© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 106/16 Unerwünschte Briefkastenwerbung von Parteien Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Einleitung Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht dem Eigentümer oder Besitzer einer Wohnung, der sich durch einen Aufkleber an seinem Briefkasten gegen den Einwurf von Werbematerial wehrt, gegenüber dem Werbenden ein Unterlassungsanspruch zu, wenn es dennoch zum Einwurf von Werbematerial kommt.1 Im Jahr 2001 hat das Kammergericht Berlin entschieden, die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Grundsätze zum Unterlassungsanspruch gegenüber dem erkennbar unerwünschten Einwurf von Werbematerial in Hausbriefkästen würden auch für die Wahlwerbung politischer Parteien gelten mit der Folge, dass der Empfänger einen Anspruch auf Unterlassung aus den §§ 903, 862, 823 Abs. 1, 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) habe.2 Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen.3 Das Kammergericht Berlin habe keine Auslegungsfehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung der betroffenen Grundrechte beruhten.4 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung wird die Frage gestellt, ob eine gesetzliche Einschränkung des zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs in Bezug auf Werbematerial von Parteien verfassungsrechtlich zulässig wäre. Bei der Prüfung soll auch darauf eingegangen werden, ob und inwieweit sich die geringe Eingriffsintensität auf Seiten der Empfänger der Werbung auswirke. Zudem würde der typischerweise verwendete Aufkleber „Bitte kein Werbung“ nicht zweifelsfrei zum Ausdruck bringen, dass neben der Konsumwerbung auch die Parteiwerbung unerwünscht sei. 2. Regelung einer Pflicht zur Duldung von Briefkastenwerbung durch Parteien In der Rechtsprechung zum zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen unerwünschte Briefkastenwerbung wird in Bezug auf die Willensäußerung „keine Werbung (einwerfen)“ nicht zwischen Konsum- und Parteienwerbung differenziert. Das Kammergericht Berlin führt dazu aus: „Inwieweit politische Informationen der Konsumwerbung gleichzusetzen sind, bedarf an dieser Stelle keiner allgemeinen Erörterung. Jedenfalls aber soweit es um Werbematerial geht, mit dem die politischen Parteien ihre Inhalte und Zielrichtungen dem Bürger nahe bringen und auf diese Weise – zumindest mittelbar – auch für Wählerstimmen werben wollen, besteht kein Anlass zu einer unterschiedlichen Behandlung von Konsumwerbung und politischer Werbung, da das Ausmaß der Störung und Beeinträchtigung in beiden Fällen das Gleiche ist (…).“5 1 BGH NJW 1989, 902 ff. 2 KG Berlin NJW 2002, 379 ff., unter Hinweis auf die Rechtsprechung des OLG Bremen NJW 1990, 2140 f. 3 BVerfG NJW 2002, 2938 f. Siehe auch den Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Entscheidung des OLG Bremen (Fn. 2), BVerfG NJW 1991, 910 f. 4 BVerfG NJW 2002, 2938. 5 KG Berlin NJW 2002, 379, 380. So vorher auch schon OLG Bremen NJW 1990, 2140; dagegen Löwisch, Briefkastenwerbung von Parteien, NJW 1990, 437 f.; Schmitz, Grundrechtskollisionen zwischen politischen Parteien und Bürgern (1995), 42 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 106/16 Seite 5 Das Bundesverfassungsgericht beanstandete die Gleichsetzung von Konsum- und Parteienwerbung nicht, sondern hob vielmehr hervor, das Kammergericht Berlin habe das durch Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Interesse der Partei an der Verbreitung und Verteilung von Flugblättern mit ihren politischen Ansichten und das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Interesse des Betroffenen, von unerwünschter politischer Werbung verschont zu bleiben, in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise gegeneinander abgewogen. Auch die