Sozialgesetzbuch II Alleinige Wahrnehmung der Aufgaben durch die Kommunen - Ausarbeitung - © 2009 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 107/09 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Sozialgesetzbuch II Wahrnehmung der Aufgaben durch die Kommunen Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 107/09 Abschluss der Arbeit: 3. April 2009 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - - Zusammenfassung - Das Bundesverfassungsgericht hält das Anliegen, die Grundsicherung für Arbeitsuchende „aus einer Hand“ zu gewähren, für ein „sinnvolles Regelungsziel“. Dieses kann sowohl dadurch erreicht werden, dass der Bund für die Ausführung den Weg des Art. 87 Grundgesetz wählt, als auch dadurch, dass der Gesamtvollzug nach der Grundregel des Art. 83 Grundgesetz insgesamt den Ländern als eigene Angelegenheit überlassen wird. Die Gemeinden und Gemeindeverbände sind staatsorganisationsrechtlich und finanzverfassungsrechtlich den Ländern zugeordnet. Das Bundesverfassungsgericht stellt ausdrücklich fest, dass die Bestimmung der Kreise und kreisfreien Städte zu Trägern der Grundsicherung das Recht auf kommunale Selbstverwaltung nicht verletzt. Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG bestimmt, dass durch Bundesgesetz Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden dürfen. Verpflichtungsadressaten für Aufgabenübertragungen durch den Bund sind die Länder. Eine Aufgabenübertragung auf die Kommunen kann nur durch Landesrecht erfolgen. - 4 - 1. Einleitung Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts gab mit Urteil vom 20. Dezember 20071 Kommunalverfassungsbeschwerden von Kreisen und Landkreisen gegen organisatorische Regelungen des Sozialgesetzbuches Zweites Buch (SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende) statt, soweit sich die Beschwerdeführer gegen die in § 44b SGB II geregelte Pflicht der Kreise zur Aufgabenübertragung der Leistungen nach dem SGB II auf die Arbeitsgemeinschaften von kommunalen Trägern und der Bundesagentur für Arbeit gewandt hatten. Karlsruhe sieht in der einheitlichen Aufgabenerledigung durch die Arbeitsgemeinschaften eine Verletzung der Gemeindeverbände in ihrem Anspruch auf eigenverantwortliche Aufgabenerledigung und einen Verstoß gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes (GG), die eine derartige Mischverwaltung in den Art. 83 ff. GG nicht vorsieht. Besondere Gründe, die ausnahmsweise die gemeinschaftliche Aufgabenwahrnehmung in den Arbeitsgemeinschaften rechtfertigen könnten, existieren nach dem Urteil nicht. § 44b SGB II bleibt jedoch bis zu einer gesetzlichen Neuregelung anwendbar, längstens bis zum 31. Dezember 2010. Dem Gesetzgeber muss für eine Neuregelung, die das Ziel einer Bündelung des Vollzugs der Grundsicherung für Arbeitsuchende verfolgt, ein der Größe der Umstrukturierungsaufgabe angemessener Zeitraum belassen werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat einen Referentenentwurf eines „Gesetz(es) zur Regelung der gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende“2 vorgelegt, der im politischen Raum äußerst kontrovers diskutiert wird. Auf der Grundlage einer entsprechenden Änderung des Grundgesetzes (GG) – es soll nach Art. 86 GG ein Art. 86a GG eingeführt werden3 – soll mit dem Gesetz sichergestellt werden, dass die gemeinsame Aufgabenwahrnehmung durch die Agenturen für Arbeit und die Kommunen fortgesetzt werden kann. Dazu sollen so genannte „Zentren für Arbeit und Grundsicherung“ als Anstalten des öffentlichen Rechts errichtet werden, in denen die Träger ihre Kompetenzen bündeln und die Hilfen einheitlich er- 1 BVerfGE 119, 331. 