© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 103/18 Fragen zur Durchführung von Abschiebungen durch Bundesbehörden Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Übertragung weiterer Aufgaben auf die Bundespolizei 10 3.2. Abweichung von Verteilung der Verwaltungskompetenzen nach Art. 83 ff. GG 11 4. Zuständigkeitsübertragung auf Bundesbehörden für Abschiebungen aus „Ausreisezentren“ 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 103/18 Seite 4 1. Einleitung Vor dem Hintergrund der Diskussion um Vollzugsdefizite bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht von Ausländern wird nach der Übertragung von Zuständigkeiten auf Bundesbehörden gefragt. Konkret geht es darum, ob die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Verteilung der Verwaltungskompetenzen zwischen Bund und Ländern es zulassen, die „Durchführung von Abschiebungen“ vollständig oder teilweise auf Bundesbehörden zu übertragen. In Bezug auf die teilweise Übertragung wird die Regelung einer bundesbehördlichen Zuständigkeit für die Abschiebung von Ausländern aus näher zu definierenden „räumlich abtrennbaren Ausreisezentren“ in Betracht gezogen. Ferner sollen verschiedene Formen der „Kooperation“ zwischen Bund und Ländern bei der „Durchführung von Abschiebungen“ erörtert werden. Die eine „Kooperationsform“ bezieht sich auf die Möglichkeit von Bundesbehörden, die Durchführung von Abschiebungen an sich zu ziehen, wenn „die Landesbehörden nicht willens oder nicht in der Lage sind, die Abschiebungen durchzuführen (‚Eintrittsrecht des Bundes‘)“. Die andere soll den Ländern die Befugnis einräumen , die Durchführung von Abschiebungen „freiwillig und vollständig auf Behörden des Bundes (zu) übertragen, während andere Länder an einer Durchführung von Abschiebungen im Rahmen bestehender Regelungen festhalten (‚Koalition der Willigen‘)“. Bei den hier fraglichen Zuständigkeitsübertragungen auf Bundesbehörden ist zu beachten, dass die Durchführung einer Abschiebung nach der geltenden gesetzlichen Ausgestaltung im Aufenthaltsgesetz keine bloße Einzelmaßnahme darstellt. Vielmehr handelt es sich bei der Abschiebung um einen komplexen Vorgang, der in seinen wesentlichen Grundzügen zunächst erläutert werden soll. Im Anschluss ist auf die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die hier angedachten Zuständigkeitsübertragungen auf Bundesbehörden einzugehen. 2. Durchführung von Abschiebungen Die Durchführung von Abschiebungen umfasst verschiedene rechtliche Prüfungen und organisatorische Maßnahmen sowie den tatsächlichen Vollzug der Abschiebung nach Maßgabe der Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) und des Asylgesetzes (AsylG). Der Vollzug dieser Vorschriften erfolgt dabei – bis auf einzelne Verwaltungskompetenzen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) – nach Art. 83 GG als eigene Angelegenheit der Länder. 2.1. Rechtliche Prüfungen Rechtlich zu prüfen sind insbesondere das Vorliegen der Abschiebungsvoraussetzungen sowie die Vornahme von Maßnahmen zur Sicherung der Abschiebung. Die Abschiebung setzt u.a. voraus, dass der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist (§ 58 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 AufenthG), eine gesetzte Ausreisefrist fruchtlos verstrichen ist (§ 58 Abs. 1 S. 1 AufenthG) und keine Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG vorliegen. Von besonderer Bedeutung ist ferner die Prüfung von Abschiebungshindernissen, die eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) erfordern, § 60a AufenthG. Der aufenthaltsrechtliche Status der Duldung beseitigt die Ausreisepflicht des Ausländers dabei nicht, § 60a Abs. 3 AufenthG. Sein Aufenthalt wird lediglich so lange toleriert, bis die zwangsweise Rückführung erfolgen kann. Eine Duldung kann gegenüber bestimmten Ausländergruppen gewährt werden, § 60a Abs. 1 AufenthG, oder als Einzelfallentscheidung ergehen, § 60a Abs. 2 AufenthG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 103/18 Seite 5 Nach § 60a Abs. 1 AufenthG kann eine oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen anordnen, dass die zwangsweise Rückführung von bestimmten Ausländergruppen vorübergehend nicht vollzogen wird. Die oberste Landesbehörde verfügt insoweit über ein weites Ermessen.1 Nach § 60a Abs. 2 S. 1, 2 AufenthG ist die zwangsweise Rückführung eines Ausländers vorübergehend auszusetzen, wenn sie aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist oder die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren für sachgerecht erachtet wird. Eine rechtliche Unmöglichkeit kann dabei z.B. in Bezug auf den grundrechtlichen Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) vorliegen, wenn eine Eheschließung mit einer aufenthaltsberechtigten Person ernsthaft beabsichtigt ist