geringe Eingriffsintensität auf Seiten des Betroffenen, der den Inhalt der Werbung nicht zur Kenntnis nehmen muss, rechtfertige kein überwiegendes Interesse an der Verbreitung der Parteiwerbung.6 Zwar sind die Fachgerichte in nachfolgenden Entscheidungen nicht an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gebunden, doch geht von ihr eine Präjudizwirkung für vergleichbare Fälle aus.7 Man könnte erwägen, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch in Bezug auf eine gesetzliche Regelung der Briefkastenwerbung durch Parteien Präjudizwirkungen entfalte und daher keinen Raum für gesetzliche Einschränkungen des Unterlassungsanspruchs zugunsten der Parteien lasse. Insoweit ist aber zu beachten, dass das Bundesverfassungsgericht gerade nicht über eine gesetzliche Regelung, sondern über ein fachgerichtliches Urteil zu entscheiden hatte. Dabei prüft das Bundesverfassungsgericht nicht die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts, sondern „nur“ die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts. Im Rahmen dieser „eingeschränkten Nachprüfung“8 kommt es u.a. darauf an, ob die Fachgerichte die Grundrechte in ihrer grundsätzlichen Bedeutung und Tragweite verkannt haben. Diese auf einen Einzelfall und auf die geltenden zivilrechtlichen Vorschriften zu Unterlassungsansprüchen bezogene Überprüfung eines fachgerichtlichen Urteils nimmt anderweitige Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers nicht schon vorweg. Vielmehr können sich die grundrechtlichen Abwägungsgesichtspunkte verschieben, wenn der Gesetzgeber die rechtlichen Grundlagen verändert. Eine gesetzliche Regelung, die den zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch in Bezug auf Briefkastenwerbung von Parteien einschränkt, könnte regelungstechnisch als Duldungspflicht ausgestaltet werden. Zur Duldung der Parteienwerbung wären dann auch diejenigen Personen verpflichtet, die ihren entgegenstehenden Willen durch einen Hinweis am Briefkasten deutlich gemacht haben. In Bezug auf die konkrete Ausgestaltung wäre eine Beschränkung der Duldungspflicht auf Wahlkampfzeiten denkbar. Darüber hinaus könnte man Beschränkungen des Umfangs der Parteienwerbung in Betracht ziehen. Ein konkretisierter Regelungsvorschlag zur Duldung der Briefkastenwerbung von Parteien liegt bisher nicht vor. Die folgende Prüfung beschränkt sich daher auf die Erläuterung der verfassungsrechtlichen Vorgaben, die bei einer Regelung zur Duldung von Briefkastenwerbung durch Parteien (im Folgenden: Duldungspflicht) zu beachten wären. 3. Verfassungsrechtliche Vorgaben Bei der Regelung einer Duldungspflicht bezüglich Briefkastenwerbung durch Parteien sind formelle und materielle Vorgaben der Verfassung zu beachten. In formeller Hinsicht stellt sich die 6 BVerfG NJW 2002, 2938 f. 7 In diesem Sinne siehe die Bezugnahme des OLG München MMR 2004, 324 ff. auf die Rechtsprechung des BVerfG NJW 2002, 2938 ff. in einem Fall zur unerwünschten E-Mail-Werbung. 8 So BVerfG NJW 1991, 910 (vgl. Fn. 3). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 106/16 Seite 6 Frage nach der Gesetzgebungskompetenz des Bundes. In materieller Hinsicht kommt es auf die Vereinbarkeit der Duldungspflicht mit den Grundrechten der betroffenen Bürger an. 3.1. Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die Regelung der Duldungspflicht könnte sich aus Art. 21 Abs. 3 GG sowie aus Art. 72 Abs. 1 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ergeben. Aus Art. 21 Abs. 3 GG folgt die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Parteienrecht. Die sachliche Reichweite dieser Gesetzgebungskompetenz ist im Einzelnen allerdings umstritten.9 Insbesondere können Überschneidungen mit Gesetzgebungskompetenzen der Länder auftreten. Die Zuordnung zur Bundes- oder zur Länderkompetenz hängt in diesen Fällen dann vom Schwerpunkt der Regelung ab.10 In Bezug auf die Parteienwerbung fällt z.B. die Benutzung öffentlicher Wege in die Kompetenz der Landesgesetzgeber.11 Eine Überschneidung mit Ländergesetzgebungskompetenzen besteht im Fall der Briefkastenwerbung durch Parteien allerdings nicht. Vielmehr bedarf es insoweit der Abgrenzung zu einer anderen Bundeskompetenz, nämlich der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das bürgerliche Recht aus Art. 72 Abs. 1 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Der Bereich des bürgerlichen Rechts umfasst die Regelung der rechtlichen Beziehungen Privater in ihrem Verhältnis zueinander.12 Im Hinblick auf die Duldung von Briefkastenwerbung stehen sich die betroffenen Bürger und die Parteien als Privatrechtssubjekte gegenüber, so dass es um die Regelung eines Rechtsverhältnisses zwischen Privaten geht. Fraglich ist, ob ein stärkerer sachlicher Bezug zum bürgerlichen Recht oder zum Parteienrecht besteht. Für das Parteienrecht spricht das mit der Parteienwerbung verfolgte Ziel, an der politischen Willensbildung des Volkes gemäß Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG mitzuwirken. In diesem Sinne könnte die Duldungspflicht der Briefkastenwerbung in erster Linie als Ausgestaltung der Aufgabenwahrnehmung nach Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG verstanden werden. Auf der anderen Seite könnte man das durch die Briefkastenwerbung konkret betroffene zivilrechtliche Verhältnis zwischen Bürgern und Parteien in den Vordergrund stellen, das durch die Duldungspflicht zu Lasten der Bürger geregelt würde. Da es insoweit um eine Ausnahmeregelung zum zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch geht, könnte man einen stärkeren Bezug zum bürgerlichen Recht annehmen. Die Frage, ob ein stärkerer sachlicher Zusammenhang zum Parteienrecht oder zum bürgerlichen Recht besteht, kann hier jedoch dahinstehen, denn der Bund wäre für die Regelung der hier relevanten Duldungspflicht in jedem Fall zuständig, entweder nach Art. 21 Abs. 3 GG oder nach Art. 72 Abs. 1 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Auch bei Annahme einer konkurrierenden Bundeskompetenz aus Art. 72 Abs. 1 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG bestünde kein weiterer Begründungsbedarf, da die Erforderlichkeitsprüfung nach Art. 72 Abs. 2 GG auf den Regelungsbereich des bürgerlichen Rechts nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG keine Anwendung findet. Unabhängig von der konkreten Zuordnung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum bürgerlichen Recht oder zum Parteienrecht stellt sich die Frage nach dem Regelungsort der Duldungspflicht. Eine Verpflichtung, Normen des bürgerlichen Rechts auch im Bürgerlichen Gesetzbuch zu regeln, 9 Vgl. Morlok, in: Dreier, GG (3. Aufl., 2015), Rn. 164 zu Art. 21. 10 Siehe Morlok (Fn. 9), Rn. 165 zu Art. 21; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG (6. Aufl., 2012), Rn. 91 zu Art. 21. 11 Klein, in: Maunz/Dürig, GG (Stand: Januar 2012), Rn. 141 zu Art. 21. 12 Vgl. Degenhart, in: Sachs, GG (7. Aufl., 2014), Rn. 4 zu Art. 74 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 106/16 Seite 7 besteht nicht.13 Auch die Normen des Parteienrechts sind nicht notwendig im Parteiengesetz zu regeln. So verweist Art. 21 Abs. 3 GG selbst darauf, dass die Ausgestaltung durch Bundesgesetze zu erfolgen hat, so dass – je nach Zweckmäßigkeit – verschiedene Bundesgesetze als Regelungsorte in Betracht kommen.14 3.2. Vereinbarkeit mit den Grundrechten der Werbeempfänger Die Regelung einer Duldungspflicht könnte die Empfänger der Briefkastenwerbung in ihren Grundrechten verletzen. Dabei stellt sich zunächst die Frage, in welche Grundrechte die Duldungspflicht überhaupt eingreifen würde. 