© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 107/19 Zur Unabhängigkeit von Ministern als Mitglieder im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 107/19 Seite 2 Zur Unabhängigkeit von Ministern als Mitglieder im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 107/19 Abschluss der Arbeit: 10. April 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 107/19 Seite 3 1. Fragestellung Nach Art. 66 Grundgesetz (GG) können Bundesminister mit „Zustimmung des Bundestages dem Aufsichtsrate eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören.“ In seiner Funktion als Mitglied im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft hat der Minister u. a. „die Geschäftsführung zu überwachen“ (§ 111 Abs. 1 Aktiengesetz – AktG) und über zustimmungsbedürftige Geschäfte zu entscheiden (§ 111 Abs. 4 AktG). Es stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung dem Minister Weisungen erteilen kann, wie er seine Funktion im Aufsichtsrat auszuüben hat. 2. Unabhängigkeit der Aufsichtsräte Nach § 111 Abs. 6 AktG können die „Aufsichtsratsmitglieder […] ihre Aufgaben nicht durch andere wahrnehmen lassen“. Hieraus leitet die Rechtsprechung den Grundsatz der freien Willensbildung des Aufsichtsratsmitglieds ab.1 Das Mitglied darf sich nicht fremden Weisungen unterwerfen. Der Bestellungsakt begründet die originäre Pflicht des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds, das Wohl der Aktiengesellschaft zum obersten Pflichten- und Verantwortungsmaßstab zu machen. Die Weisungsfreiheit gilt auch für Vertreter der öffentlichen Hand.2 3. Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers Es wäre denkbar, in der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers ein Verfassungsgut zu sehen, das die einfachgesetzliche Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder in gewissem Maße einschränkt . Art. 65 S. 1 und S. 2 GG lauten: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung.“ Aus der Definitionskompetenz des Kanzlers nach Art. 65 S. 1 GG folgt, dass dieser auch in Einzelfragen eines Ressorts von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen kann.3 Der Ressortminister ist dann gehalten, die Ressortfrage im Sinne der bindenden Vorgabe des Kanzlers zu entscheiden.4 Die Ressortkompetenz beinhaltet die „Letztentscheidungsbefugnis in Sach-, Organisations-, Personal- und Haushaltsfragen des übertragenen Geschäftsbereichs“.5 Es sprechen gute Gründe dagegen, dass die Ausübung eines Aufsichtsratsmandats zum Ressort eines Bundesministers 1 Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, 13. Auflage 2018, § 111 Rn. 60. 2 Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, 13. Auflage 2018, § 111 Rn. 60. 3 Epping, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 40. Edition Stand: 15.02.2019, Art. 65 Rn. 6. 4 Epping, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 40. Edition Stand: 15.02.2019, Art. 65 Rn. 6. 5 Epping, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 40. Edition Stand: 15.02.2019, Art. 65 Rn. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 107/19 Seite 4 gehört. Das Mandat ist dem Gesetz nach persönlich und unabhängig. Ist eine bundeseigene Gesellschaft dem Ressort eines Bundesministers übertragen, so nimmt der Minister bzw. das Ministerium diese Aufgabe als Gesellschafter war.6 Auch spricht die grundsätzliche Inkompatibilität von Ministeramt und Aufsichtsratsmandat (Art. 66 GG) dagegen, dass das Aufsichtsratsmandat zum Ressort gehören soll. Soweit ersichtlich besteht allerdings keine Literatur oder Rechtsprechung zu dieser Frage einer möglichen Kollision zwischen den Kompetenzen der Bundesregierung nach Art. 65 GG und § 111 AktG.7 Zwar hat die Rechtsprechung entschieden, dass die „aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip und der Selbstverwaltungsgarantie hergeleiteten kommunalen Kontroll- und Einwirkungspflichten bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch privatrechtliche Eigen- oder Beteiligungsgesellschaften […] nicht zu einer Modifizierung oder Suspendierung entgegenstehender Vorschriften des privaten Gesellschaftsrechts“ führen.8 Jedoch betrifft diese Rechtsprechung nur die kommunale Ebene. Insoweit ist die Möglichkeit einer Kollision zwischen Art. 65 GG und § 111 AktG juristisches Neuland. 4. Kabinettsbeschluss Es wäre ferner denkbar, in der Möglichkeit eines Kabinettsbeschlusses ein Verfassungsgut zu sehen, das die einfachgesetzliche Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder in gewissem Maße einschränkt. Art. 65 S. 3 lautet: „Über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern entscheidet die Bundesregierung.“ Es könnte sein, dass ein oder mehrere Bundesminister nicht damit einverstanden sind, wie ein anderer Bundesminister sein Aufsichtsratsmandat wahrnimmt. Allerdings gelten auch hier die Ausführungen oben unter Nr. 3: Das Aufsichtsratsmandat ist wohl eher nicht vom Ressort des Bundesministers umfasst und daher eher kein relevanter Gegenstand einer „Meinungsverschiedenheit“ nach Art. 65 S. 3 GG. 5. Sonderfall fakultativer Aufsichtsrat einer GmbH Vorstehende Ausführungen betreffen den gesetzlich vorgeschrieben und definierten Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft. Für Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) ist ein Aufsichtsrat nicht zwingend vorgeschrieben. Nach § 52 GmbH-Gesetz kann der Gesellschaftsvertrag einen Aufsichtsrat vorsehen. Die Gesellschafter sind bei der Gestaltung des Aufsichtsrats frei. Es gelten Bestimmungen des Aktiengesetzes, „soweit nicht im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt ist“. Inwieweit ein öffentlicher Vertreter in einem solchen fakultativen Aufsichtsrat Weisungen unterliegt, ist Frage des Einzelfalls, insbesondere des Gesellschaftsvertrags, und ist im Übrigen 6 Public Corporate Governance Kodex des Bundes, 2.1: „Der Bund nimmt seine Rechte als Anteilseigner in der Versammlung der Anteilseigner wahr“. 7 Siehe hierzu unten unter Nr. 5. 8 OVG Sachsen AG 2012, 883 (884); ähnlich VGH Kassel AG 2013, 35 (36 ff.): „die aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen hergeleiteten Forderungen nach kommunalen Kontroll- und Einflussmöglichkeiten […] [können] nur unter Ausnutzung gesellschaftsrechtlich gegebener Möglichkeiten und Spielräume umgesetzt werden“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 107/19 Seite 5 umstritten.9 Die Rechtsprechung betrifft soweit ersichtlich nur kommunale GmbHs mit fakultativen Aufsichtsräten.10 Aus dieser Rechtsprechung lassen sich für die zwingenden gesetzlichen Bestimmungen im Bereich der Aktiengesellschaften wohl keine wesentlichen Schlüsse ziehen. *** 9 Habersack, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Auflage 2019, § 111 Rn. 163 mit weiteren Nachweisen. 10 Keine Weisungsbefugnis: OVG Sachsen AG 2012, 883 (884); VGH Kassel AG 2013, 35 (36 ff.); dahingestellt in BGHZ 36, 206 (304 f.); Weisungsbefugnis bei satzungsmäßiger Abbedingung aktienrechtlicher Vorschriften (GmbH): BVerwG AG 2011, 882 Rn. 5 ff.; OVG Münster AG 2009, 840; VG Arnsberg ZIP 2007, 1988; Rechtsprechung zitiert nach Habersack, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Auflage 2019, § 111 Rn. 163 Fn. 517.