© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 105/20 Koordinierung der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus durch die Bundesregierung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 105/20 Seite 2 Koordinierung der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus durch die Bundesregierung Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 105/20 Abschluss der Arbeit: 22. April 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 105/20 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wird, welche Kompetenzen der Bundesregierung bzw. der Bundeskanzlerin hinsichtlich der Koordination von Maßnahmen der Bundesländer zur Eindämmung des Coronavirus zukommen und auf welcher Rechtsgrundlage diese beruhen. 2. Koordinierung von Bund und Ländern im Bereich der Landeseigenverwaltung Die Ausführung der Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) ist nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes ein Gegenstand der landeseigenen Verwaltung, Art. 83 Grundgesetz (GG) und § 54 IfSG. Dem Grundgesetz ist kein Verbot zu entnehmen, dass sich die Bundesländer und der Bund über Art, Umfang und Zielrichtung von Maßnahmen der Verwaltung auf Grundlage eines Bundesgesetzes abstimmen. Viel mehr dürfte dies mit Blick auf die Effektivität von Infektionsschutzmaßnahmen und den durch das Bundesverfassungsgericht anerkannten Grundsatz der Bundestreue oder des bundesfreundlichen Verhaltens1 sogar geboten sein. Ein solches Verfahren müsste für Gegenstände landeseigener Verwaltung auch nicht ausdrücklich in der Verfassung geregelt werden, wenn es sich um eine reine Abstimmung der Maßnahmen ohne besondere Einvernehmens- oder Letztentscheidungsvorbehalte des Bundes handelt. Verbindliche bundesgesetzliche Vorgaben hinsichtlich des „Verwaltungsverfahrens“ sind nur unter den Voraussetzungen des Art. 84 Abs. 1 GG zulässig. Dies umfasst die Regelung des Ablaufs des Verwaltungsverfahrens (von der Einleitung über Vorbereitung und Durchführung der Prüfung bis zum Abschluss) einschließlich Zuständigkeit, Fristen, Formerfordernisse und der konkreten Gestalt des Verwaltungshandelns gegenüber den betreffenden Personen (bspw. Verwaltungsakt, Realakt).2 Die Bundesregierung kann gemäß Art. 84 Abs. 2 GG im Bereich der Landeseigenverwaltung aber (sog. allgemeine) Verwaltungsvorschriften für die Durchführung der Bundesgesetze erlassen. Diese Ermächtigung dient der Sicherstellung einer einheitlichen Ausführung der Bundesgesetze.3 Die Bundesländer sind an die Vorgaben gebunden.4 Die Verwaltungsvorschriften sind akzessorisch zu den Bundesgesetzen, d.h. sie können nur die jeweiligen bundesgesetzlichen Regelungen (etwa hinsichtlich der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen oder der Ermessensausübung) konkretisieren, nicht aber neue oder abweichende Regelungen schaffen.5 1 BVerfGE 1, 299 (315); weitere Nachweise aus der Rspr. bei Sachs, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 68. 2 Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 84 Rn. 52. 3 BVerfGE 11, 6 (18); Hermes, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 84 Rn. 79; Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 84 Rn. 172. 4 BVerfGE 26, 338 (397). 5 Hermes, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 84 Rn. 83; Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 84 Rn. 174. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 105/20 Seite 4 Gemäß Art. 84 Abs. 5 S. 1 GG kann der Bundesregierung durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zur Ausführung von Bundesgesetzen zudem die Befugnis verliehen werden, für besondere Fälle Einzelweisungen zu erteilen. Diese sind, außer wenn die Bundesregierung den Fall für dringlich erachtet, an die obersten Landesbehörden zu richten (Art. 84 Abs. 5 S. 2 GG). Das Infektionsschutzgesetz enthält allerdings – soweit ersichtlich – keine Einzelweisungsbefugnisse der Bundesregierung. Das Instrument der Einzelweisung ist in erster Linie für die Justierung in Einzelfällen geeignet und dürfte zur grundsätzlichen und umfassenden Koordinierung der bundesweiten Maßnahmen kaum einschlägig sein. 3. Kompetenzen der Bundesregierung nach dem Infektionsschutzgesetz Mit der Einfügung von § 5 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 4, Nr. 7 und Nr. 8 in das IfSG hat der Gesetzgeber das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) nun jedoch mit Wirkung