3.2.1. Grundrechtseingriff Ein Eingriff in die negative Meinungs- und Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG15 scheidet von vornherein aus. Die hier vorgeschlagene Regelung bezieht sich lediglich auf die Duldung der Briefkastenwerbung. Damit wären die Empfänger der Briefkastenwerbung nur dazu verpflichtet, die Werbematerialien anzunehmen. Eine darüber hinausgehende Pflicht, sich mit dem Inhalt des Werbematerials zu befassen, sich also mit den darin geäußerten Meinungen auseinanderzusetzen oder sich entsprechend zu informieren, bestünde nicht. Vielmehr könnten die Betroffenen die Werbematerialien gleich nach Empfang entsorgen. Die Duldungspflicht könnte aber in das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG und in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG eingreifen. Der Schutz des Eigentumsgrundrechts umfasst u.a. die einfachgesetzlich vorgesehenen Rechte und Nutzungsmöglichkeiten des Eigentümers und Besitzers an einer Sache.16 Die Duldungspflicht würde das Recht, Dritte von der Nutzung des Briefkastens auszuschließen, beeinträchtigen. Dies gilt aber nur dann, wenn der Eigentümer oder Besitzer mit dem Empfang der Briefkastenwerbung nicht einverstanden ist. Ist der Empfänger mit der Nutzung seines Briefkastens durch die werbenden Parteien einverstanden, liegt keine Nutzungsbeeinträchtigung vor. Ein weiterer grundrechtsrelevanter Aspekt der Duldungspflicht besteht darin, dass sich der Wille des Betroffenen, in seinem persönlichen Lebensbereich von vornherein nicht mit der „Suggestivwirkung von Werbung“17 konfrontiert zu werden, nicht durchsetzen kann. Dieser Wille ist als 13 Degenhart (Fn. 12), Rn. 4 zu Art. 74, verweist insoweit darauf, dass das bürgerliche Recht nicht ausschließlich im BGB geregelt ist. Siehe dazu auch Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG (6. Aufl., 2010), Rn. 10 zu Art. 74: „Entscheidender Gesichtspunkt ist insoweit nur, ob ein Gesetz den privaten Status und die rechtlichen Beziehungen Privater in ihrem Verhältnis zueinander regelt, nicht aber darauf, wo und in welcher gesetzgebungstechnischen Form diese Regelung der Individualrechtsverhältnisse erfolgt.“ 14 Siehe dazu Klein (Fn. 11), Rn. 142 zu Art. 21. 15 Die negative Meinungsfreiheit umfasst dabei das Recht, sich fremde Meinungen nicht anhören zu müssen, vgl. Wendt, in: v. Münch/Kunig, GG (6. Aufl., 2012), Rn. 18 zu Art. 5. Zur negativen Informationsfreiheit als Recht, sich Informationen zu verschließen, siehe Bethge, in: Sachs, GG (7. Aufl., 2014), Rn. 57a zu Art. 5. 16 Vgl. Wendt, in: Sachs, GG (7. Aufl., 2014), Rn. 41 zu Art. 14. 17 So BGH NJW 1989, 902, 903. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 106/16 Seite 8 Ausdruck der personalen Selbstbestimmung im Rahmen des nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts schutzwürdig,18 so dass die Regelung einer Duldungspflicht das allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigen würde. Man könnte erwägen, dass die genannten Grundrechtsbeeinträchtigungen von so geringem Ausmaß seien, dass ihnen schon keine Eingriffsqualität zukomme und sie vielmehr als bloße sozialtypische Belästigungen einzustufen seien. Diese Argumentation überzeugt allerdings nicht. Die Duldung von Briefkastenwerbung ist insbesondere nicht mit Werbemaßnahmen im öffentlichen Raum vergleichbar. Zum einen kann man sich Werbemaßnahmen im öffentlichen Raum durch Abwenden unmittelbar entziehen. Zum anderen ist bei der Briefkastenwerbung der persönliche Lebensbereich der Betroffenen berührt.19 Die Duldungspflicht stellt demnach einen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht und in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar. 3.2.