2 www.bmas.de/coremedia/generator/31240/2009_02_17_ge_neuorganisation_sgb_ii.html, Bearbeitungsstand : 13. Februar 2009, 15:48 Uhr. 3 Die Vorschrift soll folgenden Wortlaut erhalten: „Bei der Ausführung von Bundesgesetzen auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende können Bund und Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Gemeinden und Gemeindeverbände bei der Erfüllung ihrer Aufgaben in gemeinsamen Einrichtungen (Anstalten öffentlichen Rechts) zusammenwirken. Das Nähere, insbesondere zur Organisation und zur Einrichtung der Behörden, zum Verwaltungsverfahren, zur Geschäftsführung, zu Personal und Personalvertretungen, zur Wahrnehmung von Dienstherrenbefugnissen, zur Kostentragung , zum Haushalt, zur Aufsicht und Rechnungsprüfung regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.“ http://www.google.de/search?q=Regierungsentwurf+%C3%84nderung+des+Grundgesetzes+Art.+8 6a&ie=utf-8&oe=utf-8&aq=t&rls=org.mozilla:de:official&client=firefox-a, Bearbeitungsstand: 13. Februar 2009, 15:48 Uhr. - 5 - bringen. Die Bundesagentur für Arbeit und die kommunalen Träger bleiben für die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben verantwortlich. Durch klare Aufsichtsstrukturen wird Transparenz für den Bürger und die Möglichkeit der Zuordnung der Verantwortung für die einzelnen Leistungen angestrebt. Der Entwurf baut damit auf den Erfahrungen der Zusammenarbeit auf und entwickelt diese im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiter, wie der Entwurf anmerkt. Daneben werden die Zulassungen der bisherigen zugelassenen kommunalen Träger entfristet. Eine Erweiterung des Umfangs der Zulassung oder eine Erhöhung der Anzahl der zugelassenen kommunalen Träger sieht der Entwurf nicht vor. Weitere Optionen werden diskutiert, so auch eine Kommunalisierung der Aufgabenwahrnehmung , deren verfassungsrechtliche Voraussetzungen im Folgenden behandelt werden. 2. Selbstverwaltungsgarantie Die Kommunalisierung der Grundsicherung tangiert die kommunale Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände. Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG muss den Gemeinden das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG im Rahmen ihres Aufgabenbereichs nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Das Recht der Selbstverwaltung ist den Gemeindeverbänden nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG für die Ausgestaltung ihres Aufgabenbereichs allerdings nur eingeschränkt gewährleistet. Anders als bei den Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) beschreibt die Verfassung die Aufgaben der Kreise nicht selbst, sondern überantwortet dies dem Gesetzgeber.4 Wie das Bundesverfassungsgericht ausführt,5 findet dessen Gestaltungsspielraum bei der Regelung des Aufgabenbereichs der Kreise erst dort Grenzen, wo verfassungsrechtliche Gewährleistungen des Selbstverwaltungsrechts der Kreise entwertet würden. Der Gesetzgeber darf diese Gewährleistung nicht unterlaufen, indem er keine Aufgaben zuweist, die in der von der Verfassung selbst gewährten Eigenverantwortlichkeit wahrgenommen werden könnten. Der Gesetzgeber muss deshalb einen Mindestbestand an Aufgaben zuweisen, die die Kreise unter vollkommener Ausschöpfung der auch ihnen gewährten Eigenverantwortlichkeit erledigen können. Das Bundesverfassungsgericht sieht im Recht der Kommunen zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte allgemein die Freiheit von staatlicher Reglementierung 4 Vgl. BVerfGE 79, 127 (150); 83, 363 (383); Dreier , in: Dreier, Grundgesetz, Band II, 2. Aufl. 2006, Art. 28 Rn. 174; Löwer, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 4./5. Aufl. 2001, Art. 28 Rn. 85. 