Deutscher Bundestag Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2010 Deutscher Bundestag WD 3 – 3000 – 110/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 110/10 Seite 2 Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 110/10 Abschluss der Arbeit: 19. April 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 110/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 4 2. Einleitung 4 3. Gewährleistungsgehalt des Art. 138 Abs. 1 WRV 5 3.1. Rechtsfigur der Staatsleistung 5 3.2. Träger und Empfänger der Staatsleistungen 6 3.3. Ablösung 7 3.4. Verfassungsauftrag 8 4. Mögliches Bundesgesetz 9 4.1. Allgemeines zur Grundsatzgesetzgebung 9 4.2. Inhalt des Grundsätzegesetzes 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 110/10 Seite 4 1. Zusammenfassung Art. 138 Abs. 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG begründet einen verfassungsrechtlichen Auftrag an den Bund, in einem sogenannten Grundsätzegesetz, Grundsätze für die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften aufzustellen. Dem Grundsätzegesetz vorausgehen muss ein freundliches Einvernehmen zwischen dem Bund und dem Heiligen Stuhl gemäß Art. 18 Reichskonkordat sowie aus Paritätsgründen auch mit den anderen Religionsgemeinschaften. Ziel des Grundsätzegesetzes ist die Entflechtung von Staat und Kirche, aber mit einer finanziellen Bestandsgarantie für die Religionsgemeinschaften. Adressat des Grundsätzegesetzes ist der Landesgesetzgeber, der auf Landesebene Ablösungsgesetze erlassen muss. Der Bund kann nur allgemeine Leitlinien für die Landesgesetzgebung vorgeben. Diese sollen die Einheitlichkeit der Ablösung garantieren, aber nicht so detailliert sein, dass dem Landesgesetzgeber kein eigener Spielraum mehr verbleibt. Regelungsgegenstände des Grundsätzegesetzes könnten unter anderem eine Definition des Gegenstandes der Ablösung, Grundsätze für die Wertermittlung der Staatsleistungen und des Ausgleichumfangs sowie Kriterien für die Art des Wertersatzes sein. Das Gesetz könnte auch weiter Modalitäten für die Ablösung regeln und einen Zeithorizont für den Erlass der Landesablösungsgesetze vorgeben. 2. Einleitung Art. 140 GG inkooperiert die staatskirchenrechtlichen Artikel der Weimarer Reichsverfassung von 1919 (WRV) im Wortlaut in das Grundgesetz. Die Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 WRV enthalten Bestimmungen über das Verhältnis zwischen dem Staat und den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und ergänzen damit die in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG garantierte Weltund Religionsanschauungsfreiheit. Art. 138 Abs. 1 WRV zielt auf eine Entflechtung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche: „Die auf Gesetz, Vertrag oder auf besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“ Bis heute werde in erheblichem Umfang Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften gezahlt. Die historische Begründung für die heutigen Staatsleistungen an die Kirchen geht zurück auf die Säkularisation. Diese setzte mit der Reformation ein und erstreckte sich über den Westfälischen Frieden, die Reformen Kaiser Josephs II. bis zum Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und ging mit einer umfassenden Enteignung kirchlichen Vermögens einher. Im Gegenzug wurde üblicherweise die Finanzierung des kirchlichen Bedarfs in den Staatshaushalt Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 110/10 Seite 5 übernommen.1 Zweck der Staatsleistung sollte es sein, „die vermögensrechtliche Stellung der Kirchen, soweit sie auf dem bisherigen Zusammenhang mit dem Staate beruht, bis zur Neuregelung des finanziellen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche aufrecht zu erhalten“.2 Art. 138 Abs. 1 WRV begründet einen verfassungsrechtlichen Auftrag an das Reich bzw. den Bund, in einem sogenannten Grundsätzegesetz, Grundsätze für die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften aufzustellen. Weder im Weimarer Reich noch in der Bundesrepublik Deutschland wurde ein solches Gesetz verabschiedet. Ein derartiges Gesetz ist nach herrschender Meinung Voraussetzung für die vom Landesgesetzgeber zu erlassenden Ablösungsgesetze . Die Ausarbeitung stellt zunächst den Gewährleistungsgehalt des Art. 138 Abs. 1 WRV dar und erörtert sodann, wie ein derartiges Grundsätzegesetz auf Bundesebene ausgestaltet werden könnte. 