© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 111/20 Zum Anwendungsbereich vom Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG und zu ungeschriebenen Verwaltungskompetenzen in Bezug auf § 5 Abs. 2 Infektionsschutzgesetz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 111/20 Seite 2 Zum Anwendungsbereich vom Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG und zu ungeschriebenen Verwaltungskompetenzen in Bezug auf § 5 Abs. 2 Infektionsschutzgesetz Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 111/20 Abschluss der Arbeit: 7. Mai 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 111/20 Seite 3 1. Fragestellung § 5 Abs. 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ermächtigt nach der seit Ende März 2020 geltenden Fassung 1 das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), bestimmte Anordnungen zu treffen.2 Die Ausarbeitung befasst sich zunächst mit der Frage, ob sich die Verwaltungskompetenzen, die dem BMG durch die Norm übertragen wurden, auf Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG stützen lassen (2.). Geprüft wird außerdem, ob für die Anordnungen eine ungeschriebene Verwaltungskompetenz des Bundes in Betracht kommt (3.). 2. Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG Nach Art. 83 GG führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zulässt. Nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG kann der Bund für Angelegenheiten, für die ihm die Gesetzgebungskompetenz zusteht, durch Bundesgesetz „selbständige Bundesoberbehörden und neue bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechtes“ errichten. Die Norm ist nicht nur eine Organisationsvorschrift, sondern eröffnet dem Bund die Möglichkeit, durch Errichtung einer der genannten Stellen die Verwaltungskompetenz für eine Materie an sich zu ziehen.3 Der Bund hat die Norm insbesondere durch die Errichtung von selbstständigen Bundesoberbehörden genutzt. Dabei handelt es sich um Behörden , die nicht in die Ministerialebene eingegliedert sind,4 sondern einem Bundesministerium unmittelbar nachfolgen und seiner Dienst- und Fachaufsicht unterliegen“.5 § 5 Abs. 2 IfSG ermächtigt das BMG, also keine der in Art. 87 Abs. 3 S. 1 genannten Organisationsformen . Fraglich ist daher, ob Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG dem Bund nur für eine Tätigkeit mittels der dort genannten selbständigen Bundesoberbehörden, bundesunmittelbaren Körperschaften und bundesunmittelbaren Anstalten Kompetenzen verleiht, oder ob sich aus der Norm auch Kompetenzen für andere Bundesbehörden ableiten lassen. Zum Teil wird vertreten, dass Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG generell die von Art. 83 GG abweichende Übernahme einer Verwaltungsaufgabe durch den Bund regle, unabhängig von der Organisationsform.6 Die Norm finde daher etwa auch auf Ministerien Anwendung. 1 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587). 2 Siehe dazu bereits die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Staatsorganisationsrecht und § 5 Infektionsschutzgesetz, WD 3 - 3000 - 080/20. 3 Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 87 Rn. 226. 4 Jestaedt, in: Umbach/Clemens, GG, Band 2, 2002, Art. 87 Rn. 102. 5 Maiwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 14. Aufl. 2018, Art. 87 Rn. 27. 6 Hermes, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 87 Rn. 79; Burgi, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Auflage 2018, Art. 87 Rn. 97. