© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 101/18 Gesetzgebungskompetenzen im Bereich des „Digitalpakts Schule“ Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 101/18 Seite 2 Gesetzgebungskompetenzen im Bereich des „Digitalpakts Schule“ Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 101/18 Abschluss der Arbeit: 19. April 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 101/18 Seite 3 1. Vorbemerkungen und Fragestellung Das Bundesministerium für Bildung und Forschung stellte im Oktober 2016 die Strategie „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ vor.1 Als Teil dieser Strategie ist ein „DigitalPakt#D“ zwischen Bund und Ländern zur Förderung des Aufbaus digitaler Infrastruktur und zur Umsetzung digitaler Bildung vorgesehen. In diesem Rahmen beabsichtigt der Bund über fünf Jahre die digitale Ausstattung an allgemeinbildenden, sonderpädagogischen und beruflichen Schulen mit 5 Mrd. Euro zu fördern. Im Gegenzug sollen sich die Länder verpflichten, „digitale Bildung“ zu realisieren, insbesondere durch die Umsetzung pädagogischer Konzepte, durch die Ausstattung der Schulen und durch die Gewährleistung gemeinsamer technischer Standards. Eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und den Kultusministern der Länder eingesetzte Arbeitsgruppe erarbeitet nun eine „Bund-Länder-Vereinbarung zur Unterstützung der Bildung in der digitalen Welt im Bereich der Schule“ (im Folgenden: „Digitalpakt Schule“). Mitte 2017 veröffentlichte sie erste Eckpunkte.2 Der Abschluss des Digitalpakts Schule ist nun auch Gegenstand des Koalitionsvertrags.3 Nach dem Konnexitätsprinzip des Art. 104a Abs. 1 Grundgesetz (GG) tragen der Bund und die Länder (einschließlich der Gemeinden, die finanzverfassungsrechtlich den Ländern zugerechnet werden) gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben.4 Die Organisation des Schulwesens einschließlich der Sachausstattung der Schulen obliegt den Ländern und den Gemeinden als Schulträgern.5 Eine Durchbrechung des Konnexitätsprinzips macht – wie in den Fällen der Art. 104b Abs. 1 und 104c GG – auch hier eine Verfassungsänderung erforderlich.6 1 Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.), Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft, Berlin 2016, abrufbar unter https://www.bmbf.de/files/Bildungsoffensive_fuer_die_digitale_Wissensgesellschaft.pdf; vgl. auch Sekretariat der Kultusministerkonferenz (Hrsg.), Bildung in der digitalen Welt, Strategie der Kultusministerkonferenz , abrufbar unter https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse /2016/2016_12_08-Bildung-in-der-digitalen-Welt.pdf; alle Internet-Quellen zuletzt abgerufen am 17. April 2018. 2 Bundesministerium für Bildung und Forschung/Kultusministerkonferenz, DigitalPakt Schule von Bund und Ländern, Gemeinsame Erklärung, abrufbar unter https://www.dstgb.de/dstgb/Homepage/Aktuelles/2017/DStGB%20zu%20den%20Eckpunkten %20der%20Bund-L%C3%A4nder%20Vereinbarung%20%E2%80%9EDigitalPaktSchule%E2%80%9C/Ergebnis _Eckpunkte_St-AG_230517.pdf. 3 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 14. März 2018, insbes. Zeilen 1127 ff., abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2018/03/2018-03-14-koalitionsvertrag.pdf. 4 Vgl. Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 104a Rn. 1, 9 f. 5 Ausdrücklich bestimmen das auch die Schulgesetze der Länder, vgl. nur § 79 Schulgesetz Nordrhein-Westfalen (SchulG NRW) und § 99 Abs. 2 Brandenburgisches Schulgesetz (BbgSchulG). 6 Vgl. dazu auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion, BT-Drs. 19/1168, S. 3, sowie den Koalitionsvertrag, Zeilen 336 ff., 1143 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 101/18 Seite 4 Gefragt wird, ob der Bund im Zusammenhang mit einer solchen Verfassungsänderung einfachgesetzlich weitere Regelungen zur Verwendung der Mittel durch die Länder schaffen kann. Dabei soll insbesondere auf Gesetzgebungskompetenzen des Bundes zur Regelung der Vergabe von IT- Aufträgen eingegangen werden. Abschließend wird das geltende Vergaberecht grob umrissen. 2. Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Schulrecht (Art. 30, 70 Abs. 1 GG) Aufgrund des Digitalpakts Schule sollen sich die Länder verpflichten, digitale Bildung durch pädagogische Konzepte und eine entsprechende Sachausstattung der Schulgebäude zu fördern. Damit gehört die Umsetzung im Wesentlichen zum Sachgebiet des Schulrechts, wofür die Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 30, 70 Abs. 1 GG bei den Ländern liegt. Das Bundesverfassungsgericht hat das Schulrecht als „Hausgut der Länder“ bezeichnet.7 Der Bund darf gesetzgeberisch nur dort tätig werden, wo ihm das Grundgesetz Kompetenzen zuweist. 