oder ein Ausländer seinen aufenthaltsberechtigten erkrankten Eltern Beistand leistet.2 Tatsächlich unmöglich ist die zwangsweise Rückführung z.B. bei Reiseunfähigkeit im Krankheitsfall oder wenn der Ausländer die zur Einreise in das Zielland erforderlichen Ausweispapiere nicht besitzt.3 Die Entscheidung nach § 60a Abs. 2 S. 1, 2 AufenthG ergeht als gebundene Entscheidung. Nach § 60a Abs. 2 S. 3 AufenthG kann einem Ausländer – im Rahmen einer Ermessensentscheidung – eine Duldung aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen gewährt werden, z.B. für die Durchführung einer Operation oder für den Abschluss einer ärztlichen Behandlung, die im Herkunftsland nicht oder nicht im ausreichendem Maße gewährleistet ist.4 Ein dringender persönlicher Grund liegt nach § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG ferner dann vor, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat. In diesem Fall ist eine Duldung zu erteilen (gebundene Entscheidung), es sei denn, es liegt einer der in § 60a Abs. 2 S. 4, 6 und Abs. 6 AufenthG genannten Ausschlussgründe vor.5 Die Prüfung der Abschiebungsvoraussetzungen obliegt grundsätzlich den Ausländerbehörden. Besondere Zuständigkeiten des BAMF gelten jedoch für Asylbewerber. Das BAMF prüft stets auch die zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG, vgl. § 24 Abs. 2, § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG. Für den Fall von Abschiebungsanordnungen in den sog. Dublin-Fällen prüft das BAMF darüber hinaus die inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse aus § 60a AufenthG. Besondere Zuständigkeiten bestehen ferner bei Abschiebungsanordnungen gegenüber Gefährdern gemäß § 58a AufenthG. 1 Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand der Kommentierung: 98. EL (Oktober 2016), § 60a AufenthG Rn. 7 m.w.N. 2 Siehe dazu Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, Kommentar, 12. Aufl. 2018, § 60a AufenthG Rn. 21 und 25, mit weiteren Beispielen. 3 Kluth, in: ders./Heusch (Hrsg.), Beck’scher Onlinekommentar Ausländerrecht, Stand: November 2017, § 60a AufenthG Rn. 10; Bruns, in: Hofmann (Hrsg.), Ausländerrecht, Kommentar, 2. Aufl. 2016, § 60a AufenthG Rn. 12 f. Zur Reiseunfähigkeit als Grund für eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand der Kommentierung: 104. EL (November 2017), § 60a AufenthG Rn. 57. 4 Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, Kommentar, 12. Aufl. 2018, § 60a AufenthG Rn. 36. 5 Weiterführend dazu die neuen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zur Duldungserteilung nach § 60a Aufenthaltsgesetz vom 30. Mai 2017, abrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads /DE/themen/migration/anwendungshinweise-duldungsregelung.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 103/18 Seite 6 Zur Sicherung der Abschiebung kommen verschiedene Maßnahmen in Betracht. Die zuständigen Ausländerbehörden prüfen in diesem Zusammenhang z.B. die Notwendigkeit einer räumlichen Beschränkung , Wohnsitzauflage, Abschiebungshaft oder eines Ausreisegewahrsams (§ 61 ff. AufenthG). 2.2. Organisatorische Maßnahmen und tatsächlicher Vollzug Die Abschiebung erfordert zudem organisatorische Maßnahmen, z.B. Flugbuchungen, Beschaffung von Reisedokumenten und Koordinierung von Sammelabschiebungen. Ferner muss der tatsächliche Vollzug der Abschiebung vorbereitet werden. Die Zuständigkeit für die organisatorischen Maßnahmen liegt bei den Ausländerbehörden, § 71 Abs. 1 AufenthG. Die Bundespolizei unterstützt sie nach Maßgabe des § 71 Abs. 3 Nr. 7 AufenthG bei der Passbeschaffung. Für den tatsächlichen Vollzug der Abschiebung, d.h. für die Beförderung des Ausländers bis zur Grenzbehörde (z.B. am Flughafen ), sind nach § 71 Abs. 5 AufenthG die Polizeien der Länder zuständig. Die sich anschließende Rückführung, also die Begleitung des Ausländers über die Grenze hinaus bis zum Zielort, liegt in der Zuständigkeit der Bundespolizei, § 71 Abs. 3 Nr. 1d) AufenthG. 2.3. Besprechung zwischen Bund und Ländern am 9. Februar 2017 In ihrer Besprechung am 9. Februar 2017 verständigten sich Bund und Länder darauf, verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Durchsetzung der Ausreisepflicht zu ergreifen, die an die o.g. rechtlichen, organisatorischen und tatsächlichen Vollzugsbedingungen anknüpfen.6 In Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen der Abschiebung ging es z.B. um die Verlängerung des Ausreisegewahrsams von vollziehbar Ausreispflichtigen und um längere Wohnverpflichtungen von Asylbewerbern in Erstaufnahmeeinrichtungen.7 Zum Organisatorischen wurde die Einrichtung eines gemeinsamen Zentrums zur Unterstützung der Rückkehr (ZUR) vereinbart, das „der operativen Abstimmung zwischen Bund und Ländern zu Rückkehr- und Rückführungsfragen, beispielsweise im Rahmen von Sammelrückführungen, dient“.8 Zum tatsächlichen Vollzug der Abschiebung sicherte der Bund die Prüfung zu, „ob und inwieweit er eine ergänzende Vollzugszuständigkeit bei der Aufenthaltsbeendigung übernehmen kann“, wozu insbesondere Bundesausreisezentren gehören könnten, die „den Ländern eine Verantwortungsübergabe für die letzten 6 Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 9. Februar 2017, abrufbar unter: https://m.