© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 111/14 Entschädigungsansprüche von Grundstückseigentümern in der Nachbarschaft von Windkraftanlagen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 111/14 Seite 2 Entschädigungsansprüche von Grundstückseigentümern in der Nachbarschaft von Windkraftanlagen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 111/14 Abschluss der Arbeit: 7. März 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 111/14 Seite 3 1. Fragestellung Vor dem Hintergrund der Errichtung von Windkraftanlagen in der Nähe von Wohnbebauung wird nach etwaigen Entschädigungsansprüchen der Eigentümer beeinträchtigter Nachbargrundstücke gefragt. Insbesondere soll die Frage geklärt werden, ob die Beeinträchtigungen des Grundeigentums (etwa durch Lärm, Schattenwurf etc.) angesichts des befürchteten Wertverlusts enteignungsgleiche Eingriffe darstellen oder anderweitige Entschädigungsansprüche der Eigentümer benachbarter Grundstücke auslösen. 2. Verhältnis von grundrechtlichem Eigentumsschutz und Baurecht Zum Inhalt des durch Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG)1 geschützten Eigentums zählt auch das grundsätzliche Recht zur baulichen Nutzung von Grundeigentum, die sog. Baufreiheit.2 Art. 14 Abs. 1 GG als normgeprägtes Grundrecht gewährleistet diese Baufreiheit allerdings nur im Rahmen der Gesetze.3 Ob und auf welche Weise ein Grundstück rechtlich bebaubar und nutzbar ist, entscheidet sich nach den einschlägigen einfachgesetzlichen Vorschriften insbesondere des Bauplanungsrechts . Diese Gesetze sowie die aufgrund gesetzlicher Ermächtigung in der Rechtsform der Satzung erlassenen gemeindlichen Bauleitpläne stellen sog. Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dar.4 Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind die öffentlichen und privaten Belange gemäß § 1 Abs. 7 Baugesetzbuch (BauGB)5 gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Dies spiegelt die der Bauleitplanung immanente Ausgleichsfunktion wider: Über die Abwägung sollen die konfligierenden Nutzungsinteressen und sonstigen Belange gebündelt und in einen gerechten Ausgleich gebracht werden.6 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478) geändert worden ist. 2 So jedenfalls die überwiegende – wenngleich nicht unbestrittene – Auffassung, vgl. etwa Papier, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 70. Ergänzungslieferung 2013, Art. 14 Rn. 57; Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2012, Art. 14 Rn. 24; Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, 12. Aufl. 2014, § 1 Rn. 7; Axer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 20. Edition 2014, Art. 14 Rn. 45; nach der Gegenauffassung wird eine Bebauungsbefugnis erst durch baurechtliche Gesetze vermittelt, die allerdings ihrerseits die durch den grundrechtlichen Eigentumsschutz gezogenen Grenzen einhalten müssten, vgl. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Band 1, 3. Aufl. 2013, Art. 14 Rn. 50. 3 BVerfGE 35, 263 (276). 4 Vgl. Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, 12. Aufl. 2014, § 1 Rn. 7 und 123. 5 Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004 (BGBl. I S. 2414), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Juni 2013 (BGBl. I S. 1548) geändert worden ist. 6 Vgl. Papier, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 70. Ergänzungslieferung 2013, Art. 14 Rn. 92. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 111/14 Seite 4 Zu diesen in die Abwägung einzubeziehenden Interessen zählt insbesondere auch der Eigentumsschutz .7 Die mit der Bauleitplanung verbundenen Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums müssen verhältnismäßig sein. Das hat zur Folge, dass unzumutbare Belastungen von Grundstücken, und zwar auch von außerhalb des Plangebiets liegenden Grundstücken, zu vermeiden sind.8 Allerdings stellt eine Grundstückswertminderung benachbarter Grundstücke nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keinen eigenständigen Abwägungsposten dar.9 Abwägungsrelevant sind