© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 108/19 Zur Zulässigkeit der Vergesellschaftung von Wohneigentum eines privaten Wohnungsunternehmens Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Entschädigung 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 108/19 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung befasst sich mit den Voraussetzungen der Vergesellschaftung von Wohneigentum zum Zwecke der Verhinderung von überhöhten Mietpreisen. Da die Frage, ob ein solches Vorhaben verfassungsgemäß wäre, vom Einzelfall abhängt, können nur die allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätze dargestellt werden. Da im Zuge der aktuellen Debatte die Begriffe „Enteignung“ und „Vergesellschaftung“ bzw. „Sozialisierung“ teilweise synonym verwendet werden, werden nachfolgend zunächst die Unterschiede zwischen diesen Rechtsinstituten dargestellt. 2. Abgrenzung der Vergesellschaftung nach Art. 15 GG zur Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG Art. 14 Abs. 3 GG bestimmt: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.“ Art. 15 GG besagt: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Absatz 3 Satz 3 und 4 entsprechend.“ Für das in Art. 15 GG geregelte Institut werden die Begriffe Vergesellschaftung und Sozialisierung deckungsgleich verwendet. In der Praxis kam die Ermächtigung zur Vergesellschaftung bislang in keinem Fall zur Anwendung.1 Die Enteignung und die Vergesellschaftung lassen sich grundsätzlich anhand ihrer Voraussetzungen , der Formtypik und ihrer Zielsetzung voneinander abgrenzen.2 Zwar wurde früher und wird vereinzelt noch heute3 aufgrund des Verweises auf Art. 14 Abs. 3 S. 3 und 4 GG vertreten, die Vergesellschaftung stelle lediglich einen Sonder- bzw. Unterfall der Enteignung dar.4 Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass es in diesem Fall einer Verweisung für die Entschädigungsregelung in Art. 15 S. 2 GG nicht bedurft hätte.5 Nach herrschender Meinung handelt es sich bei der 1 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 74 Rn. 190; Bryde, in: Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 15 Rn. 2. 2 Bryde, in: Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 15 Rn. 6. 3 Vgl. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, 2006, S. 2305. 4 Vgl. Becker, in: Stern/Becker, GG, 3. Aufl. 2019, Art. 15 Rn. 37 m.w.N. 5 Kloepfer, Der Unterschied zwischen Enteignung und Sozialisierung, FAZ.net vom 30. Januar 2019. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 108/19 Seite 5 Vergesellschaftung um ein eigenständiges Rechtsinstitut.6 Dafür spricht auch, dass die Gesetzgebungskompetenzen für die Enteignung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 14 GG) und die Vergesellschaftung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 15 GG) eigenständig geregelt sind.7 Die Vergesellschaftung bildet zwar „eine der Enteignung äußerlich gleichende Wegnahme“8, lässt sich aber anhand ihrer Zielsetzung deutlich von der Enteignung unterscheiden. Während die Enteignung auf einzelne Vermögensbestandteile gerichtet ist, hat die Vergesellschaftung zum Ziel, Unternehmen und ganze Wirtschaftszweige in die Gemeinwirtschaft zu überführen.9 Sie zielt darauf ab, „dass das für eine Marktwirtschaft typische Handeln mit eigennütziger Gewinnerzielungsabsicht abgelöst werden soll durch eine wirtschaftliche Betätigung, die auf eine Bedürfnisbefriedigung im Interesse der Allgemeinheit ausgerichtet ist“.10 Ziel der Vergesellschaftung ist damit insbesondere der staatliche Einfluss auf die Wirtschaft.11 Durch eine Enteignung soll dagegen eine Eigentumsposition zur Erfüllung eines konkreten Vorhabens erlangt werden.12 Voraussetzung der Enteignung ist, dass die Eigentumsposition zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben benötigt wird oder als Abwehrrecht der Erfüllung entgegensteht.13 Während die Enteignung daher zwingend auf den Entzug konkreter Rechtspositionen gerichtet ist, kann die Vergesellschaftung zwar mit einem Eigentumswechsel einhergehen, dies ist aber nicht zwingend erforderlich.14 Da die diskutierte staatliche Aneignung von Wohneigentum das Ziel haben dürfte, dem freien Markt den Wohnraum zu entziehen, wird vorrangig eine Vergesellschaftung nach Art. 15 GG in Betracht kommen. 