5 BVerfGE 119, 331 (353). - 6 - in Bezug auf die Art und Weise der Aufgabenerledigung und die Organisation der Kommunalverwaltung einschließlich der Entscheidungen über die Aufstellung des Haushalts und die Auswahl und Verwendung des Personals.6 Zur Befugnis eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte zählt das Bundesverfassungsgericht insbesondere die Festlegung der Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten für die Wahrnehmung der Aufgaben.7 Die Gemeinden und Gemeindeverbände können grundsätzlich nach eigenem Ermessen Behörden, Einrichtungen und Dienststellen errichten, ändern und aufheben , diese ausstatten, beaufsichtigen und die Steuerungsmechanismen festlegen.8 Außerdem haben Gemeinden und Gemeindeverbände grundsätzlich das Recht auf freie Auswahl, Anstellung, Beförderung und Entlassung ihrer Mitarbeiter.9 Zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie gehören in diesem Zusammenhang die Dienstherrenfähigkeit und die eigene Personalauswahl.10 Die eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung wird den Gemeinden und Gemeindeverbänden jedoch nur nach Maßgabe der Gesetze gewährleistet.11 Sie unterliegt normativer Prägung durch den Gesetzgeber, der sie inhaltlich ausformen und begrenzen darf.12 Denn Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG berechtigt den Gesetzgeber, den Gemeinden Vorgaben zu ihrer Organisation zu machen, und verschafft ihm daher mittelbar auch Einfluss auf die Aufgabenerledigung. Dies ist mit der Regelungskompetenz des Gesetzgebers zur Organisation der Gemeinden unausweichlich verbunden und auch gewollt. Durch die Möglichkeit organisatorischer Rahmensetzung soll der Gesetzgeber auf eine effektive Aufgabenerledigung durch die Gemeinden hinwirken können.13 Nicht nur ein Entzug von Aufgaben14, sondern auch eine Aufgabenzuweisung kann in das Recht auf Selbstverwaltung eingreifen, wenn dadurch die Möglichkeit eingeschränkt wird, Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen, die zum verfassungsrechtlich geschützten Aufgabenbestand gehören.15 Das Bundesverfassungsgericht sieht bei Gemeinden die gemeindliche Selbstverwaltung bereits dadurch berührt, dass eine Aufgabenzuweisung ihnen erschwert, neue Selbstverwaltungsaufgaben zu übernehmen.16 6 Vgl. BVerfGE 83, 363 (382); 91, 228 (245); 107, 1 (14). 7 Vgl. BVerfGE 91, 228 (236). 8 Vgl. Löwer (Fn. 4), Art. 28 Rn. 70. 9 Vgl. BVerfGE 9, 268 (289 f.); 17, 172 (182); 91, 228 (245). 10 Vgl. Löwer (Fn. 4), Art. 28 Rn. 67. 11 Vgl. BVerfGE 91, 228 (236 f., 240). 12 Vgl. BVerfGE 91, 228 (240). 13 Vgl. BVerfGE 107, 1 (19). 14 Vgl. BVerfGE 79, 127. 15 Vgl. NWVerfGH, VerfGH 3/91 ; NVwZ-RR 1993, S. 486 (487); VerfGH 5/94 ; NVwZ 1996, S. 1100; VerfGH 11, 12, 15, 34 u. 37/95 , NVwZ 1997, S. 793 f.; RhPfVerfGH, VGH 88/00 -, NVwZ 2001, S. 912 (914); SachsAnhVerfG, LVG 10-97, NVwZ-RR 1999, S. 393 (396). 16 BVerfGE 119, 331 (354). - 7 - Denn zur Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung gehört das Zugriffsrecht auf alle Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft, die nicht anderen Verwaltungsträgern rechtmäßig zugewiesen sind. Demgegenüber können sich Kreise nur unter besonderen Umständen gegen eine Aufgabenzuweisung durch den Gesetzgeber wehren. Einen Abwehranspruch gegen Veränderungen des gesetzlichen Aufgabenbestands gewährt Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG den Gemeindeverbänden in der Regel nicht.17 Anders als bei den Gemeinden spricht nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bei den Gemeindeverbänden die Vermutung zunächst gegen einen Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht; da diese