© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 107/21 Nachtrag zu WD 3 - 3000 - 091/21 zur Beschränkung der anerkannten Anbieter für den Nachweis deutscher Sprachkenntnisse im Visumsverfahren Rechtsnatur, Rechtsprechung und Rechtsschutzmöglichkeiten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Fragestellung Die Ausarbeitung behandelt Nachfragen zur Kurzinformation WD 3 - 3000 - 091/21, Beschränkung der anerkannten Anbieter für den Nachweis deutscher Sprachkenntnisse im Visumsverfahren. Es wird gefragt, inwiefern die Beschränkung auf vier Sprachschulen in AufenthGAVwV und Visumhandbuch des Auswärtigen Amtes zum Nachweis der im Visumsverfahren erforderlichen Sprachkenntnisse als „in rechtstaatlicher Hinsicht fragwürdig“ ist. Es wird außerdem nach Rechtsprechung zu diesem Thema sowie zur Angreifbarkeit der Verwaltungsvorschrift durch eine Normenkontrolle nach § 47 VwGO gefragt. 2. Zitat zur Rechtsstaatlichkeit Die Bezeichnung der Beschränkung auf die vier bestimmten Sprachschulen als „in rechtsstaatlicher Hinsicht fragwürdig“ stammt von der Verfasserin der Kommentierung zu § 30 AufenthG, Dr. Hannah Tewocht. Diese Aussage wird nicht durch weitere Fundstellen untermauert, die dazu führenden Erwägungen können daher nicht weiter recherchiert werden. Hintergrund könnte jedoch das Zustandekommen der Verwaltungsvorschrift sein: „[I]nnerhalb der Bundesregierung ist mit Beteiligung des Goethe-Institutes und in Absprache mit dem Auswärtigen Amt folgende Umsetzung des Nachweises der Sprachkenntnisse abgestimmt worden“1. Weitere Informationen zu diesem Vorgang finden sich nicht. Es gibt jedoch keine Form- oder Verfahrensvorschriften zu Verwaltungsvorschriften (mit Ausnahme der §§ 69 ff. GGO)2, sodass ein Verstoß gegen solche nicht in Betracht kommt. Problematisch hinsichtlich der Regelung könnte aus rechtsstaatlicher Perspektive sein, dass der Gesetzgeber, der die Sprachkenntnisse fordert, keine bestimmte Form des Nachweises vorgeschrieben hat. Die Beschränkung in den Verwaltungsvorschriften auf mit einem bestimmten Zertifikat versehene Sprachschulen lässt sich zwar grundsätzlich mit deren dadurch festgestellter „erforderliche [r] Sorgfalt“ rechtfertigen. Warum allerdings nur solche Anbieter, die zur Association of Language Testers in Europe (ALTE) gehören, diese Sorgfalt haben sollen und andere, beispielsweise nach ISO29992 zertifizierte Institute, dem nicht genügen sollen, wird nicht begründet. 3. Rechtsprechung Die Beschränkung auf bestimmte Sprachschulen wurde in der (veröffentlichten) Rechtsprechung bisher kaum behandelt. Lediglich das OVG Berlin-Brandenburg hat sich dazu folgendermaßen geäußert: „Der Nachweis einfacher Sprachkenntnisse im Sinne von § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ist nicht auf die Vorlage eines Zertifikats SD1 des Goethe-Instituts oder der von diesem lizensierten Partner beschränkt. Das Erfordernis eines in dieser Art spezifizierten Nachweises lässt sich weder dem Gesetz entnehmen, noch dürfte es geboten sein.“3 1 Auswärtiges Amt, Weisung an die Auslandsvertretungen v. 17.7.2007 – Gz.: 508 – 2 – 516.00. 2 JuS 2016, 314. 3 OVG Berlin-Brandenburg Urt. v. 28.4.2009 – 2 B 6/08, BeckRS 2009, 33314. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 107/21 Seite 4 Aufgrund der Gegebenheiten des Falls kam es diesbezüglich zu keiner weitergehenden Entscheidung . 