6 Bryde, in: Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 15 Rn. 6; Durner, in: Maunz/Dürig, GG, 85. EL November 2018, Art. 15 Rn. 59; Depenheuer/Froese, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 15 Rn. 14; Rittstieg, in: AK GG, 3. Aufl. 2001, Art. 14/15 Rn. 237. 7 Kloepfer, Der Unterschied zwischen Enteignung und Sozialisierung, FAZ.net vom 30. Januar 2019. 8 Becker, in: Stern/Becker, GG, 3. Aufl. 2019, Art. 15 Rn. 38. 9 Kloepfer, Der Unterschied zwischen Enteignung und Sozialisierung, FAZ.net vom 30. Januar 2019. 10 Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2013, Art. 15 Rn. 27. 11 Kloepfer, Der Unterschied zwischen Enteignung und Sozialisierung, FAZ.net vom 30. Januar 2019. 12 Vgl. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2013, Art. 14 Rn. 93. 13 Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2013, Art. 14 Rn. 93. 14 Depenheuer/Froese, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 15 Rn. 14. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 108/19 Seite 6 3. Gesetzgebungskompetenz für die Vergesellschaftung Dem ausdrücklichen Wortlaut nach muss die Vergesellschaftung durch ein förmliches Gesetz erfolgen. Ein Verwaltungshandeln auf gesetzlicher Grundlage reicht demnach, anders als bei der Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG, nicht aus.15 Die Vergesellschaftung gehört gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 15 GG in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung.16 Der Bund hat nach Art. 72 Abs. 2 GG auf dem Gebiet der Vergesellschaftung nur dann die Gesetzgebungskompetenz, „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht“. Solange der Bundesgesetzgeber nicht von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat, können die Länder Vergesellschaftungsgesetze erlassen.17 4. Voraussetzungen der Vergesellschaftung 4.1. Gegenstände der Vergesellschaftung Um ein privatwirtschaftliches Wohnungsunternehmen bzw. dessen Wohnungseigentum zu vergesellschaften , müsste es sich dabei um zulässige Vergesellschaftungsgegenstände handeln. Zu diesen zählen gemäß Art. 15 GG Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel. 4.1.1. Produktionsmittel Wie der Begriff der Produktionsmittel auszulegen ist, ist stark umstritten. Ein beachtlicher Teil der Literatur fordert, dass der Begriff dem gewöhnlichen Wortsinn entsprechend restriktiv zu verstehen sei, sodass nur sachliche oder rechtliche Mittel zur Erzeugung von Gütern gemeint sein könnten.18 Historisch wird damit argumentiert, dass die politischen Kräfte, die sich 1948 für die Aufnahme der Vergesellschaftung in das Grundgesetz einsetzten, nur die wichtigen Schlüsselindustrien, aber nicht den Dienstleistungssektor im Blick gehabt hätten.19 Die sonstigen vergesellschaftungsfähigen Gegenstände (Grund und Boden, Naturschätze) und der Ausnahmecharakter der Vorschrift sprächen für eine enge Begriffsauslegung.20 Die Gegenauffassung verweist darauf, dass der Begriff „Produktionsmittel“ aus der Volkswirtschaftslehre entnommen sei und auf die „Umgestaltung des kapitalistischen Wirtschaftssystems“ abziele.21 Daher müsse der Begriff 15 Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 15 Rn. 30. 16 Brückner, Sozialisierung in Deutschland, 2013, S. 192. 17 Durner, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 15 Rn. 76. 18 So aktuell Sodan, Zur Verfassungsmäßigkeit der Sozialisierung von Immobilien privater Wohnungswirtschaftsunternehmen in Berlin, 2019, S. 41; Brückner, Sozialisierung in Deutschland, 2013, S. 185 f.; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht, Band IV/1, 2006, S. 2316; Depenheuer/Froese, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 15 Rn. 36 ff. 19 Depenheuer/Froese, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 15 Rn. 36. 