© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 110/19 Zustimmungsbedürftigkeit der Aufhebung eines Zustimmungsgesetzes Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes Die Differenzierung zwischen Zustimmungsgesetzen (Art. 77 Abs. 2a GG) und Einspruchsgesetzen (Art. 77 Abs. 3 und 4 GG) ist für die Art und Weise der Beteiligung des Bundesrates am Gesetzgebungsverfahren verfahrensrechtlich entscheidend.2 Bei Zustimmungsgesetzen ist nach Art. 78 Var. 1 GG das Zustandekommen des Gesetzes von einer ausdrücklichen Zustimmung des Bundesrates abhängig.3 Ein Gesetz bedarf nur dann der Zustimmung des Bundesrates, wenn dies im Grundgesetz ausdrücklich angeordnet ist.4 Die Verfassung zählt die Fälle der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen abschließend auf.5 Ausnahmen von diesem Enumerationsprinzip für zustimmungspflichtige Gesetze kennt das Grundgesetz nicht.6 Maßgeblich für die Zustimmungsbedürftigkeit ist allein die verfassungsrechtliche Einordnung des Gesetzes.7 Sinn und Zweck der Zustimmungsvorbehalte ist es, die Länder davor zu schützen, dass der Bund gegen den Willen der Bundesratsmehrheit Maßnahmen durchsetzt, die das föderale System zum Nachteil der Länder verändern.8 Das Bundesverfassungsgericht betont dabei jedoch, dass das 1 BGBl. I S. 114, 1222. 2 Dietlein, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Auflage, 2013, Art. 77 Rn. 19. 3 Dietlein, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Auflage, 2013, Art. 77 Rn. 19. 4 Vgl. BVerfG Gutachten v. 22.11.1951 – BPvV 1/51; BVerfGE 37, 363 (381). 5 Eine Auflistung der Artikel, die gegenwärtig eine Zustimmung des Bundesrates vorsehen, findet sich bei: Kersten , in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 85. EL November 2018, Art. 77 Rn. 95 f. 6 Kersten, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 85. EL November 2018, Art. 77 Rn. 96. 7 Dietlein, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Auflage, 2013, Art. 77 Rn. 20. 8 BVerfGE 37, 363 (379 f.). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 110/19 Seite 4 Grundgesetz die Zustimmungsbedürftigkeit lediglich ausnahmsweise und nur für Fälle einer besonders gewichtigen Berührung der föderalen Ordnung und des Interessenbereichs der Länder vorsieht.9 Ist keine Zustimmung des Bundesrates ausdrücklich normiert, liegt ein Einspruchsgesetz vor.10 Bei Einspruchsgesetzen kommt das Gesetz zustande, wenn der Bundesrat keinen Antrag nach Art. 77 Abs. 2 GG auf Einberufung eines Vermittlungsausschusses stellt, keinen fristgemäßen Einspruch einlegt, ihn zurücknimmt oder wenn der Einspruch vom Bundestag überstimmt wird (Art. 78 GG). 3. Aufhebung eines Zustimmungsgesetzes Die Aufhebung eines zustimmungsbedürftigen Gesetzes ist nach einhelliger Auffassung in der Literatur grundsätzlich nicht zustimmungsbedürftig.11 Dieses ergibt sich bereits aus dem Sinn und Zweck des Zustimmungsvorbehalts. Bedenken hinsichtlich einer föderalen Systemverschiebung sind im Fall einer Gesetzesaufhebung nicht ersichtlich.12 Eine Zustimmungspflicht könnte sich nur daraus ergeben, dass das Aufhebungsgesetz wiederum Teil eines Artikelgesetzes würde, das einen zustimmungsbedürftigen Teil hätte. In diesem Fall wäre das gesamte Gesetz zustimmungspflichtig.13 Der Gesetzgeber hätte jedoch die Möglichkeit, den nicht zustimmungspflichtigen Teil gesondert und damit zustimmungsfrei zu beschließen.14 Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates bei der Aufhebung eines Zustimmungsgesetzes beschränken sich damit grundsätzlich auf die Einspruchsmöglichkeit. *** 9 BVerfGE 61, 149 (206). 10 Kersten, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 85. EL November 2018, Art. 77 Rn. 95 f. 11 Vgl. nur: Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Grundgesetz, 14. Aufl., 2018, Art. 78 Rn. 21; BVerfGE 10, 20 (48f.); BVerfGE 14, 197 (219 f.); Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz, 15. Aufl. 2018, Art. 77 Rn. 5; Mann, in Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 77, Rn. 17. 12 Kersten, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 85. EL November 2018, Art. 77 Rn. 103. 13 Vgl. BVerfGE 105, 313 (341). 14 Vgl. BVerfGE 105, 313 (340 f.).