© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 105/16 Aufsichts- und Einflussmöglichkeiten des Bundes im Zusammenhang mit der Anwendung des Ghettorentengesetzes Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 105/16 Seite 2 Aufsichts- und Einflussmöglichkeiten des Bundes im Zusammenhang mit der Anwendung des Ghettorentengesetzes Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 105/16 Abschluss der Arbeit: 21. April 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung WD 6: Arbeit und Soziales Die Ausführungen unter 2. bis 4. stammen vom Fachbereich WD 6 (Arbeit und Soziales). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 105/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Anwendung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) 4 3. Rechtsstellung der Rentenversicherungsträger 4 4. Aufsicht über die Rentenversicherungsträger nach dem Sozialrecht 5 4.1. Rechtsaufsicht 5 4.2. Verbindliche Entscheidungen zur einheitlichen Rechtsanwendung 5 5. Aufsicht über die Rentenversicherungsträger nach dem Grundgesetz 6 5.1. Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder als eigene Angelegenheit 6 5.1.1. Vollzugssteuerung durch allgemeine Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen 7 5.1.2. Aufsichtsrechte der Bundesregierung über die Ausführung der Bundesgesetze 7 5.2. Ausführung von Bundesgesetzen durch den Bund 9 6. Aufsichts- und Einflussmöglichkeiten des Bundes im Zusammenhang mit der Landesjustiz 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 105/16 Seite 4 1. Einleitung Gefragt wurde, welche Aufsichts- und Einflussmöglichkeiten der Bund im Zusammenhang mit der Anwendung des Ghettorentengesetzes besitzt. Vor dem Hintergrund der Vorgänge um den nordrhein-westfälischen Richter von Renesse wird abschließend auf die Aufsichts- und Einflussmöglichkeiten des Bundes im Zusammenhang mit der Landesjustiz eingegangen. 2. Anwendung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) Durch das erst im Jahre 2002 verabschiedete Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) ist die Anerkennung der von den Opfern nationalsozialistischer Zwangsherrschaft in den Ghettos erbrachten Arbeitsleistung nicht im Rahmen einer Entschädigungsleistung , sondern als von der Solidargemeinschaft der Rentenversicherung zu erbringende Leistung geregelt worden. Hintergrund ist die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 1997, nach der für eine Beschäftigung im Ghetto Łódź unter bestimmten Voraussetzungen Beitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung anzurechnen sind. Dies sollte nach dem Willen des Gesetzgebers für alle in den Ghettos Beschäftigten gelten. Entgegen dem sonst geltenden Auslandsrentenrecht sind nach dem ZRBG Rentenzahlungen ins Ausland auch aus einer Beschäftigung in einem Ghetto außerhalb der dem Deutschen Reich angeschlossenen Gebiete möglich. Bei der Umsetzung des ZRBG ist es zu verschiedenen Auslegungen der von der Gesetzgebung verabschiedeten Regelungen seitens der verschiedenen Rentenversicherungsträger sowie der Sozialgerichtsbarkeit gekommen, die erst im Jahre 2009 endgültig geklärt werden konnten. Die Rentenversicherungsträger haben sich bei der Prüfung der Anträge zunächst davon leiten lassen, dieselben Maßstäbe an die Glaubhaftmachung von Tatsachen und die Anforderungen an eine Beschäftigung zu setzen, die für die Anerkennung von Beitragszeiten nach den übrigen rentenrechtlichen Regelungen gelten. Aufsichts- und Einflussmöglichkeiten des Bundes im Zusammenhang mit der Anwendung des ZRBG bestehen bereits aufgrund der für die gesetzliche Rentenversicherung bestimmten mittelbaren staatlichen Verwaltung nur sehr eingeschränkt und sind auf die Überprüfung begrenzt, ob das Verwaltungshandeln der Bundesträger der Deutschen