3. Gewährleistungsgehalt des Art. 138 Abs. 1 WRV 3.1. Rechtsfigur der Staatsleistung Unter den Begriff der Staatsleistungen im Sinn des Art. 138 Abs. 1 WRV fallen alle 1919 bestehenden Verpflichtungen der öffentlichen Hand zu geldwerten Leistungen an Religionsgemeinschaften .3 Erfasst werden Geldleistungen, Naturalleistungen („positive Staatsleistungen“) sowie Abgabenbefreiungen („negative Staatsleistungen“), die vor Inkrafttreten der Norm am 14. August 1919 durch Gesetz, Vertrag oder durch besonderen Rechtstitel begründet worden sind.4 „Gesetz“ bedeutet jedes staatliche Gesetz, nicht des kirchlichen Rechts. Auch Gewohnheitsrechtliche Regelungen gehören dazu, nicht jedoch die Einstellung einer Leistung in den Haushalt.5 Zu den Verträgen zählen Konkordate, Kirchenverträge sowie sonstige Vereinbarungen über andauernde Leistungspflichten des Staates.6 Die positiven Staatsleistungen können als „Betragsleistung“, die nach Gegenstand, Umfang und Fälligkeit objektiv feststeht, oder als „Bedarfsleistung“, die nach dem aktuellen Bedarf des Leis- 1 Ausführlich zum historischen Hintergrund bei Historische Aspekte der Staatsleistungen an die Kirchen gemäß Art. 140 Grundgesetz, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 10-13/10); Isensee, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1994, § 35, S. 1009 ff; Droege, Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat, 2004, S. 156 ff. 2 RG vom 20. Juni 1925, RGZ 111, 134 (138). 3 Germann, in: Epping/Hillgruber, GG Kommentar, 2009, Art. 140 Rn. 121. 4 v. Campenhausen, in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG Kommentar, 2005, Art. 138 WRV Rn. 3,6; Germann, in: Epping /Hillgruber, GG Kommentar, 2009, Art. 140 Rn. 121.4. Mehr zu den Rechtsgrundlagen Isensee, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR, 1994, § 35, S. 1026 ff. 5 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG Kommentar, 2. Auflage 2008, Bd. III, Art. 138 WRV Rn. 16 m.w.N. 6 Isensee, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR, 1994, § 35, S. 1026. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 110/10 Seite 6 tungsempfängers bemessen wird, ausgestaltet sein. Zu den typischen Bedarfsleistungen zählen die Kirchenbaulasten.7 Anhand einer Typologie der Staatsleistungen der kirchlichen Verwendungszwecke können drei Arten von Leistungen nachgewiesen werden:8 - Leistungen für den persönlichen und sachlichen Bedarf der allgemeinen kirchlichen Verwaltung ; - Leistungen für Ausbildung, Besoldung und Versorgung der Geistlichen sowie anderer Kirchenbeamter ; - Aufwendungen für sonstige kirchliche Bedürfnisse: darunter Deckung des Gesamtbedarfs einzelner Kirchengemeinden und Stiftungen, vor allem von Domkirchen, subsidiäre Leistungen für die Gesamtbedürfnisse einer Landeskirche. Keine Staatsleistungen sind andere Zuwendungen an Religionsgemeinschaften, die nach 1919 zu Förderungszwecken geleistet und garantiert worden sind und werden.9 Ebenso wenig zählen Zahlungen des Staates aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages (z.B. Kauf oder Miete) zu den Staatsleistungen.10 3.2. Träger und Empfänger der Staatsleistungen Träger der Staatsleistungen sind in der Regel die Länder. Bei den sog. negativen Staatleistungen kommt auch der Bund in Betracht. Umstritten ist die Frage, ob auch Leistungen der Kommunen zu den Staatsleistungen gerechnet werden. Das Landesverfassungsrecht nimmt in einigen Ländern ausdrücklich