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2017/02/2017-02-09-abschlussdokument -treffen-bund-laender.pdf. 7 Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 9. Februar 2017, Ziff. 1. Vgl. hierzu auch das inzwischen in Kraft getretene Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 20. Juli 2017, BGBl. I, 2780 ff. 8 Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 9. Februar 2017, Ziff. 7. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage hat das ZUR am 12. Mai 2017 in der Außenstelle Berlin des BAMF „seinen Wirkbetrieb aufgenommen und steht unter der Leitung des Bundesministerium des Innern“, vgl. BT-Drs. 18/13218, 54 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 103/18 Seite 7 Tage oder Wochen des Aufenthalts von Ausreisepflichtigen ermöglicht“.9 Ein Ergebnis dieser Prüfung liegt – soweit ersichtlich – bislang nicht vor.10 3. Vollständige Zuständigkeitsübertragung auf Bundesbehörden Zunächst wird auf die Frage eingegangen, unter welchen Voraussetzungen eine vollständige Zuständigkeitsübertragung auf Bundesbehörden für den Bereich der Abschiebungen nach Art. 87 Abs. 3 GG in Betracht kommt. Sodann soll untersucht werden, inwieweit losgelöst von Art. 87 Abs. 3 GG eine vollständige oder teilweise Kompetenzübertragung im vorliegenden Fall in Betracht kommt. 3.1. Zuständigkeitsübertragung nach Art. 87 Abs. 3 GG Wie bereits oben ausgeführt, liegt der Vollzug der für die Abschiebung relevanten Regelungen im Zuständigkeitsbereich der Länder nach Art. 83 GG. Im Folgenden sollen die Voraussetzungen für die Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf Bundesbehörden nach Art. 87 Abs. 3 GG herausgearbeitet und Problemkreise einer vollständigen Zuständigkeitsübertragung auf Bundesbehörden im Bereich der Abschiebung aufgezeigt werden. Besondere Aspekte der Übertragung weiterer Aufgaben auf die Bundespolizei werden dabei gesondert angesprochen. 3.1.1. Selbstständige Bundesoberbehörde Nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG können für Angelegenheiten, für die dem Bund die Gesetzgebung zusteht, selbstständige Bundesoberbehörden und neue bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts durch Bundesgesetz errichtet werden. Der Bund kann durch die Errichtung einer der dort genannten Stellen die Verwaltungszuständigkeit an sich ziehen und dadurch insoweit die der Länder beenden. Die Regelung des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG setzt das Bestehen einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes voraus. Weiter können nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG die dort genannten Stellen der Bundesverwaltung nur „durch Bundesgesetz“, also durch den Bundesgesetzgeber und nicht durch die Bundesexekutive errichtet werden. Die Zustimmung des Bundesrates ist dabei nicht erforderlich, insoweit genügt ein Einspruchsgesetz. Nicht ganz unumstritten ist, welche Grenzen zur Verhinderung einer Aushöhlung der grundsätzlichen Verwaltungskompetenz der Länder durch eine Übertragung von Verwaltungsaufgaben nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG bestehen. Der Vorschlag einer Erforderlichkeitsklausel, nach der im Rahmen 9 Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 9. Februar 2017, Ziff. 5. 10 Vgl. dazu die Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende parlamentarische Anfrage in BT-Drs. 18/13218, 54: „Dazu führt das Bundesministerium des Innern mit den Ländern derzeit einen Dialog zu möglichen Optionen, mit denen die Vollzugszuständigkeit des Bundes im Bereich der Aufenthaltsbeendigung gestärkt werden könnte.“ Zu den weiteren parlamentarischen Anfragen zum Stand der am 9. Februar 2017 von Bund und Ländern besprochenen Maßnahmen liegen noch keine Antworten der Bundesregierung vor, vgl. BT-Drs. 19/38, 5 und BT- Drs. 19/485, 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 103/18 Seite 8 des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG geprüft werden solle, ob eine neue Bundesoberbehörde zwingend erforderlich sei oder ob die vorhandenen Behörden des Bundes oder der Länder die betroffenen Aufgaben ebenso gut erfüllen könnten, wurde vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt.11 Anerkannt als Schranke für die Ausübung einer Kompetenz durch den Bund ist hingegen der Grundsatz von der Pflicht zur Bundestreue. Eine Verletzung dieses