© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 106/21 Verbot von Kurzstreckenflügen Gesetzgebungskompetenz und grundrechtliche Relevanz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Gesetzgebungskompetenz Nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG steht dem Bund die ausschließliche Kompetenz über den Luftverkehr zu. Diese umfasst alle rechtlichen Regelungen, die für die Beförderung sowie den Transport über Luftfahrzeuge im weiteren Sinn erforderlich sind.1 Dazu zählen „der Flugverkehr im eigentlichen Sinne, Luftaufsicht und Luftpolizei, das Recht der Verkehrsmittel, insbesondere ihrer Zulassung, der Ausbildung und der Zuverlässigkeit der im Luftverkehr beschäftigten Personen, die Zuverlässigkeit von Luftverkehrsunternehmen, Haftungsfragen, die Luftrettung, die Erhebung von Luftsicherheitsgebühren , Zulassung und Betrieb von Flughäfen und sonstigen Bodenanlagen; in zum Teil problematischer Abgrenzung zu Umweltschutzkompetenzen wird auch der Schutz vor Lärm durch Flugverkehr hier eingeordnet“.2 Diese umfassende Kompetenz des Bundesgesetzgebers ermächtigt diesen auch zur Beschränkung des Flugverkehrs, wie in Form eines Verbots von Kurzstreckenflügen. 3. Vereinbarkeit mit den Grundrechten 3.1. Schutzbereich Das Grundrecht auf Berufsfreiheit wird von Art. 12 GG geschützt. Der sachliche Schutzbereich beinhaltet das Recht der Berufswahlfreiheit, die Arbeitsplatzwahlfreiheit und die Ausbildungsstättenwahlfreiheit (Satz 1) und in Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG die Garantie der Berufsausübungsfreiheit. Diese Teilbereiche sind als einheitliches Grundrecht zu verstehen.3 Vom persönlichen Schutzbereich erfasst sind auch juristische Personen, bei denen die Freiheit geschützt wird, eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit, insbesondere ein Gewerbe, zu betreiben, soweit diese Erwerbstätigkeit ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise von einer juristischen wie von einer natürlichen Person ausgeübt werden kann.4 1 Degenhart, in: Sachs, 9. Auflage 2021 Rn. 26, GG Art. 73 Rn. 26. 2 Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Auflage 2018, GG Art. 73 Rn. 57 mit weiteren Nachweisen. 3 Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Auflage 2018, GG Art. 12 Rn. 2. 4 BVerfGE Band 30, 292, 312. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 106/21 Seite 4 Auch der Schutzbereich des Grundrechts auf Eigentum aus Art. 14 GG wird eröffnet. Zu den als Eigentum geschützten Rechten des Privatrechts gehört auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder Betriebseigentum,5 welches durch ein Verbot von Kurzstreckenflügen betroffen ist. Zudem ist die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG als subsidiäres Grundrecht einschlägig . 3.2. Eingriff Ein Verbot von Kurzstreckenflügen stellt einen Eingriff in diese Grundrechte dar. Es beschränkt Fluggesellschaften in ihrer bisher bestehenden Freiheit, Flüge mit einer Strecke von unter 1.500 km anzubieten und durchzuführen, sowie in ihrer Freiheit, ihre Flugzeuge für solche Flüge zu nutzen. Schließlich stellt das Verbot auch einen mittelbaren Eingriff in die Freiheit potentieller Nutzer solcher Flugverbindungen dar. 3.3. Rechtfertigung Ein Eingriff in ein Grundrecht ist nur verfassungsgemäß, wenn er gerechtfertigt ist. 3.3.1. Maßstab Das Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG unterliegt einem einheitlichen Gesetzesvorbehalt .6 Eine Regelung kann nur auf Grund oder durch ein Gesetz erfolgen. Der Gesetzgeber darf die Freiheit von Beruf, Arbeit und Ausbildung nur soweit einschränken, wie Regelungen zu ihrer Einschränkung verhältnismäßig sind.7 Beim Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG hingegen handelt es sich um ein sog. normgeprägtes Grundrecht. Eigentum ist ein Produkt der Rechtsordnung und wird erst von dieser konstruiert. Die Zuordnung bestimmter Vermögenswerte zu einer Person als Eigentum ergibt sich nämlich nicht aus faktischen Umständen, sondern aus der Rechtsordnung, sodass ohne gesetzgeberisches Tätigwerden Eigentum nicht denkbar ist.8 Das bedeutet, dass Art. 14 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber die Ausgestaltung des Eigentums überlässt, dieser aber gleichzeitig an die Eigentumsgarantie gebunden ist. Einschränkungen dieses Grundrechts können erfolgen durch sog. Inhaltsund Schrankenbestimmungen. Darunter versteht man die generelle und abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten durch den Gesetzgeber hinsichtlich solcher Rechtsgüter, die als Eigentum geschützt werden.9 Der Gesetzgeber hat aber keine unbeschränkte Freiheit bei der Gestaltung des 5 Wendt, in: Sachs, 9. Auflage 2021, GG Art. 14 Rn. 26. 