20 Dietlein, in: Stern, Staatsrecht, Band IV/1, 2006, S. 2316. 21 Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 15 Rn. 25. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 108/19 Seite 7 extensiv ausgelegt werden, sodass auch der Finanz- und Dienstleistungssektor erfasst sei.22 Teleologisch wird zudem argumentiert, dass eine Vergesellschaftung der Industrie ohne Einbeziehung der Banken nicht praktikabel wäre.23 Je nach Auffassung ließe sich somit ein Wohnungsunternehmen entweder als vergesellschaftungsfähiges Produktionsmittel begreifen oder es wäre mangels Produktion von tatsächlichen Gütern von der Vergesellschaftung ausgeschlossen. 4.1.2. Grund und Boden Der Begriff „Grund und Boden“ umfasst nach nahezu einhelliger Ansicht Grundstücke sowie deren Bestandteile und Zubehör im Sinne der §§ 94 ff. BGB.24 Grundstücke, auf denen sich Gebäude und Mietwohnungen befinden, sind danach unproblematisch unter den Begriff „Grund und Boden“ zu fassen.25 Umstritten ist jedoch, ob eine Vergesellschaftung möglicherweise ausgeschlossen ist, wenn der Grund und Boden unmittelbar einem Unternehmen dient, das nicht vergesellschaftet werden darf, weil es nicht zu den Produktionsmitteln im Sinne des Art. 15 GG gehört.26 Unterstützer dieser Ansicht verweisen darauf, dass in diesem Fall mangels Vergesellschaftungsreife27 keine Vergesellschaftung möglich sein sollte.28 Die wohl überwiegende Meinung wendet dagegen allerdings ein, dass sich weder dem Wortlaut der Norm noch der Entstehungsgeschichte Gründe für eine solche restriktive Auslegung entnehmen ließen29 und es auch systematisch nicht zu rechtfertigen sei, weshalb diese Unternehmen gegenüber anderen Grundstückeigentümern derart privilegiert 22 Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 15 Rn. 26; Schliesky, in: Bonner Kommentar GG, 153. EL August 2011, Art. 15 Rn. 30; Bryde, in: Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 15 Rn. 18. 23 Kloepfer, Verfassungsrecht, Bd. III, 2010, § 72 Rn. 180. 24 Vgl. nur Durner, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 15 Rn. 32; Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 15 Rn. 23. 25 Dietlein, in: Stern, Staatsrecht, Band IV/1, 2006, S. 2313. 26 So aktuell etwa Sodan, Zur Verfassungsmäßigkeit der Sozialisierung von Immobilien privater Wohnungswirtschaftsunternehmen in Berlin, 2019, S. 43. 27 Siehe 4.3. 28 Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 2, 1954, S. 162; Depenheuer/Froese, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 15 Rn. 31; ohne Begründung so auch Wendt, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 15 Rn. 7. 29 Durner, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 15 Rn. 33; Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 15 Rn. 23. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 108/19 Seite 8 werden sollten.30 Man müsse zwischen dem Grundstück und dem wirtschaftlichen Unternehmen unterscheiden.31 4.2. Gemeinwirtschaft Weitere Voraussetzung des Art. 15 GG ist, dass der zu vergesellschaftende Gegenstand in die Gemeinwirtschaft überführt wird. Der Begriff der Gemeinwirtschaft umfasst die Bedarfsdeckung der Bevölkerung ohne Gewinnabsicht sowie die Verfolgung sonstiger Gemeinwohlziele.32 Die Vergesellschaftung aus fiskalischen Gründen, insbesondere die Überführung in ein erwerbswirtschaftliches Unternehmen der öffentlichen Hand, ist daher nicht von Art. 15 GG gedeckt.33 Wie bereits erwähnt ist der Wechsel des Eigentümers keine Voraussetzung der Vergesellschaftung, vielmehr ist das Gemeineigentum nur eine der möglichen Formen der Gemeinwirtschaft.34 Stattdessen kann das Privateigentum auch erhalten bleiben, aber in bestimmtem Umfang dem Mitbeteiligungs- oder Einflussrecht