AUSARBEITUNG Thema: Die Regelung des Bundeszwangs in Deutschland, der Schweiz, Östereich und den Vereinigten Staaten von Amerika Fachbereich III Verfassung und Verwaltung Tel.: Verfasser/in: Abschluss der Arbeit: 28. März 2006 Reg.-Nr.: WF III 105/06 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - 1. Vorbemerkung Diese Ausarbeitung gibt einen Überblick über die Regelungen des Bundeszwangs in Deutschland, der Schweiz, Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika. Der Begriff „Bundeszwang“ ersetzt den Begriff der Reichsexekution in der Weimarer Reichverfassung und beschreibt die Regelungen, die für den Fall gelten, dass ein Land seine Pflichten als Gliedstaat nicht erfüllt. 2. Die Regelungen des Bundeszwangs in Deutschland 2.1. Allgemeine Bedeutung Der Bundeszwang ist in Art. 37 Abs. 1 GG geregelt. Dort heißt es: „Wenn ein Land die ihm nach dem Grundgesetz oder einem anderen Bundesgesetz obliegenden Bundespflichten nicht erfüllt, kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates die notwendigen Maßnahmen treffen, um das Land im Wege des Bundezwangs zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten.“ Der Bundeszwang dient der Sicherung des durch Art. 20 Absatz 1 und 79 Absatz 3 GG festgelegten bundesstaatlichen Prinzips. 2.2. Voraussetzung für die Anordnung und Durchführung des Bundeszwangs Voraussetzung für die Anordnung des Bundeszwangs ist eine Verletzung von Bundespflichten , die entweder aus dem Grundgesetz oder aus den Bundesgesetzen erwachsen. Diese Pflicht muss von einem Land verletzt worden sein.1 Nur Pflichtwidrigkeiten oberster Landesorgane bzw. solche, die von obersten Landesorganen ausdrücklich gebilligt werden, können mit Hilfe des Bundeszwangs geahndet werden. Aus den Motiven zum Grundgesetz ergibt sich, dass die ordnungsgemäße Ausführung der Bundesgesetze entweder als eigene Angelegenheit der Länder (Art. 83, 84 GG) oder im Auftrag des Bundes (Art. 85 GG) zu den wesentlichen Bundespflichten gehört.2 Die Anordnung und Durchführung des Bundeszwangs erfolgt in fünf Schritten: Die Bundesregierung stellt den Tatbestand fest. 1 Gubelt, Art. 37 Rdnr. 3. 2 Siehe: Jahrbuch des öffentlichen Rechts, neue Folge, Band 1 (1951), S.339. - 3 - Die Bundesregierung beschließt als Kabinett, ob der Bundeszwang angewendet wird. Der Bundesregierung steht dabei Ermessen zu. Nach dem Beschluss über das ob, muss die Bundesregierung beschließen, in welcher Weise sie gegen das Land vorgehen will. Mögliche Maßnahmen des Bundeszwangs sind politischer, finanzieller oder wirtschaftlicher Druck (Nichterfüllung von Bundesaufgaben, Einstellung von Finanzzuweisungen) sowie die zeitweise Übernahme administrativer oder legislativer Landesaufgaben durch den Bund. Vor der Durchführung muss die Zustimmung des Bundesrates eingeholt werden. Eine nachträgliche Billigung reicht nicht aus.3 Der letzte Schritt ist die faktische Durchführung. Der Bund trägt die Kosten des Bundeszwangs. 2.3. Bedeutung des Bundeszwangs Bislang gibt es keine Rechtsprechung zum Bundeszwang und Fälle aus der Praxis sind nicht bekannt. 3. Die Regelung des Bundeszwangs in anderen Verfassungen Die Verfassungen der Schweiz, Österreichs und den Vereinigten Staaten von Amerika enthalten vergleichbare Bestimmungen. 