© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 111/21 Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der geplanten Änderung des § 58a ZAG Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Für die Nutzung der Schnittstelle dürfen zudem nur noch die tatsächlichen Kosten des jeweiligen Zugriffs berechnet werden. Hinzu kommen die Gewährleistung einer Funktionsgleichheit und die Streichung der Möglichkeit zur Ablehnung des Zugangs. Sonstige Kosten, beispielsweise vorangegangene Entwicklungskosten des Systemunternehmens , werden nicht berücksichtigt. Hieraus ergeben sich insbesondere europa- und verfassungsrechtliche Fragestellungen. Unter Bezugnahme auf den vom Fachbereich Europa zu der Thematik bereits erstellten Sachstand (PE 6- 3000-035/21) soll nachfolgend der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit die diskutierten Neuregelungen dem Grunde nach verfassungsrechtlich belastbar sind. Eine grundrechtliche Beurteilung setzt immer eine detaillierte Prüfung der Einzelheiten einer Regelung voraus. Sind solche tatsächlichen Gegebenheiten nicht bekannt, kann aufgrund der Komplexität , die vor allem auch die Grundrechte der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. GG und Art. 14 Abs. 1 GG prägen, eine abschließende Beurteilung nicht erfolgen. Vorliegend besteht vielfach Unklarheit hinsichtlich der der Änderung des § 58a ZAG zugrundeliegenden Tatsachen. So ist nicht bekannt, wie das Zur-Verfügung-Stellen der technischen Infrastrukturleistungen tatsächlich erfolgen soll, noch ist das Verhältnis der sog. Systemunternehmen zu diesen technischen Infrastrukturleistungen geklärt. Aufgrund dessen kann vorliegend nur eine allgemeine Beurteilung der grundrechtlichen Zulässigkeit von frustrierten Investitionen erfolgen. 1. Voraussetzungen der Grundrechtsfähigkeit Nach Art. 19 Abs. 3 GG können sich inländische juristische Personen auch auf Grundrechte berufen , soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Das Bundesverfassungsgericht hat zudem eine Erstreckung der Grundrechtsberechtigung auf juristische Personen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union angeordnet.1 2. Vereinbarkeit mit Art. 12 GG Hinsichtlich der Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit der Unternehmen, die die technischen Infrastrukturleistungen anbieten, gilt Art. 12 GG. Grundsätzlich ist auch die sog. Unternehmerfreiheit im Sinne freier Gründung und Führung von Unternehmen durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt.2 In diese greift § 58a ZAG sowohl in der gegenwärtigen Fassung als auch in der geplanten Änderung ein, weil er den Systemunternehmen auferlegt, den Zugang zu ihren technischen Infrastrukturleistungen zu ermöglichen. 1 BVerfGE Band 129, 78. 2 BVerfGE Band 50, 290. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 111/21 Seite 4 Zwar verfolgen die geplanten Änderungen das legitime Ziel, den Schnittstellenzugang wirtschaftlich und technisch vereinfacht zu gestalten, und sind dazu auch geeignet und, soweit ersichtlich, erforderlich. Problematisch ist aber die Verhältnismäßigkeit dieser Änderungen. Stand die Leistung, die Ermöglichung des Zugangs, zuvor unter der Bedingung eines „angemessenen Entgelts“ und eröffnete den Betroffenen einen gewissen Handlungs- und Interpretationsspielraum, so fordert die Änderung „ein die tatsächlichen Kosten des jeweiligen Zugriffs nicht übersteigendes Entgelt“. Ein solches ist genau bestimmbar, sodass dem konkreten Zugriff vorausgehende etwaige Entwicklungs- oder Bereitstellungskosten nicht einbezogen werden können – dabei stellt die Amortisierung von Kosten einen elementaren Bestandteil der Führung eines Unternehmens dar. Außerdem entsteht für das betroffene Systemunternehmen ein Kontrahierungszwang. Zudem sollen „angemessene Zugangsbedingungen “ durch „standardisierte technische Schnittstellen zu allen Endgeräten“ ersetzt werden , was eine Berücksichtigung der Umstände im Einzelfall, auch technischer Umstände, erschwert. Die Unternehmerfreiheit umfasst auch die Wettbewerbsfreiheit.3 Ein „fairer Wettbewerb [ist] für Selbständige und Unternehmen für deren Erwerbschancen und damit für die Fortsetzung der unternehmerischen Tätigkeit essentiell. […] Gesetzliche Regelungen, durch welche Marktakteuren Beschränkungen auferlegt werden, greifen auch dann in die Wettbewerbsfreiheit ein, wenn ihr Ziel der Schutz des jeweiligen Marktes (wie im Wettbewerbsrecht) oder auch die Herstellung vollständigen Wettbewerbs ist (wie bei der sektorspezifischen Regulierung)“4. Die Wettbewerbsfreiheit der verpflichteten Systemunternehmen und der nach § 58a ZAG Berechtigten ist der Verhältnismäßigkeit wegen miteinander auszugleichen. Die geplanten Änderungen belasten die Systemunternehmen indes einseitig mehr. Auch die Streichung des bisherigen § 58a Abs. 3 ZAG, der eine Ausnahme von der Verpflichtung des Abs. 1 bei konkreten Gefahren für Sicherheit und Integrität der technischen Infrastrukturleistungen enthält, schränkt die