© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 104/21 Sicherheit der Zielländer von Abschiebungen Bisherige Fälle, Verfahren und Rückkehrabkommen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 104/21 Seite 2 Sicherheit der Zielländer von Abschiebungen Bisherige Fälle, Verfahren und Rückkehrabkommen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 104/21 Abschluss der Arbeit: 26.05.2021 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 104/21 Seite 3 1. Von Deutschland als unsicher bzw. sicher angesehene Zielländer von Abschiebungen Abschiebungen werden durchgeführt in sichere Herkunftsländer sowie in solche Länder, bezüglich derer kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG festgestellt wurde. In Deutschland gelten derzeit folgende Länder als sichere Herkunftsstaaten: die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien. Eine Einstufung Georgiens, Algeriens, Marokkos und Tunesiens als sichere Herkunftsstaaten scheiterte zuletzt.1 Ein Abschiebungsstopp nach Syrien auf der Grundlage des § 60a Abs. 1 AufenthG, wirksam bis 31. Dezember 20, wurde zuletzt nicht durch die Innenministerkonferenz verlängert. Die Bundesländer treffen Entscheidungen nach § 60a Abs. 1 AufenthG nunmehr eigenständig. Bezüglich aller übrigen Länder wird eine Beurteilung der Sicherheitslage in einem Land als Einzelfallentscheidung bezüglich der konkreten Person vorgenommen. Dabei müssen sich Behörden und Gerichte bei der Beantwortung der Frage, ob ein Antragsteller in ein Land abgeschoben werden darf, in dem wegen einer stetigen Verschlechterung der dortigen Situation die Gefahr besteht, dass die Schwelle des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG überschritten sein könnte, laufend über die tatsächlichen Entwicklungen unterrichten und dürfen nur auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse entscheiden.2 Da diese Entscheidungen erheblich vom Einzelfall abhängen, kann eine generelle Darstellung nicht erfolgen. 2. Kriterien und Verfahren zur Beurteilung der Sicherheitslage bezüglich der Eignung eines Landes als Ziel für Abschiebungen 2.1. Sichere Herkunftsländer Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ist der Gesetzgeber nach Art. 16a Abs. 3 GG befugt, einzelne Staaten als sichere Herkunftsstaaten zu bestimmen. An diese Feststellung sind das Bundesamt und die Gerichte bei der Prüfung im Einzelfall gebunden, sodass die Asylanträge grundsätzlich als offensichtlich unbegründet zu behandeln sind. Dies gilt für Staaten, bei denen aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Dabei gibt das Grundgesetz kein bestimmtes Verfahren zur Feststellung der Sicherheit vor politischer Verfolgung und menschenunwürdiger Behandlung vor. Daher ist der Gesetzgeber verpflichtet , sich anhand der Prüfkriterien des Art. 16a Abs. 3 S. 1 GG aufgrund einzelner Faktoren ein 1 Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, 13. Aufl. 2020, AsylG § 29a Rn. 6. 2 BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2021- 2 BvQ 8/21 -, Rn. 1-10. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 104/21 Seite 4 Gesamturteil zu bilden.3 Hierbei bestehen Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Beschaffung und Aufarbeitung der für die Einschätzung der Verfolgungssicherheit relevanten Tatsachen und für die Einschätzung der Verfolgungssicherheit. Daher sind zuverlässige Quellen wie die Berichte der zuständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland und Berichte in Betracht kommender internationaler Organisationen heranzuziehen und zu berücksichtigen.4 Für das Prüfkriterium der Rechtslage ist entscheidend, ob der betreffende Staat die von ihm eingegangenen internationalen Verpflichtungen als innerstaatlich geltendes Recht betrachtet.5 Für die Sicherheit vor politischer Verfolgung und menschenunwürdiger Behandlung ist dagegen die Rechtspraxis in dem jeweiligen Staat entscheidend. Dabei spielt jedoch auch eine Rolle, zu welchem Ergebnis die Prüfung der Rechtslage und der allgemeinen politischen Verhältnisse führt, da die Verankerung rechtsstaatlicher Grundsätze für eine entsprechende Rechtspraxis anhand der Rechtslage spricht. Als Indiz hierfür nennt das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit für internationale Organisationen, die Menschenrechtslage in dem jeweiligen Staat zu beobachten.6 Im Rahmen der allgemeinen politischen Verhältnisse sind die demokratischen Strukturen, das Bestehen von Mehrparteiensystemen, die freie Betätigungsmöglichkeit der Opposition, das Bestehen der Religionsfreiheit, der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, der Meinungsfreiheit, einer freien Presse sowie die Unabhängigkeit von Gerichten entscheidend.7 Zusätzlich kann nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts die Anerkennungsquote von Asylbewerbern aus dem jeweiligen Land unter Betrachtung der Entscheidungen des Bundesamtes und der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte berücksichtigt werden. Auch die Anerkennungsquote anderer europäischer Staaten eignet sich dafür.8 Entsteht aus den herangezogenen Quellen und Erkenntnissen ein hinreichend gesichertes Bild über die Verhältnisse in dem betreffenden Staat, ist der Gesetzgeber zu einer Beurteilung der Sicherheit in dem jeweiligen Staat befugt, wobei ihm ein Einschätzungs- und Wertungsspielraum zuzugestehen ist.9 Wurde ein Land als sicheres Herkunftsland eingestuft, gilt die sogenannte Regelvermutung, dass dort keine Verfolgungsgefahr vorliegt. Dies bedeutet nicht, dass die Schutzgewährung ausgeschlossen ist. Antragstellende aus sicheren Herkunftsstaaten können während der Anhörung die Möglichkeit , Tatsachen oder Beweismittel vorbringen, die belegen, dass ihnen – abweichend von der Regelvermutung – im Herkunftsland dennoch Verfolgung droht, und somit die Regelvermutung 3 BVerfGE 94, 115, Rn. 79. 