3.1. Die Regelungen des Bundeszwangs in der Schweiz Gemäß Art. 49 Absatz 2 der Bundesverfassung (BV) der Schweizerischen Eidgenossenschaft 4 wacht der Bund über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone. Gegenstand der Bundesaufsicht sind die kantonale Staatstätigkeit bei Rechtssetzung und Verwaltung. Dem Bund steht die Rechtskontrolle in den Bereichen zu, die nach der Verfassung von den Kantonen selbstständig verwaltet werden sowie bei kantonalen Kompetenzen, die vom Bund an die Länder delegiert wurden. Aufsichtsorgan ist gemäß Art.182 Absatz 2 BV und Art. 186 Absatz 4 BV grundsätzlich der Bundesrat. 3 Gubelt, Art. 37, Rndr.16. 4 vom 18. April 1999. - 4 - Es ist möglich; das Aufsichtsrechts an ein Department oder Bundesamt gemäß Art. 177 Absatz 3 BV zu delegieren. Die Mittel der Bundesaufsicht sind umfangreich und hängen von der Art der Verletzung sowie von der Art der gesetzlichen Norm ab. Sie reichen von der konkreten Beanstandung von Verletzungen des Bundesrechts, über die Pflicht der Kantone zur periodischen Berichterstattung, bis hin zur Genehmigungspflicht derkantonalen Rechtssetzung durch Bundesbehörden.5 Von der Bundesaufsicht zu unterscheiden ist die Bundesexekution. Die rechtlichen Grundlagen finden sich in Art. 173 Absatz 1 lit. e, Art. 186 Absatz 4 und Art. 182 Absatz 2 BV. Bundesexekution bezeichnet Zwangsmaßnahmen des Bundes gegenüber einem Kanton, wenn dieser seinen Bundespflichten nicht nachkommt. Diese Zwangmaßnahmen müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen. Der Bund kann zwischen drei Möglichkeiten wählen: Erstens hat der Bund die Möglichkeit der Ersatzvornahme. Die Ersatzvornahme wird in einigen Gesetzen des Bundes ausdrücklich vorgesehen.6 Falls ein Kanton seine Pflicht zum Erlass einer Verordnung nicht erfüllt, ist der Bund zum Erlass der Verordnung berechtigt, wobei die Kosten vom Kanton zu tragen sind. Die zweite mögliche Zwangsmaßnahme ist die Einfrierung von Subventionen. Diese ist nach überwiegender Ansicht7 nur zulässig, wenn es sich um Pflichtverletzungen des Kantons handelt, für die er vom Bund Subventionen erhält. Nur in diesen Fällen darf der Bund entsprechende Subventionen zurückhalten. Bei der dritten Möglichkeit handelt es sich um den Einsatz militärischer Mittel8 zur Erzwingung von bundesrechtlichen Maßnahmen. Sie kommt nur infrage, wenn ein Kanton in schwerwiegender Weise elementare Bundespflichten verletzt und dadurch die öffentliche Ordnung gefährdet. Seit der Gründung des Bundesstaates im Jahr 1848 ist es in der Schweiz noch nie zu einer militärischen Bundesexekution gekommen.9 5 Vgl. Häfelin/Haller, S. 344 ff. 6 Zum Beispiel gemäß Art. 55 des Bundesgesetzes über die Nationalstraßen, Art. 53 SchlT ZGB und Art. 401 Abs. 2 StGB. 7 Häfelin/Haller, S.349. 8 Zuständig für militärische Maßnahmen sind die Bundesversammlung (Art. 173 Absatz 1 lit. d BV); in dringenden Fällen der Bundesrat (Art. 185 Absatz 4 BV). 9 Häfelin/Haller, S 349. - 5 - 3.2. Die Regelungen des Bundeszwangs in Österreich In der österreichischen Bundesverfassung10 (B-VG) ist ein Bundeszwang nicht ausdrücklich geregelt. Die Bestimmungen über einen Bundeszwang ergeben sich aber aus den Vorschriften in Art. 79 Absatz 2 B-VG über die Aufgaben des Bundesheeres und aus den Regelungen des Art.146 Absatz 2 B-VG zur Umsetzung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. In Art. 79 Absatz 2 B-VG ist als Aufgaben des Bundesheeres unter anderem auch die Mitwirkung