen auch nur „zum Zweck der Verhütung von Straftaten“ übermitteln (§ 32a BPolG) – Hervorhebung jeweils durch Autor. 10 Wehr, Bundespolizeigesetz, 2. Auflage 2015, § 22a BPolG Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 112/18 Seite 8 3.5.4. Einbeziehung von Vertretern ausländischer Stellen Der Einsatz von Mitarbeitern ausländischer Stellen ist nach dem BPolG möglich.11 Da das BPolG aber keine Befugnis zur Ortung des Standortes von Personen vorsieht, stehen auch Mitarbeitern ausländischer Stellen als Hilfspolizeibeamten der Bundespolizei diese Befugnisse nicht zu. 4. Rechtsmittel Eine Klage gegen ausländische Behörden wegen deren heimlichen hoheitlichen Handelns in Deutschland ist grundsätzlich nicht vor deutschen Gerichten möglich. Hier gilt der Grundsatz der Staatenimmunität. Dieser besteht nach dem als Bundesrecht über Art. 25 GG geltenden „allgemeinen Völkergewohnheitsrecht auch heute noch weitgehend uneingeschränkt für solche Akte, die hoheitliches Handeln eines Staates darstellen (‚acta iure imperii‘). Andernfalls könnte die rechtliche Prüfung durch die Gerichte eine Beurteilung des hoheitlichen Handelns erfordern, was mit dem Prinzip der souveränen Gleichheit von Staaten und dem daraus folgenden Rechtsprinzip , dass Staaten nicht übereinander zu Gericht sitzen, nicht vereinbar wäre […]“.12 Für eine Klage gegen ausländische Behörden sind daher grundsätzlich die Gerichte ihres Heimatstaats zuständig. *** 11 Zu den verschiedenen Möglichkeiten siehe BT-Drs. 17/4298, S. 2 f., http://dipbt.bundestag .de/doc/btd/17/042/1704298.pdf. 12 BGH, NJW 2018, 854 (855).