zum 28. März 2020 ermächtigt , im Rahmen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch Rechtsverordnung Ausnahmen von Vorschriften des IfSG zuzulassen.6 Soweit diese sich auf das Arbeitsrecht oder den Arbeitsschutz beziehen ist – außer bei Gefahr im Verzug – zusätzlich das Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales erforderlich, § 5 Abs. 3 S. 2 und 3 IfSG. Der Bundestag hat das Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite am 27. März 2020 festgestellt .7 Nach dem ebenfalls neueingefügten § 5 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 5 und Nr. 6 IfSG soll das BMG auch selbst Anordnungen (Verwaltungsakte) für die dort bestimmten Bereiche treffen können. Sofern die Ermächtigungen des neuen § 5 IfSG mit dem Verfassungsrecht vereinbar sind,8 kann das BMG auf diese gestützt insbesondere bundesweit geltende Rechtsverordnungen erlassen und Anordnungen treffen. Unabhängig von diesen Handlungsformen mit konkreter Außenrechtswirkung gegenüber Bürgerinnen und Bürgern kann das BMG gemäß § 5 Abs. 6 IfSG in einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite unter Heranziehung der Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI) ferner Empfehlungen abgeben, um ein koordiniertes Vorgehen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. Der Bundesregierung soll damit laut der Gesetzesbegründung die Befugnis eingeräumt werden, „ein koordiniertes Vorgehen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland einzuleiten und zu begleiten.“9 Der Terminus „Empfehlung“ macht deutlich, dass es sich nicht um verbindliche 6 Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020, BGBl. I, S. 587. 7 Artikel 1 § 5 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (Fn. 5). 8 Vgl. dazu bereits die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages mit dem Titel „Staatsorganisation und § 5 Infektionsschutzgesetz“, WD 3 - 3000 - 080/20, abrufbar unter: https://www.bundestag .de/resource/blob/690262/cb718005e6d37ecce82c99191efbec49/WD-3-080-20-pdf-data.pdf (letzter Abruf: 21.4.2020). 9 BT-Drs. 19/18111, S. 24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 105/20 Seite 5 Weisungen der Bundesregierung handelt. Insofern wird die Kompetenz der Bundesländer zur landeseigenen Verwaltung im Bereich des Infektionsschutzes nicht eingeschränkt. Gemäß § 5 Abs. 7 S. 1 IfSG koordiniert das RKI, als Bundesoberbehörde im Sinne des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG, die Zusammenarbeit zwischen den Ländern und zwischen den Ländern und dem Bund sowie weiteren beteiligten Behörden und Stellen während einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite und tauscht Informationen aus. Die Bundesregierung kann dafür durch allgemeine Verwaltungsvorschrift mit Zustimmung des Bundesrates Näheres bestimmen, § 5 Abs. 7 S. 2 IfSG. Nach der Gesetzesbegründung soll eine zentrale koordinierende Stelle, die vor allem die naturwissenschaftlichen Aspekte der Lage in besonderem Maße beleuchten kann, von außerordentlicher Bedeutung sein. Zur Koordinierung könne das RKI mit Bund und Ländern Informationen austauschen .10 Ein verbindliches Weisungsrecht des RKI gegenüber Behörden der Bundesländer legt Abs. 7 hingegen nicht fest. 4. Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin Art. 65 S. 1 und S. 2 GG lauten: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung. Über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern entscheidet die Bundesregierung.“ Hieraus folgt nur eine Befugnis, Bundesministern Rahmenvorgaben zu machen, die diese mit Inhalten ausfüllen. Gegenüber den Ländern entfaltet diese Vorschrift keine Wirkung. 5. Gesetzesinitiativrecht der Bundesregierung Das Infektionsschutzrecht ist ein Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes.11 Der Bundesregierung besitzt gemäß Art. 76 Abs. 1 GG ein eigenes Gesetzesinitiativrecht. Hält sie eine weitergehende Vereinheitlichung der Rechtslage in den Bundesländern für geboten, kann die Bundesregierung entsprechende Gesetzesentwürfe in den Bundestag einbringen. *** 10 BT-Drs. 19/18111, S. 24. 11 Zu den Einzelheiten vgl. die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages mit dem Titel „Gesetzgebungskompetenz für den Infektionsschutz“, WD 3 - 3000 - 081/20, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/691276/d7b39e76d5cd2649a5ffe3e6596df907/WD-3-081-20-pdfdata .pdf (letzter Abruf: 21.4.2020).