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 111/20 Seite 4 Die wohl herrschende Meinung lehnt diese Ausweitung des Anwendungsbereichs, insbesondere auf die Ministerien, allerdings ab.7 Der Bund sei auf die in Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG genannten Verwaltungsformen beschränkt.8 Die Norm gewähre dem Bund den Zugriff auf die eigentlich den Ländern zustehende Kompetenz nur um den Preis einer beschränkten Organisationsgewalt.9 Der Bund dürfe dem „umständlichen Aufbau der Apparatur von Oberbehörden usw.“ nicht ausweichen , denn die kompetenzverschiebende Wirkung zulasten der Länder trete erst mit der Errichtung dieser Behörden ein.10 Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs würde ergeben, dass die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes pauschal auch zu Verwaltungskompetenzen führten.11 Dies stehe im Widerspruch zur Kompetenzordnung des Grundgesetzes. Auch das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass die aus Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG folgenden Verwaltungskompetenzen beschränkt seien: „Beschränkungen der dem Bund durch Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG eröffneten Verwaltungskompetenz ergeben sich einmal daraus, daß der Bund nur eine selbständige Bundesoberbehörde errichten darf, und weiter daraus, daß ihre Errichtung nur für Angelegenheiten zulässig ist, für die dem Bund die Gesetzgebung zusteht. Die selbständige Bundesoberbehörde unterscheidet sich einerseits von den obersten Bundesbehörden, andererseits von dem ‚eigenen Verwaltungsunterbau ’ (Art. 87 Abs. 1 und Art. 87 b Abs. 1 GG) und den ‚bundeseigenen Mittel- und Unterbehörden’ (Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG).“12 Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG dürfte somit keine von der Organisationsform unabhängige Verwaltungskompetenz eröffnen. Die in § 5 Abs. 2 IfSG normierten Verwaltungskompetenzen dürften somit nicht auf diese Norm gestützt werden können. 3. Ungeschriebene Verwaltungskompetenz des Bundes Für die in § 5 Abs. 2 IfSG genannten Maßnahmen könnte allerdings eine ungeschriebene Verwaltungskompetenz des Bundes in Betracht kommen. In Literatur und Rechtsprechung ist überwie- 7 Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 87 Rn. 61, 265; Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, 53. EL Oktober 2008, Art. 87 Rn. 168; Sachs, in: derselbe, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 87 Rn. 69; Jestaedt, in: Umbach/Clemens, GG, Band 2, 2002, Art. 87 Rn. 106; Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrecht, Band VI, 3. Aufl. 2008, § 136 Rn. 93; wohl auch Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 83 Rn. 7. 8 Sachs, in: derselbe, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 87 Rn. 63; wohl auch Suerbaum, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 42. Edition Stand: 1. Dezember 2019, Art. 87 Rn. 13. 9 Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 83 Rn. 7. 10 Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrecht, Band VI, 3. Aufl. 2008, § 136 Rn. 93 unter Berufung auf Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, 53. EL Oktober 2008, Art. 87 Rn. 168. 11 Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, 53. EL Oktober 2008, Art. 87 Rn. 168. 12 BVerfGE 14, 197 (211). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 111/20 Seite 5 gend anerkannt, dass zusätzlich zu den Regelungen der Art. 83 ff. GG auch ungeschriebene Verwaltungskompetenzen des Bundes bestehen können,13 um mögliche ungeregelte und atypische Fälle zuordnen zu können.14 Ungeschriebene Verwaltungskompetenzen lassen sich kraft Sachzusammenhangs , als Annexkompetenz und kraft Natur der Sache begründen. Eine Verwaltungskompetenz kraft Sachzusammenhangs ergibt sich dort, wo eine bereits zugewiesene Verwaltungskompetenz auf einem Sachgebiet zwingend ein verwaltungsrechtliches Handeln auf einem anderen Gebiet voraussetzt.15 Eine