© 2014 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 102/14 Bindungswirkung von Petitionsüberweisungen an die Bundesregierung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 102/14 Seite 2 Bindungswirkung von Petitionsüberweisungen an die Bundesregierung Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 102/14 Abschluss der Arbeit: 7. Mai 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: + Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 102/14 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wird, warum die Bundesregierung den Beschlüssen des Petitionsausschusses nicht Folge leisten müsse. 2. Petitionsausschuss als vorbereitendes Beschlussorgan Der Petitionsausschuss ist nach Art. 45c Grundgesetz (GG)1 ein Pflichtausschuss des Bundestages . Ihm obliegt die Behandlung der nach Art. 17 GG an den Bundestag gerichteten Bitten und Beschwerden. Durch das Petitionsausschussgesetz (PetAG)2 werden dem Petitionsausschuss entsprechend dem Regelungsauftrag des Art. 45c Abs. 2 GG bestimmte Befugnisse gegenüber der Exekutive eingeräumt , die den Ausschuss von anderen Ausschüssen unterscheiden. Hierzu zählt insbesondere der Aktenvorlage- und Auskunftserteilungsanspruch, das Zutrittsrecht zu Einrichtungen der Bundesregierung und der Bundesbehörden sowie die Berechtigung zur Anhörung von Zeugen und Sachverständigen.3 Ein Mindestbestand an Auskunftsansprüchen des Parlaments gegenüber der Exekutive folgt bereits verfassungsunmittelbar aus Art. 17 GG (sog. Petitionsinformationsrecht).4 Weder das Grundgesetz noch das Petitionsausschussgesetz hat den Petitionsausschuss hingegen als beschließendes Entscheidungsorgan ausgestaltet.5 Er ist daher wie die anderen Ausschüsse vorbereitendes Beschlussorgan.6 Über die behandelten Petitionen legt der Petitionsausschuss nach § 112 Abs. 1 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT)7 dem Bundestag in einer Sammelübersicht einen Bericht mit einer Beschlussempfehlung vor. 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478) geändert worden ist. 2 Gesetz nach Artikel 45c des Grundgesetzes vom 19. Juli 1975 (BGBl. I S. 1921), das durch Artikel 4 Absatz 5 des Gesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718) geändert worden ist. 3 Vgl. Stern, Staatsrecht, Band 2, München 1980, § 26 IV 2, S. 92. 4 Vgl. Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 2, 6. Aufl. 2010, Art. 45c Rn. 48. 5 Vgl. Stern, Staatsrecht, Band 2, München 1980, § 26 IV 2, S. 93; Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt /Klein/Starck, GG, Band 2, 6. Aufl. 2010, Art. 45c Rn. 9. 6 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 69. Ergänzungslieferung 2013, Art. 45c Rn. 15. 7 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vom 25. Juni 1980 (BGBl. I S. 1237), die zuletzt durch die Bekanntmachung vom 2. Juli 2013 (BGBl. I S. 2167) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 102/14 Seite 4 3. Petitionsüberweisungsrecht Der Petitionsausschuss kann dem Plenum verschiedene Erledigungsarten empfehlen, die formal vom Plenum – in der Regel in Form von Sammelübersichten – beschlossen werden. Die möglichen Erledigungsarten werden in den aufgrund von § 110 Abs. 1 GOBT vom Petitionsausschuss aufgestellten Verfahrensgrundsätzen konkretisiert. Die gegenüber der Bundesregierung einwirkungsstärksten Erledigungsarten für Petitionen sind die Überweisung der Petition an die Bundesregierung „zur Berücksichtigung“, wenn das Anliegen des Petenten begründet und Abhilfe notwendig erscheint (Ziffer 7.14.1 der Verfahrensgrundsätze), und die Überweisung der Petition an die Bundesregierung „zur Erwägung“, wenn die Eingabe Anlass zu einem Ersuchen an die Bundesregierung gibt, das Anliegen noch einmal zu überprüfen und nach Möglichkeiten der Abhilfe zu suchen (Ziffer 7.14.1 der Verfahrensgrundsätze).8 Dieses sog. Petitionsüberweisungsrecht wird – ebenso wie das Petitionsinformationsrecht (s.o.) – unmittelbar aus Art. 17 GG abgeleitet und umfasst die Befugnis des Parlaments, der Exekutive Petitionen unter Beifügung der eigenen Auffassung mit der Bitte um Erledigung zu überweisen.9 Es kann damit eine Korrektur des Verhaltens von Regierung und Verwaltung im Sinne der parlamentarischen Bewertung verlangen und insoweit parlamentarische Kontrolle ausüben.10 4. Bindungswirkung schlichter Parlamentsbeschlüsse Die Exekutive ist jedoch nicht verpflichtet, dem Ersuchen in der Sache zu entsprechen.11 Denn die auf die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses durch das Plenum des Bundestags gefassten Beschlüsse stellen – unabhängig von der Art der Erledigung der Petition und auch in der einwirkungsstärksten Form der Überweisung an die Bundesregierung zur Berücksichtigung – schlichte Parlamentsbeschlüsse dar. Dies sind solche Parlamentsbeschlüsse, die nicht im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens ergehen und an die durch Verfassung oder Gesetz auch keine sonstigen Rechtsfolgen geknüpft werden.12 Weder die Bundesregierung noch ein sonstiges Staatsorgan ist rechtlich daran gebunden.13 Nach Art. 20 Abs. 3 GG ist die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden. Schlichte Parlamentsbeschlüsse sind weder Gesetze noch sonstiger Bestandteil der objektiven Rechtsordnung. Ihnen kommt daher nur dann rechtliche Verbindlichkeit zu, wenn die Verfassung oder ein Gesetz dies gesondert bestimmt. Im Übrigen haben sie lediglich politische Wirkung. Bei der Überweisung von Petitionen zur Berücksichtigung oder zur Erwägung wird aus dem Sinn und Zweck des Petitionsrechts allerdings auf eine rechtliche Verpflichtung der Bundesregierung 8 Für nähere Erläuterungen vgl. Bauer, in: Dreier, GG, Band 2, 2. Aufl. 2006, Art. 45c Rn. 26. 9 Vgl. Bauer, in: Dreier, GG, Band 2, 2. Aufl. 2006, Art. 45c Rn. 22. 10 Vgl. Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 2, 6. Aufl. 2010, Art. 45c Rn. 52. 11 Vgl. Bauer, in: Dreier, GG, Band 2, 2. Aufl. 2006, Art. 45c Rn. 22. 12 Vgl. Stern, Staatsrecht, Band 2, München 1980, § 26 II 2, S. 48. 13 Vgl. Stern, Staatsrecht, Band 2, München 1980, § 26 II 2, S. 49. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 102/14 Seite 5 zur Prüfung des Ersuchens und zur Unterrichtung des Parlaments über das Ergebnis der Prüfung geschlossen.14 Auf diese Weise über den Erfolg seiner Petitionsüberweisung informiert, ist das Parlament sodann in der Lage, einem aus seiner Sicht möglicherweise fortbestehenden Missstand gegebenenfalls durch gesetzgeberische Maßnahmen entgegenzuwirken. In letzter Konsequenz besteht schließlich auch die Möglichkeit des konstruktiven Misstrauensvotums nach Art. 67 GG, was die politische Bedeutung auch rechtlich unverbindlicher schlichter Parlamentsbeschlüsse deutlich vor Augen führt. ( ) 14 Vgl. Bauer, in: Dreier, GG, Band 2, 2. Aufl. 2006, Art. 45c Rn. 22.