zum Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung vorgesehen. Art. 79 Absatz 5 B-VG bestimmt zudem, dass das selbständige militärische Einschreiten des Bundesheeres zu diesen Zwecken nur zulässig ist, wenn die zuständigen Behörden durch höhere Gewalt außerstande gesetzt sind, das Einschreiten herbeizuführen, oder es sich gegen einen Angriff oder Widerstand gegen das Bundesheer selbst handelt. Für den Bundeszwang kommen also die Einsatzbereiche des Verfassungs- und Sicherheitsschutzes , sowie in Ausnahmefällen auch in Form des selbständigen militärischen Einschreitens in Betracht.11 Die Exekution von Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes ist gemäß Art. 146 Absatz 2 B-VG auf Antrag des Verfassungsgerichtshofes durch den Bundespräsidenten auszuführen.12 Sie ist durch die nach seinem Ermessen beauftragten Organe des Bundes oder der Länder einschließlich des Bundesheeres durchzuführen. Der Bundeszwang im Rahmen der Umsetzung der Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes bezieht sich nach überwiegender Ansicht auf Fälle, in denen politische Konflikte oder gewaltsamer Widerstand die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unwirksam machen.13 Die Wiederherstellung der Verfassungs- und Rechtmäßigkeit der öffentlichen Ordnung ist das einzig legitime Ziel militärischen Einschreitens zu Zwecken des Bundeszwanges .14 10 Vom 10. November 1920 in der Fassung vom 7. Dezember 1929. Zuletzt geändert am 28. Juni 2002. 11 Pernthaler, S. 346. 12 Die Exekution von Erkenntnissen der Verfassungsgerichtshofes über Ansprüche des Art. 137 B-VG wird gemäß Art 146 Absatz 1 B-VG von ordentlichen Gerichten durchgeführt. 13 Pernthaler, S. 349. 14 Pernthaler, Österreichisches Bundesstaatsrecht. Lehr- und Handbuch, Wien, 2004, S. 345. - 6 - 3.3. Die Vereinigten Staaten von Amerika Die Verfassung der USA enthält rechtliche Grundlagen für eine Bundesexekution. Gemäß Artikel 1 Abschnitt 8 Ziffer 15 ist der Kongress befugt, Vorkehrungen für das Aufgebot der Miliz zu treffen, um den Bundesgesetzen Geltung zu verschaffen, Aufstände zu unterdrücken und Invasionen abzuwehren. Zudem bestimmt Artikel 4 Abschnitt 4, dass die Vereinigten Staaten jedem Staat in dieser Union eine republikanische Regierungsform garantieren. Sie schützen jeden der Einzelstaaten vor Invasion und auf Antrag der Einzelstaatslegislative oder –exekutive, wenn die Legislative nicht einberufen werden kann, auch vor inneren Unruhen. Ein Beispiel für die Anwendung stellt die Entsendung von Bundestruppen nach Little Rock im Staat Arkansas, im Jahr 1957 dar, mit der die Integration von farbigen Kindern in die den Weißen vorbehaltenden Schulen durchgesetzt werden sollte.15 15 Stettner, Art.37 Rn. 100, Siehe hierzu auch Vile, S.52. - 7 - Literaturverzeichnis Gubelt, Manfred, in: von Münch, Ingo/ Kunig, Philipp (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar , 5. Auflage, München 2001. Häfelin, Ulrich/Haller, Ulrich, Schweizerisches Bundesstaatsrecht: die neue Bundesverfassung , 5.Auflage, Zürich, 2001. Pernthaler, Peter, Österreichisches Bundesstaatsrecht, Lehr- und Handbuch, Wien, 2004. Stettner, Rupert, in: Dolzer, Rudolf/ Vogel, Klaus/ Graßhof, Karin(Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand Dezember 2005. Vile, John R., A Companion to the United States Constitution and its Amendments.3. Auflage, Westport, Conneticut, London 2002.