Rentenversicherung mit dem geltenden Recht und Gesetz übereinstimmt. Dies ist Folge der Eingliederung der Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto in die gesetzliche Rentenversicherung unabhängig davon, ob Beitragsleistungen tatsächlich erfolgt sind. 3. Rechtsstellung der Rentenversicherungsträger Gemäß § 29 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) sind die Rentenversicherungsträger rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung, die durch die Versicherten und die Arbeitgeber über gewählte Organe ausgeübt wird. Die Rentenversicherungsträger erfüllen im Rahmen des Gesetzes und des sonstigen für sie maßgebenden Rechts ihre Aufgaben daher in eigener Verantwortung, regelmäßig in einzelfallbezogenen Verwaltungsverfahren. Insoweit ist die verwaltungsmäßige Umsetzung der gesetzlichen Rentenversicherung aus der unmittelbaren Staatsverwaltung ausgegliedert und auf selbständige Rechtsträger übertragen worden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 105/16 Seite 5 Nach der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland haben primär die Länder gemäß Art. 30, 83 Grundgesetz (GG) die Aufgabe und Kompetenz, das im Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) geregelte Rentenrecht umzusetzen und hierfür entsprechende Behörden einzurichten. Die Aufgaben der gesetzlichen Rentenversicherung werden gemäß § 125 SGB VI jedoch nicht nur von Regionalträgern, sondern auch von zwei Bundesträgern wahrgenommen. Bundesträger sind die Deutsche Rentenversicherung Bund und die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn- See. Für diese sieht Art. 87 Abs. 2 GG die Organisation als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts vor. Aufgrund der bis zur Organisationsreform der Rentenversicherung zum 1. Oktober 2005 geregelten Zuständigkeitsverteilung sind die heutigen Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung als frühere Träger der Arbeiterrentenversicherung weitaus häufiger mit der Umsetzung des ZRBG befasst als die frühere in der Deutschen Rentenversicherung Bund aufgegangene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und die frühere in der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft- Bahn-See aufgegangene Bundesknappschaft. 4. Aufsicht über die Rentenversicherungsträger nach dem Sozialrecht 4.1. Rechtsaufsicht Zwar stehen die Rentenversicherungsträger als öffentlich-rechtliche Körperschaften mit Selbstverwaltung unter staatlicher Aufsicht; diese berührt gemäß § 87 Abs. 1 SGB IV jedoch nur die Rechtsund nicht die Fachaufsicht, so dass nur die Einhaltung von Recht und Gesetz sichergestellt ist, nicht jedoch auch eine Kontrolle darüber erfolgt, ob die Art und Weise der Aufgabenerfüllung zweckmäßig ist. Die Rechtsaufsicht über die Bundesträger obliegt gemäß § 90 Abs. 1 bis 3 SGB IV dem Bundesversicherungsamt. Aufsichtsbehörden für die Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung sind die für die Sozialversicherung zuständigen obersten Verwaltungsbehörden der Länder oder die nach Landesrecht bestimmten Behörden. Wird durch das Handeln oder Unterlassen eines Versicherungsträgers das Recht verletzt, soll die Aufsichtsbehörde gemäß § 89 SGB IV zunächst beratend darauf hinwirken, dass der Versicherungsträger die Rechtsverletzung behebt. Kommt der Versicherungsträger dem innerhalb angemessener Frist nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde den Versicherungsträger verpflichten, die Rechtsverletzung zu beheben. Neben der Durchführung von Aufsichtsprüfungen stellen vor allem die Bearbeitung von Petitionen, Eingaben und Beschwerden einen bedeutenden Teil der Aufsichtstätigkeit des Bundesversicherungsamtes dar. Des Weiteren prüft das Bundesversicherungsamt die Haushaltspläne und Geldanlagen der Bundesträger und genehmigt Immobilienvorhaben sowie Darlehensvergaben. 