danach nur die „faktischen und unmittelbaren, sozusagen ‚in natura‘ gegebenen Beeinträchtigungen“, die von einer baulichen Nutzung auf Nachbargrundstücke einwirken.10 Dies deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der Minderungen des Marktwertes eines Grundstückes, die durch die behördliche Zulassung eines Vorhabens in der Nachbarschaft eintreten, bereits nicht den Schutzbereich des Eigentumsrechts berühren.11 Auch das Bundesverwaltungsgericht hat betont, dass Art. 14 Abs. 1 GG nicht verlange, dass eine durch staatliches Verhalten ausgelöste Wertminderung eines Grundstücks ausgeglichen werde.12 In Bezug auf tatsächliche und unmittelbare Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks durch das Vorhaben folgt aus dem Eigentumsschutz zwar die Verpflichtung zur Berücksichtigung der Nachbarbelange bei der Bauleitplanung und Vorhabengenehmigung. Aus Art. 14 GG folgt aber kein unmittelbares Abwehrrecht des Nachbarn gegen die Genehmigung: Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommen unmittelbar auf Art. 14 Abs. 1 GG gestützte Abwehransprüche eines Nachbarn gegen die hoheitliche Zulassung eines drittstörenden Vorhabens nicht in Betracht, wenn drittschützende Vorschriften des einfachen Rechts bestehen.13 Denn durch diese werden Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dergestalt bestimmt, dass für weitergehende Ansprüche aus Art. 14 Abs. 1 GG kein Raum ist.14 Umfang und Grenzen des Nachbarschutzes werden umfassend und abschließend durch die §§ 31, 34 und 35 BauGB sowie § 15 Baunutzungsverordnung15 bestimmt, die den baurechtlichen 7 BVerwGE 61, 295 (302); Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, 12. Aufl. 2014, § 1 Rn. 123; Papier, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 70. Ergänzungslieferung 2013, Art. 14 Rn. 92. 8 Vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg.), BauGB, 111. Ergänzungslieferung 2013, § 1 Rn. 207. 9 BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 1995, NVwZ 1995, 895 (896); ebenso Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, 12. Aufl. 2014, § 1 Rn. 123; Dirnberger, in: Spannowsky/Uechtritz (Hrsg.), BeckOK BauGB, 25. Edition 2013, § 1 Rn. 157. 10 BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 1995, NVwZ 1995, 895 (896). 11 BVerfG, NVwZ 2007, 805 (806); ähnlich zuvor BVerfGE 105, 252 (277). 12 BVerwG, NJW 1997, 142 (143). 13 BVerwGE 89, 69 (78). 14 BVerwGE 89, 69 (78); ebenso Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Band 1, 3. Aufl. 2013, Art. 14 Rn. 51. 15 Baunutzungsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 1990 (BGBl. I S. 132), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 11. Juni 2013 (BGBl. I S. 1548) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 111/14 Seite 5 Grundsatz des Rücksichtnahmegebots verkörpern.16 Nachbarschutz besteht nach dem Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich nur, soweit ihn der Gesetzgeber auch normiert hat.17 3. Vorhabengenehmigung im Einzelfall Ob eine bauliche Anlage im Einzelfall genehmigungsfähig ist, bestimmt sich nach den gesetzlichen Vorgaben des BauGB, der Landesbauordnungen sowie den weiteren Festsetzungen der Bauleitplanung . Je nach Art und Umfang der baulichen Anlage sind ggf. weitere Gesetze einschlägig, im Fall von Windkraftanlagen insbesondere das Bundes-Immissionsschutzgesetz.18 Die bauplanungsrechtlichen und immissionsschutzrechtlichen Regelungen haben unter anderem zur Folge, dass angemessene Abstände zu anderen baulichen Nutzungen, insbesondere zur Wohnbebauung, einzuhalten sind.19 Die im Einzelfall einzuhaltenden Abstandsvorgaben für Windkraftanlagen differieren je nach den tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten und den Planungsentscheidungen der kommunalen Bauleitplanung. Abstrakte gesetzliche Regelungen zu Mindestabständen für Windkraftanlagen bestehen derzeit weder auf Bundes- noch auf Landesebene . Ein derzeit im Gesetzgebungsverfahren befindlicher Gesetzentwurf der Bundesregierung20 sieht allerdings vor, eine sog. Länderöffnungsklausel in das BauGB einzuführen, die länderspezifische Regelungen über allgemeine Mindestabstände zwischen Windenergieanlagen und anderen baulichen Nutzungen zulässt. Das Gesetz soll nach der Entwurfsfassung am 1. August 2014 in Kraft treten. Gegen eine baurechtliche bzw. immissionsschutzrechtliche Genehmigung einer Windkraftanlage können betroffene Nachbarn im Wege des Verwaltungsrechtsschutzes vorgehen, da die Genehmigung einen sog. drittbelastenden Verwaltungsakt darstellt (§ 80a Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung 21). Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wird sodann die Rechtmäßigkeit der Genehmigung und – inzident – etwaiger zugrundeliegender Bauleitpläne überprüft. Die Rechtmäßigkeit der jeweiligen Abwägungs- und Genehmigungsentscheidungen hängt dabei unter anderem von der hinreichenden Berücksichtigung betroffener nachbarlicher Belange ab. 16 BVerwGE 89, 69 (78). 17 BVerwGE 101, 364 (373). 18 Bundes-Immissionsschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2013 (BGBl. I S. 1274), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 2. Juli 2013 (BGBl. I S. 1943) geändert worden ist. 19 Eine ausführliche Darstellung der Abstandsregelungen findet sich in der als Anlage 1 beigefügten Ausarbeitung von , Abstandsflächenregelungen für Windenergieanlagen, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 7 – 3000 – 264/12), 2012. 20 Der Gesetzentwurf auf BT-Drs. 18/1310 – Anlage 2 – ist am 8. Mai 2014 in erster Lesung beraten und sodann dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit überwiesen worden, BT-PlPr. 18/33, S. 2753B - 2754B. 21 Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), die durch Artikel 5 des Gesetzes vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3786) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 111/14 Seite 6 Wenn ein betroffener Nachbar seine Belange für nicht ausreichend berücksichtigt und eine Vorhabengenehmigung daher für rechtswidrig hält, muss er Primärrechtsschutz gegen die hoheitliche Maßnahme ergreifen, d.h. im Wege des Drittwiderspruchs und ggf. anschließender verwaltungsgerichtlicher Anfechtungsklage innerhalb der gesetzlichen Fristen gegen sie vorgehen. Wird die Genehmigung nicht angefochten, erwächst sie in Bestandskraft. Ein betroffener Nachbar ist dann mit dem Einwand der Rechtswidrigkeit präkludiert. Er kann eine etwaige Verletzung eigener Rechte durch die Vorhabenzulassung nicht mehr geltend machen. 4. Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff Ein Entschädigungsanspruch des durch eine Windkraftanlage belasteten Nachbarn nach den Grundsätzen des enteignungsgleichen Eingriffs besteht nicht. Denn nach diesem gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtsinstitut besteht ein Entschädigungsanspruch nur dann, wenn durch eine hoheitliche Maßnahme mittels Rechtsakt oder Realakt unmittelbar in eine als Eigentum geschützte Rechtsposition rechtswidrig eingegriffen wird und der Betroffene den Vorrang des Primärrechtsschutzes beachtet hat, d.h. ihm mögliche und zumutbare Rechtsbehelfe gegen die Eigentumsbeeinträchtigung eingelegt hat.22 Wird die hoheitliche Maßnahme der Vorhabengenehmigung von dem Betroffenen angefochten und erweist sich diese als rechtswidrig, wird die Genehmigung aufgehoben und die von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen entfallen. Erweist sich die Genehmigung als rechtmäßig , fehlt es bereits an der Tatbestandsvoraussetzung der Rechtswidrigkeit. Ergreift der Betroffene innerhalb der gesetzlichen Frist hingegen keinen Primärrechtsschutz, scheidet ein Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff ebenfalls aus, da der Primärrechtsschutz Vorrang gegenüber dem Sekundärrechtsschutz auf Entschädigung hat und die Rechtswidrigkeit des bestandskräftigen Verwaltungsakts nicht mehr geltend gemacht werden kann. Auch anderweitige Entschädigungsansprüche betroffener Grundstückseigentümer sind nicht ersichtlich . 22 Vgl. Axer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 20. Edition 2014, Art. 14 Rn. 135.