Grundsatzes durch den Bund wegen Inanspruchnahme der Kompetenz nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann angenommen werden, wenn die Inanspruchnahme missbräuchlich wäre.12 Ein Missbrauch in diesem Sinne dürfte vorliegen, wenn der Bund die Kompetenz ohne sachlichen Grund ausübt, insbesondere allein mit dem Ziel, den Ländern Verwaltungsbefugnisse zu entziehen.13 In der Praxis dürfte eine solche Motivation kaum nachweisbar sein, so dass die Bedeutung des Grundsatzes von der Pflicht zur Bundestreue als Schranke des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG als gering einzuordnen ist. Bedeutsamer ist hingegen die Beschränkung, nach der der Bund die selbstständigen Bundesoberbehörden im Sinne des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG nur für Aufgaben errichten darf, die der Sache nach für das ganze Bundesgebiet von einer Oberbehörde ohne Mittel- und Unterbau und ohne Inanspruchnahme von Verwaltungsbehörden der Länder – abgesehen von reiner Amtshilfe – wahrgenommen werden können.14 Das Bundesverfassungsgericht liest diese Schranke aus dem Begriff der selbstständigen Bundesoberbehörde heraus, den es abgrenzt einerseits vom Begriff der obersten Bundesbehörden und andererseits von den Begriffen „eigener Verwaltungsunterbau“ in Art. 87 Abs. 1 GG und Art. 87b Abs. 1 GG und „bundeseigene Mittel- und Unterbehörden“ in Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG.15 Ausgeschlossen soll danach jedoch nicht die Möglichkeit der Kooperation mit Landesbehörden sein; in Bezug auf andere Bundesstellen soll auch die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit unschädlich sein.16 Das Bundesverwaltungsgericht führt zudem in seiner Rechtsprechung aus, dass sich der örtliche Zuständigkeitsbereich der selbstständigen Bundesoberbehörde im Sinne des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG mit dem Bundesgebiet deckt und die selbstständige Bundesoberbehörde für die ihr übertragenen Aufgaben nur die einzige Behörde im Bundesgebiet sein kann.17 In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird die „Verdrängung von Länderkompetenzen “, also die Übertragung von bislang von den Ländern wahrgenommenen Verwaltungszuständigkeiten auf den Bund im größeren Umfang, „tendenziell“ bereits als ein Indiz für eine nicht 11 BVerfGE 14, 197 (213 f.). 12 BVerfGE 14, 197 (215). 13 Ibler, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 64. EL (Januar 2012), Art. 87 Rn. 244. 14 BVerfGE 14, 197 (211). 15 BVerfGE 14, 197 (210 f.). 16 Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 87 Rn. 65 m.w.N. 17 BVerwGE 35, 141 (145). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 103/18 Seite 9 zentral zu bewältigende Tätigkeit angesehen.18 Betont wird in der Literatur schließlich auch, dass die Beschränkung auf zentral zu erfüllende Aufgaben und das damit verbundene Verbot der Errichtung eines Unterbaus nicht – z.B. durch die Schaffung bloßer „Außenstellen“ – umgangen werden dürfe.19 Keine Umgehung liege jedoch vor, wenn die Kompetenz dieser Stellen fachlich und nicht territorial beschränkt sei. Hinsichtlich der von Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG geforderten Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers bestehen im vorliegenden Fall grundsätzlich keine Bedenken, da der Bund für das Asyl- und Aufenthaltsrecht über weitreichende Gesetzgebungskompetenzen verfügt. So besitzt der Bund etwa eine ausschließliche Kompetenz für die Ein- und Auswanderung (Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG) sowie konkurrierende Kompetenzen für das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer (Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG) oder die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 6 GG).20 Problematischer erscheint hingegen das Erfordernis des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG, dass die zu übertragende Aufgabe ihren typischen Merkmalen nach zentral zu erfüllen sein muss. Dies gilt zum einen in Anbetracht der Indizwirkung, die der „Verdrängung bestehender Länderkompetenzen “ seitens der Literatur zugemessen wird. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass bereits hinsichtlich der Errichtung von Außenstellen des BAMF verfassungsrechtliche Zweifel geäußert wurden.21 Diese verfassungsrechtlichen Zweifel gelten für eine vollständige Übertragung der Abschiebungszuständigkeiten auf eine Bundesbehörde umso mehr, als es insofern nicht nur – wie bei den Zuständigkeiten des BAMF – um die Prüfung einer begrenzten Gruppe von Ausländern (der Asylbewerber) und nicht nur um die begrenzte Prüfung eines ausländerrechtlichen Status (des asylrechtlichen Schutzstatus einschließlich der zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote) geht. Vielmehr umfasst der gesamte Bereich der Abschiebungen alle ausreisepflichtigen Ausländer mit dem Erfordernis umfangreicher rechtlicher Prüfungen. Insbesondere für die Prüfung der inlandsbezogenen Abschiebungsverbote, z.B. in Bezug auf familiäre Bindungen oder die Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung, können dabei die Verhältnisse vor Ort von besonderer Relevanz sein. Hinzu kommen – wie oben ausgeführt – die Prüfung und die Durchführung von Maßnahmen der Abschiebehaft und des Ausreisegewahrsams, organisatorische Maßnahmen sowie polizeiliche Zwangsmaßnahmen vor Ort. 3.1.2. Bundeseigene Mittel- und Unterbehörden Erwachsen dem Bund auf Gebieten, für die ihm die Gesetzgebung zusteht, neue Aufgaben, so können nach Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG bei dringendem Bedarf bundeseigene Mittel- und Unterbehörden mit 18 Durner, DVBl 2011, 853 (857), unter Verweis auf BVerfGE 110, 33 (49 f.), sowie Lerche, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 30. EL (Dezember 1992), Art. 87 Rn. 185. 19 Ibler, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 64. EL (Januar 2012), Art. 87 Rn. 247. 20 Siehe hierzu auch die Ausarbeitung „Verfassungsrechtliche Aspekte der von der Fraktion DIE LINKE. beantragten Asylrechtsreform“, WD 3 - 3000 - 177/15, S. 4 f. 21 Siehe etwa die Kritik beim VG Düsseldorf, NVwZ 1993, 503 (504). Dem wird entgegengehalten, dass die Außenstellen lediglich ausgegliederte Abteilungen des Bundesamtes, aber keine selbstständigen Behörden seien, siehe die Nachweise bei Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand der Kommentierung: 97. EL (August 2016), § 5 AsylG Rn. 13. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 103/18 Seite 10 Zustimmung des Bundesrates und der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages errichtet werden. Damit ist die Errichtung bundeseigener Mittel- und Unterbehörden nach Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG unter wesentlich strengeren Voraussetzungen möglich, als die Errichtung einer selbstständigen Bundesoberbehörde nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG. Erfasst werden von Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG Bundesbehörden, die bei regionaler Begrenzung ihres Zuständigkeitsbereichs einer obersten oder oberen Bundesbehörde bzw. einer Bundesmittelbehörde hierarchisch untergeordnet sind, wobei auch ein Verzicht auf die Mittelinstanz zulässig ist.22 Nach dem Erfordernis des dringenden Bedarfs in Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG darf die Erledigung der betroffenen Aufgaben in anderer organisatorischer Weise nicht möglich sein.23 Was unter dem Tatbestandsmerkmal des Erwachsens neuer Aufgaben zu verstehen ist, ist umstritten. Nach einer Ansicht fallen hierunter Verwaltungsaufgaben, die erst nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes entstanden sind.24 Nach anderer Ansicht ist eine Verwaltungsaufgabe nur dann neu in diesem Sinne, wenn sie bisher weder vom Bund noch von den Ländern wahrgenommen wurde.25 Verwiesen wird dabei darauf, dass die Regelung des Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG als Ausnahme zur Grundregel des Art. 83 GG mit größter Zurückhaltung zu handhaben sei. Im vorliegenden Fall erscheint eine abschließende Klärung dieser Streitfrage jedenfalls nicht erforderlich, da nach beiden Ansichten hier keine neue Aufgabe im Sinne des Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG gegeben sein dürfte. So dürfte die Aufgabe der Abschiebung von Ausländern bereits vor Inkrafttreten des Grundgesetzes bestanden haben; darüber hinaus wurde sie bislang von den Ländern wahrgenommen. Eine Kompetenzübertragung nach Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG scheidet damit hier aus. 3.1.3. Übertragung weiterer Aufgaben auf die Bundespolizei Die hier angedachte vollständige Zuständigkeitsübertragung auf Bundesbehörden im Bereich der Abschiebung erfordert auch die Übertragung weiterer Aufgaben auf die Bundespolizei, insbesondere zur Anwendung von Zwangsmitteln im Rahmen des Verwaltungszwangs zur Durchsetzung der Ausreisepflicht. Die Bundespolizei (früher Bundesgrenzschutz) geht zurück auf die Befugnis des Bundes aus Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG zur Errichtung von Bundesgrenzschutzbehörden. Die Aufgabe des Bundesgrenzschutzes umfasst dabei die polizeiliche Überwachung der Grenzen einschließlich der Abwehr von Gefahren für die Grenzen und die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs. Daneben sind dem Bundesgrenzschutz, heute also der Bundespolizei, nach dem Grundgesetz weitere Verwaltungsaufgaben übertragen, die nicht unmittelbar aus der Aufgabe des Bundesgrenzschutzes hergeleitet werden können. Dies betrifft etwa die Amtshilfevorschrift des Art. 35 GG, die Regelung 22 Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 87 Rn. 74. 