4.2. Verbindliche Entscheidungen zur einheitlichen Rechtsanwendung Zur Klärung von grundsätzlichen Fach- und Rechtsfragen zur Sicherung der einheitlichen Rechtsanwendung trifft der Bundesvorstand als Selbstverwaltungsorgan der Deutschen Rentenversicherung Bund gemäß § 138 SGB VI von allen Rentenversicherungsträgern zu beachtende verbindliche Entscheidungen. In den meisten Fällen wird mit den verbindlichen Entscheidungen das Rentenversicherungsrecht konkretisiert. Vor allem unbestimmte Rechtsbegriffe werden so einheitlich ausgelegt. Zum ZRBG sind – soweit bekannt – keine verbindlichen Entscheidungen getroffen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 105/16 Seite 6 worden. Bis zum 30. September 2005 erfolgte die Abstimmung der Rentenversicherungsträger über den in der Deutschen Rentenversicherung Bund aufgegangenen Verband Deutscher Rentenversicherungsträger . 5. Aufsicht über die Rentenversicherungsträger nach dem Grundgesetz Aufsichts- und Einflussmöglichkeiten können sich darüber hinaus auch aus den Regelungen des Grundgesetzes über die Verteilung der Verwaltungskompetenzen in Art. 83 ff. GG ergeben. Nach Art. 83 GG führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt. Für die Sozialversicherung existiert eine solche spezielle Regelung in Art. 87 Abs. 2 GG, der die Verwaltungskompetenzen für die Sozialversicherung zwischen Bund und Ländern aufteilt: Als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts werden diejenigen Sozialversicherungsträger geführt, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes erstreckt, Art. 87 Abs. 2 S. 1 GG. Auf dieser Grundlage bestehen die Deutsche Rentenversicherung Bund sowie die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See. Es handelt sich dabei um Bundesverwaltung gemäß Art. 86 und 87 GG. Sozialversicherungsträger, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes, aber nicht über mehr als drei Länder hinaus erstreckt, werden abweichend von der eben dargestellten Regel als landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts geführt, wenn das aufsichtsführende Land durch die beteiligten Länder bestimmt ist, Art. 87 Abs. 2 S. 2 GG. Auf dieser Grundlage bestehen die verschiedenen Regionalträger der Rentenversicherung. Es handelt sich dabei um Landesvollzug von Bundesrecht nach Art. 83 und 84 GG.1 Im Folgenden wird zunächst auf die Aufsichts- und Einflussmöglichkeiten des Bundes im Rahmen der Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder als eigene Angelegenheit nach Art. 83 und 84 GG (5.1) und sodann auf den verfassungsrechtlichen Rahmen für die Verwaltungsorganisation innerhalb der Bundesverwaltung (5.2) eingegangen. 5.1. Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder als eigene Angelegenheit Inhalt und Bedeutung der Verwaltungskompetenz der Länder aus Art. 83 GG werden näher in Art. 84 GG ausgeführt. Für die vorliegende Frage der Aufsichts- und Einflussmöglichkeiten des Bundes sind die Möglichkeiten der Vollzugssteuerung durch die Bundesregierung durch allgemeine Verwaltungsvorschriften (Abs. 2) und Einzelweisungen (Abs. 5) sowie die Aufsichtsrechte der Bundesregierung (Abs. 3 und 4) darzustellen. 1 Beschorner, in: Mülheims/Hummel/Peters-Lange/Toepler/Schuhmann (Hrsg.), Handbuch Sozialversicherungswissenschaft , 2015, S. 782. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 105/16 Seite 7 5.1.1. Vollzugssteuerung durch allgemeine Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen Ein Mittel zur präventiven Steuerung des Gesetzesvollzugs stellt die Möglichkeit der Bundesregierung gemäß Art. 84 Abs. 2 GG dar, mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften für den Gesetzesvollzug durch die Länder zu erlassen. Diese Verwaltungsvorschriften sind Rechtsnormen zur Steuerung der Exekutive, die die Organisation, das Verfahren, die materiellen Maßstäbe oder das Personal betreffen können.2 Nach Art. 84 Abs. 5 GG kann die Bundesregierung durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zur Ausführung von Bundesgesetzen die Befugnis verliehen werden, für besondere Fälle Einzelweisungen zu erteilen. Diese sind – außer wenn die Bundesregierung den Fall für dringlich erachtet – an die obersten Landesbehörden zu richten. In Abgrenzung von den Verwaltungsvorschriften sind Einzelweisungen verbindliche Anordnungen, wie in einem konkreten Sachverhalt zu verfahren ist.3 Als mildere Mittel einer Einflussnahme der Bundesregierung kommen Zustimmungs-, Einvernehmens- oder Anhörungsvorbehalte in Betracht.4 Die Kompetenzen nach Art. 84 Abs. 2 und 5 GG sind der Bundesregierung als Kollegium zugewiesen. Für den vorliegenden Fall des Ghettorentenrechts ist festzustellen, dass weder entsprechende Verwaltungsvorschriften noch gesetzliche Regelungen, die die Bundesregierung zur Erteilung von Einzelweisungen auf diesem Gebiet ermächtigen, existieren.5 5.1.2. Aufsichtsrechte der Bundesregierung über die Ausführung der Bundesgesetze Nach Art. 84 Abs. 3 S. 1 GG übt die Bundesregierung die Aufsicht darüber aus, dass die Länder die Bundesgesetze dem geltenden Recht gemäß ausüben. Die Bundesregierung kann zu diesem Zwecke Beauftragte zu den obersten Landesbehörden entsenden, mit deren Zustimmung und – falls diese Zustimmung versagt wird – mit Zustimmung des Bundesrates auch zu den nachgeordneten Behörden , Art. 84 Abs. 3 S. 2 GG. Die indikative Wortfassung „übt aus“ sowie die demokratische und rechtsstaatliche Funktion der Aufsicht zeigen, dass Art. 84 Abs. 3 GG der Bundesregierung nicht nur eine Befugnis, sondern auch eine grundsätzliche Pflicht zur Aufsicht gibt.6 Wie bei jeder Aufsicht verbleibt der Bundesregierung jedoch ein Spielraum, ob, wann und wie sie beaufsichtigt. 2 Trute, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2010, Art. 84 Rn. 64. 3 Suerbaum, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, Beck’scher Onlinekommentar, Stand: 27. Edition (September 2015), Art. 84 Rn. 54. 4 Broß/Mayer, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 84 Rn. 59. 5 Siehe als Beispiel für eine Weisungsbefugnis im Sinne des Art. 84 Abs. 5 GG die Regelung in § 74 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz . 6 Kirchhof, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 61. EL (Januar 2011), Art. 84 Rn. 191. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 105/16 Seite 8 Werden Mängel, die die Bundesregierung bei der Ausführung der Bundesgesetze in den Ländern festgestellt hat, nicht beseitigt, so beschließt nach Art. 84 Abs. 4 GG auf Antrag der Bundesregierung oder des betroffenen Landes der Bundesrat, ob das Land das Recht verletzt hat (sog. Mängelrüge ). Gegen den Beschluss des Bundesrates kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Die Aufsicht nach Art. 84 Abs. 3 und 4 GG bezieht sich auf die verwaltungsmäßige Ausführung der Bundesgesetze.7 Sie richtet sich an „die Länder“ als geschlossene Einheiten, so dass ein Durchgriff des Bundes auf die handelnden Landesbehörden oder -einrichtungen – abgesehen von der in Art. 84 Abs. 3 S. 2 2. Alt GG ausdrücklich geregelten Ausnahme – nicht möglich ist.8 Die Aufsicht nach Art. 84 Abs. 3 GG soll gewährleisten, dass die Bundesgesetze „dem geltenden Rechte gemäß“ ausgeführt werden. Es handelt sich bei ihr also um eine reine Rechtsaufsicht und nicht um eine Kontrolle der Zweckmäßigkeit im Sinne einer Fachaufsicht.9 Maßstab der Rechtmäßigkeitskontrolle ist das gesamte Bundesrecht, darüber hinaus auch das Völkerrecht sowie das Unionsrecht.10 Als Mittel der Aufsicht sind in Art. 84 