6 Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, 7. Auflage 2021, GG Art. 12 Rn. 78. 7 Wieland, in: Dreier, 3. Auflage 2013, GG Art. 12 Rn. 92. 8 BeckOK GG/Axer, 46. Ed. 15.2.2021, GG Art. 14 Rn. 7. 9 BVerfGE 110, 1, 24 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 106/21 Seite 5 Eigentumsrechts. Er muss bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums Zweck und Funktion der Eigentumsgarantie beachten10 und ist insbesondere an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden.11 Die Rechtfertigung eines Eingriffs stützt sich also sowohl bei dem Grundrecht auf Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG wie beim Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser ist auch beim Grundrecht auf Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, der entscheidende Prüfungspunkt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt voraus, dass ein legitimes Ziel besteht, zu dessen Erreichung die Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen sein muss. Dabei sind die Einzelheiten der Gesetzes, hier des Verbots, entscheidend: welche Flüge von einem Verbot erfasst werden, die dafür herangezogenen Kriterien (etwa die Untergrenze der Entfernung oder die Ersetzbarkeit durch Bahnverbindungen), eventuelle Ausnahmeregelungen. Ohne die konkrete Ausgestaltung kann nur eine allgemeine Einschätzung erfolgen. 3.3.2. Legitimes Ziel und Geeignetheit Ein legitimes Ziel ist der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen aus Art. 20a GG. Für die Geeignetheit ist es ausreichend, wenn das Vorhaben dieses Ziel fördert. Das Verbot von Kurzstreckenflügen soll den CO2-Ausstoß verringern, wozu es beiträgt. Das Verbot ist daher zur Zielerreichung geeignet. 3.3.3. Erforderlichkeit Die Erforderlichkeit lässt sich nicht abschließend beurteilen. Andere Maßnahmen könnten zwar ein milderes Mittel darstellen, sie müssten jedoch auch gleich wirksam sein. Dieser Vergleich mit möglichen Alternativen ist wiederum abhängig von der konkreten Ausgestaltung. 3.3.4. Angemessenheit Angemessen ist eine gesetzliche Regelung schließlich dann, wenn bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs, dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird.12 Ein Verbot von Kurzstreckenflügen könnte die Fluggesellschaften, abhängig vom jeweiligen Anteil von Kurzstreckenflügen an deren Geschäftsmodell, empfindlich treffen. Insbesondere für Fluggesellschaften, die sich auf Kurzstreckenflüge spezialisiert haben, käme dies einem faktischen Berufsverbot nahe. Mittelbar könnte ein solches Verbot auch zum Verlust von Arbeitsplätzen führen. Gleichzeitig ist das Ziel, CO2-Emissionen zu reduzieren, unentbehrlich für die Bemühungen, den Klimawandel aufzuhalten oder zumindest zu verlangsamen. Dieser stellt eine Bedrohung für den Planeten und die Zukunft der 10 BVerfGE 112, 93, 109. 11 BVerfGE 122, 374, 391 f. 12 BVerfGE 141, 82 Rn. 53. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 106/21 Seite 6 Menschheit dar. Seine Folgen sind nicht absehbar, weshalb er möglichst zu begrenzen ist. Dafür sind weitgehende Einsparungen von CO2 nötig. 3.4. Ergebnis Da das Ergebnis der Gesamtabwägung entscheidend von den Einzelheiten der Regelung und dem darin enthaltenen Interessenausgleich abhängt, kann eine abschließende Beurteilung an dieser Stelle nicht erfolgen. Ein Verbot von Kurzstreckenflügen würde jedenfalls nicht grundsätzlich einen unzulässigen Verstoß gegen die Grundrechte darstellen, weil es möglich erscheint, ein Verbot in grundrechtskonformer Weise auszugestalten. ***