23 Burgi, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2010, Art. 87 Rn. 112. 24 Hermes, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2008, Art. 87 Rn. 99. 25 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 14. Aufl. 2016, Art. 87 Rn. 9; Broß/Meyer, in: von Münch/ Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 87 Rn. 27; im Ergebnis auch Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 87 Rn. 75, der die erforderliche Sachnotwendigkeit auch darauf erstreckt, dass die Aufgabe gerade dem Bund erwächst und nicht auch von den Ländern erfüllt werden kann. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 103/18 Seite 11 zum inneren Notstand in Art. 91 GG oder den Einsatz der Bundespolizei im Verteidigungsfall nach Art. 115f GG bzw. Art. 115i GG. Darüber hinaus sind der Bundespolizei einfachgesetzlich Aufgaben des Objektschutzes, im Ausland sowie auf See außerhalb des deutschen Küstenmeers sowie hinsichtlich der Beförderung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes, Angehörigen der Bundesregierung und deren Gästen, übertragen worden.26 In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird jedoch aus der Systematik der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung des Grundgesetzes und aus Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG im Besonderen abgeleitet, dass die Übertragung von Verwaltungskompetenzen auf den Bund und die Bundespolizei die Ausnahme bleiben müsse.27 Dementsprechend fordert auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung: „Die Entscheidung der Verfassung, die Polizeigewalt in die Zuständigkeit der Länder zu verweisen und aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, der Bundesstaatlichkeit und des Grundrechtsschutzes den Ausnahmefall einer Bundespolizei in der Verfassung zu begrenzen, macht es erforderlich, das Gepräge des Bundesgrenzschutzes als einer Sonderpolizei zur Sicherung der Grenzen des Bundes (Art. 87 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 73 Nr. 5 GG) und zur Abwehr bestimmter , das Gebiet oder die Kräfte eines Landes überschreitender Gefahrenlagen (Art. 35 Abs. 2 und 3, 91, 115f Abs. 1 Nr. 1 GG) zu wahren. Der Bundesgrenzschutz darf nicht zu einer allgemeinen, mit den Landespolizeien konkurrierenden Bundespolizei ausgebaut werden und damit sein Gepräge als Polizei mit begrenzten Aufgaben verlieren.“28 Diese vom Bundesverfassungsgericht formulierten Beschränkungen für die Übertragung weiterer Aufgaben auf die Bundespolizei sind im vorliegenden Fall insbesondere dann zu berücksichtigen, wenn die Bundespolizei nicht nur beim Grenzübertritt, etwa der Begleitung der betroffenen Ausländer bei der Rückführung in das jeweilige Herkunftsland, eingebunden sein soll, sondern auch im Vorfeld, etwa bei der Zuführung der Betroffenen zum Flughafen. 3.2. Abweichung von Verteilung der Verwaltungskompetenzen nach Art. 83 ff. GG Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich bei den Regelungen zur Verteilung der Verwaltungskompetenzen in Art. 83 ff. GG grundsätzlich um zwingendes Recht, von dem Bund und Länder nicht abweichen dürfen. Dies gelte auch für einverständliche Abweichungen. So führt das Gericht beispielsweise in seinem Beschluss aus 1983 zum Schornsteinfegergesetz aus: „Die Verwaltungszuständigkeiten von Bund und Ländern sind in den Art. 83 ff. GG erschöpfend geregelt und grundsätzlich nicht abdingbares Recht […]. Bund und Länder dürfen von der in diesen Bestimmungen vorgeschriebenen ‚Verwaltungsordnung‘ nicht abweichen. Es gilt der allgemeine Verfassungssatz […], daß weder der Bund noch die Länder über ihre im Grundgesetz 26 Insoweit Bedenken anmeldend Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 87 Rn. 38. 27 Ibler, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 64. EL (Januar 2012), Art. 87 Rn. 100. 28 BVerfGE 97, 198 (218) – Hervorhebungen nicht im Original. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 103/18 Seite 12 festgelegten Kompetenzen verfügen können; Kompetenzverschiebungen zwischen Bund und Ländern sind auch mit Zustimmung der Beteiligten nicht zulässig […]. Auch organisatorische Regelungen können nicht abbedungen werden. Der Spielraum bei der organisatorischen Ausgestaltung der Verwaltung findet in den Kompetenz- und Organisationsnormen der Art. 83 ff. GG seine Grenzen.