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Sowohl das Eigentumsgrundrecht als auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht sind aber nicht schrankenlos gewährleistet. Vielmehr sind Einschränkungen in Form von Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG sowie als Ausdruck der verfassungsmäßigen Ordnung nach Art. 2 Abs. 1 GG möglich. Diese Einschränkungsmöglichkeiten unterliegen ihrerseits aber wiederum Beschränkungen, insbesondere müssen sie verhältnismäßig sein. Die Regelung der Duldungspflicht zielt darauf ab, den Parteien eine umfassende Briefkastenwerbung zu ermöglichen. Die Parteien würden zum einen diejenigen Personen erreichen, die sich ggf. nicht bewusst sind, dass die Ablehnung der Briefkastenwerbung auch Parteienwerbung umfasst. Darüber hinaus wären Personen betroffen, die den Empfang von Parteienwerbung in ihren Briefkästen ablehnen. Diese umfassende Briefkastenwerbung dient der in Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG vorgesehenen Aufgabe und dem Recht der Parteien, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Damit wird nicht nur ein legitimer Zweck, sondern auch ein verfassungsrechtlich geschütztes Ziel verfolgt. Soweit die Parteien Personen erreichen, die ihre Werbung nicht strikt ablehnen, stellt die Duldungspflicht ein taugliches Mittel dar, um ihre Willensbildung im Sinne des Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG zu beeinflussen. In Bezug auf diejenigen Personen, die Parteienwerbung in ihren Briefkästen strikt ablehnen, erscheint eine Beeinflussung ihrer Willensbildung jedoch fraglich. Es liegt nahe, dass diese Personen eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der unerwünschten Parteienwerbung erst recht verweigern und diese sogleich wegwerfen. Allerdings ist auch nicht gänzlich auszuschließen , – und diese Einschätzung obliegt dem Gesetzgeber – dass sich die „Verweigerer“ mit 18 Vgl. BVerfG NJW 1991, 910 f.; BGH NJW 1989, 902, 903: „Der Wille des Bürgers, insoweit seinen Lebensbereich von jedem Zwang zur Auseinandersetzung mit Werbung nach Möglichkeit freizuhalten, ist als Ausfluss seines personalen Selbstbestimmungsrechts schutzwürdig.“ 19 Siehe BGH NJW 1989, 902, 903: „Notwendigkeit, Üblichkeit und Bedeutung der Werbung im heutigen Wirtschaftsleben stehen hier nicht in Frage. Vielmehr geht es darum, dass der Bürger einem unerwünschten Eindringen der Werbung in seinen rechtlich geschützten Eigenbereich, das sich über seinen erklärten Willen hinwegsetzt, entgegentreten kann.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 106/16 Seite 9 der Parteienwerbung befassen, so dass insgesamt von der Eignung der Duldungspflicht auszugehen ist. Ein die Betroffenen weniger beeinträchtigendes, aber gleich geeignetes Mittel als die Duldungspflicht ist nicht ersichtlich. Zwar stehen den Parteien auch andere Wahlkampfmittel zur Verfügung, z.B. die Wahlplakatwerbung oder das Aufstellen von Informationsständen,20 doch können sie damit nicht alle Zielgruppen erreichen.21 Insbesondere würde eine „Widerspruchslösung“ keine solche gleich geeignete Alternative bilden. Denkbar wäre nämlich, die fachgerichtliche Rechtsprechung zur Gleichsetzung von Konsum- und Parteienwerbung insoweit zu relativieren, als eine gesetzliche Regelung bestimmt, dass man der Parteienwerbung in Briefkästen ausdrücklich widersprechen muss („Widerspruchslösung“). Damit würde der allgemeine Hinweis auf dem Briefkasten, dass Werbung unerwünscht ist, zur Abwehr der Parteienwerbung nicht ausreichen. Mit dieser „Widerspruchslösung“ würde man aber nur den Zugang zu denjenigen Personen erreichen , die auf einen ausdrücklichen Widerspruch der Parteienwerbung verzichten. Damit wäre die „Widerspruchslösung“ zwar ein milderes, aber im Hinblick auf das Ziel einer umfassenden Briefkastenwerbung kein gleich geeignetes Mittel, so dass auch die Erforderlichkeit der Duldungspflicht anzunehmen ist. Fraglich ist aber, ob die Regelung der Duldungspflicht auch angemessen wäre. Insoweit ist zu prüfen, ob die Schwere des Grundrechtseingriffs in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der Duldungspflicht verfolgten Interessen steht. Dabei muss die Grundrechtsbeeinträchtigung den Betroffenen zumutbar sein. Die Grundrechtsbeeinträchtigung auf Seiten der Werbeempfänger wiegt nicht schwer. 