auf einen gesetzlich beschriebenen Aufgabenbestand verwiesen sind, bedeutet eine Änderung in aller Regel nicht einen Eingriff in den verfassungsrechtlich garantierten Aufgabenbestand , sondern eine neue Umschreibung seines Umfangs. Ein Eingriff in das verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände kann danach erst angenommen werden, wenn die Übertragung einer neuen Aufgabe ihre Verwaltungskapazitäten so sehr in Anspruch nimmt, dass sie nicht mehr ausreichen, um einen Mindestbestand an zugewiesenen Selbstverwaltungsaufgaben des eigenen Wirkungskreises wahrzunehmen, der für sich genommen und im Vergleich zu zugewiesenen staatlichen Aufgaben ein Gewicht aufweist, das der institutionellen Garantie der Kreise als Selbstverwaltungskörperschaften gerecht wird. Außerhalb eines solchen Mindestbestands an echten Selbstverwaltungsaufgaben schützt Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG gegen Aufgabenentziehungen und -zuweisungen nicht. Denn den Gemeindeverbänden ist, anders als den Gemeinden, kein bestimmter Aufgabenbereich unmittelbar durch die Verfassung zugewiesen.18 Das Bundesverfassungsgericht hält das Anliegen, die Grundsicherung für Arbeitsuchende „aus einer Hand“ zu gewähren, für ein „sinnvolles Regelungsziel“ und meint: „Dieses kann … sowohl dadurch erreicht werden, dass der Bund für die Ausführung den Weg des Art. 87 GG wählt, als auch dadurch, dass der Gesamtvollzug nach der Grundregel des Art. 83 GG insgesamt den Ländern als eigene Angelegenheit überlassen wird.“19 Denn nach der Systematik des Grundgesetzes wird der Vollzug von Bundesgesetzen entweder von den Ländern oder vom Bund durchgeführt. Die Gemeinden und Gemeindeverbände sind staatsorganisationsrechtlich und finanzverfassungsrechtlich den Ländern zugeordnet.20 Sie können sich zwar auf die Selbstverwaltungsgarantie in Art. 28 Abs. 2 GG stützen, bleiben jedoch hinsichtlich der grundgesetzlichen Verteilung der Verwaltungskompetenzen stets Bestandteil der Länder.21 Das Bundesverfassungsgericht stellt ausdrücklich fest: „Die Bestimmung der Kreise und kreisfreien Städte zu 17 BVerfGE 119, 331 (354). 18 Vgl. BVerfGE 21, 117 (128 f.); 23, 353 (365); 79, 127 (150 ff.); 83, 363 (383). 19 BVerfGE 119, 331 (371). 20 Vgl. BVerfGE 39, 96 (109). 21 BVerfGE 119, 331 (364). - 8 - Trägern der Grundsicherung verletzt nicht das Recht auf kommunale Selbstverwaltung . Eine Verletzung von Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG durch Aufgabenzuweisung ist nicht erkennbar.“22 3. Verbot der Aufgabenzuweisung auf die kommunale Ebene durch Bundesgesetz Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG, der im Zuge der Föderalismusreform I23 in das GG gelangt ist, bestimmt, dass durch Bundesgesetz Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden dürfen. Es handelt sich um eine negative Kompetenzvorschrift ,24 die ein absolutes Verbot der Aufgabenzuweisung auf die kommunale Ebene enthält.25 Verpflichtungsadressaten für Aufgabenübertragungen durch den Bund sind die Länder. Eine Aufgabenübertragung auf die Kommunen kann nur durch Landesrecht erfolgen, für das das jeweilige Landesverfassungsrecht maßgeblich ist.26 Aufgabenübertragung bedeutet die Zuweisung bestimmter Aufgaben, durch die der kommunale Aufgabenkreis verändert wird.27 Da das Verbot der bundesgesetzlichen Aufgabenübertragung auf die Kommunen ausnahmslos gilt,28 darf auch die materiell-rechtliche Erweiterung bereits bestehender Aufgaben nicht an die Kommunen adressiert werden.29 Bei einer Kommunalisierung der Grundsicherung für Arbeitsuchende geht es genau um eine derartige Erweiterung bereits bestehender Aufgaben. In seinem Urteil vom 