Abs. 3 und 4 GG ausdrücklich nur die Entsendung von Beauftragten des Bundes und die Mängelrüge genannt. Inwieweit daneben noch andere Mittel der Aufsicht zulässig sind, ist umstritten. Nach verbreiteter Auffassung dürfte zu den Aufsichtsmitteln der Bundesregierung in diesem Zusammenhang auch das Recht auf Auskunft und Information , etwa durch Anforderungen von Akten oder eines Berichts, zählen.11 Betont wird dabei jedoch stets, dass der Beauftragte der Bundesregierung dabei keine Weisungen gegenüber dem Land erteilen könne.12 7 Trute, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2010, Art. 84 Rn. 79. 8 Bull, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein (Hrsg.), Grundgesetz, Alternativkommentar, Stand der Kommentierung : 2001, Art. 84 Rn. 52 f. 9 Siehe BVerfGE 81, 310 (331). Von der Rechtsaufsicht zu trennen ist die Dienstaufsicht des Bundes in der bundeseigenen Verwaltung oder der Bundesauftragsverwaltung, die auch auf Fragen der Zweckmäßigkeit des Gesetzesvollzuges und auf nachgeordnete Bundes- oder Landesbehörden erstreckt werden kann, Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 84 Rn. 69. 10 Trute, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2010, Art. 84 Rn. 83. 11 Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 84 Rn. 38; zurückhaltender Hermes, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2008, Art. 84 Rn. 97. Ausführlich hierzu Bull, in: Denninger/ Hoffmann-Riem/Schneider/Stein (Hrsg.), Grundgesetz, Alternativkommentar, Stand der Kommentierung: 2001, Art. 84 Rn. 59 ff. 12 Broß/Mayer, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 84 Rn. 51; Trute, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2010, Art. 84 Rn. 85. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 105/16 Seite 9 Nach der Darstellung in der Literatur besitzen die Regelungen über die Bundesaufsicht nach Art. 84 Abs. 3 und 4 GG keine praktische Bedeutung.13 Meinungsverschiedenheiten und Streitfragen zwischen Bund und Ländern beim Vollzug von Bundesgesetzen würden in anderen Formen ausgetragen und bereinigt, etwa durch Schriftwechsel, durch Erörterung in Koordinierungsgremien oder Ministerkonferenzen. An anderer Stelle heißt es, dass die Bedeutung des Rechtsinstituts der Aufsicht in der Staatspraxis keineswegs so überragend sei, wie es manchmal die dazu angestellten dogmatischen Überlegungen vermuten ließen.14 Auch das Bundessozialgericht hat Ende 2009 darauf hingewiesen, dass das Mängelrügeverfahren nach Art. 84 Abs. 4 GG seit seinem Bestehen in der Praxis noch nie durchgeführt worden sei.15 5.2. Ausführung von Bundesgesetzen durch den Bund Gemäß der Zuweisung der Verwaltungskompetenzen für die Sozialversicherung in Art. 87 Abs. 2 GG wird das Ghettorentenrecht auch durch die Rentenversicherungsträger des Bundes, die als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts eingerichtet sind, ausgeführt. Im Rahmen der Bundesverwaltung sind die maßgeblichen Entscheidungen über die Organisation der Verwaltung des Bundes und ihre Leitung durch Weisungen nach Art. 65 S. 2 GG grundsätzlich Sache des zuständigen Ministers als Ressortchef.16 Eine Begrenzung dieser Organisations- und Leitungszuständigkeit des Fachministers stellt Art. 86 GG dar. Danach werden der Bundesregierung – vorbehaltlich besonderer gesetzlicher Regelungen – der Erlass von allgemeinen Verwaltungsvorschriften und die Einrichtung der Behörden zugewiesen. Das Verhältnis des Bundes zu seinen bundesunmittelbaren Trägern öffentlicher Verwaltung ist im Grundgesetz weit weniger detailliert ausgestaltet als das Verhältnis zu den Ländern.17 Dies gilt auch für die Träger mittelbarer Bundesverwaltung. In der Literatur wird in Bezug auf Letztere darauf hingewiesen, dass die Schaffung juristischer Personen des öffentlichen Rechts typischerweise mit der Einräumung von Selbstverwaltungsbefugnissen verbunden sei. Diese Einräumung 13 Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 1990, § 101 Rn. 41 (wortlautidentisch in der 2. Aufl. 1999); Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, 1998, S. 442 f.; Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2008, § 136 Rn. 44. Etwas anderes gilt für das Weisungsrecht des Bundes im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG, etwa in Bezug auf das Atomrecht, siehe BVerfGE 84, 25. 