22 Eine Duldungspflicht würde weder in das Eigentumsgrundrecht noch in das allgemeine Persönlichkeitsrecht besonders intensiv eingreifen. Zwar müssten sie die Parteienwerbung empfangen, doch könnten sie sich ohne weiteres gegen eine Auseinandersetzung mit ihr entscheiden . Dieser eher geringen Eingriffsintensität steht das wichtige und verfassungsrechtlich geschützte Interesse der Parteien gegenüber, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Das Bundesverfassungsgericht hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass insbesondere kleine Parteien, die in den Medien kaum Gehör finden, das Mittel der Briefkastenwerbung benötigen, um in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erlangen und ihre Meinung zu verbreiten.23 Aber auch dem Ziel der Parteienmitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes dürfte die Duldungspflicht nur in eingeschränktem Maße dienen. Jedenfalls diejenigen Personen, die die Parteienwerbung in ihren Briefkästen strikt ablehnen und die Werbung sogleich wegwerfen, würden die Parteien nicht erreichen. Für diesen Teil der Zielgruppe könnte man daher wegen des 20 Vgl. dazu Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Zulässigkeit und Grenzen von Wahlkampfbeschränkungen der Parteien (WD 3 - 3000 - 315/14). 21 Siehe Schmitz (Fn. 5), 49: „Soweit ersichtlich, ist Briefkastenwerbung die einzige Möglichkeit, die gesamte (sesshafte) Bevölkerung anzusprechen, sofern die Partei eine flächendeckende Verteilung gewährleistet.“ 22 Vgl. BVerfG NJW 2002, 2938, 2939; dazu auch Schmitz (Fn. 5), 46 f.; Brocker, Briefkastenwerbung politischer Parteien – Die „Befreiung des Zivilrechts vom verfassungsrechtlichen Denken“?, NJW 2002, 2072 f. 23 BVerfG NJW 2002, 2938. Siehe auch Brocker (Fn. 22), 2072 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 106/16 Seite 10 geringen Nutzens der Briefkastenwerbung die Angemessenheit einer Duldungspflicht bezweifeln24 und vertreten, dass sie den Betroffenen angesichts der möglichen Alternativen, z.B. in Form der o.g. „Widerspruchslösung“, nicht zumutbar ist. Diese „Widerspruchslösung“ würde sich zudem in die Regelungssystematik zum ähnlich gelagerten Fall der persönlich adressierten Wahlwerbung durch Parteien einfügen. Nach § 50 Abs. 1 S. 1 Bundesmeldegesetz (BMG) dürfen die Meldebehörden Parteien zum Zweck der Wahlwerbung Daten von Gruppen von Wahlberechtigten zur Verfügung stellen. Dieser Datenübermittlung können die betroffenen Personen aber nach § 50 Abs. 4 BMG widersprechen. Unabhängig davon erscheint aber angesichts der insgesamt geringen Eingriffsintensität eine konkrete Ausgestaltung der Duldungspflicht möglich, die den Anforderungen der Angemessenheit und Zumutbarkeit trotz des teilweise geringen Nutzens gerecht wird. In diesem Zusammenhang ist auf die Beschränkung der Duldungspflicht auf Zeiten des Wahlkampfes hinzuweisen. Zweifeln an der Angemessenheit und Zumutbarkeit der Duldungspflicht könnte man ferner dadurch begegnen, dass die Menge der zulässigen Parteienwerbung begrenzt wird. Ende der Bearbeitung 24 Kritisch gegenüber dem Aufdrängen von Wahlwerbung Fuchs, Nochmals: Briefkastenwerbung von Parteien, NJW 1990, 2983 f. A.A. Schmitz (Fn. 5), 51, der insoweit darauf abstellt, es gehöre gerade auch zur Aufgabe der Parteien, politikdesinteressierte und -ablehnende Bevölkerung anzusprechen.