gesellschaftlicher Kollektivorgane unterworfen sein.35 Im Falle des Gemeineigentums kommen als dessen Träger sowohl der Bund, die Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände als auch besondere wirtschaftliche Selbstverwaltungskörperschaften in Betracht, also alle, die die gemeinwirtschaftliche Verwendung garantieren können.36 4.3. Vergesellschaftungsreife Nach herrschender Meinung ist eine Vergesellschaftung nur dann zulässig, wenn eine „Vergesellschaftungsreife “ des Vergesellschaftungsgegenstandes gegeben ist, dieser also eine gewisse wirtschaftliche Bedeutung besitzt.37 Diese Eignung zur Vergesellschaftung ist – anders als in der 30 Durner, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 15 Rn. 33; Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 15 Rn. 23; Schliesky, in: Bonner Kommentar GG, 153. EL August 2011, Art. 15 Rn. 25; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht, Band IV/1, 2006, S. 2313; zweifelnd auch Bryde, in: Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 15 Rn. 16. 31 Schliesky, in: Bonner Kommentar GG, 153. EL August 2011, Art. 15 Rn. 25; Bryde, in: Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 15 Rn. 16. 32 Brückner, Sozialisierung in Deutschland, 2013, S. 186; Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 15 Rn. 28; Bryde, in: Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 15 Rn. 11. 33 Wendt, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 15 Rn. 5 m.w.N. 34 Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 15 Rn. 28; Schliesky, in: Bonner Kommentar GG, 153. EL August 2011, Art. 15 Rn. 43. 35 Brückner, Sozialisierung in Deutschland, 2013, S. 186 ff. 36 Brückner, Sozialisierung in Deutschland, 2013, S. 188; Durner, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 15 Rn. 53. 37 Depenheuer/Froese, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 15 Rn. 40 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 108/19 Seite 9 Vorgängernorm in der Weimarer Reichsverfassung38 – zwar nicht explizit im Gesetz vorausgesetzt, wird jedoch aus der Formulierung „zum Zwecke der Vergesellschaftung“ abgeleitet. Da das Ziel der Vergesellschaftung die Umstrukturierung der privat-kapitalistischen Eigentumsordnung sei, seien Kleinbetriebe mangels spürbarer Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft dafür ungeeignet.39 Bei wirtschaftlichen Großunternehmen dürfte die Vergesellschaftungsreife hingegen unproblematisch zu bejahen sein.40 4.4. Verhältnismäßigkeit Umstritten ist, ob die Vergesellschaftung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen muss, also nur dann zulässig ist, wenn sie zum Erreichen eines legitimen Zwecks geeignet und erforderlich sowie angemessen ist. Einer Ansicht zufolge ist die Vergesellschaftung ein Sonderfall der Enteignung, sodass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz volle Geltung beanspruchen müsse.41 Folgt man dieser Ansicht, so muss die Vergesellschaftung einem legitimen Zweck dienen und zum Erreichen dieses Zwecks geeignet, erforderlich sowie angemessen sein. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist im Einzelfall zu entscheiden. Dies betrifft auch die Frage, ob anstelle der Vergesellschaftung mildere Mittel in Betracht kommen. Hinsichtlich der Beurteilung der Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme steht dem Staat ein Einschätzungsspielraum zu.42 Die Gegenansicht geht davon aus, dass die Begrenzung auf die vergesellschaftungsfähigen Güter und das Ziel der Gemeinwirtschaft die einzigen Schranken zur Anwendung des Art. 15 GG bilden. Der Gesetzgeber sei – anders als bei der Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG – ausnahmsweise nicht durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt.43 Sein gesetzgeberisches Ermessen sei hinsichtlich der Vergesellschaftung nahezu unbeschränkt.44 Nach anderer Auffassung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Rahmen von Art. 15 GG dahingehend eingeschränkt, dass sich die Prüfung der Erforderlichkeit und Angemessenheit lediglich auf die Modalitäten der Vergesellschaftung bezieht.45 Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit liege dementsprechend 38 Art. 156 Abs. 1 S. 1 WRV bestimmte: „Das Reich kann durch Gesetz, unbeschadet der Entschädigung, in sinngemäßer Anwendung der für Enteignung geltenden Bestimmungen, für die Vergesellschaftung geeignete private wirtschaftliche Unternehmungen in Gemeineigentum überführen.