© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 109/21 Schutz vor religiöser Verfolgung für Mitglieder der Religionsgemeinschaft Ahmadiyya aus Pakistan Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 109/21 Seite 2 Schutz vor religiöser Verfolgung für Mitglieder der Religionsgemeinschaft Ahmadiyya aus Pakistan Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 109/21 Abschluss der Arbeit: 3. Juni 2021 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 109/21 Seite 3 1. Problemaufriss Gegenstand dieser Ausarbeitung ist die Gewährung von Asyl und internationalem Schutz sowie das Vorliegen von Abschiebungsverboten1 hinsichtlich der religiösen Verfolgung von Ahmadis in Pakistan. Ahmadis sind Angehörige der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya. Der in Deutschland 1955 gegründeten Ahmadiyya Muslim Gemeinschaft wurde im Jahr 2013 als erste islamische Religionsgemeinschaft in Deutschland durch das Land Hessen der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt; Hamburg folgte 2014.2 2. Die Rechtsgrundlagen für den Schutz vor religiöser Verfolgung durch Gewährung von Asyl, internationalem Schutz und Abschiebungsschutz Politisch Verfolgte genießen in der Bundesrepublik Deutschland Asyl, Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz (GG). Das grundrechtlich verbürgte Asylrecht wird durch die Bestimmungen des Asylgesetzes (AsylG3) verfahrensrechtlich näher ausgestaltet (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Daneben gewährt die Bundesrepublik Deutschland auch internationalen Schutz (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Der Begriff des internationalen Schutzes umfasst die Anerkennung der Rechtsstellung eines Flüchtlings (§ 3 AsylG) sowie die eines subsidiär Schutzberechtigten (§ 4 AsylG). Das AsylG setzt maßgeblich Regelungen der EU-Qualifikationsrichtlinie4 um. Der von der EU-Qualifikationsrichtlinie gewährleistete Schutz schließt die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention5 ein, § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Daneben sieht das Aufenthaltsgesetz (AufenthG6) unter gewissen Voraussetzungen Abschiebungsschutz für Ausländer vor, auch wenn diese weder Asyl noch internationalen Schutz genießen. 1 Der Begriff ist synonym zu dem der „Abschiebungshindernisse“, vgl. Koch, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 29. Ed. 1. Juli 2020, AufenthG § 60 Rn. 2. 2 Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, „Verbände der Deutschen Islamkonferenz – Ergänzung zu WD 1-011/18“, WD 1 - 3000 - 013/18 vom 10. April 2018, abrufbar unter https://www.bundestag .de/resource/blob/575540/cab8269bd92eee2331140f90e0891496/WD-1-013-18-pdf-data.pdf (letzter Abruf 3. Juni 2021). 3 Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt durch Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes vom 9. Oktober 2020 (BGBl. I S. 2075). 4 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 337 vom 20. Dezember 2011, S. 9. 5 Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560). 6 Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 9. Dezember 2020 (BGBl. I S. 2855). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 109/21 Seite 4 2.1. Gewährung von Asyl und internationalem Schutz 2.1.1. Gewährung von Asyl Politische Verfolgung im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG umfasst als Unterfall auch die religiöse Verfolgung.7 Sie ist etwa dann gegeben, wenn die Zugehörigkeit zu einer Religion, zu einem Glauben oder die bewusste Nichtzugehörigkeit zum Anknüpfungspunkt von Verfolgungshandlungen gemacht wird.8 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen die Eingriffe und Beeinträchtigungen eine Schwere und Intensität aufweisen, die die Menschenwürde verletzen; es hält eine religiöse oder religiös motivierte Verfolgung etwa dann für gegeben, „wenn vom Heimat- oder Aufenthaltsstaat des Verfolgten ergriffene oder ihm zurechenbare Maßnahmen darauf gerichtet sind, die Angehörigen einer religiösen Gruppe sei es physisch zu vernichten oder mit vergleichbar schweren Sanktionen (etwa Austreibung oder Vorenthaltung elementarer Lebensgrundlagen) zu bedrohen, sei es ihrer religiösen Identität zu berauben, indem ihnen zum Beispiel unter Androhung von Strafen an Leib, Leben oder persönlicher Freiheit eine Verleugnung oder gar Preisgabe tragender Inhalte ihrer Glaubensüberzeugung zugemutet wird oder sie daran gehindert werden, ihren eigenen Glauben, so wie sie ihn verstehen, im privaten Bereich und unter sich zu bekennen.