“29 Auch nach der rechtswissenschaftlichen Literatur handelt es sich bei den Regelungen der Art. 83 ff. GG um eine abschließende Verteilung der Verwaltungskompetenzen zwischen Bund und Ländern, die wie alle Kompetenznormen nicht zu deren Disposition steht.30 Auch entsprechende einverständliche Abweichungen seien weder der Staatspraxis noch Staatsverträgen gestattet. Hinzuweisen ist an dieser Stelle jedoch auch auf den Umstand, dass das Bild der Geschlossenheit der Verwaltungstypen und damit auch der abschließende Charakter der Regelungen der Art. 83 ff. GG unter Verweis auf vielfältige Verzahnungen der Kompetenzen teilweise relativiert werden.31 In Bezug auf das Verbot der Mischverwaltung wird dabei u.a. auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz IV-Arbeitsgemeinschaften verwiesen. Dort führt das Gericht zum Zusammenwirken von Bund und Ländern beim Gesetzesvollzug aus: „Zwar bedarf das Zusammenwirken von Bund und Ländern im Bereich der Verwaltung nicht in jedem Fall einer besonderen verfassungsrechtlichen Ermächtigung […]. Allerdings widerspricht es der Kompetenzordnung des Grundgesetzes, wenn in weitem Umfang Mitverwaltungs - und Mitentscheidungsbefugnisse des Bundes im Aufgabenbereich der Länder ohne entsprechende verfassungsrechtliche Ermächtigung vorgesehen werden. Eine Ausnahme von den Kompetenz- und Organisationsnormen der Art. 83 ff. GG bedarf daher eines besonderen sachlichen Grundes und kann nur hinsichtlich einer eng umgrenzten Verwaltungsmaterie in Betracht kommen […].“32 Hieran anknüpfend versuchen vereinzelte Stimmen aus der Literatur Kriterien für Kooperationen von Bund und Ländern herauszuarbeiten.33 Ausgangspunkt seien die jeweiligen Verwaltungskompetenzen . Zuständigkeitsvereinbarungen könnten Kompetenzen zwar verdeutlichen und präzisieren, nicht jedoch überwinden. Über die ausdrücklich vorgesehenen Ingerenzrechte dürften keine weiteren vorgesehen oder praktiziert werden, wenn darin eine Umgehung der tatbestandlichen Voraussetzungen des jeweiligen Verwaltungstypus zu sehen seien. Außerdem dürfe (außerhalb der vorgesehenen Ingerenzrechte) die Verantwortungszurechnung nicht durch eine funktionelle oder organisatorische Verflechtung unterlaufen werden. In diesem Zusammenhang wird auch auf den Grundsatz der Verantwortungsklarheit hingewiesen, nach dem Aufgaben durch Organe oder 29 BVerfGE 63, 1 (39) – Hervorhebungen nicht im Original, siehe auch BVerfGE 119, 331 (364 f.). 30 Hermes, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2008, Art. 83 Rn. 36; Broß/Mayer, in: von Münch/ Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 83 Rn. 4; Kirchhof, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz , Kommentar, Stand der Kommentierung: 54. EL (Januar 2009), Art. 83 Rn. 47. 31 Siehe Trute, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2010, Art. 83 Rn. 27 ff. 32 BVerfGE 119, 331 (370) – Hervorhebungen nicht im Original. 33 Siehe etwa Trute, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2010, Art. 83 Rn. 29 ff., dort zum Folgenden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 103/18 Seite 13 Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden müssen, die eine klare Verantwortungszuordnung ermöglichen. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ergibt sich für den vorliegenden Fall zunächst, dass eine vollständige Zuständigkeitsübertragung auf Bundesbehörden im Widerspruch zur Verteilung der Verwaltungskompetenzen nach Art. 83 ff. GG stünde und auch nicht als ausnahmsweise zulässige Form der Verwaltungskooperation gesehen werden kann. Bei einer vollständigen Zuständigkeitsübertragung handelt es sich gerade nicht um eine Form der Kooperation; gleichzeitig erscheint fraglich, ob es sich bei der Abschiebung von Ausländern noch um eine eng umgrenzte Verwaltungsmaterie handelt. Aus diesen Gründen begegnet auch der Ansatz, nach dem einzelne Länder freiwillig ihre Verwaltungskompetenzen für den Bereich der Abschiebung vollständig auf den Bund übertragen können, erheblichen Bedenken. Die Freiwilligkeit der Kompetenzübertragung führt dabei nicht zu einer abweichenden Beurteilung der Zulässigkeit, da nach der oben dargestellten Rechtsprechung und Literatur an einvernehmliche Kompetenzübertragungen nicht weniger strenge Anforderungen zu stellen sind. Auch die hier angedachte Einführung eines Eintrittsrechts des Bundes für den Fall, dass Landesbehörden nicht willens oder nicht in der Lage sind, die Abschiebungen durchzuführen, dürfte nach den aufgezeigten Maßstäben nicht zulässig sein. Die Ingerenzrechte des Bundes für den Bereich des landeseigenen Vollzuges von Bundesrecht in Art. 84 Abs. 3 - 5 GG sehen ein solches Aufsichtsmittel nicht vor. Lediglich im Rahmen des Bundeszwangs nach Art. 37 GG wird die Ersatzvornahme einer durch ein Land unterlassenen Handlung durch Bundesorgane als grundsätzlich zulässiges Mittel erörtert.34 Ein Selbsteintrittsrecht des Bundes zählt nach der Konzeption des Grundgesetzes damit nicht zu den herkömmlichen Mitteln der Aufsicht beim Vollzug von Bundesgesetzen, sondern stellt das „schneidigste Schwert dar, gegen ein renitentes Bundesland vorzugehen“35. In Anbetracht dieses Umstandes und vor dem Hintergrund, dass