“ 39 Brückner, Sozialisierung in Deutschland, 2013, S. 189. 40 Depenheuer/Froese, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 15 Rn. 40. 41 Dietlein, in: Stern, Staatsrecht, Band IV/1, 2006, S. 2317; Schliesky, in: Bonner Kommentar GG, 153. EL August 2011, Art. 15 Rn. 38. Ohne die Vergesellschaftung als Sonderfall der Enteignung zu werten so auch Sodan, Zur Verfassungsmäßigkeit der Sozialisierung von Immobilien privater Wohnungswirtschaftsunternehmen in Berlin, 2019, S. 47 f. 42 Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 39. Edition Stand: 15. November 2018, Art. 20 Rn. 195 f. 43 Kloepfer, Verfassungsrecht, Bd. II, 2010, § 72 Rn. 187; Bryde, in: Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 15 Rn. 10. 44 Kloepfer, Verfassungsrecht, Bd. II, 2010, § 72 Rn. 186. 45 Durner, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 15 Rn. 85. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 108/19 Seite 10 vor, wenn im Einzelfall mildere Formen der Vergesellschaftung die vorgesehenen Zwecke in gleicher Weise erfüllten. 4.5. Entschädigung Gemäß Art. 15 S. 1 GG muss das Vergesellschaftungsgesetz Art und Ausmaß der Entschädigung regeln. Art. 15 S. 2 GG verweist hinsichtlich der Entschädigung auf Art. 14 Abs. 3 S. 3 und 4 GG, wonach die Entschädigung unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen ist. Das Abwägungsgebot bezieht sich nicht nur auf die Art der Entschädigung (Entschädigung in Geld, Einräumung von Rechten etc.), sondern vor allem auch auf die Höhe der Entschädigung.46 In der Literatur ist trotz der Verweisung in Art. 15 S. 2 GG umstritten, ob für die Vergesellschaftungsentschädigung die gleichen Maßstäben wie für die Enteignungsentschädigung gelten. Dagegen wird eingewandt, dass eine Interessenabwägung im Falle einer Individualenteignung zwangsläufig zu anderen Ergebnissen führe als im Falle der Vergesellschaftung eines Wirtschaftszweigs.47 Umstritten ist insbesondere, ob die Entschädigung an die Höhe des Verkehrswertes gebunden ist. Nach einer Ansicht muss die Entschädigung der Vergesellschaftung grundsätzlich einen äquivalenten Ausgleich für den Rechtsverlust darstellen.48 Dagegen wird eingewandt, dass in diesem Fall weitgehende Vergesellschaftungsmaßnahmen mangels ausreichender staatlicher Mittel praktisch ausgeschlossen wären.49 Zudem habe sich der Gesetzgeber mit der Formulierung, dass die Entschädigung „unter gerechter Abwägung der Interessen“ zu bestimmen sei, gerade gegen das Erfordernis einer bestimmten Entschädigungshöhe entschieden.50 Art. 15 GG lege lediglich fest, dass die Entschädigung nicht vollständig entfallen dürfe.51 *** 46 Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 14 Rn. 699. 47 Bryde, in: Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 15 Rn. 22; Schliesky, in: Bonner Kommentar GG, 153. EL August 2011, Art. 15 Rn. 55. 48 Depenheuer/Froese, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 15 Rn. 46; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht, Band IV/1, 2006, S. 2318. 49 Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 15 Rn. 31; Brückner, Sozialisierung in Deutschland, 2013, S. 190. 50 Brückner, Sozialisierung in Deutschland, 2013, S. 190 f.; im Ergebnis so auch Sodan, Zur Verfassungsmäßigkeit der Sozialisierung von Immobilien privater Wohnungswirtschaftsunternehmen in Berlin, 2019, S. 96. 51 Brückner, Sozialisierung in Deutschland, 2013, S. 190.