4 BVerfGE 94, 115, Rn. 87. 5 BVerfGE 94, 115, Rn. 80. 6 BVerfGE 94, 115, Rn. 81. 7 BVerfGE 94, 115, Rn. 82. 8 BVerfGE 94, 115, Rn. 79. 9 BVerfGE 94, 115, Rn. 88 f.; zur a.A. siehe BVerfGE 94, 115, Rn. 127 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 104/21 Seite 5 widerlegen. Ist dieser Nachweis erfolgreich, können sie ihren Anspruch auf Asyl geltend machen. Gelingt die Widerlegung der Regelvermutung nicht, wird der Asylantrag als „offensichtlich unbegründet “ abgelehnt10. Das Gesetz zur Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten bedarf der Zustimmung des Bundesrats. Sind die Fachgerichte überzeugt, dass die Bestimmung eines Landes zum sicheren Herkunftsstaat verfassungswidrig ist, müssen sie im Falle der Entscheidungserheblichkeit im Einzelfall eine konkrete Normenkontrolle vor dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG erheben.11 Die Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht erstreckt sich dabei auf eine eingeschränkte Vertretbarkeitskontrolle. Daher kann das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungswidrigkeit des Gesetzes nur feststellen, „wenn eine Gesamtwürdigung ergibt, dass der Gesetzgeber sich bei seiner Entscheidung nicht von guten Gründen hat leiten lassen“12. Wird ein Staat vom Gesetzgeber als sicherer Herkunftsstaat eingestuft, sieht § 29a Abs. 2a Asylgesetz eine Berichtspflicht für die Bundesregierung vor. In diesem Prüfbericht wird von der Bundesregierung alle zwei Jahre geprüft, ob die Voraussetzungen für die Einstufung der in Anlage II bezeichneten Staaten als sichere Herkunftsstaaten weiterhin vorliegen. Nach dem letzten Prüfbericht vom 20. Dezember 2019 erfüllen alle in der Anlage II genannten Staaten die Voraussetzungen für die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten.13 2.2. Abschiebungsverbot Ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt, prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von Amts wegen im Rahmen der Entscheidung über den individuellen Asylantrag. Dies ist der Fall, wenn sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist oder andere erhebliche, konkrete Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit bestehen. 3. Rückkehrabkommen Deutschland hat mit folgenden Ländern Abkommen zur Erleichterung der Rückkehr ausreisepflichtiger Ausländer geschlossen: Albanien, Algerien, Armenien, Benelux (Belgien, Niederlande, Luxemburg ), Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Dänemark, Estland, Frankreich, Georgien, Guinea, Kasachstan, Kroatien, Kosovo, Lettland, Litauen, Marokko, Nordmazedonien, Norwegen, Österreich, 10 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Sichere Herkunftsstaaten, Artikel vom 14.11.2019, verfügbar unter https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/Sonderverfahren/SichereHerkunftsstaaten/sichereherkunftsstaaten -node.html, abgerufen am 18.05.2021, 14.21 Uhr. 11 BVerfGE 94, 115, 65. 12 BVerfGE 94, 115, 91, zur a.A. siehe abweichende Meinungen BVerfGE 94, 115, 127 ff. 13 Zweiter Bericht zu der Überprüfung der Voraussetzungen zur Einstufung der in Anlage II zum Asylgesetz bezeichneten sicheren Herkunftsstaaten, BT-Drs. 19/16465. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 104/21 Seite 6 Polen, Rumänien, Schweden, Schweiz, Serbien, Slowakei, Südkorea, Syrien, Tschechien, Ungarn und Vietnam. Zudem ist Deutschland Teil eines multilateralen Rückübernahmeabkommens zwischen Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande und Polen.14 Als Mitglied der Europäischen Union ist Deutschland auch beteiligt an den Rückübernahmeabkommen , die diese mit den folgenden Ländern geschlossen hat: Hong Kong, Macao, Sri Lanka, Albanien, Russische Föderation, Ukraine, Nordmazedonien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Serbien, Moldau, Pakistan, Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Türkei, Kap Verde und Belarus15. Ferner wird eine „Joint Declaration on Migration Cooperation between Afghanistan and the EU“ (JDMC) vorbereitet, die ein Rückübernahmeabkommen mit Afghanistan beinhalten soll.16 *** 14 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Abkommen zur Erleichterung der Rückkehr ausreisepflichtiger Ausländer, Stand Juni 2020, verfügbar unter https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen /themen/migration/rueckkehrfluechtlinge.pdf?__blob=publicationFile&v=9, abgerufen am 18.05.2021. 15 European Commission, Migration and Home Affairs, Return & readmission, Cooperation with non-EU countries on readmission of irregular migrants, available at Return & readmission (europa.eu), accessed on May 18th 2021, 13.48 pm. 16 European Council on Refugees and Exiles, New EU Agreement with Afghanistan Amid Deteriorating Security Situation, 5th February 2021, available at https://www.ecre.org/new-eu-agreement-with-afghanistan-amid-deteriorating -security-situation/, accessed on May 18th 2021, 15.13 pm.