3. Keine einschlägigen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes 3.1. Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91a ff. GG) Die Art. 91a, 91b und 91c GG regeln sogenannte Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern. Sie ermächtigen den Bund, auf den dort bezeichneten Gebieten und unter bestimmten Voraussetzungen an Aufgaben der Länder mitzuwirken.8 Inwieweit die Art. 91a und 91b GG dem Bund überhaupt Gesetzgebungskompetenzen verleihen, kann dahinstehen, da jedenfalls die Bereitstellung schulischer Infrastruktur von keiner der beiden Normen erfasst ist. Art. 91c GG ermächtigt den Bund, bei der Planung, der Errichtung und dem Betrieb der für die Aufgabenerfüllung von Bund und Ländern benötigten informationstechnischen Systeme mitzuwirken. Informationstechnische Systeme im Sinne der Vorschrift sind IT-Infrastrukturen in allen Bereichen staatlicher Tätigkeit, sodass die Mitwirkung des Bundes nicht auf einzelne Verwaltungsmaterien beschränkt ist. Indes bezieht sich die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 91c Abs. 4 S. 2 GG nicht auf die IT-Infrastruktur der Landesverwaltungen, sondern lediglich auf die Errichtung und den Betrieb eines Verbindungsnetzes zwischen den informationstechnischen Netzen des Bundes und der Länder.9 7 BVerfGE 43, 291, 348; vgl. zu den Kompetenzen des Bundes im Bildungswesen auch Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Kompetenzen des Bundes im Bereich des Bildungswesens, Handlungsoptionen für eine gesamtstaatliche Bildungspolitik, WD 3 - 3000 - 126/09. 8 Vgl. im Einzelnen Seckelmann, „Renaissance“ der Gemeinschaftsaufgaben in der Föderalismusreform II?, DÖV 2009, 747. 9 Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 91c Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 101/18 Seite 5 3.2. Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) Der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG begründet eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Recht der Wirtschaft. Darunter fallen insbesondere die Regelungsmaterien der außerschulischen beruflichen Bildung und des Vergaberechts. 3.2.1. Außerschulische berufliche Bildung Der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG verleiht dem Bund nicht nur die Kompetenz zum Erlass wirtschaftslenkender Gesetze im engeren Sinne, sondern auch für berufsregelnde Gesetze mit wirtschaftspolitischer Orientierung.10 Von dieser Gesetzgebungskompetenz ist nach herrschender Auffassung auch die Regelung des betrieblichen Teils der beruflichen Bildung erfasst.11 Der Bund hat von dieser Kompetenz mit dem Berufsbildungsgesetz Gebrauch gemacht. Regelungen zur schulischen Berufsbildung obliegen dagegen den Ländern.12 Der Digitalpakt Schule erfasst neben den allgemeinbildenden und sonderpädagogischen Schulen zwar auch die berufliche Bildung, doch geht es hier gerade um den schulischen und nicht um den betrieblichen Teil. Der Bund könnte sich daher nicht auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG berufen. 3.2.2. Vergaberecht Derselbe Kompetenztitel ermöglicht dem Bund die Regelung des Rechts der Auftragsvergabe.13 Von dieser Gesetzgebungskompetenz hat der Bund insbesondere mit den §§ 97 ff. des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) Gebrauch gemacht. Zwar wäre eine Konkretisierung dieser Vorschriften im Hinblick auf IT-Aufträge denkbar. Problematisch wären allerdings spezielle Normen für die Vergabe im Bereich der Schul-IT. Sie könnten dem Schulrecht zuzuordnen sein. Das Bundesverfassungsgericht hat Kriterien zur Abgrenzung zwischen Gesetzgebungskompetenzen erarbeitet: „Die Zuordnung einer bestimmten Regelung zu einer Kompetenznorm geschieht anhand von unmittelbarem Regelungsgegenstand, Normzweck, Wirkung und Adressat der zuzuordnenden Norm sowie der Verfassungstradition (…). Für die Auslegung hat daher auch die bisherige Staatspraxis großes Gewicht (…). Bei der Zuordnung einzelner Teilregelungen eines umfassenden Regelungskomplexes zu einem Kompetenzbereich dürfen die Teilregelungen nicht aus ihrem Regelungszusammenhang gelöst und für sich betrachtet werden. Kommt ihre Zugehörigkeit zu verschiedenen Kompetenzbereichen in Betracht, so ist aus dem Regelungszusammenhang zu erschließen, wo sie ihren Schwerpunkt haben. Dabei 10 Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Rn. 82. 