die kommunalen Leistungsträger in die Art. 138 Abs. 1 WRV entsprechenden Garantien auf.11 Ursprünglich wurden Leistungen der Kommunen nicht zu den Staatsleistungen gerechnet, da in der Weimarer Zeit zwischen Staat und Kommunen unterschieden wurde. Da nach heutigem Verständnis die Kommunen aber Träger mittelbarer Staatsgewalt sind, spricht sich die herrschende Meinung für die Einbeziehung der Kommunen in den Schutz des Art. 138 Abs. 1 WRV aus.12 Vertreter der gegensätzlichen Auffassung13 lehnen eine Einbeziehung der Kommunen ab und stützen ihre Argumentation sowohl auf die Rechtsprechung des Reichge- 7 Isensee, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR, 1994, § 35, S. 1023 f. 8 Isensee, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR, 1994, § 35, S. 1022. 9 Germann, in: Epping/Hillgruber, GG Kommentar, 2009, Art. 140 Rn. 121.3. 10 v.Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Auflage 2006, S. 283. 11 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG Kommentar, 2. Auflage 2008, Bd. III, Art. 138 WRV Rn. 18. 12 v.Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Auflage 2006, S. 283; Isensee, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbSt- KirchR, 1994, § 35, S. 1031 f.; Korioth, in: Maunz-Dürig, GG Kommentar, Bd. VI, 2003, Art. 138 WRV Rn. 7; Germann , in: Epping/Hillgruber, GG Kommentar, 2009, Art. 140 Rn. 121.6 13 Droege (Fn. 1), S. 183 f.; Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 140 Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 110/10 Seite 7 richts14 als auch auf die Beratungen des Parlamentarischen Rates, wo eine erweiternde Interpretation des Art. 138 WRV keine Mehrheit gefunden hat.15 Als Empfänger der Staatsleistungen kommen die Kirchen und Religionsgesellschaften selbst einschließlich all ihrer Organisationsstufen bis hin zum Inhaber eines bestimmten Amtes in Betracht , aber auch deren verselbständigte Ausgliederungen. Tatsächlich kommen die altbegründeten Staatsleistungen den beiden Großkirchen und einigen weiteren Gesellschaften zu Gute.16 Neben der Katholischen und der Evangelischen Kirche zählen auch die Altkatholischen und die Altlutherische Kirche, die Israelitische Synagogengemeinde, Freireligiöse und Deutsche Freigemeinde sowie gebietsweise auch die Methodistenkirche dazu.17 3.3. Ablösung Die Ablösung der Staatsleistung bedeutet die Aufhebung der wiederkehrenden Zahlungspflicht gegen eine einmalige Entschädigung ihres wirtschaftlichen Werts.18 Eine entschädigungslose Aufhebung der Staatsleistungen widerspräche dem Ablösungsgebot. Die Höhe der Staatsleistungen ist aufgrund von einander abweichender historischer Ausgangslage in den verschiedenen Kirchen und Bistümern sehr unterschiedlich.19 Da keine Gesamtübersicht über den Bestand an Staatsleistungen und ihren Wert existiert, dürfte zunächst das größte Problem darin bestehen, die Dimension der Ablösung zu erfassen. Die Haushaltspläne sind nur begrenzt aussagekräftig.20 Juristische Probleme wird im Einzelfall die Abgrenzung der ablösungspflichtigen und –fähigen Leistungen von den sonstigen Zuweisungen, insbesondere den Subventionen , machen.21 Auch die Frage des Ausgleichsumfangs der Ablösung ist umstritten: Soll diese dem Prinzip der Leistungsäquivalenz entsprechen oder genügt es, wenn sie angemessen ist? Überwiegend spricht sich die Lehre für einen vollen Wertersatz der aufzuhebende Rechtstitel aus.22 Hiergegen wird eingewandt, dass Art. 138 WRV verfassungsrechtlich nicht mit der in Art. 14 Abs. 3 GG geregelten Enteignung, die vom Gedanken der Äquivalenz geprägt ist, vergleichbar sei, sondern mit der 14 Vgl. RG, Beschluss vom 10. Juni 1925, RGZ 111, 134 (146). 15 Droege (Fn. 1), S. 185 f. m.w.N. 16 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG Kommentar, 2. Auflage 2008, Bd. III, Art. 138 WRV Rn. 19 m.w.N. 17 v.Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Auflage 2006, S. 281 f. 18 Germann, in: Epping/Hillgruber, GG Kommentar, 2009, Art. 140, Rn. 123. 19 v.Campenhausen, in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG Kommentar, Bd. 3, 2005, Rn. 10. 20 Sailer, Die staatliche Finanzierung der Kirchen und das Grundgesetz, ZRP 2001, 80 (81). Eine Auswertung der Haushaltspläne der Länder zur Ermittlung der Staatsleistungen an die evangelische und katholische Kirche ist zu finden bei Droege (Fn. 1), S. 548. 21 Isensee, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKR, Bd. I, 2. Auflage 1994, S. 1010 Fn. 2. 22 v.Campenhausen, in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG Kommentar, Bd. 3, 2005, Rn. 10; Isensee, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKR, Bd. I, 2. Auflage 1994, S. 1035; Korioth, in: Maunz-Dürig, GG Kommentar, Bd. VI, 2003, Art. 138 WRV Rn. 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 110/10 Seite 8 „Sozialentwährung“ des Art. 15 GG, der vom Prinzip der Billigkeit geprägt sei.23 Daher erfordere Art. 138 Abs. 1 WRV nur eine angemessene Entschädigung der bisherigen Staatsleitungsempfänger .24 Im Hinblick auf die Zahlungsmodalitäten sind der Bundesgesetzgeber bei Festlegung der Ablösungsgrundsätze gemäß Art. 138 Abs. 1 Satz 2 WRV und der Landesgesetzgeber bei der gesetzlichen Ausgestaltung der Ablösung grundsätzlich frei.25 Da eine einmalige Zahlung den Bundesländern Unmögliches abverlangen würde, wird die Ablösung wiederkehrender Leistungen durch eine Geldrente überwiegend für zulässig erachtet. So sehen die neueren Kirchenverträge bereits vor, die finanziellen Verpflichtungen bei Gebäudenutzungen und Baulasten durch einmalige Zahlung zu beseitigen, die Besoldungszuschüsse dagegen mit einer an den staatlichen Beamtengehältern orientierten Werterhaltungsklausel zu versehen.26 Die Kirchenverträge sehen neben den Leistungen in Geld auch solche in Grundstücken, beweglichen Sachen oder Rentenberechtigungen vor.27 Da der Verfassungsgeber von 1919 eine Ablösung durch einmalige Ausgleichsleistung vor Augen hatte,28 widerspricht die Gegenauffassung der Gewährung einer Dauerrente.29 Eine Abzahlung mit zahlreichen Tilgungsraten hält sie jedoch für zulässig.30 3.4. Verfassungsauftrag Art. 138 Abs. 1 WRV enthält einen Verfassungsauftrag an den Bund zur Aufstellung von Grundsätzen für die Ablösungsgesetzgebung der Länder. Weder das Reich noch der Bund haben diese Grundsätze bisher aufgestellt. Hierdurch hat Art. 138 Abs. 1 WRV praktisch eine Sperrwirkung entfaltet, da die Länder ohne Grundsatzgesetz des Bundes keine Ablösungsgesetze erlassen dürfen.31 Die Entscheidung über die Ablösung der Staatsleistungen unterliegt der politischen Opportunität.32 Trotz der langjährigen Nichterfüllung ist der Verfassungsauftrag nicht obsolet geworden.33 Allerdings macht die heutige Situation der öffentlichen Haushalte eine auch nur angemessene Ablösung i. S. d. Art. 138 Abs. 1 WRV unwahrscheinlich, sodass die gegebenen verfassungsrechtlichen Vorgaben die Situation wohl noch für lange Zeit perpetuieren werden.34 23 Ehlers, in: Sachs, GG Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 138 WRV Rn. 4.; Preuß, in: AK-GG Kommentar, Art. 140 Rn. 61. 24 Droege (Fn. 1), S. 219. 25 Droege (Fn. 1), S. 220 m.w.N. 26 v.Campenhausen, in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG Kommentar, Bd. 3, 2005, Art. 138 WRV Rn. 17 m.w. N. in Fn. 33. 27 Isensee, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKR, Bd. I, 2. Auflage 1994, S. 1036. 28 Vg. Droege (Fn. 1), S. 222 m.w.N. 29 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG Kommentar, 2. Auflage 2008, Bd. III, Art. 138 WRV, Rn. 24. 30 Korioth, in: Maunz/Dürig, GG Kommentar, Bd. VI, 2003, Art. 138 WRV, Rn. 11; Preuß, in AK-GG, Art. 140 Rn. 62. 