“9 Die Religionsausübung im häuslich-privaten Bereich, wie etwa der häusliche Gottesdienst, aber auch die Möglichkeit zum Reden über den eigenen Glauben und zum nachbarschaftlichen Bekenntnis im nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich, ferner das Gebet und der Gottesdienst abseits der Öffentlichkeit in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen gehören zum sog. religiösen Existenzminimum.10 Greift der Staat durch administrative Verbote, Strafgesetze oder andere Maßnahmen in dieses Existenzminimum ein, liegt politische Verfolgung vor. Eine religiöse Verfolgung liegt nicht vor, wenn Maßnahmen zwar an religiös motiviertes Verhalten anknüpfen, hierbei aber bei objektiver Gesamtwürdigung religionsindifferente Ziele des Schutzes des öffentlichen Friedens oder der Rechtsgüter Dritter verfolgen.11 Aufgrund der Regelungen zu den sicheren Drittstaaten nach Art. 16a Abs. 2 GG kommt dem Asylrecht nur noch eine marginalisierte praktische Bedeutung zu.12 7 Siehe nur BVerfGE 76, 143 (158). 8 Gärditz, in: Maunz/Dürig, GG, 93. EL Oktober 2020, Art. 16a Rn. 253. 9 BVerfGE 76, 143 (158). 10 BVerfGE 76, 143 (158 f.). 11 Gärditz, in: Maunz/Dürig, GG, 93. EL Oktober 2020, Art. 16a Rn. 253. 12 Gärditz, in: Maunz/Dürig, GG, 93. EL Oktober 2020, Art. 16a Rn. 52. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 109/21 Seite 5 2.1.2. Rechtsstellung eines Flüchtlings Die Gewährung internationalen Schutzes betrifft zunächst die Anerkennung eines Ausländers als Flüchtling. Die Flüchtlingseigenschaft wird in den §§ 3 ff. AsylG definiert. 2.1.2.1. Verfolgungsgrund Die Flüchtlingseigenschaft ergibt sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen (unter anderem) der Religion (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), wobei der Begriff der Religion insbesondere theistische , nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind, umfasst (§ 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG). 2.1.2.2. Verfolgungshandlung Verfolgungshandlungen werden in § 3a AsylG definiert. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK13) nicht abgewichen werden darf (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Dem stehen nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG solche Handlungen gleich, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG beschriebenen Weise betroffen ist. Die Religionsfreiheit ist in Art. 9 EMRK garantiert. Der EuGH hat entschieden, dass sie ein grundlegendes Menschenrecht darstellt. Eine „schwerwiegende Verletzung“ dieser Freiheit liegt vor, wenn die Verletzung den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Die betreffenden Handlungen gelten dann als Verfolgung.14 Das Bundesverwaltungsgericht ging ursprünglich davon aus, dass eine asylrechtlich beachtliche Verfolgung nur von solchen Handlungen ausgeht, die in das religiöse Existenzminimum eines Menschen eingreifen, wobei Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit einschließlich der Missionierung („forum externum“) nicht zum religiösen Existenzminimum gehören würden.15 Der EuGH hat demgegenüber entschieden, dass nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit, seinen Glauben im privaten Kreis zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben, eine schwerwiegende Verletzung sein können.16 Bei der individuellen Prüfung 13 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685). 14 EuGH, Urteil vom 5. September 2012 – C-71/11 und C-99/11, Rn. 59, juris. 15 BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 − 10 C 19/09 (OVG Bautzen), NVwZ 2011, 755 (Rn. 32). 16 EuGH, Urteil vom 5. September 2012 – C-71/11 und C-99/11, Rn. 63, juris. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 109/21 Seite 6 eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling können die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten , auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten.17 Nach dem Verständnis des Bundesverwaltungsgerichts setzt der EuGH für die Annahme einer Verfolgung nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste. Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen.18 Das Bundesverfassungsgericht hat die neuen Maßstäbe des Bundesverwaltungsgerichts für die Frage, ob eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen der Religion besteht, als verfassungsgemäß gebilligt, allerdings eine besondere Berücksichtigung des hohen Werts der Religionsfreiheit bei der Sachverhaltsaufklärung und der Beweiswürdigung angemahnt.19 Betroffen von Verfolgungshandlungen muss der Antragsteller selbst sein. Die Gefahr eigener Verfolgung kann sich allerdings nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung).20 Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen.21 Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setze ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertige. Hierfür sei die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handele. Die Verfolgungshandlungen müssten vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für 17 EuGH, Urteil vom 5. September 2012 – C-71/11 und C-99/11, Rn. 80, juris. 18 BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 (VGH Mannheim), NVwZ 2013, 936 (Rn. 30). 19 BVerfG, Beschluss vom 3. April 2020 – 2 BvR 1838/15, Rn. 32 ff., juris. 20 BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2006 - 1 C 15/05 (VGH München), NVwZ 2006, 1420 (Rn. 20). 21 BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2006 - 1 C 15/05 (VGH München), NVwZ 2006, 1420 (Rn. 20). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 109/21 Seite 7 jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entstehe.22 2.1.2.3. Verknüpfung zwischen Verfolgungsgrund und Verfolgungshandlung Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss eine Verknüpfung zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in den § 3a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG genannten als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen bestehen. Ausreichend ist, wenn der Verfolgungsgrund praktisch für das Verfolgungsrisiko relevant ist und nicht eine bloß absolut untergeordnete Rolle für die Verfolgungshandlung spielt.23 2.1.2.4. Verfolgungsakteure § 3c AsylG zählt die denkbaren Verursacher einer Verfolgung auf. Danach kann die Verfolgung vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen sowie von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure setzt jedoch voraus, dass der Staat bzw. die quasi-staatlichen oder internationalen Organisationen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.24 2.1.2.5. Interner Schutz Gemäß § 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. 2.1.3. Subsidiär Schutzberechtigte Neben dem Asyl und dem Flüchtlingsschutz tritt als weitere Form internationalen Schutzes die subsidiäre Schutzberechtigung. Der Begriff des subsidiär Schutzberechtigten wird in § 4 AsylG näher definiert. Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, § 4 Abs. 1 S. 1 AsylG. Auf einen Zusammenhang mit einer politischen Verfolgung kommt es für den Begriff des ernsthaften Schadens nicht an. Es gelten insoweit die allgemeinen Voraussetzungen für die Anerkennung einer subsidiären Schutzberechtigung. 22 BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2007 - 1 C 24/06 (OVG Magdeburg), NVwZ 2007, 590 (Rn. 7); zum Begriff der Gruppenverfolgung siehe auch Göbel-Zimmermann/Eichhorn/Beichel-Benedetti, in: dies., Asyl- und Flüchtlingsrecht , 1. Auflage 2017, Teil 2. Materielles Asyl- und Flüchtlingsrecht, Rn. 51 ff. 23 Hruschka, in: Huber/Mantel, AufenthG, 3. Auflage 2021, AsylG § 3a Rn. 18. 24 Koch, in: Kluth/Hornung/Koch, Handbuch Zuwanderungsrecht, 3. Auflage 2020, § 5 Aufenthaltsbeendigung/ Abschiebung/Sicherheit Rn. 220. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 109/21 Seite 8 2.2. Schutz vor Abschiebung § 60 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4, Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG enthalten Vorschriften über die Gewährung subsidiären Schutzes, der – unabhängig vom politischen Charakter einer Maßnahme – vor unmenschlicher, erniedrigender und grausamer Behandlung, insbesondere vor Folter und Todesstrafe , sowie vor sonstigen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit schützt.25 Darüber hinaus ermächtigt § 23 Abs. 1 AufenthG die obersten Landesbehörden, aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen. § 23 Abs. 2 AufenthG ermöglicht zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland Aufenthaltszusagen durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 4 AufenthG können auch ausgewählten Schutzsuchenden Aufnahmezusagen erteilt werden. § 23a Abs. 1 AufenthG lässt eine Aufenthaltsgewährung in Härtefällen zu. § 25 Abs. 5 AufenthG ermöglicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, wenn die Ausreise eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Schließlich sieht § 60a AufenthG die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung, das heißt die Duldung vor. Insbesondere ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG. Diese Vorschriften knüpfen allesamt nicht an eine politische Verfolgung an, sodass die allgemeinen Voraussetzungen für den von ihnen gewährten Schutz gelten. 3. Religiöse Verfolgung in Pakistan Die Sicherheitslage religiöser Minderheiten in Pakistan ist gekennzeichnet von wirtschaftlicher und sozialer Diskriminierung, Intoleranz und Ablehnung bis hin zu massiven Verletzungen von Menschenrechten.26 Mitglieder religiöser Minderheiten werden regelmäßig Opfer der religiös motivierten Gewalt extremistischer Gruppen.27 Für 2019 wurden 203 Opfer religiös motivierter Gewalt, davon 44 Getötete und 120 Verletzte, registriert.28 25 Koch, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 29. Ed. 1. Juli 2020, AufenthG § 60 Rn. 28. 26 VG Freiburg, Urteil vom 22. Februar 2021 – 6 K 2551/18, BeckRS 2021, 5549 (Rn. 23). 27 Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, „Flucht und Vertreibung aus Gründen der Religionszugehörigkeit“, WD 2 - 3000 - 102/14 vom 16. Juli 2014, S. 10, abrufbar unter https://www.bundestag .de/resource/blob/414706/f15773b1bd3eb1fb584830eed5108cc5/WD-2-102-14-pdf-data.pdf (letzter Abruf 3. Juni 2021). 28 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 24, Pakistan, Stand: 05/2020, S. 1, abrufbar unter https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Laenderreporte/2020/laenderreport -24-pakistan.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (letzter Abruf 3. Juni 2021). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 109/21 Seite 9 3.1. Verfolgung der Ahmadis in Pakistan Die Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya wird entgegen ihrem eigenen Verständnis in Pakistan von Verfassungs wegen als nicht-muslimisch eingeordnet.29 Orthodoxe Muslime sehen Ahmadis als Apostaten an.30 Das pakistanische Strafrecht untersagt ihnen unter anderem die Lehre und Verbreitung ihres Glaubens. Ende 2019 saßen drei Ahmadis wegen des Vorwurfs der Blasphemie im Todestrakt. Das Centre for Research & Security Studies (CSRR) verzeichnete für das Berichtsjahr 2019 die Tötung zweier Ahmadis aus religiösen Gründen, die Ahmadiyya ging von drei Todesopfern aus.31 Das Bundesverwaltungsgericht hat die Feststellung, dass allein wegen der Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr bestehe, revisionsrechtlich gebilligt.32 Im Anschluss hieran wurde allerdings eine Verfolgung der bekennenden Ahmadi, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen, bejaht.33 Während die Verfolgung der in solcher Weise bekennenden Ahmadi in der Rechtsprechung seitdem anerkannt ist, wird eine Gruppenverfolgung aller Ahmadis bislang überwiegend abgelehnt.34 Anders hat bislang soweit erkennbar nur das VG Sigmaringen geurteilt. Während es bei Schiiten eine Gruppenverfolgung ablehnte,35 geht es seit letztem Jahr von einer Gruppenverfolgung auch derjenigen Ahmadis aus, für die ihr Glaube unverzichtbar ist, ohne dass dies im Sinne der bisherigen Rechtsprechung für die Zuordnung zu den bekennenden Ahmadi ausreichen würde.36 Dabei stützt sich das Gericht auf die seit 2017 zunehmende Zahl und Intensität von Angriffen und Inhaftierungen.37 Zudem seien Ahmadis neuerdings einer weiter gesteigerten Diskriminierung dadurch ausgesetzt, dass sie für die Beantragung von für den Rechtsverkehr unerlässlichen Ausweisdokumenten eine Erklärung über die „Finalität des Prophetenamtes Mohammeds“ abgeben 29 VG Sigmaringen, Urteil vom 30. November 2020 – A 13 K 752/18, BeckRS 2020, 34847 (Rn. 48); Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 24, Pakistan (Fn. 28), S. 5. 