Annexkompetenz meint, dass eine ausdrücklich zugewiesene Verwaltungskompetenz ein weiteres Kompetenzgebiet stillschweigend mit einschließt.16 Die Begründung einer Verwaltungskompetenz des Bundes kraft Natur der Sache betrifft Sachgebiete, die ihrer Natur nach Angelegenheiten des Bundes darstellen und nur von ihm geregelt werden können .17 Im Bereich des Infektionsschutzes liegt die Verwaltungskompetenz bei den Ländern.18 Eine ungeschriebene Verwaltungskompetenz für einen Teil dieses Gebiets kann daher nicht aufgrund eines Annexgedankens oder kraft Sachzusammenhangs angenommen werden. Zu klären bleibt daher, unter welchen Umständen eine Verwaltungskompetenz des Bundes kraft Natur der Sache angenommen werden kann. Bei der Annahme einer solchen Kompetenz ist besondere Zurückhaltung geboten.19 Der Anspruch, dass ein Bundesgesetz einheitlich im gesamten Bundesgebiet vollzogen werden soll, reicht für sich genommen nicht aus, um eine Verwaltungskompetenz des Bundes zu begründen.20 3.1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts In Bezug auf eine Kompetenz kraft Natur der Sache hat das Bundesverfassungsgericht in der sog. „Dampfkessel“-Entscheidung betont, dass im Falle fehlender bundeseigener Verwaltung nach den Art. 86 ff. GG eine ungeschriebene Verwaltungskompetenz des Bundes nur im Ausnahmefall angenommen werden könne.21 Dazu führt die Entscheidung aus: 13 Vgl. Suerbaum, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 42. Edition 1. Dezember 2019, Art. 83 Rn. 29 m.w.N.; Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 83 Rn. 80. 14 Broß/Mayer, in: v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 83 Rn. 10. 15 Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 83 Rn. 50. 16 Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 83 Rn. 50. 17 BVerfGE 12, 205 (251); Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 83 Rn. 83. 18 Siehe die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Staatsorganisation und § 5 Infektionsschutzgesetz, WD 3 - 3000 - 080/20, S. 10. 19 Suerbaum, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 42. Edition 1. Dezember 2019, Art. 83 Rn. 31; Hermes, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 83 Rn. 43. 20 Hermes, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 83 Rn. 43. 21 BVerfGE 11, 6 (18). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 111/20 Seite 6 „Es sind Gesetze denkbar, deren Zweck durch das Verwaltungshandeln eines Landes überhaupt nicht erreicht werden kann. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß das Grundgesetz bei der in Art. 30 und 83 ff. getroffenen Regelung eine reibungslose und vollständige ‚Ausführung ’ der Bundesgesetze unterstellt. Nur dann, wenn diese vollständige Ausführung durch Landesverwaltung nicht erreicht werden kann, könnte man annehmen, daß das Grundgesetz stillschweigend eine andere Regelung zuläßt, nämlich die, daß die Ausführung dem Bund übertragen ist. Der Umstand, daß im Einzelfall eine Ausführung durch den Bund zweckmäßiger wäre, kann nicht als Argument dafür dienen, daß das Grundgesetz stillschweigend etwas anderes zuläßt.“22 Das Gericht geht insbesondere davon aus, dass eine einheitliche Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder vorrangig durch den Erlass von allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach Art. 84 Abs. 2 GG zu gewährleisten sei.23 Deren Erlass stehe zwar im freien Ermessen der Bundesregierung . Diese könne aber nicht unter Verweis auf eine uneinheitliche Verwaltungspraxis der Länder eine Verwaltungskompetenz des Bundes annehmen, ohne zuvor versucht zu haben, eine einheitliche Verwaltungspraxis durch den Erlass von allgemeinen Verwaltungsvorschriften herbeizuführen . In