31 v.Campenhausen, in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG Kommentar, Bd. 3, 2005, Art. 138 WRV Rn. 7; Korioth, in: Maunz/Dürig, GG Kommentar, Bd. VI, 2003, Art. 138 WRV, Rn. 9; Wolff, Die Struktur des Grundsätzegesetzes zur Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften (Art. 138 Abs. 1 S. 2 WRV/Art. 140 GG), in: Brenner /Huber/Möstl (Hrsg.), FS für Peter Badura, „Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel, 2004, m.w.N. in Fn. 49; a.A. Preuß, in: AK-GG, Art. 140 Rn. 65; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 138 WRV. 32 Korioth, in: Maunz/Dürig, GG Kommentar, Bd. VI, 2003, Art. 138 WRV Rn. 10. 33 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG Kommentar, 2. Auflage 2008, Bd. III, Art. 138 WRV Rn. 21. 34 Korioth, in: Maunz/Dürig, GG Kommentar, Bd. VI, 2003, Art. 138 WRV Rn. 12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 110/10 Seite 9 Andererseits steht Art. 138 Abs. 1 WRV dem Abschluss von Vereinbarungen zwischen Kirche und Staat nicht entgegen, da er keine generelle Sperre, sondern nur ein Verbot einseitiger Aufhebung ohne Ausgleich enthält.35 Einige der neueren Kirchenverträge haben die Staatsleistungen neu und in vereinfachter Form geregelt.36 Sie entfalten im Hinblick auf die Staatsleistungen eine Absicherungs- und Perpetuierungsfunktion sowie im Rahmen ihrer Koordinationsfunktion eine erhebliche Vereinfachungswirkung.37 Ein Kirchenvertrag kann jedoch die vom Grundgesetz erstrebte umfassende, gleichmäßige Bereinigung der Vermögensbeziehungen nicht ersetzen. Das Ablösungsrecht ist auch gegenüber solchen Leistungsbeziehungen noch nicht verbraucht, die bereits vertraglich erneuert worden sind.38 Zusätzlich ist mit jeder Ablösungsgesetzgebung, die die katholische Kirche betrifft, gemäß Art. 18 des Reichskonkordats39 freundschaftliches Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl herzustellen. Nach dem Paritätsprinzip muss dieses Einvernehmen auch mit anderen betroffenen Religionsgemeinschaften erreicht werden.40 4. Mögliches Bundesgesetz 4.1. Allgemeines zur Grundsatzgesetzgebung Die Grundsatzgesetzgebung stellt einen der seltensten Fälle der Gesetzgebungskompetenz des Bundes dar. Sie ist auf zwei Fälle im Grundgesetz beschränkt: Art. 109 Abs. 4 GG41 (Haushaltsrecht ) und Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Satz 2 WRV.42 Der ebenfalls der Grundsatzgesetzgebung zugerechnete Art. 91a Abs. 2 Satz 2 GG a. F. (Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern ) wurde durch die Föderalismusreform I43 dahingehend geändert, dass Art. 91a Abs. 2 GG nun der ausschließlichen Bundesgesetzgebungskompetenz zuzurechnen ist. Während die ausschließliche Gesetzgebung gemäß Art. 71, 73 GG und die konkurrierende Gesetzgebung gemäß Art. 72, 74 GG umfassend in Abschnitt VII des Grundgesetzes geregelt sind, ist die Grundsatzge- 35 Korioth, in: Maunz/Dürig, GG Kommentar, Bd. VI, 2003, Art. 138 WRV Rn. 12 m.w.N. 36 v.Campenhausen, in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG Kommentar, Bd. 3, 2005, Art. 138 WRV Rn. 9 mit Aufzählung von Kirchenverträgen in Fn. 17. 37 Droege (Fn. 1), S. 170 f. 38 Isensee, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKR, Bd. I, 2. Auflage 1994, S. 1050. 39 Art 18 Reichskonkordat lautet: „Falls die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die katholische Kirche abgelöst werden sollten, wird vor der Ausarbeitung der für die Ablösung aufzustellenden Grundsätze rechtzeitig zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Reich ein freundschaftliches Einvernehmen herbeigeführt werden. Zu den besonderen Rechtstiteln zählt auch das rechtsbegründete Herkommen. Die Ablösung muß den Ablösungsberechtigten einen angemessenen Ausgleich für den Wegfall der bisherigen staatlichen Leistungen gewähren.“ 40 Korioth, in: Maunz/Dürig, GG Kommentar, Bd. VI, 2003, Art. 138 WRV, Rn. 10; v.Campenhausen, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Bd. 3, 2005, Art. 138 WRV, Rn. 8. 