30 OVG Koblenz, Urteil vom 29. Juni 2020 – 13 A 10206/20, OVG BeckRS 2020, 20749 (Rn. 50). 31 Zum Ganzen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 24, Pakistan, (Fn. 28), S. 1 ff. 32 BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 (VGH Mannheim), NVwZ 2013, 936 (Rn. 41). 33 Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Juni 2013 – A 11 S 757/13, juris. 34 VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 18. Februar 2021 – VG 2 K 950/18.A BeckRS 2021, 9918 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen ; VG Augsburg, Urteil vom 10. Januar 2020 - Au 3 K 17.34072 BeckRS 2020, 936 (Rn. 17); VG München, Urteil vom 3. September 2019 – M 19 K 17.32588 BeckRS 2019, 46758 (Rn. 26); OVG Bautzen, Urteil vom 29. August 2019 - 3 A 770/17.A BeckRS 2019, 23497 (Rn. 29); OVG Koblenz, Urteil vom 29. Juni 2020 – 13 A 10206/20.OVG BeckRS 2020, 20749 (Rn. 49), das aber eine Gruppenverfolgung bekennender Ahmadis bejaht. 35 VG Sigmaringen, Urteil vom 15. Dezember 2020 – A 13 K 7260/18, BeckRS 2020, 35515 (Rn. 52 ff.). 36 VG Sigmaringen, Urteil vom 15. Februar 2021 – A 13 K 1353/18, BeckRS 2021, 3030 (Rn. 47); VG Sigmaringen, Urteil vom 30. November 2020 – A 13 K 752/18, BeckRS 2020, 34847 (Rn. 36 ff.). 37 VG Sigmaringen, Urteil vom 30. November 2020 – A 13 K 752/18, BeckRS 2020, 34847 (Rn. 80). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 109/21 Seite 10 müssen.38 Hierdurch werde ihnen eine allumfassende Preisgabe ihres Glaubens abverlangt.39 Nach Ansicht des VG Düsseldorf bedarf es keiner Feststellung einer Gruppenverfolgung, da die menschenrechtswidrige systematische Einschränkung durch die angeführten rechtlichen Bestimmungen für die Religionsfreiheit der Ahmadis in der Lage, in der sie in Pakistan in einem Klima der allgemeinen Ausgrenzung und religiösen, moralischen und gesellschaftlichen Verachtung leben müssen, den Charakter eines – bereits umgesetzten – Verfolgungsprogramms habe.40 Hinsichtlich der Frage, ob für den individuellen Antragsteller die Gefahr der Verfolgung wegen einer Glaubenspraxis, die ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist, besteht, lässt sich eine gewisse Zurückhaltung in der freilich einzelfallbezogenen Judikatur erkennen.41 3.2. Interner Schutz in Pakistan Es ist umstritten, ob aktuell in Teilen von Pakistan ausreichender interner Schutz für Ahmadis besteht . Dies wurde für Rabwah,42 aber auch generell für größere Städte mit ausreichender Distanz zum Heimatort, von einigen Verwaltungsgerichten bejaht.43 Zum gegenteiligen Ergebnis kamen das VG Sigmaringen44 sowie das OVG Koblenz.45 Das OVG Münster hat die Frage mangels Entscheidungserheblichkeit nicht als Anlass zur Berufungszulassung genommen.46 *** 38 VG Sigmaringen, Urteil vom 30. November 2020 – A 13 K 752/18, BeckRS 2020, 34847 (Rn. 82). 39 VG Sigmaringen, Urteil vom 30. November 2020 – A 13 K 752/18, BeckRS 2020, 34847 (Rn. 84). 40 VG Düsseldorf, Urteil vom 21. März 2013 - 14 K 6699/12.A, BeckRS 2013, 51035. 41 VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 18. Februar 2021 – VG 2 K 950/18.A BeckRS 2021, 9918; VG Augsburg, Urteil vom 10. Januar 2020 - Au 3 K 17.34072 BeckRS 2020, 936; VG München, Urteil vom 3. September 2019 – M 19 K 17.32588 BeckRS 2019, 46758; VG Wiesbaden, Urteil 15. März 2021 3 K 3560/17.WI.A, 6939626; VG Göttingen, Urteil vom 13. Februar 2020, 2 A 868/17, 7141557; OVG Bautzen, Urteil vom 29. August 2019 - 3 A 770/17.A BeckRS 2019, 23497; OVG Koblenz, Urteil vom 29. Juni 2020 – 13 A 10206/20, BeckRS 2020, 20749; anders aber VG Trier, Urteil vom 10. März 2021 – 10 K 2852/20.TR, 7949791, sowie Urteil vom 10. März 2021 – 10 K 2355/20.TR, 7932851, beides juris. 42 VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 18. Februar 2021 – VG 2 K 950/18.A BeckRS 2021, 9918 Rn. 24. 43 VG Augsburg, Urteil vom 10. Januar 2020 - Au 3 K 17.34072 BeckRS 2020, 936 (Rn. 31); VG Augsburg, Urteil vom 24. Januar 2020 - Au 3 K 17.34406 BeckRS 2020, 2125 (Rn. 35). 44 VG Sigmaringen, Urteil vom 30. November 2020 – A 13 K 752/18, BeckRS 2020, 34847 (Rn. 85). 45 OVG Koblenz, Urteil vom 29. Juni 2020 – 13 A 10206/20, BeckRS 2020, 20749 (Rn. 98). 46 OVG Münster, Beschluss vom 19. April 2021 – 10 A 1686/20.A, (Rn. 5); Beschluss vom 14. April 2021 – 10 A 1197/20.A, (Rn. 5), beides juris.