20. Dezember 2007 hatte das Bundesverfassungsgericht offen gelassen, ob der Bund durch die Regelung in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II, der (neben der Bundesagentur) die Kreise und kreisfreien Städte zu Trägern der Leistungen nach §§ 16a, 22 und 23 Abs. 3 SGB II bestimmt, Art. 84 Abs. 1 GG a.F. verletzt hat. Die Vorschrift erlaubte dem Bundesgesetzgeber jedenfalls in Ausnahmefällen die Zuweisung von Aufgaben an Gemeinden und Gemeindeverbände (auch als Selbstverwaltungsaufgaben ).30 Das Bundesverfassungsgericht stellte darauf ab, dass sich Gemeinden 22 BVerfGE 119, 331 (352) – Hervorhebung vom Verfasser. 23 52. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034). 24 Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, 11. Auflage 2008, Art. 84 Rn. 25. 25 Von Mutius, Grundsicherung für Arbeitsuchende unter einem Dach – Zur Strukturierung der SGB II-Verwaltung ohne Grundgesetzänderung –, Rechts- und verwaltungswissenschaftliches Gutachten erstattet im Auftrage des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, April 2008, S. 30, http://www.dstgb.de/homepage/pressemeldungen/dstgb_modell_zentrum_fuer_arbeit_zfa/grundsich erung_fuer_arbeitsuchende_unter_einem_dach.pdf. 26 Henneke (Fn. 24), Art. 84 Rn. 24, 29. 27 BVerfGE 77, 288 (299); Henneke (Fn. 24), Art. 84 Rn. 25. 28 Schoch, DVBl. 2006, S. 261 (263). 29 Henneke (Fn. 24), Art. 84 Rn. 26. 30 Vgl. BVerfGE 22, 180 (209 f).; 77, 288 (299); zum Streitstand statt vieler Trute, in: von Mangoldt /Klein/Starck, GG, Band 3, 5. Auflage 2005, Art. 84 Rdnr. 11. - 9 - und Gemeindeverbände im Rahmen der Kommunalverfassungsbeschwerde nur eingeschränkt darauf berufen können, eine gesetzliche Regelung verletze neben der Selbstverwaltungsgarantie auch sonstiges Verfassungsrecht.31 Nur soweit die Verfassungsnorm in den Gewährleistungsumfang des Art. 28 Abs. 2 GG hineinwirkt, kann sie im Rahmen einer Kommunalverfassungsbeschwerde als Prüfungsmaßstab herangezogen werden.32 Art. 84 Abs. 1 GG a.F. diente laut Bundesverfassungsgericht nicht dazu, den Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung zu erhalten, sondern sollte vor einem unzulässigen Eingriff des Bundes in die Verwaltungszuständigkeit der Länder schützen.33 Das Verbot der Aufgabenübertragung durch Bundesgesetz dient dem Ziel, die Organisationsgewalt der Länder in ihrer Befugnis zu stärken, ihre Aufgaben zwischen der kommunalen Ebene und der übrigen Landesverwaltung zu verteilen.34 Des Weiteren soll das Aufgabenübertragungsverbot die landesrechtlichen Maßgaben für die Inanspruchnahme der Kommunen sichern und den Regelungen der Landesverfassungen Rechnung tragen, welche die landesgesetzliche Übertragung von Aufgaben auf die Kommunen an besondere Voraussetzungen und Rechtsfolgen knüpfen. Danach hat der Landesgesetzgeber insbesondere die Kostenfolgen für die Kommunen zu regeln und nötigenfalls für einen angemessenen Ausgleich von Mehrbelastungen zu sorgen (Konnexitätsprinzip).35 31 BVerfGE 119, 331 (356 ff.). 32 BVerfGE 119, 331 (357). 33 BVerfGE 119, 331 (358). 34 Vgl. etwa Henneke, DVBl. 2006, S. 867 f.; Korioth, NVwZ 2005, S. 503 (508). 35 Henneke, Der Landkreis 2006, S. 258 ff.; ders., Ausformung der landesverfassungsrechtlichen Finanzgarantien der Kommunen durch die Rechtsprechung, Der Landkreis 2006, S 285 (294 ff).; Wendt, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlasste kommunale Aufgaben, in: Verfassungsstaatlichkeit , Festschrift für Stern, 1997, S. 603 ff.; Schoch, JG 1994, S. 246 ff.; Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlasste kommunale Aufgaben , 1995; vgl. auch NWVerfGH, DVBl. 1993, S. 197 ff.; BVerfGE 83, 363 (383 ff).