4. Angreifbarkeit durch eine Normenkontrolle nach § 47 VwGO Verwaltungsvorschriften sind grundsätzlich nicht tauglicher Gegenstand einer Normenkontrolle nach § 47 VwGO. Das liegt an ihrer Rechtsnatur als verwaltungsinterne Regelungen, mit denen die Exekutive das Handeln nachgeordneter Behörden zu lenken beabsichtigt, regelmäßig ohne dabei Außenwirkung zu entfalten. Verwaltungsvorschriften gelten ausnahmsweise als Rechtsvorschriften im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, wenn sie über die bloße Selbstbindung der Verwaltung hinaus rechtliche Außenwirkung gegenüber dem Bürger entfalten und so dessen subjektiv-öffentlichen Rechte unmittelbar berühren.4 Entscheidend ist also, ob der Verwaltungsvorschrift, die die Akzeptanz von nur vier Sprachschulen anordnet, Außenwirkung zukommt. Dies ist abhängig davon, ob es sich um eine norminterpretierende oder eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift handelt. Eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift scheidet von Vornherein aus, da § 30 Abs. 1 S. 1 AufenthG bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vermittelt , also gerade kein Ermessen eingeräumt wird.5 Norminterpretierende Verwaltungsvorschriften legen unbestimmte Rechtsbegriffe lediglich aus. Um die Gesetzesanwendung zu erleichtern, führt die Behördenleitung darin näher aus, was schon im Gesetz geregelt ist. Die Gerichte sind nicht an sie und die durch sie erfolgte Auslegung des Gesetzes gebunden. Verwaltungsvorschriften, die innerhalb eines der Behörde eingeräumten Beurteilungsspielraums ergehen und deshalb normkonkretisierende Funktion haben, haben im Gegensatz zu norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften unmittelbare Außenwirkung und sind für die Verwaltungsgerichte innerhalb der von der Norm gesetzten Grenzen daher verbindlich.6 Die Kategorie der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften wurde vom Bundesverwaltungsgericht eingeführt und etabliert. Diese bestimmen, wie unbestimmte Rechtsbegriffe auszulegen sind, bei denen der Gesetzgeber der Verwaltung ausnahmsweise einen Beurteilungsspielraum eingeräumt hat7. Von unbestimmten Rechtsbegriffen spricht man, wenn der Gesetzgeber Begriffe verwendet, deren Bedeutung in besonderem Maß unklar ist und der wertenden Konkretisierung im Einzelfall bedarf.8 § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fordert, dass der Ehegatte „sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann“. Bei „auf einfache Art“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff , da das Gesetz nicht weiter festlegt, ab wann Kenntnisse auf dieser Stufe konkret vorliegen 4 BeckOK VwGO/Giesberts, 57. Ed. 1.4.2021, VwGO § 47 Rn. 29. 5 Kerstin Müller, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, AufenthG § 30 Rn. 9. 6 BVerwG NVwZ 2000, 440. 7 JuS 2016, 314 8 Aschke, in: BeckOK VwVfG, 51. Ed. 1.4.2021, VwVfG § 40 Rn. 22. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 107/21 Seite 5 und wie dies zu ermitteln ist. Die Auslegung und damit die Einschätzung, ab wann die Voraussetzung erfüllt ist, wird der Verwaltung überlassen. Die Vorschrift räumt der Verwaltung aber keinen eigenen Beurteilungsspielraum ein, wie beispielsweise § 48 Abs. 1 S. 1 BImSchG; dies wäre der Fall, wenn es der Verwaltung obläge, zu bestimmen, welche Sprachkenntnisse überhaupt erforderlich sind. Punkt 30.1.2.3.1 der AufenthGAVwV und Punkt 3. zu „Nachweis von Sprachkenntnissen im Visumverfahren “ des Visumhandbuchs des Auswärtigen Amtes stellen also lediglich norminterpretierende Verwaltungsvorschriften dar, die mangels Außenwirkung nicht mit der Normenkontrolle nach § 47 VwGO angegriffen werden können. Die Feststellung der Unwirksamkeit oder Rechtswidrigkeit kann auch nicht Gegenstand einer nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaften Feststellungsklage sein, weil die Prozessordnung eine solche Nachprüfung in der Art einer Normenkontrolle nicht vorsieht.9 Die Angreifbarkeit der Vorschriften erschöpft sich daher im Vorgehen gegen eine darauf gestützte Entscheidung im Einzelfall. *** 9 VGH München Beschl. v. 12.12.2008 – 4 ZB 07.997, BeckRS 2009, 39215