bereits die Übertragung im Bereich der Verwaltungskompetenzen ausdrücklich vorgesehener Ingerenzrechte aufgrund der Gefahr der Umgehung der gegebenen Systematik der Verwaltungskompetenzen kritisch gesehen wird, dürfte die Etablierung eines solchen Ausnahmeinstruments als regelmäßig subsidiär eingreifende Form der „Verwaltungskooperation“ zwischen Bund und Ländern nicht verfassungsgemäß sein. 4. Zuständigkeitsübertragung auf Bundesbehörden für Abschiebungen aus „Ausreisezentren“ Aufgrund der oben ausgeführten engen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den bundesbehördlichen Verwaltungsvollzug liegt es nahe, nur begrenzte bundesbehördliche Abschiebungszuständigkeiten in Betracht zu ziehen. In diesem Sinne prüft auch die Bundesregierung lediglich „ergänzende Vollzugszuständigkeiten des Bundes für die letzten Tage oder Wochen des Aufenthalts“ von ausreisepflichtigen Ausländern.36 Bisher liegen allerdings – soweit ersichtlich – 34 Umstritten ist dabei jedoch, ob ein Einsatz der Bundespolizei insoweit nur unter den Voraussetzungen des Art. 91 Abs. 2 GG verfassungsgemäß ist, siehe Erbguth/Schubert, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 37 Rn. 12 – Fn. 42. 35 Erbguth/Schubert, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 37 Rn. 2. 36 Siehe oben Ziff. 2.3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 103/18 Seite 14 keine konkreten Konzepte für Art und Umfang von bundesbehördlichen Abschiebungsmaßnahmen aus (Bundes-)Ausreisezentren vor. Hinzuweisen ist allerdings auf bereits bestehende gesetzliche Regelungen zu besonderen Ländereinrichtungen , die u.a. der besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht dienen. So können die Länder gemäß § 61 Abs. 2 AufenthG Ausreiseeinrichtungen für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer schaffen. In diesen Ausreiseeinrichtungen soll durch Betreuung und Beratung die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise gefördert und die Erreichbarkeit für Behörden und Gerichte sowie die Durchführung der Ausreise gesichert werden.37 Eine Wohnverpflichtung in diesen Ausreiseeinrichtungen können die Ausländerbehörden durch Erteilung einer Wohnsitzauflage anordnen .38 In eine ähnliche Richtung gehen die Regelungen im AsylG zu den Wohnverpflichtungen in Erstaufnahmeeinrichtungen. Nach § 47 Abs. 1 AsylG gilt grundsätzlich eine Wohnverpflichtung von Asylbewerbern in Erstaufnahmeeinrichtungen von bis zu sechs Wochen, längstens bis zu sechs Monaten. Die Länder können davon abweichend regeln, dass die Wohnverpflichtung bis zur Entscheidung des BAMF über den Asylantrag und ggf. bis zur Ausreise – längstens jedoch für 24 Monate – gilt, § 47 Abs. 1b AsylG. Diese längere Wohnverpflichtung gilt nach § 47 Abs. 1a AsylG ohne weitere Länderregelung für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten. Darüber hinaus können die Länder gemäß § 5 Abs. 5 AsylG besondere Aufnahmeeinrichtungen zur Durchführung beschleunigter Asylverfahren für bestimmte Asylbewerbergruppen (u.a. Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten) gemäß § 30a AsylG einrichten. Ausländer, deren Asylanträge in beschleunigten Verfahren bearbeitet werden, sind nach § 30a Abs. 3 AsylG verpflichtet, bis zur Entscheidung des BAMF über ihren Asylantrag in der für ihre Aufnahme zuständigen besonderen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Sollen ähnliche – räumlich abgetrennte und ggf. bei den Außenstellen des BAMF angesiedelte – Bundeseinrichtungen für ausreisepflichtige Ausländer geschaffen werden, aus denen die Abschiebung erfolgt, stellen sich in Bezug auf die Kompetenzverteilung nach Art. 83 ff. GG grundsätzlich dieselben verfassungsrechtlichen Probleme, wie sie bei einer vollständigen Übertragung der Abschiebungszuständigkeiten bereits erörtert wurden. Denn die Einrichtung von räumlich abgetrennten Bundesausreisezentren für ausreisepflichtige Ausländer allein führt nicht schon zu einer qualitativen Veränderung der notwendigen rechtlichen, organisatorischen und tatsächlichen Abschiebungsmaßnahmen. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass sich einzelne Abschiebungsmaßnahmen identifizieren lassen, die selbstständig von Bundesbehörden wahrgenommen werden können, z.B. die Passbeschaffung, die schon jetzt im Rahmen der Amtshilfe durch die Bundespolizei unterstützt wird. *** 37 Das Land Niedersachsen z.B. betreibt eine solche Ausreiseeinrichtung in Braunschweig, vgl. hier den Internetauftritt der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen unter https://www.lab.niedersachsen.de/themen/aufnahme _und_versorgung/ausreiseeinrichtung/ausreiseeinrichtung-86578.html. 38 Vgl. Masuch/Gordzielk, in: Huber (Hrsg.), Aufenthaltsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2016, § 61 AufenthG Rn. 26.