der sog. „1. Rundfunkentscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts24 führt dieses als Argument gegen eine Verwaltungskompetenz des Bundes kraft Natur der Sache aus, dass „[...] eine Überregionalität nicht geeignet [sei], eine natürliche Bundeszuständigkeit zu begründen . [...] Die Tatsache der gemeinsamen oder koordinierten Erfüllung einer Aufgabe durch die Länder ist, gleichgültig welcher Art die Motive für die Zusammenarbeit sein mögen , für sich genommen kein Grund, der eine [...] Bundeszuständigkeit rechtfertigen könnte. Es ist ein für den Bundesstaat entscheidender Unterschied, ob sich die Länder einigen, oder ob der Bund eine Angelegenheit auch gegen den Willen der Länder oder einzelner Länder gesetzgeberisch regeln und verwalten kann.“25 Diese restriktive Lesart hat das Gericht in folgenden Entscheidungen bestätigt.26 Es hat auch wiederholt betont, dass eine überregionale Bedeutung eine zentrale Verwaltung durch den Bund zwar zweckmäßig erscheinen ließe, dies allein jedoch keine Verwaltungszuständigkeit des Bundes zu begründen vermöge.27 Eine Verwaltungskompetenz des Bundes kraft Natur der Sache sei nur dann anzunehmen, 22 BVerfGE 11, 6 (18 f.). 23 BVerfGE 11, 6 (18). 24 BVerfGE 12, 205. 25 BVerfGE 12, 205 (251 f.), 26 Vgl. BVerfGE 22, 180 (216 f.); BVerfGE 41, 291 (312). 27 BVerfGE 41, 291 (312). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 111/20 Seite 7 „wenn die Erreichung des angestrebten Ziels [...] bei vollständigem Vollzug […] durch die Länder von vornherein ausgeschlossen gewesen wäre.“28 Insbesondere sei dies der Fall, wenn die bloße Möglichkeit einer Fehlsteuerung durch einzelne Landesverwaltungen das verfolgte Ziel schlechthin unerreichbar machen würde. Gegen die Annahme einer ungeschriebenen Bundeskompetenz kraft Natur der Sache sprächen im Einzelfall etwa die Koordinationsmöglichkeiten zwischen Bund und Ländern nach dem Prinzip der Bundestreue . 3.2. Ungeschriebene Bundeskompetenz in Bezug auf § 5 Abs. 2 IfSG? Im Lichte dieser Rechtsprechung stünde die Annahme einer ungeschriebenen Verwaltungskompetenz des Bundes kraft Natur der Sache für Maßnahmen nach Art. 5 Abs. 2 IfSG unter dem Vorbehalt , dass ein einheitlicher Vollzug nicht durch die Steuerungsbefugnisse des Bundes nach Art. 84 Abs. 2 und Abs. 3 GG, durch die Kooperation der Länder und des Bundes aufgrund des Prinzips der Bundestreue oder durch ein koordiniertes Vorgehens der Länder untereinander verwirklicht werden könnte. Das Infektionsschutzgesetz hat den Zweck, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen , Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern (§ 1 Abs. 1 IfSG). Ein Infektionsgeschehen kann regional höchst unterschiedlich ablaufen, sodass unterschiedliche Maßnahmen zu ergreifen wären. Hierauf könnten die einzelnen Länder gezielt und – falls notwendig – mit regional unterschiedlichen Maßnahmen reagieren. Die eventuell notwendige Koordination der Länder bei einem solchen Vorgehen spricht nicht grundsätzlich gegen die Annahme einer effektiven Umsetzung des Gesetzes. Die nach § 5 Abs. 1 IfSG vorausgesetzte epidemische Lage nationaler Tragweite hat zwar eine Situation bundesweiten Ausmaßes vor Augen, allerdings spricht die Überregionalität nach der soeben erörterten Rechtsprechung nicht zwingend gegen die Annahme der alleinigen Verwaltungskompetenz der Länder. Es ist nicht ersichtlich , dass die Länder den Zweck des IfSG, auch im Falle einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, von vorneherein überhaupt nicht erfüllen können. Eine Differenzierung innerhalb des IfSG, wonach die Länder für den Vollzug im Allgemeinen, der Bund allerdings für den Vollzug des § 5 Abs. 2 IfSG zuständig wäre,29 scheint fernliegend. Denn auch die in § 5 Abs. 2 IfSG bestimmten Ermächtigungen des BMG lassen sich nach den oben genannten Kriterien der Verwaltungskompetenz der Länder zuordnen:30 28 BVerfGE 41, 291 (312); siehe dort auch zum Folgenden. 