11 BVerfGE 55, 274, 309; vgl. auch Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Kompetenzen des Bundes im Bereich des Bildungswesens, Handlungsoptionen für eine gesamtstaatliche Bildungspolitik, WD 3 - 3000 - 126/09, S. 5; kritisch Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Rn. 96. 12 Vgl. Gesetzentwurf zum Berufsbildungsreformgesetz, BT-Drs. 15/3980, S. 43. 13 Dörr, in: Burgi/Dreher (Hrsg.), Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl 2017, Einl. GWB Rn. 56. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 101/18 Seite 6 fällt insbesondere ins Gewicht, wie eng die fragliche Teilregelung mit dem Gegenstand der Gesamtregelung verbunden ist.“14 Würden sich Vorschriften eines Spezialvergaberechts spezifisch an die Schulträger richten und hätten solche Vorschriften Auswirkungen auf die inhaltliche Ausgestaltung der digitalen Bildung, so spräche dies für eine Zuordnung zum Schulrecht. Wenngleich die Länder bei der Vergabe von schulischen Infrastrukturaufträgen an die einschlägigen vergaberechtlichen Vorschriften gebunden sind,15 liegt die nähere Ausgestaltung gemäß Art. 30, 70 Abs. 1 GG in ihrer Zuständigkeit. 3.3. Ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Datenschutzrecht Obwohl das Grundgesetz für den Schutz personenbezogener Daten keine ausdrückliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes enthält, ist der Bundesgesetzgeber zur Regelung datenschutzrechtlicher Fragen berechtigt, soweit seine allgemeinen Gesetzgebungszuständigkeiten reichen.16 Entsprechende Kompetenzen bestehen aus dem Sachzusammenhang oder als Annexkompetenzen.17 Würde der Bund den Ländern anlässlich des Digitalpakts Schule datenschutzrechtliche Vorgaben machen, etwa hinsichtlich der Speicherung und der Verwendung von Schülerdaten, griffe er mangels eigener Gesetzgebungskompetenzen im Bereich des Schulrechts wiederum verfassungsrechtlich unzulässig in die Länderkompetenzen ein. Den Ländern obliegt bei der geplanten Umsetzung des Digitalpakts Schule die Regelung des Datenschutzes.18 3.4. Fazit Derzeit bestehen keine Gesetzgebungskompetenzen des Bundes in den genannten Bereichen. Wollte der Bund den Ländern weitere Vorgaben für die Verwendung der Mittel aus dem Digitalpakt Schule machen, müsste er im Zusammenhang mit der finanzverfassungsrechtlich ohnehin erforderlichen Verfassungsänderung – im Rahmen des Art. 79 GG – eine entsprechende Gesetzgebungskompetenz schaffen. 4. Geltendes Vergaberecht Länder und Gemeinden haben bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, zu denen auch IT-Aufträge für Schulen zählen, das geltende Vergaberecht zu beachten. Das Rechtsgebiet zeichnet sich durch 14 BVerfGE 121, 30, 47 f., Hervorhebungen hinzugefügt. 15 Vgl. zu den seitens der Länder einzuhaltenden vergaberechtlichen Vorschriften unten 4. 16 Gusy, in: Wolff/Brink (Hrsg.), BeckOK Datenschutzrecht, § 1 BDSG Rn. 27 ff.; der Gestaltungsspielraum wird durch die neue europäische Datenschutzgrundverordnung wesentlich beschränkt. 17 BVerfGE 125, 260, 314 f. 18 Einige Schulgesetze enthalten bereits jetzt besonderes Datenschutzrecht, vgl. etwa §§ 120 ff. SchulG NRW und §§ 65 ff. BbgSchulG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 101/18 Seite 7 eine Vielzahl nationaler Vorschriften aus, die auf der Umsetzung von EU-Vergaberichtlinien beruhen und damit maßgeblich durch das Unionsrecht geprägt werden.19 Das Vergaberecht ist zweigeteilt: Oberhalb bestimmter Schwellenwerte, die je nach Auftragsbereich variieren, gilt das Kartellvergaberecht. Es besteht im Wesentlichen aus dem GWB, der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV) und der Verordnung über die Vergabe von Konzessionen (KonzVgV). Unterhalb der Schwellenwerte bleibt es grundsätzlich bei den autonomen nationalen Regelungen der öffentlichen Beschaffung. Diese bestehen aus haushaltsrechtlichen Bindungen, den untergesetzlichen Verdingungsordnungen (VOB/A, VOL/A, VOF) und den auf jedes staatliche Handeln anwendbaren verfassungsrechtlichen Vorgaben.20 Ferner gelten die in den meisten Ländern bestehenden Landesvergabegesetze. Schließlich ist bei der Auslegung europäischen Sekundärrechts wie auch nationalen Rechts unabhängig vom Erreichen der Schwellenwerte das europäische Primärrecht zu beachten.21 *** 19 Vgl. nur Dörr, in: Burgi/Dreher (Hrsg), Beck’scher Vergaberechtskommentar, Einl. GWB Rn. 17 ff. 20 Vgl. Dörr, in: Burgi/Dreher (Hrsg), Beck’scher Vergaberechtskommentar, Einl. GWB Rn. 18. 21 Ausführlich Dörr, in: Burgi/Dreher (Hrsg), Beck’scher Vergaberechtskommentar, Einl. GWB Rn. 140 ff.