41 Ursprünglich als Art. 109 Abs. 3 eingeführt durch die 15. GG-Novelle vom 8.6.1967 (BGBl. I S. 581). Durch Gesetz vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2248) wurde Abs. 3 in Abs. 4 umnummeriert. 42 Art. 106 Abs. 4 S. 3 GG zählt nicht zur Grundsatzgesetzgebung, da hier nur der Bund Grundsätze für die Bemessung der Finanzzuweisungen aufstellt, die Länder diese aber nicht mehr ausfüllen müssen. 43 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.08.2006, in Kraft seit 1.09.2006 (BGBl. I S. 2034). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 110/10 Seite 10 setzgebung beschränkt auf die im jeweiligen Artikel genannte Materie. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass es sich bei der Grundsatzgesetzgebung nicht um ein einheitlich zu deutendes Rechtsinstitut handelt.44 Ein Teil der Literatur vergleicht die Grundsatzgesetzgebung mit der bis 2006 im Grundgesetz geregelte Rahmengesetzgebung gemäß Art. 75 GG,45 welche mit der Föderalismusreform I aufgehoben wurde.46 Die überwiegende Lehre lehnt einen direkten Vergleich mit der Rahmengesetzgebung ab, da z.B. die Rahmengesetzgebung Rechte und Pflichten der Bürger begründen könne, während das Grundsätzegesetz sich nur an den Landesgesetzgeber wende. Der Bund habe keine konkurrierende, sondern eine ausschließliche Kompetenz. Es gehe vielmehr darum, allgemeine Leitlinien für die Gesetzgebung der Länder vorzugeben.47 Detailregelungen seien nicht ausgeschlossen , sie dürften jedoch nicht so erschöpfend sein, dass dem Adressaten kein eigener Spielraum mehr bleibe.48 Auf der anderen Seite ist die Grenze der gebotenen Abstraktheit dann erreicht , wenn die Vorgaben des Bundes nicht mehr in der Lage sind, die beabsichtigte Einheitlichkeit der Ablösung zu garantieren.49 Die Weimarer Reichsverfassung kannte in Art. 10 und 11 eine Grundsatzgesetzgebungskompetenz , dort war sie aber als eigenständiger Gesetzgebungstyp ausgestaltet, vergleichbar mit der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Grundgesetzes50. In einem Kommentar zur Weimarer Reichsverfassung wird zur Grundgesetzgebung unter anderem folgendes ausgeführt:51 „‚Grundsätze’ bedeutet in diesem Sinn und Zusammenhang nicht schlechthin „Rechtssätze“ oder ‚Rechtsnormen’, sondern allgemeine, leitende Rechtssätze, Richtlinien, welche der näheren Ausführung, der Ausgestaltung im einzelnen, insbesondere unter dem Gesichtspunkte ihrer Anpassung an die besonderen Verhältnisse der einzelnen Länder, ebenso fähig wie bedürftig sind.“ 4.2. Inhalt des Grundsätzegesetzes Ziel des Grundsätzegesetzes ist die Entflechtung von Staat und Kirche, aber mit einer finanziellen Bestandsgarantie für die Religionsgemeinschaften. Die Ablösung soll weder ein Rechtsminde- 44 Sieckmann, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, 5. Auflage 2009, Art- 109 Rn. 35. 45 Preuß, in: AK-GG, Art. 140 GG Rn. 65; Stern, Klaus, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Auflage, 1984, § 19 III 3 δ); Tiemann, Burkhard, Die Grundsatzgesetzgebung im System der verfassungsrechtlichen Gesetzgebungskompetenzen, DÖV 1974, 229 (231). 46 Die in Art. 75 GG geregelten Materien sind mit der Föderalismusreform teils in die ausschließliche oder konkurrierende Gesetzgebung überführt worden bzw. den Ländern zugefallen. 47 v.Campenhausen, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Bd. 3, 2005, Art. 138 WRV Rn. 9; Sieckmann, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, 5. Auflage 2009, Art- 109 Rn. 35; Heun, in Dreier, GG Kommentar, Art. 109 Rn. 31. 48 Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG Kommentar, Bd. III, 2008, Art. 109 Rn. 22. 49 Wolff (Fn. 31), S. 852. 50 Droege (Fn. 1), S. 235. Solange und soweit das Reich von dieser Kompetenz keinen Gebrauch gemacht hatte, stand den Ländern gemäß Art. 12 Abs. 1 WRV das Recht der Gesetzgebung zu. 51 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 11. Auflage 1929, Art. 10, 11, S. 87. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 110/10 Seite 11 rung noch eine Verschiebung der Rechtszuständigkeit erwirken.52 Sie soll ein einheitliches Vorgehen der Länder garantieren und ist allein auf die Ablösung der Staatsleistungen durch die Länder bezogen, Bundesstaatsleistungen werden nicht erfasst.53 Adressat des Grundsätzegesetzes ist der Landesgesetzgeber. Objekt sind die Ablösungsgesetze auf Landesebene, nicht die Ablösung selber.54 Das Grundsätzegesetz müsste zunächst eine Definition des Gegenstandes der Ablösung enthalten , hierbei handelt es sich um sämtliche Leistungspflichten, die bei Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung (am 14. August 1919) wirksam gewesen sind und im Geltungsbereich des Grundgesetzes weiterbestehen.55 Da in der Lehre umstritten ist, ob die Leistungen der Kommunen zu den Staatsleistungen gerechnet werden,56 müsste das Grundsätzegesetz hierzu eine Aussage treffen. Das Gesetz könnte auch Kriterien vorgeben, wie die ablösungspflichtigen von den nicht ablösungspflichtigen Staatsleistungen abgegrenzt werden sollen. Da es bisher keine Gesamtübersicht über den Bestand an Staatsleistungen gibt,57 ist es notwendig, dass die Länder eine einheitliche Herangehensweise zur Ermittlung dieses Bestandes verfolgen. Eventuell bietet es sich an, auf Bundesebene zunächst eine Expertenkommission einzusetzen, die die historischen Gegebenheiten untersucht und eine Gesamtübersicht der Staatsleistungen erstellt. Diese Gesamtübersicht wäre auch eine gute Grundlage für die Verhandlungen des Bundes mit der Katholischen Kirche und den anderen Religionsgemeinschaften, die gemäß Art. 38 Reichskonkordat vor Verabschiedung des Grundsätzegesetzes zu führen sind.58 Der Bund sollte auch Grundsätze für die Wertermittlung der Staatsleistungen aufstellen. Ebenfalls geregelt werden sollte der Ausgleichsumfang der Ablösung, hierbei ist eine Entscheidung zu treffen, ob die Ablösung dem Prinzip der Leistungsäquivalenz entsprechen soll oder ob eine angemessene Entschädigung genügt.59 Grundsätze könnten auch für die Art des Wertersatzes aufgestellt werden. Hier käme ein Wertausgleich in Geld, Wertpapieren, Staatsanleihen, Grundstücken, beweglichen Sachen oder Rentenberechtigungen in Betracht. Eine Orientierung bieten hier die zwischen vielen Bundesländern und den Religionsgemeinschaften abgeschlossenen Kirchenverträge. Sofern diese nicht dem Zweck der Ablösungsgesetzgebung widersprechen und sich in der Praxis bewährt haben, ist zu überlegen, ob den Bundesländer die Entscheidung überlassen bleibt, ihre Ablösungsgesetzgebung an den Kirchenverträgen auszurichten. 52 Isensee, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKR, Bd. I, 2. Auflage 1994, S. 1035. 53 Wolff (Fn. 31), S. 847. 54 Wolff (Fn. 31), S. 851. 55 Isensee, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKR, Bd. I, 2. Auflage 1994, S. 1034. 56 Siehe oben S. 7. 57 Siehe oben S. 7. 58 Siehe oben S. 9. 59 Siehe oben S. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 110/10 Seite 12 Kriterien könnten auch für die Zahlungsmodalitäten vorgegeben werden. Folgt man der Auffassung , dass eine einmalige Zahlung den Bundesländern Unmögliches abverlangen würde, müsste das Gesetz Regelungen für die Tilgung der finanziellen Verpflichtungen der Länder treffen.60 Das Grundsätzegesetz könnte die allgemeine Modalitäten der Ablösung regeln, z.B. ob das Verfahren der Ablösung auf Antrag der Religionsgemeinschaften in Gang gesetzt wird oder durch die Behörden der Bundesländer selber. Welche Beweise sollten die Religionsgemeinschaften vorlegen , um ihre Ansprüche zu dokumentieren? Das Grundsätzegesetz könnte auch einen Zeithorizont für den Landesgesetzgeber vorgeben, bis wann dieser auf Landesebene die Ablösegesetze erlassen muss. Auch eine zeitliche Vorgabe, bis wann die Ablösung stattgefunden haben muss, wäre denkbar, dürfte aber nicht zu knapp bemessen sein. 60 Siehe oben S. 7 f.