29 Vgl. BT-Drs. 19/18111, S. 1, 20. 30 Nachfolgend werden nur die Regelungen des § 5 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 6 IfSG geprüft. Zwar sieht auch § 5 Abs. 2 Nr. 5 IfSG eine Anordnungsbefugnis des Bundesministeriums für Gesundheit vor, die sich darauf bezieht , dass bestimmte Erfindungen nach § 13 Abs. 1 Patentgesetz im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt oder im Interesse der Sicherheit des Bundes benutzt werden sollen. Allerdings stand bereits vor der Einführung dieser Ermächtigung die Anordnungsbefugnis nach § 13 Patentgesetz der Bundesregierung zu. Die Länder haben in diesem Bereich somit ohnehin keine Verwaltungskompetenz. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 111/20 Seite 8 § 5 Abs. 2 Nr. 1 IfSG ermächtigt das BMG, zur Feststellung und Verhinderung einer Einschleppung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, Personen, die in die Bundesrepublik Deutschland einreisen wollen oder eingereist sind und die wahrscheinlich einem erhöhten Infektionsrisiko für bestimmte bedrohliche übertragbare Krankheiten ausgesetzt waren, zu verpflichten, der zuständigen Behörde bestimmte Informationen zu erteilen, Nachweise vorzulegen und sich ärztlich untersuchen zu lassen. Diese Anordnung von Informationspflichten könnte allerdings ebenso von den Bundesländern, über die die Einreise erfolgen soll bzw. erfolgt ist, vorgenommen werden. Dies gilt insbesondere, da es sich bei den zuständigen Behörden, denen die Informationen erteilt werden müssten, nach § 2 Nr. 14 IfSG ohnehin um die Gesundheitsämter der Länder handelt. § 5 Abs. 2 Nr. 2 IfSG ermächtigt das BMG unter anderem, grenzüberschreitend tätige Beförderungsunternehmen , Reiseverkehrsunternehmen und Betreiber von Flugplätzen zu verpflichten, ihre Geschäftstätigkeiten zu beschränken, Informationen auszutauschen und in begrenztem Maße unterstützend tätig zu werden. Diese Ermächtigung hat zwar grundsätzlich einen überregionalen Bezug, dies allein dürfte allerdings nach den oben erläuterten Maßstäben nicht für eine ungeschriebene Bundeskompetenz genügen. Zu denjenigen Ländern, in denen sich die in der Norm genannte Infrastruktur bzw. die inländischen Geschäftssitze der betroffenen Unternehmen befinden , bestünde ein örtlicher Zusammenhang, sodass die entsprechenden Länder den Vollzug wahrnehmen könnten. § 5 Abs. 2 Nr. 6 IfSG ermächtigt das BMG, Anordnungen zu treffen, die der Durchführung von nach § 5 Abs. 2 Nr. 4 Buchstabe a und c bis g IfSG erlassenen Rechtsverordnungen über Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln, Schutzausrüstung und ähnlichen Produkten zum Schutz der Gesundheit dienen. Auch hier ist nicht ersichtlich, warum entsprechende Anordnungen zwingend durch den Bund erfolgen müssten. In allen genannten Fällen bestünde somit die Möglichkeit der Anordnung durch die Länder. Zur Vereinheitlichung des Verwaltungshandelns könnte der Bund in allen Fällen von seiner Befugnis nach Art. 84 Abs. 2 und Abs. 3 GG Gebrauch machen. Ein Informationsaustausch der Länder, der bei überregionalen Infektionsgeschehen naheliegend ist, dürfte zudem deren Maßnahmen einander zumindest annähern. Es ist somit nicht ersichtlich, dass der Gesetzeszweck des IfSG nicht erreicht werden könnte, wenn die Länder § 5 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 6 IfSG vollzögen. Die Annahme einer ungeschriebenen Verwaltungskompetenz des Bundes kraft Natur der Sache für die genannten Anordnungen dürfte daher fernliegen. ***