verbliebene Verfügungsfreiheit des Unternehmers weiter ein und nimmt ihm die Möglichkeit, drohenden Schaden von diesem Teil seines Betriebs abzuwenden. Ein möglicher Missbrauch dieser Ausnahme zur Umgehung der Verpflichtung aus Abs. 1 war durch die Nachweis- und Begründungspflicht bereits eingeschränkt. Die Schwere des Eingriffs und das Gewicht und die Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe sind im Rahmen einer Gesamtabwägung einzubringen. Die Grenze der Zumutbarkeit darf dabei nicht überschritten werden. Je empfindlicher die Berufsausübenden in ihrer Berufsfreiheit beeinträchtigt werden, desto stärker müssen die Interessen des Gemeinwohls sein, denen diese Regelung zu dienen bestimmt ist.5 Dabei kommt es entscheidend auf die Umstände des Einzelfalls an. Wie sehr ein Systemunternehmen von der Verpflichtung beeinträchtigt wird, kann nicht pauschal beurteilt werden, genauso 3 Wieland, in: Dreier, 3. Aufl. 2013, GG Art. 12 Rn. 53. 4 Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, 7. Aufl. 2021, GG Art. 12 Rn. 76. 5 BVerfGE 30, 292. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 111/21 Seite 5 wenig wie dessen Verhältnis zu dem gesetzgeberischen Ziel, „Wettbewerb und wirtschaftliche[r] Entwicklung zu ermöglichen und die Wahlfreiheit der Konsumenten zu gewährleisten“.6 3. Vereinbarkeit mit Art. 14 GG Die Eigentumsfreiheit aus Art. 14 GG ist ein normgeprägtes Grundrecht, die Rechtsordnung bestimmt also dessen Inhalt und dadurch gleichzeitig dessen Schranken. Eine Betroffenheit des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG durch § 58a ZAG ist abhängig davon, ob die technischen Infrastrukturleistungen zum Eigentum des Systemunternehmens gehören oder nicht. Weitergehenden Schutz vermittelt die Eigentumsfreiheit nicht: „Der Schutz geht jedenfalls nicht weiter als der der Anlagen an sich und erfasst nur den konkreten Bestand an Rechten und Gütern des Betriebs. Auch wenn bloße Umsatz- und Gewinnchancen oder tatsächliche Gegebenheiten für das Unternehmen von erheblicher Bedeutung sind, werden sie vom Grundgesetz eigentumsrechtlich nicht dem geschützten Bestand des einzelnen Unternehmens zugeordnet “.7 Definitiv hat das Bundesverfassungsgericht vor einigen Jahren bestehende Geschäftsverbindungen, einen erworbenen Kundenstamm oder die Marktstellung eines Unternehmens als bloße Chancen und tatsächliche Gegebenheiten aus dem Schutzbereich des Art. 14 I GG ausgeschlossen; aus der Verfassungsgewährleistung folge weder ein übergreifender Schutz ökonomisch sinnvoller und rentabler Eigentumsnutzung noch ein Schutz des Betriebsvermögens. Auch der Ruf eines Unternehmens ist durch Art. 14 GG jedenfalls insoweit nicht geschützt, als es sich um Chancen und günstige Gelegenheiten handelt – selbst soweit er das Resultat vorangegangener Leistungen darstellt .8 Für den Schutz des Erwerbs von Eigentum ist Art. 12 und nicht Art. 14 das einschlägige Grundrecht. Ein Schutz durch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb besteht ebenfalls nicht, da dieses nicht durch eine gesetzliche Inhaltsbestimmung, sondern durch die Rechtsprechung geschaffen wurde und Art. 14 Abs. 1 GG somit nicht unterfällt. Grundsätzlich steht dem Gesetzgeber bei der Entscheidung darüber, ob er bestimmte gesetzliche Regelungen schafft und wie er diese ausgestaltet, regelmäßig ein weiter Spielraum (Einschätzungsprärogative ) zu. Diesem sind rechtlich im Wesentlichen durch die einschlägigen Vorgaben des Grundgesetzes und die maßgebliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Grenzen gezogen . Dies gilt für die Eigentumsfreiheit als normgeprägtem Grundrecht im Besonderen. So muss 6 Ausschussdrucksache 19(7)344, S. 3. 7 BVerfGE 105, 252. 8 BVerfGE 105, 252. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 111/21 Seite 6 deren inhaltliche Ausgestaltung ebenfalls verhältnismäßig sein. Bei Großunternehmen kommt wegen der Herrschaft, die es über Menschen ausübt, eine gesteigerte Sozialbindung hinzu,9 die dabei zu berücksichtigen ist. Im Rahmen des Vertrauensschutzes schützt die Eigentumsgarantie auch das berechtigte Vertrauen in den Bestand der Rechtslage als Grundlage von Investitionen in das Eigentum. Eine Garantie, dass sämtliche Investitionserwartungen erfüllt werden und die rechtlichen Rahmenbedingungen sich nicht ändern, besteht indes nicht.10 Die „in berechtigtem Vertrauen auf eine Gesetzeslage getätigten Investitionen ins Eigentum“ müssen „nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowohl hinsichtlich des Ob als auch hinsichtlich des Wie eines Ausgleichs angemessene Berücksichtigung [finden], wenn der Gesetzgeber die weitere Verwertbarkeit des Eigentums direkt unterbindet oder erheblich einschränkt“11. Ob dies nach der Änderung des § 58a ZAG noch der Fall sein wird, erscheint aufgrund der darin geplanten Änderungen zweifelhaft. *** 9 BVerfGE 50, 290. 10 Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig, 93. EL Oktober 2020, GG Art. 14 Rn. 444. 11 BVerfGE Band 143, 246