14 Umbach/Clemens, in: dies. (Hrsg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, 2002, Art. 84 Rn. 57. 15 BSG, Urteil vom 15. Dezember 2009 – B 1 AS 1/08 KL, Rn. 18 (zitiert nach juris). Bei Ipsen, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, NdsVBl. 2014, 209 (210), heißt es, dass die Mangelrüge in der Staatspraxis „nur selten“ vorkomme. 16 Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2008, § 136 Rn. 81. 17 Sachs, Die Einheit der Verwaltung als Rechtsproblem, NJW 1987, 2338 (2342). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 105/16 Seite 10 von Selbstverwaltungsbefugnissen ginge einher mit Abweichungen vom sonst geltenden Organisationsrecht im Hinblick auf die ministerielle Leitungsgewalt.18 Vor diesem Hintergrund kommt es für die vorliegende Frage nach den Aufsichts- und Einflussmöglichkeiten des Bundes gegenüber den Rentenversicherungsträgern des Bundes maßgeblich darauf an, wie der Bund selbst diese vorgesehen hat. Insoweit ist auf die Ausführungen unter 4. zur Aufsicht des Bundesversicherungsamtes über die Bundesträger zu verweisen. 6. Aufsichts- und Einflussmöglichkeiten des Bundes im Zusammenhang mit der Landesjustiz Im spezifischen Bereich der Rechtsprechung besteht kein Aufsichtsrecht des Bundes gegenüber der Landesjustiz. Ein solches wäre mit der Unabhängigkeit der Gerichte unvereinbar.19 Zudem ist zu betonen, dass das Grundgesetz, wie bereits oben erläutert, keine selbstständige Aufsicht kennt, so dass sich die Aufsicht im Rahmen der Art. 83 ff. GG nur auf den Vollzug von Bundesgesetzen beziehen kann.20 Die Gerichte klären zwar im Rahmen der an sie herangetragenen Rechtsstreitigkeiten Fragen der Gesetzesausführung, sind aber nicht selbst an dieser Ausführung beteiligt.21 Nur soweit Gerichte mit der verwaltungsmäßigen Ausführung von Bundesgesetzen betraut sind, gelten die Regeln der Bundesaufsicht.22 Disziplinarmaßnahmen gegenüber Landesrichtern beruhen auf dem Landesrichter- sowie dem Landesdisziplinarrecht, so dass insoweit bereits mangels der Ausführung von Bundesgesetzen eine Bundesaufsicht ausscheidet. Ende der Bearbeitung 18 Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2008, § 136 Rn. 98. Allgemein zur Aufsicht über öffentlich-rechtliche Körperschaften Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II, 7. Aufl. 2010, § 85 Rn. 81 ff. 19 Bull, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein (Hrsg.), Grundgesetz, Alternativkommentar, Stand der Kommentierung: 2001, Art. 84 Rn. 49. 20 Die Funktion einer selbstständigen Aufsicht, wie sie noch die Weimarer Reichsverfassung vorsah, ist teilweise durch die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG vorgesehene Möglichkeit ersetzt, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, um einen Rechtsverstoß der Länder feststellen zu lassen. Darüber hinaus steht dem Bund unter besonderen Umständen die Möglichkeit des Bundeszwangs gemäß Art. 37 GG zu, siehe Umbach/Clemens, in: dies. (Hrsg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, 2002, Art. 84 Rn. 59. 21 Bull, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein (Hrsg.), Grundgesetz, Alternativkommentar, Stand der Kommentierung: 2001, Art. 84 Rn. 49. 22 Dux, Bundesrat und Bundesaufsicht, 1963, S. 77.